| 13 | chaos

Some people survive chaos and that is how they grow. And some people thrive in chaos, because chaos is all they know.
 - Unknown

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- Victorine -

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Meine Eltern sahen genauso aus, wie ich sie noch in Erinnerung hatte. Meine Mutter mit ihren warmen Augen und ihrer geraden, stolzen Haltung. Mein Vater mit müdem Gesichtsausdruck und harter Mimik.

Mein Herz schmerzte beim Anblick der beiden. Ich hätte nie damit gerechnet, meine Eltern jemals wieder zu sehen. Am liebsten würde ich die Hände ausstrecken und ihnen in die Arme fallen, aber das hier war nur eine Erinnerung von Nicolas.

Mit Mühe versuchte ich, all meine eigenen Gefühle beiseite zu schieben und mich auf die Wichtigkeit dieser Situation zu konzentrieren.

Nicolas verhandelte mit meinen Eltern. Er wollte ihre Unterstützung und ein Bündnis aufbauen.

Seiner Erinnerung nach war das hier ein Jahr nach seiner Krönung. Und schon suchte er Verbündete, um einen Krieg gegen Cephas zu gewinnen.

"König Nicolas", vernahm ich nun die Stimme meiner Mutter. Die Königin stand vor einem der breiten Fenster, sodass das Sonnenlicht ihre Haare erleuchete und ihrem Auftreten noch mehr Kraft verlieh.

"So sehr wir Eure Wut und Eure Bedenken verstehen können, so müssen wir zunächst einmal an unser eigenes Volk und unsere eigene Familie denken", sprach sie.

"Ein Bündnis mit Sanguis könnte Tenebris womöglich zu einem Angriff provozieren", wand mein Vater ein, welcher etwas weiter entfernt auf einem Stuhl saß.

Nicolas hatte diese Argumente bereits befürchtet. "Bei allem Respekt", begann er vorsichtig. "Jedes Königreich ist schon jetzt der Gefahr seines Angriffes ausgesetzt. Natürlich greift er bisher nur solche an, die er als Bedrohung ansieht. Alles andere wäre eine Zeitverschwendung für ihn." Seine Stimme klang bitter, aber auch selbstsicher. Er hatte wohl viel Zeit damit verbracht, sich Gedanken um seinen Feind zu machen.

"Aber der kleinste Fehler, die belangloseste Aussage, ein falscher militärischer Zug und er könnte hunderte von Menschen hier töten. Wenn sich alle Königreiche verbünden, dann hätten wir die Möglichkeit, seine Herrschaft zu beenden."

Meine Eltern schwiegen und schienen sorgfältig über seine Worte nachzudenken. Aber ihren Gesichtern war bereits anzumerken, dass sie seinen Vorschlag ablehnen würden.

"Eure Wut ist vollkommen nachvollziehbar, König Nicolas", sprach die Königin dann. "Und Ihr habt Recht damit, dass Cephas jetzt schon eine Gefahr darstellt. Aber bei einem Bündnis zwischen uns wäre er eine noch größere Gefahr."

Nicolas ballte vor Zorn die Hände zu Fäusten. In all den anderen Königreichen hatte er nie eine andere Reaktion erhalten. Alle waren zu feige, sich Cephas zu stellen.

"Ihr müsst verstehen", begann meine Mutter nach kurzem, intensivem Blickkontakt mit Nicolas, "dass diese Entscheidung nichts mit Angst zutun hat."

Sie hatte seine Gedanken gelesen, aber wie hätte sich Nicolas dies damals denken können? Diese Fähigkeit war äußerst selten und wir hatten sie stets versteckt. Nun stand meine Mutter bereits am Fenster und sah hinaus. "Es geht nur um den Schutz unseres Königreiches. Unseres Volkes. Wir können ihre Leben nicht riskieren. Nicht für die Chance, Cephas irgendwann einmal vom Thron zu stürzen."

Ihre braunen Augen starrten noch immer auf einen Punkt außerhalb der Schlossmauern. Neugierig trat Nicolas näher und sah neben ihr aus dem Fenster.

Mit leichtem Schreck im Herzen begriff ich, dass sie mich beobachteten.

Ich trainierte mit dem Cousin meines Vaters auf dem riesigen Schlosshof. Meine Bewegungen waren schnell und präzise. Ich schoss hervor, zog mich zurück, wirbelte herum, drehte mich. Ich gab mein Bestes, um meinen Gegner in die Knie zu zwingen. Es war ein langer, harter Kampf. Trotzdem wollte keiner von uns beiden schwach werden und aufgeben.

"Wir schützen nicht nur unser Volk, sondern auch unsere Kinder. Unsere Familie", sprach meine Mutter.

Nicolas schoss eisiger Schmerz doch sein Herz, doch er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen. Seine Augen folgten unseren Bewegungen auf dem Schlosshof. Irgendwann wurde ich überwältigt und hatte den Kampf verloren. Als ich den Helm auszog und mir die langen, dunklen Haare über die Schultern fielen, begriff ich, dass ich fast wie meine Mutter aussah. Nur die harten Gesichtszüge und der bittere, wütende Gesichtsausdruck passten nicht zu ihr.

Nicolas drehte den Kopf und blickte noch einmal in Mutters sanfte Augen.

Dann wurde ich wieder aus der Erinnerung geworfen und stand im von Feuer erleuchteten Kerker. Hexen hielten mich fest. Nein, falsch. Ich hielt mich an den Hexen fest.

Kalte Tränen liefen über meine Wangen, als ich lautlos weinte. Ich vermisste meine Eltern so sehr. Ich wollte mich nur noch in der Sicherheit meiner Familie wissen.

Doch meine Fähigkeit ließ mir wenig Zeit für meine Trauer und ich befand mich bereits in der nächsten Erinnerung. Nicolas saß auf seinem Thron im Thronsaal von Sanguis.

Nicolas wunderte sich, dass der Spion eine so junge Frau war. Ihre Bewegungen hatten erfahren und äußerst vorsichtig gewirkt. 

Er sah gelangweilt zu, wie ich meine Waffen ablegte und fragte sich, wie er mich am besten dazu zwingen könnte, meine Informationen preis zu geben. Fragte sich, was meine Schwäche war.

"Alle", befahl er wie aus dem Nichts.

Ich beobachtete mich selbst. Wie ich versuchte, meine Verzweiflung hinter einer steinernen Fassade und meiner Wut gegenüber Blondie zu verstecken, während ich auch meine letzten Waffen ablegen musste.

Schließlich hörte ich meine feste Stimme, die verkündete, Victorine Zuleika von Arphaxad aus dem Königreich Spero und Tocher von Almeric Mortimer Ulric von Alphaxad zu sein.

Der König betrachtete mich ganz genau, dann schien es ihm einzufallen. Er hatte mich schon einmal gesehen, vor zwei Jahren. Auf dem Schlosshof in Spero während eines Schwertkampfes. Nicolas' Blick schoss zu meiner Klinge, die bei meinen anderen Waffen lag. Tatsächlich erkannte er, dass es dasselbe Schwert wie damals gewesen war.

Das Schwert war nicht das beste, was man schmieden konnte. Trotzdem war ich jahrelang mit ihm in jeden Kampf gezogen. Innerhalb weniger Sekunden hatte er so eine meiner Charaktereigenschaften herausgefunden. Meine Loyalität.

"Die erste Königstochter, interessant", bemerkte er.

"Ich biete Euch meine Unterstützung im Kampf gegen Cephas an", sah ich mich schließlich sprechen, todernst blickend.

"Die Unterstützung von Spero?", fragte Nicolas nach.

"Nein, meine", wiederholte ich.

Nicolas hatte geglaubt, dass er ewig alleine im Kampf gegen Cephas stehen würde. Kein Königreich hatte sich ihm anschließen wollen. Natürlich war es lächerlich, dass so ein mickriger Mensch wie ich auch nur glaubte, es in die Nähe von Cephas zu schaffen.

Trotzdem sah Nicolas in meine dunklen, blitzenden Augen und erkannte sich selbst wieder. Erkannte Wut gegenüber dem Mann, der seine Eltern getötet hatte. Und dem Mann, der auch das Königspaar von Spero ermordet hatte. 

Nicolas hatte geglaubt, dass er der einzige war, der es mit Cephas aufnehmen wollte. Der ernsthaft vorhatte, ihm seinen Kopf abzuschlagen. Und plötzlich stand eine Frau vor ihm, deren Augen genau dasselbe sprachen.

Und dann waren die Augen weg.

Oder doch nicht?

Es war so dunkel, dass Nicolas kaum etwas erkennen konnte. Stechender Schmerz schoss durch seine Schläfe und vernebelte seine Sinne.

"Nicolas?"

Dieses Mal nahm er seinen Namen deutlich wahr. Und begriff auch, dass das Augenpaar und das Gesicht hinter den Gitterstäben des Kerkers keine Einbildung waren. 

Heiliger Herr im Himmel, war der sauer. Nicolas war so sauer, dass ich beinahe freiwillig aus seinem Geist geflüchtet wäre. Er hasste und verfluchte mich und hielt mich für die dümmste, riskanteste Person, der er je begegnet war. 

Ich brauchte ganz viel Konzentration, um aus all dem Gewirr etwas Brauchbares zu entnehmen.

Wärme. Denn sie war zurückgekehrt. Victorine war zurückgekehrt.

Und am Ende meiner Reise fand ich meine Antwort. 

Ich konnte nicht einschätzen, wie viel Zeit vergangen war. Schnell löste ich mich von Nicolas' Augen und blickte die Hexen um mich herum an. Ich bemerkte, wie ich noch immer zwei Arme haltsuchend umklammerte und ließ schnellstens los. 

Ich hatte Schreckliches gesehen. Ich hatte meinen Verlust noch einmal vor die Augen geführt bekommen. Eigentlich müssten meine Gedanken unvorstellbar wild und schnell rasen, sich in unterschiedlichsten Sackgassen eines Labyrinths verirren. Und doch war mein Kopf erschreckend klar.  

Mit festem Blick sah ich der Anführerin in die Augen und in ihre alles einsaugende, nie enden zu scheinende Dunkelheit.

"Ich werde euch Cephas' Plan verraten", sprach ich dann.

"Vindicta!"

Die Anführerin, welche noch einige Sekunden meinen Blickkontakt hielt, drehte sich zu der rufenden Person um. Eine Hexe in schwarzem, durchnässtem Gewand stürmte in den Kerker hinein und bahnte sich den Weg durch die anderen Hexen hindurch. Ihre schwarzen Augen verrieten nichts, aber alles andere in ihrem Gesicht strahlte vollkommenden Horror aus.

Etwas glänzte in ihrem Gesicht. Zuerst vermutete ich, dass es das Regenwasser war, mit welchem auch ihre Kleidung durchnässt war. Doch als sie in das Licht der Fackel trat, entdeckte ich den roten Schimmer. Ihr ganzes Gesicht war blutüberströmt. Genauso wie die anderen Hexen trug auch diese hier Wunden im Gesicht. Aber ihre waren frisch. 

Ihre waren gerade erst in ihre Haut gebracht worden.

"Sie sprengen die Berge, Vindicta", kam es aus ihrem Mund, mit einer so schreckerfüllten Stimme, dass sie von den Wänden widerhallte und mir einen eiskalten Schauder über den Rücken laufen ließ. 

Die Hexe nahm noch zwei heftige Atemzüge, dann fiel sie auf ihre Knie. "Sie wollen das Herz der Berge."

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- Cephas -

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Das Einkrachen der steinigen Felsformation war ohrenbetäubend. Meine Schritte knirschten auf dem Boden. Meine Stiefelsohlen zermalmten letztes kleines Gestein und scherten sich nicht darum, über Leichenteile zu laufen. 

Mit starrem Blick nach vorne ging ich auf den freigelegten Eingang zu. Staub und Dreck wirbelte in der Luft herum. Ich zog mir meinen Helm vom Kopf. Regenwasser peitschte mir ins Gesicht. Mit einigem Abstand blieb ich stehen und wartete, bis sich die Sicht wieder besserte.

"Feuern", sprach ich.

Eine Welle von magischen Wesen stellte sich vor mir auf und feuerte auf den Eingang zu. Ein wahrliches Spektakel an bunten und leuchtenden, tödlichen Strahlen traf jede Kreatur, die noch immer das Herz der Gebirge zu verteidigen versuchte. 

Als die Angriffe vorbei waren, teilte sich die Welle vor mir und gab mir wieder vollständige Blickfreiheit. Bis zum jetzigen Zeitpunkt war alles leichtlicht verlaufen.

"Schickt die Drachen hinein", gab ich den neuen Befehl.

Die Drachenreiter hinter mir gaben den Drachen die Zeichen. Ein dutzend fliegender Geschöpfe hob ab und bahnte sich einen Weg durch den Eingang hinein. Alles, was sich mir in den Weg stellte, musste abgeschlachtet werden.

"Lagebericht?", erkundigte ich mich.

"Etwa fünfzig Prozent unserer Soldaten sind tot. Dreizig Prozent der magischen Wesen, zehn der Scharfschützen. Unser erster Schutzring ist unbeschadet, unser zweiter zu neunzig Prozent intakt", berichtete man mir.

Nichts und niemand würde uns angreifen können. Nicht einmal die niederen Hexen, die sich irgendwo in den Bergen versteckten.

Man hörte die Drachen in der Höhle wüten. Das Glühen ihres Feuerspuckens glühte und erwärmte die Luft bis hierhin. 

"Zurück", lautete mein neuer Befehl nach einer Weile.

Die Drachenreiter riefen ihre Drachen zurück. Als das letzte Wesen wieder hinter uns stand betrachtete ich den Eingang für einige Zeit. Ich konnte spüren, dass das Ziel nicht mehr weit war. Und dortselbst musste es sein, das Herz der Berge.

"Schickt die Soldaten hinein", befahl ich.

Das Geräusch der Fußstapfen der dutzenden Soldaten, welche sich mit ihrer Metallrüstung zum Höhleneingang schleppten, brachte die Luft zum erzittern. 

Obwohl es lange dauerte, stand ich geduldig im peitschenden Regen. Schließlich war eine Silhouette auszumachen, die sich mir näherte. Meine Leibwächter traten augenblicklich vor mich, doch ich schickte sie an ihren Platz zurück, als sich die Silhouette als die des Obersoldaten entpuppte.

"Nur noch sie ist am Leben, heiliger König Cephas", stieß er außer Atem aus, als er vor mir stand. 

Mit erhobenem Kopf schritt ich voran, meine Leibwächter mit ihren mannsgroßen Schilden in Formation um mich herum. 

Wir schritten den Eingang der Höhle entlang. Der Geruch von verbrennenden Fleisch überdeckte alles andere darin. Einige Meter noch stiegen wir über Leichen hinweg. Dann tat sich ein großer Raum vor uns auf.

Das hier musste wohl einmal majestätisch ausgesehen haben. 

Die Decke über uns ging einige Meter hoch. Von ihren Steinformationen ragten Stalaktiten herunter. Überall glänzte und glitzerte es an vereinzelten Stellen, als wäre es einige Zeit wert, zu graben und wertvolle Materialien zu finden.

In der Mitte der Höhle lag eine Steinplatte, die ringsum von dunklem Wasser umgeben war. Wir gingen die steinerne Brücke entlang, die zur Platte über die Gewässer führte. Ich ging voraus.

Mit genauerem Hinsehen entdeckte ich Eier verschiedenster Größen, die im Wasser schwammen. Einige schimmerten, andere schienen von innen zu leuchten. In den Leuchtenden sah man Gestalten im Embryostadium. 

Ich wandte meinen Blick wieder nach vorne und konzentrierte mich. Fürwahr, da kniete sie. Genau in der Mitte der Steinplatte kniete ein Weib.

Die schwarzen Haare hingen ihr über dem Gesicht. Ihr Blick war nach unten geneigt. 

Meine Schritte hallten durch die gesamte Halle, als ich mich ihr näherte. Dann stand ich vor ihr und blickte auf sie hinab.

Ich steckte meine Hand aus, packte sie an den Haaren und zwang sie, mir ins Gesicht zu blicken. Pechschwarze Augen, ohne jegliche Seele, ohne jegliche Farbe, starrten mich an. Ein gottloses Geschöpf, wie jede Hexe.

Mein Blick wanderte an ihr herunter. Sie trug ein dünnes, weißes Gewand. Zwischen ihren Brüsten machte ich ein rotes Leuchten aus.

Da war es. Das Herz der Berge.

"So lange hat man dich für eine Legende gehalten", sprach ich dann, den Moment auskostend. Ihre schwarzen Augen starrten mich an, leblos. Obwohl diese Hexe ja für Leben an sich verantwortlich war.

Das Herz wird dir nichts nützen.

Beinahe wäre ich zusammengezuckt. Hätte gezuckt, vor einer Hexe!

Es war unerwartet gewesen, ihre Stimme nicht aus ihrem Mund, sondern in meinem Kopf zu hören.

"Dieses Herz wird mir sogar sehr nützen", erwiderte ich lächelnd und zog langsam mein Schwert aus der Schwertscheide.

Du hast keine Ahnung, was du anrichtest. Es wird die gesamte Welt aus ihrem Gleichgewicht stürzen.

"Also habe ich doch eine Ahnung, was es anrichten kann", erwiderte ich trocken. "Aber ich bin nicht hier, um mit dir zu diskutieren."

Ihre Augen schienen mich zu durchbohren. Sie blieb regungslos, als ich die Klinge an ihrer Brust anlegte und mir den Weg zu ihrem Herz freischnitt.

"Ich bin hier, um dir etwas zu sagen", flüsterte ich und legte das blutverschmierte Schwert beiseite. Langsam schob ich die zerschnittenen Stoffreste ihres Gewands beiseite und führte meine Hand in die offene Wunde hinein.

"Ich dulde es nicht, wenn irgendjemand Gott spielt."

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- Vane -

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Als die erste Bombe das Schiff traf, riss es uns alle aus dem Gleichgewicht.

Es war hoffnungslos gewesen. Dennoch hatten wir die Segel bis aufs höchste und weiteste gespannt und hatten den starken Wind genutzt, um schnellstmöglich über das Wasser zu gleiten. Aber die Flotten hinter uns waren schneller gewesen. Als sie nah genug gekommen waren, hatten sie die Bomben frei gemacht. Und nicht viel später hatte die erste unser Schiff getroffen.

Ich riss das Lenkrad um, mit der winzigen Hoffnung, weiteren Schüssen ausweichen zu können.

"Nehmt alle Rettungsboote! Alle von Bord!", schrie ich über den tosenden Lärm hinweg.

"Aber, Kapitän!", schrie der zweite Kapitän zurück, sich an die Reling neben mir klammernd. 

"Das war ein Befehl!", entgegnete ich, warf ihm einen kurzen, eindringlichen Blick zu und konzentrierte mich dann wieder auf das Geschehen. 

Jemand musste weiterlenken. Ich musste meiner Crew mehr Zeit beschaffen. 

Mit den Fingern umklammerte ich das Steuerrad, während die Bomben die Seiten des Schiffes trafen. Die Flotten mit den dunklen Flaggen von Tenebris hatten uns von beiden Seiten umzingelt. Und Celera war nicht schnell genug, um vor ihnen zu fliehen.

"Halt noch ein wenig durch, Baby", brachte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, während ich Holz zerschmettern hörte und Holzsplitter um mich flogen. Unser Hauptmast wurde getroffen und fiel, die restlichen Segel mit sich reißend. Wo der riesige Holzmast auftraf, riss er das Schiff beinahe in zwei.

Ich hörte meine Männer schreien. Die meisten hatten es wahrscheinlich nicht rechtzeitig auf die Rettungsboote geschafft.

Eine Bombe traf das Deck auf der anderen Seite und entfachte ein Feuer, welches sich immer weiter in meine Richtung ausbreitete.

Ich schloss die Augen. Für ein letztes Mal versuchte ich, die Wellen zu hören. Den Wind in meinem Gesicht zu genießen. Das glatte Holz des Steuerrades unter meinen Fingern zu spüren. 

Mein Schiff versank. Ich klammerte mich fester an das Steuerrad. Ein Kapitän ging mit seinem Schiff unter. Ich würde mit Celera untergehen.

Mehr Bomben zerschmetterten den Rest des Schiffes. Eine traf so nah neben mir auf, dass ich nur noch ein dumpfes Piepsen hörte. Meine Augen waren noch immer fest verschlossen. Ich wollte nicht, dass dies das letzte Bild meines Lebens wurde. In dem letzten Moment meines Lebens wollte ich die Freiheit meines inneres Geistes spüren.

Meine Füße versanken im Wasser. Nicht später auch mein ganzer restlicher Körper. Ich schwebte, streckte die Arme aus und flog. In meinem letzten Moment flog ich.

Und dann begannen meine Lungen zu brennen und ich fing an, nach Sauerstoff zu verlangen. Ich riss meine Augen auf. Vor mir ging Celera unter. Immer tiefer sank sie, während ich immer weiter nach oben schwamm.

Ich stieß an der Wasseroberfläche auf und schnappte nach Luft. Hustend und keuchend versuchte ich, mich über Wasser zu halten.

Dann griff etwas nach meinen Füßen und zog mich wieder herunter. 

Ich trat mit den Beinen und schlug um mich, aber die Meerfrau war zu stark. Ihre Flosse stieß hart gegen mich, als sie mich an meinem Fuß weiter durch das Wasser zog. So lange, bis das starke Brennen in meinen Lungen nachließ und meine Sicht schwarz wurde.

Doch bevor ich das Bewusstsein verlor, war ich wieder an der Luft und schnappte abermals nach Sauerstoff. Jemand schleppte meinen Körper vorwärts, legte mich ab und ließ mich einige Sekunden keuchend atmen.

Hustend richtete ich mich auf dem sandigen Boden auf und betrachtete den blutigen, reglosen Körper der Meerfrau neben mir. 

Mit zittrigen Beinen stand ich auf und blickte in die Gesichter der Truppe von Soldaten, die ich vor wenigen Tagen über Fluxus Profundum gebracht hatte. 

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