37.- Und so beginnt es

Das Warten machte mich verrückt. Es gab kein anderes Wort um es zu beschreiben. Jeden Moment erwartete ich ein Zeichen des Angriffs, machte mich darauf gefasst meinen Schild mit aller Kraft zu verteidigen. Die Unwissenheit machte mich mehr als nur nervös und immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich in meine alten ADHS-Gewohnheiten zurückfiel. Meine Finger trommelten fast immer auf irgendeiner Oberfläche und nachts konnte ich nicht schlafen. Stattdessen ließ ich meine Sinne wandern. Der Schild begann sich wie eine zweite Haut anzufühlen und bald fühlte ich jeden Vogel und jedes Tier, das meine Grenzen überschritt.

Den Anderen schien es nicht besser zu gehen. Fast einen Monat war es nun her, seit die Demigötter in Hogwarts angekommen waren und seit geraumer Zeit wurden meine Freunde immer ungeduldiger. Die Halbgötter waren für den Kampf geboren und Tag und Nacht mehr oder weniger nur im Schloss zu verbringen bekam ihnen nicht gut. Bald reichten die Übungskämpfe nicht mehr aus um Dampf abzulassen und es kam zu Streitereien. Die Camper legten sich mit Zauberern und Jägerinnen gleichermaßen an, aber auch untereinander wurde es immer hitziger.

Wobei die Jägerinnen sich weitaus besser unter Kontrolle hatten. Ich nahm an, dass es daran lag, dass eine Jagd oft langes Warten mit sich brachte.

Freiwillige Schülerinnen und Schüler ab der fünften Klasse wurden unterdessen von Will und einigen seiner Halbgeschwister im Bogenschießen unterrichtet. Jeden Abend gab es Übungseinheiten und auch wenn nicht jeder talentiert war, so hatte Will mir doch versichert, dass Fortschritte gemacht wurden und dass er bereits elf Schüler gefunden hatte, die im Ernstfall von großen Nutzen sein würden.

Die Jägerinnen hatten ständige Patrouillen aufgestellt, aber wenn es so weit war, würde ich die Gefahr bemerken, bevor sie sonst jemand sehen konnte. Ein weiterer Grund warum ich mich nicht wirklich auf meinen Alltag konzentrieren konnte. Jede Sekunde könnte den Unterschied machen, wenn wir angegriffen wurden und ich durfte es mich nicht erlauben unaufmerksam zu werden.

***

Ich war mit Nala in den schier endlosen Gängen der Schule unterwegs, als es schließlich so weit war. Wie erstarrt blieb ich mitten im Schritt stehen und richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf die Umgebung des Schlosses. Wie feine Fühler hatte meine Magie sich über die umliegende Landschaft erstreckt und in Mitten all der Dinge, die mir in den letzten Wochen so vertraut geworden waren, bewegte sich nun eindeutig etwas Fremdes. Etwas Dunkles. Etwas Falsches.

Einen Wimpernschlag später stand ich auf der Schlossmauer und blickte in die Richtung, aus der es sich näherte. Auch wenn ich ihn noch nicht sehen konnte, fühlte ich, wie seine Füße kaum den Boden berührten und seine Anwesenheit eine unnatürliche Stille verbreitete. Meine Magie kräuselte sich bei der Berührung seiner Haut und zog sich zurück. Ich erschauderte.

Es ist so weit, wisperte ich in die Gedanken meiner Freunde. Ich nahm wahr, wie das Schloss wie ein Bienenschwarm zum Leben erwachte, hörte hastige Schritte, die über den kalten Boden echoten. Das Klirren von Waffen und aufgeregtes Stimmengewirr hallten am Rande meines Bewusstseins wieder.

Ein eisiger Wind zog an meinen Haaren, als ich den Schutzzauber einmal mehr verstärkte, meine Aufmerksamkeit immer noch auf ihn gerichtet.

Halbgötter und Zauberer bewaffnet mit Pfeil und Bogen reihten sich links und rechts von mir und über das ganze Schloss verteilt auf. Pfeile wurden in Massen bereitgestellt, Kämpfer versammelten sich, bereit auf das Schlachtfeld zu stürmen.

Reyna brüllte Befehle und Will hastete durch die Reihen der Demigötter. Meine feinen Ohren nahmen das zarte Klicken war, das zu hören war, als Nyssa die Fallen aktivierte, die auf den umliegenden Hügeln verteilt waren, darauf programmiert Erzmenschen auszuschalten.

Langsam konnte ich die Gestalt erkennen, als Nico und Thalia sich neben mich stellten. Er hatte keine Eile. Seine Schritte waren gemütlich, gleichgültig fast, seine Haltung lässig.

„Was siehst du?", verlangte Thalia zu wissen. Sie hatte einen silbernen Köcher über den Rücken gespannt, den dazu gehörigen Bogen hielt sie in der Hand.

„Moros", gab ich bekannt und ich hätte schwören können, dass der Gott in der Ferne lächelte. Thalia's Blick wanderte augenblicklich in seine Richtung. Nico beobachtete ihn schweigend.

„Er ist alleine?"

„Das bezweifle ich. Aber wer auch immer ihn begleitet wird vor meiner Aufmerksamkeit versteckt", murmelte ich und ballte meine Hände zu Fäusten. Ich wusste, dass Irgendetwas da war, aber ich war unfähig zu sagen was, wer oder wie viele.

Aus Gewohnheit wanderte meine Hand zu Springflut in meiner Hosentasche, aber auch wenn die Waffe Moros töten könnte, würde sie nichts gegen die Erzmenschen ausrichten können. Außerdem bezweifelte ich, dass ich nah genug an den Schicksalsgott herankommen würde um ihm meine Klinge ins Herz zu rammen. Stattdessen schlossen sich meine Finger um den Griff des Schwertes, das an Springfluts Stelle an meiner Hüfte befestigt war.

Gryffindors Schwert. Dumbledore hatte es mir für den Kampf gegeben, mit der Begründung, dass der Gründer der Schule froh gewesen wäre, wenn sein Schwert zu Verteidigung Hogwarts beitragen würde.

Moros näherte sich dem Schloss. Er sah genauso aus, wie damals als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Erschreckend gewöhnlich. Aber anders als im Traum waren meine Sinne nun nicht abgestumpft und ich konnte die Dunkelheit und verstörende Macht, die ihm umgab fühlen. An ihm war nichts Normales.

„Percy", hauchte Moros, seine Stimme nicht mehr als ein Wispern, das der Wind zu mir trug. Anstatt zu antworten blickte ich ihm still entgegen. Er war ein gutes Stück vom Schloss entfernt stehen geblieben, mit sicheren Abstand zu meinem Schild.

„Ich würde gerne ein paar Worte wechseln, bevor wie beginnen", gab er bekannt.

„Sprich."

„Unter vier Augen. Zum Wohle aller Beteiligten." Ich runzelte die Stirn und konnte spüren wie Nico sich neben mir rührte.

„Percy...", warnte er mit gesenkter Stimme.

„Ich bin gleich zurück", erklärte ich ohne den Blick von Moros zu wenden. Ich wusste, dass er noch weiter protestieren wollte, aber etwas am Ton meiner Stimme ließ ihn Schweigen.

Auf meinen stillen Befehl hin sprang Nala von meiner Schulter zu Thalia. Mit einem Schritt nach vorne teleportierte ich mich ins Gras, immer noch einige Meter hinter meinem Schutzschild. Festen Schrittes näherte ich mich Moros, der mich erwartungsvoll beobachtete.

Ich fühlte die Magie auf meiner Haut, als ich über den Rand meines Zaubers trat und ein zarter silbriger Flimmern lief über das Schild, der mit dem bloßen Auge zu erkennen war. Sobald ich außerhalb war, breitete sich ein Lächeln auf Moros Lippen aus und ich konnte nur mit Mühe ein Schaudern unterdrücken.

„So sieht man sich also wieder", der Gott deutete mit dem Kinn auf die Schule, „Ich muss sagen, ich bin beeindruckt. Du hast es geschafft, eine Verteidigung aufzustellen. Nicht dass es einen Unterschied machen wird, aber nichtsdestotrotz beeindruckend."

„Was willst du Moros?", verlangte ich zu wissen und zwang mich meine Hände zu entspannen.

„Dir ein Angebot machen, Prinz. Es hat sich nicht verändert, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Schließ dich mir an. Vergiss diese Welt, sie hat deinen Schutz nicht verdient. Denk an all die Male, als sie der Grund deines Schmerzes war und schau zu wie die Erde brennt." Moros Augen glitzerten mit Begeisterung, als er über das Ende der Welt sprach.

„Meine Antwort bleibt die selbe", erklärte ich, aber Moros legte nur den Kopf schief und sah mich forschend an.

„Natürlich, so wäre es auch zu einfach gewesen", meinte er und ich war mir nicht sicher, ob er mit mir oder sich selbst sprach, „Lass es mich anders formulieren: ohne diese Welt verschwinden auch ihre Regeln. Und wenn die einmal fort sind, was hindert dich dann noch daran die Tore der Unterwelt in Stücke zu reißen und Annabeth zu holen?"

Seine Worte trafen mich wie ein Schlag. Annabeth. Ich könnte Annabeth zurückholen. Meine Gedanken wanderten zu ihren sturmgrauen Augen und dem Gefühl sie in den Armen zu halten. Unser letzter Kuss kam mir in den Sinn und der Abschied, den er mit sich gebracht hatte. Aber was, wenn es nicht so sein musste?

Für einen Moment erlaubte ich mir es mir vorzustellen. Annabeth, am Leben. Das Geräusch ihres Herzschlags, ihre warme Hand in meiner. Annabeth. Meine Annie.

Er lügt, von irgendwo drang Chaos Stimme zu mir durch, aber sie schien Welten entfernt.

„Stell es dir vor", hauchte Moros, „Annabeth am Leben. Und mit ihr alle die dir über die Jahre genommen wurden. Vom Schicksal genommen wurden."

Annabeth. Ihre blonden Locken weich unter meiner Hand, ihre Stirn an meine gelehnt. Der Klag ihres Lachens, der schon immer das schönste aller Geräusche gewesen war. Algenhirn.

Meine Annabeth, einmal mehr am Leben.

„Genau. Und was ist eine Welt im Vergleich zu einer Liebe wie die eure? Annabeth ist tausend solcher grauen Welten wert, oder nicht?", wortlos starrte ich ihn an, meine Gedanken immer noch voll von Bildern meiner geliebten Annabeth.

Die Lebenden und die Toten gehören nicht zusammen.

Vielleicht doch. Siehts du es denn nicht? Wir können zusammen sein.

Lass mich los, Percy. Die Erinnerung an den Traum kam zurück und mit ihr Annabeths Worte.

Denk doch einmal darüber nach, was er sagt, ich wusste nicht woher ihre Stimme kam, oder ob sie überhaupt da war, Ohne unsere Welt, ohne die Götter. Was passiert mit den Seelen der Unterwelt? Was passiert, wenn die Erde stirbt und mit ihr Hades und sein Reich? Die Toten können nur dort existieren. Ist der Hades fort, verblassen die Seelen der Verstorbenen. Und nichts mehr außer Schatten

und Asche wird zurückbleiben.

Die Bedeutung der Worte bohrte sich in mein Bewusstsein und langsam verblassten die Erinnerungen an Annabeth, rückten in den Hintergrund.

Ich liebe dich, Percy.

Meine Hände zu Fäusten ballend starrte ich Moros an. Wut strömte durch meine Körper.

„Nein", meine Stimme war fest. Für einen Augenblick schien Moros überrascht, aber dann schüttelte er nur den Kopf.

„Wenn es das ist, was du willst, dann soll es so sein", verkündete er und drehte sich um, aber bevor er ging, wandte er sich noch einmal an mich, „Zu schade. Ich denke wir hätten Freunde werden können, du und ich."

„Niemals", Moros schien meine Antwort nicht weiter zu kümmern. Ohne sich ein weiters Mal umzuwenden ging er in die Richtung davon, aus der er gekommen war.

Er hatte sich bereits einige Meter von mir entfernt, als ich das leise Pfeifen eines Pfeiles hörte. Einen Moment später durchdrang das Geschoss Moros' Rücken und durchbohrte sein Herz. Ein goldener Pfeil, so zielsicher, dass er nur von Will stammen konnte.

Fast sah es so aus, als würde der Gott fallen, aber stattdessen wurde er zu Rauch und Schatten, eine Dunkelheit, die sich rasend schnell ausbreitete und nur vor den Grenzen meines Schildes Halt machte. Bevor sie mich erreichen konnte, trat ich zurück in den Schutz meiner Magie.

„Du hast es nicht anders gewollt", donnerte Moros Stimme, nun nicht länger ein leises Wispern. Sein Lachen schallte über die Hügel, ein Geräusch, das rau und dunkel war. Das Lachen eines Irren.

Die Erde unter meinen Füßen begann zu beben, aber als ich sie mit meinen Fähigkeiten zum Stillstand bringen wollte, wurde mir klar, dass dies kein Erdbeben war.

Nein, es war das Geräusch von Schritten. Von tausenden Schritten, wie Trommelschläge, die aus allen Richtungen kamen. 

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