Prolog
Ich schrie. Schrie panisch und laut, in dem Wissen, dass mich jeder hören konnte, es trotzdem niemanden scherte. Obwohl? Vielleicht scherte es doch jemanden, das würde ich allerdings nie herausfinden. Sicher war nur, sie alle hatten Angst, wirkten sie auch noch so lüstern, wie sie sich an mir ergötzten. Am Ende waren sie nur blindes Vieh unter dem Willen eines gesichtslosen, tyrannischen Herren, dem es zu folgen galt, was auch immer die Konsequenzen sein mochten.
Mit zittrigem Atem klappte ich den Laptop zu und meine Schreie verstummten, obwohl sie in meinen Ohren nach wie vor da waren, ein grausames Echo, das nicht verschwand. Ein stechender und doch anhaltender Schmerz zog sich durch meinen gesamten Körper, bis durch jede einzelne Zelle, bis er schließlich abebbte und gähnende Leere hinterließ. Es konnte nicht wahr sein, es durfte nicht. Kurz klappte ich das Gerät wieder auf, sah meinen geschundenen Körper darauf, wie all diese Blicke darauf lagen und spürte einen Würgereiz. Eine Träne fiel auf den Bildschirm und lief daran herunter. Langsam erhob ich mich aus meinem Bett, ließ die Decke achtlos auf den Boden fallen und verließ mit kalten Händen, stumm weinend mein Zimmer. Ich wischte mir über die Augen. Dass meine Schwester mich weinen sah, war das letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte. Der Adel erlaubte Männern nicht zu weinen, wenn nicht gerade die eigene Mutter gestorben war. Dafür? Alkohol. Ich war nicht stolz darauf, keineswegs, und dennoch ertränkte ich meine Sorgen noch immer viel zu häufig - wortwörtlich. Die anderen Drogen hatten sie mir genommen, also musste diese Abhilfe leisten. Meine Schultern bebend, lief ich die Marmortreppen nach unten und bog sofort ab in die Küche. Draußen schien der Mond durch das Fenster und sein kühles Licht verlieh dem Anwesen eine unheimliche Atmosphäre, floss über das Wasser des Weihers vor dem Grundstück und färbte es weißgolden. Ich war allein und sandte dafür ein Stoßgebet gen Himmel. „Verzeih mir", murmelte ich, als ich behutsam eine Flasche Weißwein, teuren Vodka und Whiskey aus der Vitrine nahm, nach einem Glas griff und mir einen Drink mischte. Der Geschmack war egal, es diente als Mittel zum Zweck. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich nichts gegessen hatte, aber ich nahm es schulterzuckend und mir ein weiteres Glas füllend hin. Mein Körper hatte sich an Alkohol gewöhnt, so schlimm konnte es nicht werden. Ein weiteres Glas, dann noch eines. Egal, was meine Eltern sagen, wie wütend sie sein würden. Ich wollte, ich musste vergessen, denn ich hielt es nicht aus.
Kaum 20 Minuten später lag mein Kopf auf dem Küchentisch, die Hand um das leere Glas geklammert, und das wenige, was ich von der Realität noch mitbekam, war ein quälend lautes Pfeifen in meinem Ohr und ein undefinierbares Rauschen. Irgendwann hörte ich die Stimme meiner Schwester: „Levi, bist du hier?" Ihre Stimme war bis auf das Zerreißen gespannt und klang wie aus weiter Ferne, künstlich verstärkt. „Dein Laptop war noch an, das bist doch nicht du auf den..." Meine letzte Erinnerung war, dass sie, einen hellen Ruf ausstoßend, auf mich zustürzte und an mir rüttelte. Sie hatte alles gesehen und mein Kopf barst.
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