4. Cappuccino und Flirtversuche

In den darauffolgenden Tagen dachte ich oft an Riko. Ich machte um Alkohol einen sehr großen Bogen, ging meiner Arbeit nach und ärgerte mich derweil über alles, was der Blonde je zu mir gesagt hatte. Eigentlich verwirrte er mich sehr. Mal brachte er mir ein Glas Wasser oder deckte mich zu, dann wiederum warf er mir vor, ein gewissenloser Junkie zu sein, der seinen besten Freund abhängig machen wollte. Ich wurde nicht schlau aus ihm, doch mein Wille, mehr über ihn herauszufinden, hielt sich in Grenzen.

Bei ihrem Aufbruch hatte Ben mich noch einmal umarmt, sich dafür entschuldigt, so hilflos gewesen zu sein und mir versichert, dass wir eine Lösung für alles finden würden, mich aber auch ermahnt, die Finger vom Alkohol zu lassen. Währenddessen hatte Riko nur finster dreingesehen und sich vermutlich den Kopf darüber zerbrochen, was alles denn nun heißen mochte.

Auch wenn Bens Ermahnungen mich zugegebenermaßen in meinem Stolz kränkten – schließlich war ich ein 20-jähriger, ausgewachsener Mann – war ich doch unsagbar dankbar für seine Existenz. Wäre Ben nicht, wäre ich vermutlich bis heute in der Organisation gefangen, drogenabhängig und gezwungen, mich missbrauchen zu lassen. Womöglich verdankte ich ihm mein Leben, denn irgendwann hätten die Drogen es mich gekostet.

Dieses war das erste Mal, dass ich meine Wand des Verdrängens seitdem überhaupt fallen ließ. Ich hatte mein Bestes getan, um das Syndikat - um Dexter - aus meinen Gedanken zu verbannen und hatte Erfolg genossen. Ich war geübt darin, zu unterdrücken,was ich nicht fühlen wollte und zu bannen, was nicht gedacht werden durfte.

Um 6:30 Uhr an einem eisigen Herbstmorgen auf der Matte zu stehen, Karamellsirup und Kaffeebohnen vorzubereiten, das wünschte ich niemandem, dessen Schlafrhythmus ein ähnlicher war wie meiner. Entsetzlich übermüdet und mit hängenden Schultern stand ich hinter dem Tresen und wartete ab, bis die ersten Kunden eintrudelten.

Die Wenigsten reagierten völlig ohne Überraschung, wenn ich ihnen erzählte, dass ich, der Adelssohn, Erbprinz, künftige Fürst hier arbeitete. In einem abgelegenen Café am Stadtrand, an dessen Fassade sich bereits Efeu emporrankte. Der Putz löste sich Stück für Stück und das gesamte Gebäude würde man normalerweise als einsturzgefährdet einstufen. Meine Chefin war eine schrullige alte Dame mit einer fragwürdigen Anzahl an Siamkatzen, die sich nicht um das Aussehen ihres Cafés scherte. „Es ist doch viel wichtiger, was im Herzen ist! Was außen ist, ist völlig egal" sagte sie meist, wenn man sie darauf ansprach. Karo, meine Kollegin, und ich waren uns einig, dass sie den Spruch auf Facebook aufgeschnappt hatte.

Besagte hüpfte quicklebendig wie ein Flummi durch das Geschäft und ich fürchtete, dass das Dach bald auf uns niederstürzen würde. „Leeeeeevi! Levi! Levilevilevi!" wiederholte sie wieder und wieder. „Mein Gott, krieg deine Energie in den Griff, bevor ich dich noch erwürge." Sie grinste nur schelmisch und setzte sich auf den Tresen. Ich schlug sie mit einem nassen Lappen. „Runter da!" Sie sprang herunter, stützte sich stattdessen mit den Ellenbogen darauf ab und wackelte mit dem Hinterteil. „Das sieht dumm aus, wenn du die Schürze trägst." „Du siehst immer dumm aus!", schoss Karo zurück. „Was zu beweisen wäre." Eine Schnute ziehend wickelte ich mir eine Locke um den Finger und lehnte mich gegen den Tresen.

In dem Moment klingelte es an der Ladentür und wir schreckten hoch. „Aaaah, hallo!", rief Karo unserem Stammkunden zu, „Wie geht's den Kindern?" Der ältere Mann lachte heiser und lehnte sich auf den Gehstock. „Denen geht's toll. Meine Tochter ist gestern Oma geworden." „Glückwunsch!", rief ich und schmiss die Kaffeemaschine an. „Das Übliche?"

Er nickte begeistert und Karo geleitete ihn zu dem Tisch in der Ecke, an dem er immer saß. Derweil begann ich mit meiner Arbeit für diesen Tag, indem ich dem Herrn seinen Cappuccino zubereitete. Zum Schluss, in dem Wissen, dass es ihm stets ein Lächeln ins Gesicht zauberte, kreierte ich einen Schwan auf dem Milchschaum. „Karo!", rief ich meiner Kollegin zu, die sich gerade neben unseren Gast gesetzt hatte und sich freudestrahlend mit ihm unterhielt.

In dem Moment, als sie am Tresen angelangte, tönte die Glocke an der Tür erneut – überrascht entwich mir ein Laut, der verdächtig nach „Och nö" klang. Ben trat ein, doch das war nicht mein Problem, schließlich stattete er dem Café hin und wieder einen Besuch ab, doch vielmehr seine große, blonde Begleitung.

„Moin!", rief Ben fröhlich und ich fragte mich, wie er in dieser frühen Morgenstunde ein so breites Lächeln auf dem Gesicht haben konnte. „Hey, du hast...jemanden mitgebracht." „Gut erkannt", brummte Riko, „mir wäre es auch lieber, wäre ich nicht hier. Sei dir da sicher." Ben verdrehte scherzhaft die Augen. „Er hat wenig geschlafen, versteh' das nicht falsch. Wo können wir uns setzen?" Ich zuckte die Schultern. „Wo ihr wollt." Dann drehte ich mich um, ließ sie stehen und spielte vor, etwas tatsächlich Produktives zu tun, während ich nur die Kaffeesahne immer zwischen zwei Punkten hin- und herstellte.

Ich hörte, dass Riko schnaubte, Ben „Also dann" murmelte und ihre Schritte sich in die Richtung der hinteren Tische bewegten. „Sag mal, der Blonde, ist der noch zu haben?", fragte plötzlich Karo, die hinter mir auftauchte und mir ins Ohr flüsterte. „Schätze schon, jedenfalls kann ich mir niemanden vorstellen, der ihn will." Karo nahm also einen Kugelschreiber, notierte ihre Handynummer auf dem Bestellzettel und errötete. Plötzlich wurde die aufmüpfige 17-jährige zu einem kleinen Kind, das sich nicht traute, einen Erwachsenen anzusprechen. „Soll ich es für dich machen?" Sie nickte schüchtern, bedankte sich mit einer stürmischen Umarmung und ich grinste. Was tat man nicht alles für seine Freunde.

„Hey, also, habt ihr euch entschieden?" Beide nickten. „Oh, Veilberg, das ist für dich. Von ihr." Vor Riko ließ ich den Zettel fallen. Ich zeigte zum Tresen und als Riko meinem Finger folgte, wandte sich Karo hastig ab. Er hob eine Braue, dann seufzte er. „Hast du einen Stift?" Ich zog wortlos meinen Kugelschreiber aus der Brusttasche, reichte ihn ihm und kurzerhand schrieb er etwas auf. Seine Hand, er war Linkshänder, verdeckte meine Sicht.

Während er schrieb, bestellte Ben einen Flat White und Riko händigte mir den Zettel wieder aus. Als ich die Worte „Ich bin schwul, Süße" mit einem krakeligen Herz dahinter las, wurde es mir schwer ums Herz. Nicht einmal abservieren konnte er sie anständig, doch ich beschloss, mich nicht zu beschweren. „'nen Latte, bitte."

Ich nickte und kehrte zurück zum Tresen, an dem mich Karo bereits freudig begrüßte. „Und?! Was sagt er?" Ich zeigte ihr den Zettel und ihre Schultern und Mundwinkel sackten nach unten. Tröstend klopfte ich ihr auf die Schulter. „Der ist dich sowieso nicht wert." Dann lief ich an ihr vorbei, bereitete die Kaffees zu und achtete darauf, die Milch für Bens Pfau möglichst präzise zu gießen. Bei Riko überlegte ich etwas länger, doch nach einigen Minuten fand sich auf seinem Macchiato ein Löwe wieder. Vielleicht biss er ihn ja.

Um der sich in Selbstmitleid badenden Karo die Peinlichkeit zu ersparen, trug ich die Kaffees eigenhändig hinüber zum Tisch Nummer vier. Aufmerksam schob Ben die Schieferplatte mit Tischnummer und Sukkulente beiseite, sodass ich problemlos das Tablett darauf abstellen konnte. Riko starrte mit einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht die beiden Tassen an wie eine Katze die Maus. „Stimmt etwas nicht?" Er sah auf. „Oh, doch, alles super. Ich habe nur noch nie einen solchen Kaffee getrunken." Ich lächelte höflich. Insgeheim machte es mich stets stolz, wenn jemand meine Bemühungen wertschätzte - sei es auch nur Riko. „Du musst lang geübt haben, was?" Ich schob die Tischdeko wieder zurück an ihren ursprünglichen Platz. Wir wussten beide, dass er nur wegen Bens Anwesenheit so höflich war. „Danke, du hast Recht. Ich arbeite seit drei Jahren hier." „Sieht man." Ich lächelte noch ein Stück breiter, dann wandte ich mich ab und ließ meine Mundwinkel zurück auf ihre natürliche Höhe fallen.

Idiot.

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