| 25 | you've run out of time

do you think you can hide
do you believe the lies
twisted up in your mind
you've run out of time time time
- Hidden Citizens

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- Victorine -

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Noch in der Nacht hatten wir Briefe an unsere Königreiche geschrieben.

Nicolas hatte die Personen, die Sanguis während seiner Abwesenheit vorübergehend leiteten, angewiesen, alle Truppen bereit zu machen und so schnell wie möglich nach Tenebris zu schicken.

Ich hatte meinem Bruder Darius geschrieben und ihm alles berichtet. Wie ich aufgebrochen war. Wie ich es nach Tenebris geschafft hatte. Hatte ihm von meinem Treffen mit Crescentia erzählt und kein Detail ausgelassen. Und ich hatte ihn darüber informiert, dass Cephas plante, Sanguis angreifen zu lassen.

Es war ein taktischer Zug von Cephas. Unser Königreich Spero war zwar seit dem letzten Angriff geschwächt und leicht zu besiegen, allerdings wusste Cephas ja nicht, dass Nicolas nicht in Sanguis war. Cephas glaubte wahrscheinlich, dass Nicolas und seine Armeen Spero wieder zur Hilfe kommen würden, genauso wie beim letzten Angriff.

Er wollte erst das zweitmächtigste Königreich Sanguis auslöschen, um dann mit dem drittmächtigsten Spero fortzufahren. Und von diesem Plan würde ihn nichts abbringen, weil er nun eine unaufhaltsame Armee besaß. Es sei denn, wir würden seinem Angriff zuvorkommen.

Ich setzte mich auf die Bettkante und betrachtete das warme Licht des Sonnenaufgangs durch das Fenster. Seufzend fuhr ich mir mit den Händen durchs Gesicht und über meinen kahlen Kopf. Mitten in der Nacht war ich schweißgebadet aufgewacht, weil ich von meinen Eltern und Crescentia geträumt hatte.

Seit ich zu dieser Reise aufgebrochen war, hatte ich ein Ziel gehabt. Ich hatte mich nur darauf konzentriert, meine Schwester zu retten. Dieses Ziel hatte ich nun nicht mehr und ich begann, mir um alles, was geschehen war, mehr Gedanken zu machen.

Mir war bewusst, dass ich nicht richtig getrauert hatte. Das holte mich mit jeder freien Minute nun wieder ein. Der Schmerz in meiner Brust war manchmal kaum auszuhalten. Meine Eltern waren fort. Deidamia war fort. Und Crescentia hatte ich schon seit einer ganzen Ewigkeit verloren.

Ich wusste nicht, ob ich überhaupt jemals nach Hause zurückkehren konnte. Ob ich an den Ort zurückkehren konnte, wo ich mein ganzes Leben mit meinen Eltern, Crescentia und Deidamia verbracht hatte.

Ich wusste nicht mal, ob mein Leben überhaupt noch lebenswert war, wenn dieser Krieg erst einmal vorbei war.

Tief ausatmend stand ich aus dem Bett auf und schob diese Gedanken hinfort. Jetzt durfte ich noch nicht darüber nachdenken. Jetzt hatte ich noch eine Aufgabe. Der Sinn meines Lebens war jetzt zumindest noch, Cephas aufzuhalten und tausenden Menschen das Leben zu retten.

Nachdem ich mich ins Bad geschleppt und anschließend angekleidet hatte, betrat ich den Flur und daraufhin das Esszimmer.

Vane saß auf der breiten Fensterbank und blickte in den Hinterhof hinab. Anscheinend hatte er das Frühstück nicht angerührt, denn sein Geschirr stand noch sauber an seinem Platz.

Nicolas Platz hingegen war schon komplett leer geräumt.

Schweigend setzte ich mich auf meinen Stuhl am vorderen Ende des Holztisches und starrte das ansehnlich angerichtete Brot, das Fleisch und den Käse auf der Mitte des Tisches an.

Mein Herz war schwer. Ich wünschte mir so sehr wie noch nie, dass ich die Zeit zurückstellen konnte. Dass ich noch einmal mit meiner Familie gemeinsam essen könnte und danach mit den mitgeschmuggelten Resten meines Frühstücks zu Deidamia gehen könnte.

Mein Atem stockte, als mich Erinnerungen einholten. Riesige, grauenhafte Vogelwesen, die auf Augen und Flügel und Drachenhaut einpickten. Deidamias Blut, welches mir über mein Gesicht lief.

Ich betrachtete das Fleisch auf dem Tisch, während mir speiübel wurde.

„Ich habe auch nichts runter bekommen", sprach Vane nun, der mich anscheinend beobachtet hatte.

Meine Kehle brannte. Ich goss mir kalte Milch aus der Kanne in meinen Becher und leerte sie mit wenigen Schlucken. Anschließend räusperte ich mich. „Wohin ist Nicolas verschwunden?"

„Ich weiß es nicht. Clara sagte, er sei früh aufgebrochen."

Mein Kopf drehte sich zu Vane, der noch immer den Blick aus dem Fenster gerichtet hatte. „Woher kennst du Clara?"

Plötzlich wandte sich der Kapitän zu mir und lächelte, jedoch wirkte sein Lächeln traurig. „Ihr wisst es gar nicht", bemerkte er. „Ich bin hier geboren, in Tenebris."

„Bist du etwa der Kerl, der sie im Wald umbringen wollte?"

„Gütiger Himmel, nein. Ich bin der Kerl, der mit jungen Jahren einfach abgehauen war, weil es ihn auf die See rausgezogen hatte." Mit einer Hand fuhr er sich durch die Haare und streckte die Beine aus. "Was macht Ihr heute, Victorine?"

Überrascht blickte ich ihn an. Was ich heute tun würde? Heute war der Tag, wo wir in den Krieg ziehen würden. Der Tag, an dem sich der Lauf des Schicksals zum Guten oder Schlechten enden würde. Der Tag, an dem wir alle unser Ende finden könnten.

"Würdet Ihr mir den Schwertkampf beibringen?", fragte Vane, als ich einige Sekunden lang nicht geantwortet hatte. "Ich werde mich an Cephas dafür rächen, dass er mein Zuhause zerschmettert und auf den Grund des Wassers geschickt hat. Dafür, dass er meine gesamte Crew ermordet hat." Seine Augen waren dunkel geworden. Ich kannte den Ausdruck der Entschlossenheit in seinem Gesicht. Dutzende Male hatte ich ihn bei Nicolas gesehen, oder wenn ich einen Blick in den Spiegel geworfen hatte.

Vane hatte uns erzählt, was passiert war. Cephas Schiffsflotten hatten sich auf Fluxus Profundum befunden, um die Armeen von der einen Seite zur anderen zu transportieren. Dabei hatten sie alle Echjews, die Wächter des Flusses, umgebracht oder verjagt.

Vanes Schiff war schließlich einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Cephas' Truppen waren bekannt dafür, kein Risiko einzugehen. Vorsichtshalber hatten sie auf alles geschossen, was versucht haben könnte, sie bei ihrem Vorhaben aufzuhalten.

Vane war mit seinem Schiff unter gegangen, von einer Meerfrau fortgeschleppt und schließlich von unserer Truppe gerettet worden.

Ich hatte mir den Rest der Geschichte zusammenreimen können. Die hungrige Meerfrau hatte ihn sich geschnappt und war mit ihm anscheinend zügig weg geschwommen, damit die Meerfrau der Konkurrenz entflüchten und Vane in Ruhe verspeisen konnte. Sie war genau auf das Ufer zu geschwommen, wo sich unsere Truppe befunden hatte.

Nachdem Tryphosa aufgewacht war, nachdem ich sie bewusstlos gewürgt hatte und in dem Hexennest verschwunden war, um Nicolas zu retten, war sie schnellstens wieder ans Tageslicht gegangen. Sie, Orestes und die anderen hatten wahrscheinlich beschlossen, keine Zeit mehr zu verlieren, die Reise nach Tenebris fortzuführen und Cephas auf eigene Faust zu ermorden.

Sie hatten die Drachen genommen, während Deidamia, auf mich wartend, zurückgeblieben war. Die Truppe hatte sich auf den Weg zu Fluxus Profundum gemacht, weil sie diesen auf den Weg nach Tenebris wieder überqueren mussten. Und dies war auch möglich gewesen, weil alle Echjews tot oder vertrieben worden waren.

Vom Ufer aus hatten sie entdeckt, wie der Krieg auf dem Wasser begonnen hatte. Wie Cephas' Flotten das Schiff abschossen, mit dem die Truppe den Fluss hatte überqueren können. Dann war die Meerfrau mit dem Mann nahe des Ufers geschwommen, wo die Truppe sich versteckt hatte und wo Vane dann gerettet werden konnte.

Der Kapitän hatte berichtet, dass die Truppe ihn mit nach Tenebris genommen hatte. Tag und Nacht waren sie mit den Drachen geflogen. Am feindlichen Königreich hatten sich ihre Wege dann getrennt.

Und Vane, nachdem er sein Zuhause und wahrscheinlich auch seine Familie verloren hatte, war dann hierher gekommen. An den einzigen Ort, den er in diesem dunklen Königreich noch kannte.

"Ja", erwiderte ich, "natürlich werde ich das."

"Danke", nickte mir Vane in respektvoller Geste zu.

Wir beschlossen, doch noch etwas zu essen. Es würde ein bedeutsamer Tag werden und wir würden die Energie brauchen. Dann liehen wir uns eines von Nicolas Schwertern aus seinem Zimmer aus, den das hoffentlich im Nachhinein nicht stören würde, und begaben uns in den Hinterhof.

Wir räumten einige Müllcontainer beiseite, um uns mehr Platz zu verschaffen. Dann begannen wir zu trainieren, und ich brachte einem Schiffskapitän, der noch nie mit einem Schwert gekämpft hatte, den Schwertkampf bei.

Zuerst lehrte ich Vane die Beinarbeit und sorgte dafür, dass er einen festen Stand einnahm. „Stell beide Füße, sowohl dein führendes, als auch dein folgendes Bein zusammen", kommandierte ich ihn, „dann mit deinem folgenden Bein einen Schritt zur Seite und etwa einen Schritt nach hinten. Nicht zu weit."

Vane nahm den Schritt ein. Ich umrundete ihn und begann, ihn von verschiedenen Seiten leicht zu schubsen, um seine Stabilität zu testen.

„Was ist eigentlich mit Euren Haaren passiert, Victorine?", sprach er nun die Frage aus, die offenbar schon längere Zeit auf seiner Zunge gelegen hatte.

„Ich habe sie abgeschnitten", erklärte ich knapp. „Und ich möchte sie auch nicht mehr zurück."

Der Kapitän zuckte mit den Schultern, woraufhin ich ihn wieder schubste und er aus dem Gleichgewicht geriet. „Vane", ermahnte ich ihn, streckte meinen Arm aus, griff ihn an der Schulter und hielt ihn fest. „Konzentrier dich. Keine durchgestreckten Beine, denk dran. Den hinteren Fuß des folgenden Beines immer leicht rausdrehen."

Normalerweise brauchte man jahrelanges Training. Heute mussten wir es etwas verkürzen und ich beschränkte mich auf die wichtigsten Trainingsinhalte. Als Vane die Beinarbeit relativ beherrschte ging ich zu den verschiedenen Hieben und Schlägen über, welche Vane etwas schwieriger fielen als die Stabilität seines Standes.

Ich schätzte, dass er auch auf seinem Schiff Celera ständig einen festen Stand gehabt haben musste.

Als ich ihm die verschiedenen Schlagarten demonstriert hatte, griff auch ich zu meinem Schwert. Sicherheitshalber hatten wir die ledernen Schwertscheiden darüber gelassen, damit niemand von uns verletzt werden würde.

Langsam begann ich, anzugreifen, während Vane meine Schläge zunächst einmal blockierte.

„Steh immer gerade zum Gegner", wies ich an. „Sonst passiert schnell das hier." Ich streckte das geschützte Schwert aus und bohrte seine Spitze leicht in Vanes Taille, da mir die Seite seines Körpers ungeschützt präsentiert wurde.

„Verstanden."

Die Zeit strich vorüber, bis ich mich mit seinem Stand einigermaßen zufrieden gab und begann, ihm ein paar der Hiebe und Schläge zu zeigen, die man am häufigsten benötigte. Als sein Schwert schließlich auf meines traf rutschte es ihm aus den Fingern und schlitterte über den dreckigen Steinboden.

Ich zeigte ihm erneut, wie man den Griff fest in der Hand hielt, sodass er auch bei einem heftigen Gegenschlag nicht herausfiel und ließ ihn weiter einfache Schläge parieren und abwehren.

"Läuft ja nicht schlecht bisher", hörte ich da plötzlich.

Ich schreckte auf und zuckte zusammen. Vane und ich erstarrten, während ich meinen Kopf zu der Richtung der Stimme drehte.

Der König von Sanguis saß einige Schritte entfernt von uns auf einer hüfthohen Holzkiste an der Hauswand und beobachtete uns. Seine schwarzen Haare schienen mir bei seinem genauen Betrachten ein bisschen länger geworden zu sein als zu dem Zeitpunkt, wo ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Einzelne Haarsträhnen hingen ihm beinahe in den Augen, während seine grünen Augen uns aufmerksam fixierten.

Seine Hände lagen locker zusammengefaltet in seinem Schoß. Ich erinnerte mich daran, wie sie meine nackte Haut in der einen Nacht sanft gestreichelt hatten. Wie seine Hände meinen Körper umfasst hatten.

Schnell versuchte ich, an etwas anderes zu denken und mich wieder auf die jetzige Situation zu konzentrieren. Wieso hatte keiner von uns beiden gemerkt, dass er sich dorthin gesetzt und uns zugesehen hatte? Und noch wichtiger, warum war er ohne Verkleidung hier draußen? In den abgelegenen Hintergarten gab es von Außen eigentlich keinen Einblick, trotzdem mussten wir sehr vorsichtig sein.

"Wir haben uns eines deiner Schwerter ausgeliehen", bemerkte ich stattdessen nur.

"Klar doch, ist in Ordnung", erwiderte Nicolas nur mit selbstverständlichem Ton und wandte seinen Blick dann Vane zu. "Ist das dein erstes Schwertkampftraining?"

"Könnte man so sagen", zuckte der Kapitän mit den Schultern.

"Dafür scheinst du dich gut zu schlagen. Musst wohl eine gute Trainerin haben." Seine Lippen formten sich zu einem halben Lächeln, während er wieder mich anblickte.

Beinahe wollte ich die Geste erwidern, doch dann erinnerte ich mich wieder. Es war gut möglich, dass ich dieses Lächeln heute zum aller letzten Mal sehen würde.

"Wo bist du den Morgen über gewesen?", erkundigte ich mich nun und sah zum Himmel herauf. Die Sonne stand fast genau über uns, verdeckt von dicken, gräulichen Wolken, die das Sonnenlicht eindeckten und nur noch schwach zu uns herunterscheinen ließ. Es sah nach Regen aus.

Bald war es soweit.

"Ich habe die Truppe gefunden. Tryphosa, Orestes und den Rest", antwortete Nicolas und ließ den Blick ins Nichts schweifen. "Ebenso habe ich herausgefunden, dass ich nicht der einzige war, der befohlen hat, die Armeen von Sanguis bereitmachen zu lassen."

Tryphosa. Die Obersoldatin hat geglaubt, ihr König sei tot. Und hatte trotzdem nicht aufgeben wollen und den Befehl gesendet, die Truppen zu mobilisieren. Sie hatte trotzdem geplant, Tenebris zu stürmen, trotz dem vermeidlichen Tod ihres Königs.

Ich hörte einige Raben laut krächzen. Abwesend blickte ich wieder hoch in den Himmel hinauf. Die drei schwarzen Vögel flogen genau über uns, umkreisten uns fast schon. Dann verloren sie an Höhe, flogen herunter zu uns und landeten irgendwo hinter uns an den Mülltonnen, die wir dorthin zur Seite geschoben hatten.

Seufzend wandte ich mich wieder zu Nicolas. Bevor ich mich aber erkundigen konnte, wann seine Truppen eintreffen würden und wann wir losziehen würden, weiteten sich Nicolas' Augen ein Stück, während er an mir vorbeischaute und etwas hinter mir beobachtete.

Beinahe im selben Moment schoss ein Strahl an Feuer neben mir vorbei, wobei die Hitze mir fast in den Augen brannte und die Haut meines Gesichtes zum glühen brachte. Ein krächzender, aber menschlich klingender Schrei ertönte hinter mir und ich wirbelte herum. Bevor ich irgendwas erkennen konnte stand Nicolas jedoch schon vor mir und schob mich mit einer Hand weiter hinter sich, mit der rechten Hand noch einen weiteren Feuerstrahl abfeuernd.

Ich stieß seinen Arm hinfort, schob den Schutz von meinem Schwert und trat hinter seinem Rücken hervor, jedoch nur, um wieder erstarrt stehen zu bleiben.

"Nicolas, stopp!", rief ich und griff nach seinem Arm.

Die bildhübsche Frau vor uns hielt schützend eine Hand vor sich, wo der Strahl aus heißem Feuer abprallte und zu ihrer rechten und linken Seite abgeleitet wurde. Der tödliche und zornentbrannte Ausdruck in ihren Augen passte nicht zu ihrem sanften, wunderschönen Gesicht.

„Nicolas!", rief ich nochmal und zog heftiger an seinem Arm, bis der Feuerstrahl endlich erlosch.

„Du wagst es dich", bebte die Frau vor Wut, während zwei schwarze Raben auf ihren Schultern landeten, „Feuer gegen eine Hexe zu wirken? Willst du mich daran erinnern, wie hunderte meiner Schwestern lebendig verbrannt wurden?"

„Nein", mischte ich mich ein, ging an Nicolas, sowie an Vane vorbei, der ebenfalls sein Schwert freigemacht hatte und die Frau vor sich nun anstarrte. „Er wollte uns nur beschützen."

Einige Sekunden lang war es still, bis die Hexe endlich ihren Todesblick unterbrach und mich mit neutraler Miene ansah. „Hallo, Victorine."

„Hallo, Hekate", erwiderte ich.

Die Frau vor uns schloss die Augen und begann, sich in ihre wahre Gestalt zu verwandeln, so wie sie es in ihrer Hütte im Wald getan hatte.

„Was..?", hörte ich Vane ganz leise hinter mir flüstern und einige Schritte zurückgehen. Ich verübelte es ihm nicht. Es war auch mein erster Instinkt gewesen, als ich die Verwandlung beobachtet hatte. Wie ihre braune Haut aschfahl und pockig wurde, die kleine Nase lang und voller Pickel und die Zähne zu spitzen Nadeln heranwuchsen, die rohes Fleisch zerreißen könnten. Erst ganz zum Schluss verschwand die weiße Lederhaut ihrer Augen, sowie die braune Farbe um ihre Pupille und ließ nur noch komplette Schwärze in ihren Augen zurück.

Nicolas drehte sich zu mir um und starrte auf die Wunde an meinem Nacken, die noch allzu deutlich zu sehen war. "Das war also nicht sie?", wunderte er sich laut, offensichtlich die Tatsache verknüpfend, dass Hekate und ich freundlich zueinander gestimmt waren.

"Nein", antwortete ich leise mit festem Blick in seine Augen.

"Warum hast du mir das nie erzählt?", wollte er nun berechtigterweise wissen.

Weil ich Nicolas nicht von allem erzählen wollte. Besonders nicht von der Nacht in der Hölle, wo ich unbewaffnete Menschen abgeschlachtet hatte. Ohne zu wissen, ob sie wirklich schuldig waren. Um mich selbst zu retten. Ich hatte nicht von der Nacht erzählen wollen, in der ich einen Teil meiner Menschlichkeit für immer verloren hatte.

"Weil ich nicht erwartet hatte, sie jemals wieder zu sehen", entschied ich mich, die dunklen Geschehnisse zu verschweigen und nur einen kleinen Teil der Wahrheit auszusprechen.

Seine grünen Augen blickten nun so durchdringend in meine, dass ich mich fragte, ob wirklich ich diejenige mit der Fähigkeit war, in die Seelen anderer Wesen zu blicken.

"Victorine", machte die Hexe nun auf sich aufmerksam und unterbrach den intensiven Blickkontakt zwischen Nicolas und mir.

"Ja?", kam es aus meinem Mund, während mein Herz schneller und heftiger zu schlagen begann.

"Komm mit. Ich muss dir etwas zeigen."

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