| 23 | in the shadows

Something in the Shadows
Cuts you like an arrow
Shifting through the dark
Strength in your weakness
This Fire is in your blood
Hanging from that hope
But everybody knows
There's something in the Shadows
- Amy Stroup

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- Victorine -

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Als wir es endlich zurück zu unserer Unterkunft geschafft hatten ließ ich mir kaltes Wasser in die Wanne ein, schälte mich aus dem Kleid und zog mir die Perücke von meinem Kopf. Seufzend starrte ich auf irgendeinen Punkt an der Badezimmerwand und verharrte dort einige Sekunden lang gedankenlos und wie gelähmt. Dann stieg ich in die Wanne und tauchte meinen Kopf so weit unter, dass nur die vorderste Seite meines Gesichtes an der Luft war.

Mit meinen Ohren unter Wasser hörte sich alles so dumpf an. Jede kleinste Bewegung meiner Hände konnte ich viel deutlicher vernehmen, obwohl sich alles andererseits viel stiller anhörte. Ich wünschte für einen Moment lang, dass ich meinen Kopf auf den Boden der Wanne legen und stundenlang nur noch hoch auf die Wasseroberfläche schauen könnte.

Ich schloss die Augen. Doch die Dunkelheit meiner inneren Sicht verwandelte sich zum Gesicht meiner Schwester und zu den Bildern, die ich in ihrem Geist gesehen hatte.

Verzweifelt stieß ich einen Luftzug aus, setzte mich auf und rieb mir mit den nassen Händen durchs Gesicht. Ich wollte nicht daran denken und andererseits musste ich zwanghaft die ganze Zeit daran denken.

Was würde ich dafür geben, jetzt mit Deidamia ziellos durch die Nacht zu fliegen. Oder meine Mutter zu fragen, was wir falsch gemacht hatten. Meinen Vater zu fragen, wie es so weit kommen konnte, dass sich unsere eigene Familie gegen uns gewandt hatte.

Aber ich konnte nicht. Weil alle von ihnen tot waren.

Ruckartig stieg ich aus der Wanne aus. Das frustrierte Gewöll an Gefühlen in mir ließ sich kaum aushalten. Ich wusste nicht, ob ich schreien oder weinen oder reglos an die Wand starren wollte.

Das Wasser lief an meinem Körper herab, als ich zum Waschbecken ging, mich mit beiden Händen daran abstützte und in den Spiegel sah. Die Kriegerin war verschwunden. Stattdessen war dem Spiegelbild ein verzweifelter Mensch gewichen, der durch tiefes Ein- und Ausatmen einem Zusammenbruch entgegenwirkte und die Bildung von Tränen durch wiederholtes Blinzeln zu verhindern versuchte.

Ich wandte meinen Blick ab und starrte in das Waschbecken hinein, bis meine Füße unruhig wurden. Langsam trocknete ich mich ab und zog mir frische Kleidung an. Dann verließ ich das Badezimmer und legte mich in mein Bett. Draußen hatte es schon zu dämmern begonnen und allmählich wurde es auch im Zimmer immer dunkler. Ich schloss die Augen und versuchte einzuschlafen, doch ich fühlte mich hellwach. Kraftlos, müde und erschöpft - aber hellwach.

Nach einiger Zeit setzte ich mich auf und sah mich im dunklen Raum um. Schließlich stand ich auf, verließ mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Dann ging ich den Gang entlang, bis ich vor Nicolas' Zimmertür stand und anklopfte.

Ich hörte Schritte, dann wurde die Tür geöffnet und Nicolas stand vor mir. Auch er hatte sich umgezogen und war seine Verkleidung losgeworden. Kerzen erleuchteten das Zimmer und den Schreibtisch, das Bett schien unberührt. Anscheinend hatte er auch nicht schlafen können oder es noch nicht einmal versucht.

"Victorine?", fragte er und betrachtete mich genau. Ich antwortete aber nicht. Es fühlte sich an, als hätte man mir den Mund zugeklebt oder mir meine Stimme geraubt. Oder als hätte ich einfach nichts, was man sagen könnte.

"Komm doch rein", sagte er dann und trat einen Schritt zur Seite, um mir Platz zu machen.

Somit schritt ich an ihm vorbei und sah mich in dem Raum um, während ich Nicolas die Tür wieder schließen hörte. Dann drehte ich mich zu ihm um. Der König betrachtete mich konzentriert und geduldig.

Langsam ging ich auf ihn zu und stoppte erst, als meine Stirn sein Kinn beinahe berührte. Leicht sah ich zu dem Mann auf, dessen Gesichtszüge ernster und dessen Augen offener geworden waren. Für einen Moment blickten wir uns an, dann stellte ich mich beinahe auf die Zehenspitzen und näherte mich ihm Stück für Stück.

Als ich meine Lippen vorsichtig auf seine senkte, schloss ich die Augen. Nicolas erwiderte den Kuss erst, als ich mich fast schon wieder zurückgezogen hätte. Ich legte meine Hand an seine stoppelige Wange, strich mit meinen Fingern an seinem Ohr vorbei und ließ sie dann in seinem Nacken verweilen.

Nicolas umgriff meine Taille mit beiden Händen und zog mich näher zu sich. Seine Lippen bewegten sich sanft, aber nicht zögerlich.

Meine Augen waren geschlossen, meine innere Sicht von Dunkelheit verhüllt. Und diesmal blieb es bei der Dunkelheit.

Nicolas' Hände und sein restlicher Körper strahlten tröstende Wärme aus. Seine Lippen fühlten sich weich an - in einer Welt, in der alles andere hart und grausam war.

Küssend drängte er mich mit leichtem Druck zurück, bis ich mit dem Rücken an der Wand anstieß. Mit den Fingerspitzen fuhr er zu meinen Schlüsselbeinen, zog mein Oberteil beiseite und legte meine verletzte Schulter frei. Rund um die Bisswunde setzte er Küsse auf meine Haut, dann wanderte sein Mund zu meinen Schlüsselbeinen, meinen Hals entlang bis zu meinem Nacken hin.

Unregelmäßig ausatmend lehnte ich meinen Kopf beiseite, damit er mich dort besser küssen konnte.

Meine Finger begannen, sich ihren Weg seinen Rücken herunter zu bahnen. Als ich das Ende seines weißen, lockeren und zu großen Hemdes erfasste, schob ich den Stoff langsam nach oben.

Nicolas hörte auf, mich zu küssen, und zog sich sein Oberteil über den Kopf.

Mit den Händen fuhr ich über seinen Oberkörper, über die muskulösen Arme und dann über den breiten Rücken. Vorsichtig tasteten meine Finger ab, was sich wie lange Narben anfühlten. Peitschenschläge.

Ich spürte, wie ein Schauder seinen Körper durchfuhr. Für einen Moment stand er mit geöffneten Augen ganz still da, als überlege er, ob er sich der Berührung entziehen sollte.

Mit angehaltenem Atem wartete ich ab. Dann schloss Nicolas die Augen und es schien mir, als lehne er sich sogar einige kleine Millimeter in die Berührung hinein. Meine linke Hand strich weiter über seinen Rücken, während ich die rechte an seine Wange legte. Ich küsste seine Wange, seinen markanten Kieferknochen, sein Kinn und ließ meine Lippen hauchzart runter bis zu seinem Adamsapfel schweifen.

Nicolas Hände wanderten zu meiner Taille, ergriffen das Ende meines Oberteiles und zogen es mir über meinen glatten Kopf. Seine Finger fuhren zwischen meinen Brüsten entlang zu meinem Bauchnabel und an den Seiten meiner Taille wieder nach oben. Mir war, als würde er überall, wo er mich berührte, eine Spur von Gänsehaut auf mir hinterlassen.

Langsam bewegten wir uns zum Bett. Ich wusste nicht, wer den ersten Schritt gemacht hatte. Wahrscheinlich hatten wir ihn beide getan.

Nicolas legte mich sanft auf der Matratze ab und beugte sich über mich. Meine Hände griffen zu seinem Nacken und zogen sein Gesicht näher zu mir.

Es war nicht zaghaft, aber auch nicht fordernd. Nicolas und ich sprachen nicht miteinander. Wir wussten beide ohne Worte, was wir selbst wollten und was die andere Person wollte.

Ich fühlte mich, als täte ich seit langer, langer Zeit etwas nur für mich selbst. Es war einer der seltenen Momente, in denen ich an mich dachte. In denen ich nicht kämpfen musste und stark sein musste und alles für andere Menschen aufgeben musste.

Für einen Moment war diese Welt warm und weich und sanft und wunderbar still. Und ich wollte diesen Moment genießen, bevor sie wieder dunkel und kalt und blutrünstig wurde.

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- Cephas -

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Auf dem Gang zu Xerxas Hexenzimmer war es kalt. Die Kälte kroch unter meine Rüstung und hüllte sich um meine Haut. Mit festem Griff trug ich die Box aus Stahl in meinen Händen. Das Geräusch meiner Schritte hallte von den Wänden herab. Am Ende des Ganges blieb ich stehen und öffnete die Tür.

Xerxa saß auf einem Tisch in der Mitte des Raumes. Kurz betrachtete ich, wie sie mit gekrümmtem Rücken dort saß, die Unterarme wartend auf den Knien abgestützt. Um sich herum hatte sie alles frei geräumt, sodass sie praktisch in einem fast leeren Zimmer saß. Jedes kleinste Stück der Wände jedoch war mit Regalen abgedeckt, die voll von Utensilien waren, die ich ihr für ihre Dienste nur zu gern regelmäßig beschaffte.

Die Hexe drehte ihren Kopf herum. Ihr Blick verweilte nicht auf mir, sondern fiel sofort zu der Box in meinen Händen.

"Hast du dich wie befohlen ausgeruht?", wollte ich wissen. Doch selbst wenn nicht - wir hatten fürwahr keine Wahl mehr. Länger würden wir vielleicht nicht abwarten können.

"Habe ich, König Cephas", erwiderte sie, stand auf und ging langsam auf mich zu. Ihre abgrundtief schwarzen Augen blickten nun in meine, als versuche sie mich um jeden Preis zu überzeugen. Ein ekelerregendes Gefühl überkam mich.

Ich ging an der Hexe vorbei und stellte die Box auf dem Tisch ab. Dann öffnete ich das Schloss und klappte den Deckel auf. Das bewegungslose Herz war stetig grauer geworden. Es hatte nur noch einen kleinen Hauch von rosiger, rosafarbener Tönung und hatte jüngsthin begonnen, fürchterlich zu stinken.

Vielsagend blickte ich zu Xerxa zurück. Es musste heute geschehen. Früher als erwartet. Mit der Ungewissheit, ob Xerxa das überleben würde. Das Miststück würde sich sehr anstrengen und um ihr Leben kämpfen müssen, wenn sie mächtig sein wollte. Genauso, wie es manch anderer hatte tun müssen. Der nicht einfach einen Gegenstand erhalten hatte und dadurch unbesiegbar geworden war.

Wir bereiteten den Tisch vor. Xerxa legte ein dunkelrotes Tuch darauf ab und verteilte lauter kleine Knochen und Steine in verschiedensten Farben auf den Rändern des Tisches. Die Hexe trank schließlich den roten Inhalt eines kleinen Fläschchens und legte sich dann hin, während ich den kleinen, spitzen und scharfen Dolch säuberte.

Xerxa atmete tief ein und aus. Sie machte mir ihren Oberkörper frei, während ich die Box neben mir bereitstellte. Ich fühlte ihre Haut ab, bis ich die Stelle fand, wo ich ihr Herz am stärksten schlagen spürte. Als ich den Dolch ansetzte, biss Xerxa die Zähne zusammen und presste die Augenlider aufeinander.

Langsam und vorsichtig schnitt ich tief in die Haut ein. Die Hexe begann zu keuchen und sich mit beiden Händen am Tisch festzukrallen. Gut so. Sie musste still bleiben und durfte mich keinesfalls bei der Arbeit behindern. Ich legte den Dolch beiseite und griff zur Zange, die ich in dem tiefen Schnitt ansetzte und die Haut dann auseinander spannte.

Xerxa stieß ein ersticktes Keuchen hervor, während ihr ganzer Körper bebte und ihre tiefschwarzen Augen nun vor Schreck aufgerissen zur Decke starrten. Ihr Herz war freigelegt. Unter all dem Blut, welches aus der riesigen Schnittwunde lief, sah ich es pochen. Schnell und rasend.

Meine Fingerspitzen gruben sich in den Schnitt und tauchten immer tiefer hinein, während die Hexe erstickt aufschrie und ihre Fingernägel in das rote Tuch und das Holz darunter schlug. Ich umfasste ihr pochendes Herz, umgriff es kräftig und zog. Zog einige Male, bis es sich endlich löste und meine Hand zurückschoss, mit ihrem Organ darin.

Ich sah in das Gesicht der Hexe. Ihr Körper war schlaff geworden. Mit offenen Augen starrte sie an die Decke und atmete nicht mehr.

Während ich nach dem Herz der Urhexe griff, begann der Raum plötzlich, zu leuchten. Nicht von den angezündeteten Kerzen, sondern von aberdutzenden Steinen, die überall in den Regalen und um Xerxas Körper herum auf dem Tisch verteilt waren.

Jetzt musste ich mich beeilen. Ich spreizte die Hautlappen mit der Zange auseinander und begann, das graue Herz möglichst vorsichtig hinein zu setzen. Als es drin lag, ließ ich los.

Was ich nicht erwartet hatte war, dass Xerxas Körper das Herz wieder auszustoßen versuchte. Stirnrunzelnd sah ich zu und realisierte dann, dass es wahrscheinlich doch nicht ihr Körper war.

Das Herz kämpfte sich aus der Wunde heraus. Das tote, graue, stinkende Organ bahnte sich einen Weg aus Xerxas Körper heraus.

Augenblicklich presste ich meine blutverschmierten Hände auf die Wunde und versperrte dem Herz seinen Ausgang. Ich spürte, wie es von innen gegen meine Handfläche drückte.

"Wenn du leben willst", zischte ich ihm zu, "dann ist dies der einzig mögliche Platz für dich."

Xerxas Augen starrten noch immer leblos an die Decke. Die leuchtenden Steine verloren langsam an ihrer Intensität. Ich bezweifelte, dass der Körper der Hexe noch viel länger ohne ein Herz überleben konnte.

Ich drückte noch fester auf die Wunde. Mehrere, furchtbar lange Sekunden lang. Und dann spürte ich, wie das Herz endlich zurücksackte.

Xerxa holte einen tiefen Atemzug, der ihren Brustkorb anschwellen ließ. Vor Erleichterung stieß ich ein Lachen aus. Ich blickte zum Gesicht der Hexe zurück und traute meinen Augen kaum. Gewisslich hatte wohl noch niemand jemals in den letzten Jahren Farbe in den Augen einer Hexe gesehen. Doch jetzt sah ich, wie das Schwarz komplett ausgetauscht wurde, während alle möglichen Farben abwechselnd ihre Augäpfel bedeckten.

Schnell presste ich Mulden auf die Wunde, um die starke Blutung einigermaßen zu stoppen. Als ich zurück zur Hexe sah, starrte mich diese wieder mit abgrundtiefschwarzen Augen an und begann, wieder regelmäßig und vorsichtig zu atmen.

Ich nahm mir Nadel und Faden, legte die blutgetränkten Stoffe beiseite und fing an, die Hautlappen wieder aneinander zu nähen. Fest verschloss ich die Wunde und half Xerxa dann, Bandagen um ihren Oberkörper zu wickeln.

Vorsichtig stand die Hexe auf und presste dabei eine Hand auf ihre Brust. Sie war wacklig auf den Beinen und ihre Verfassung erschien mir so schlecht, dass ich glaubte, dass sie sich noch einige Tage erholen müsste.

Doch dies war nicht der Fall. Tatsächlich dauerte es bloß einige Stunden der Nacht, bis Xerxa sich bereit fühlte und den ersten Erstehungsprozess erprobte.

Und wie es aussah würde ich am nächsten Tage schon den Beginn meiner neuen Armee erblicken können.

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