7.- Ewiges Gleichgewicht
„Das ist eine schreckliche Idee", murmelte Simon, aber er hatte die Worte in den letzten Minuten so oft wiederholt, dass sie ihre Bedeutung verloren hatten. Wie Simon war keiner meiner Mitstreiter besonders begeistert von meinem Plan, was sie aber nicht daran hinderte die Bibliothek des Instituts in ein provisorisches Beschwörungszentrum zu verwandeln.
Tische und Stühle wurden an die Wände geschoben, sodass in der Mitte des Raumes eine große freie Fläche entstand, die Clary in ein Kunstwerk aus Kreide verwandelte. Runen und Symbole, die mir fremd waren, zogen sich über das dunkle Holz, verzweigten sich miteinander und bildeten neue Zeichen. Es faszinierte mich ihr beim Arbeiten zuzusehen. Auf ihrer Stirn bildete sich eine kleine Falte, während sie konzentriert auf den Boden vor sich starrte und neue Runen schuf. Rote Locken fielen ihr ins Gesicht, die sie immer wieder unruhig zur Seite schob, sodass sich über ihre Wangen zarte Kreidespuren zogen. Die Zeichnungen selbst summten mit einer mir unbekannten Macht und die Abbildung schien lebendig zu sein. Ich zwang mich die Augen abzuwenden um mich nicht in dem Anblick zu verlieren.
Am Rand des Werkes lagen mehrere schwere Bücher verteilt, in denen wir die richtigen Symbole gefunden hatten. Die Runen, so hatte Clary es erklärt, waren nicht dazu da den Engel an uns zu binden, wie es bei Dämonenbeschwörungen der Fall war, sondern erlaubten dem Wesen Zutritt zu dem Institut, ohne dass die Schutzzauber des Gebäudes gesprengt wurden. Außerdem würden sie helfen die Aufmerksamkeit des Engels auf uns zu lenken, oder zumindest hofften wir das.
Es dauerte gut eine Stunde um alles vorzubereiten, aber letztendlich war alles bereit. Jace reichte mir ein schweres, in Latein verfasstes Buch, in dem er eine passende Beschwörungsformel gefunden hatte.
„Percy", er fasste mich am Handgelenk, bevor ich das Buch nehmen konnte, „Es ist noch nicht zu spät um diesen Irrsinn zu beenden. Man ruft keine Engel und überlebt."
„Keine Sorge, ich habe Erfahrung, wenn es darum geht nicht von übermächtigen Wesen in die Luft gesprengt zu werden", schmunzelte ich und versuchte ihn damit zu beruhigen. Der Nephilim sah nicht überzeugt aus, erwiderte aber nichts. Stattdessen stellte er sich zu den Anderen an die hintere Wand der Bibliothek, möglichst weit entfernt von der Mitte des Raumes.
Mit einer Handbewegung ließ ich silbriges Schild um die Schattenjäger erscheinen, dass sie hoffentlich vor dem möglichen Zorn des Engels schützen würde. Als Izzy fragend eine Augenbraue hob, lächelte ich.
„Nur um auf Nummer sicher zu gehen. Falls unser himmlischer Bote schlecht gelaunt ist."
„Und du?"
„Unsterblich", erwiderte ich schulterzuckend und wandte ihnen den Rücken zu um mich auf das Kommende zu konzentrieren. Der Einband des Buches in meinen Händen war aus dunklem Leder und auch wenn es offensichtlich alt war, zeigte das Buch keine Zeichen von Abnutzung. Was kein Wunder war, wenn man beachtete wie die Nephilim zu Engelbeschwörungen standen.
Den Text überfliegend, Latein fiel mit mittlerweile so leicht wie Altgriechisch, stellte ich fest, dass es sich hierbei größtenteils um Beschwichtigungen und Komplimente handelte. Das Ganze war mehr eine vorsichte Einladung auf einen Besuch als eine Beschwörung. Kein Wunder das solche Sachen nie funktionierten. Seufzend schlug ich das Buch zu und ließ zurück in sein Regal schweben.
Während Clary gezeichnet hatte, hatte ich in den etlichen Büchern nach einem Engel gesucht und schließlich auch einen gefunden, der für meine Zwecke perfekt war. Er war nicht zu hoch in der Hierarchie der Engel, aber mächtig genug um mir eine ausreichende Auskunft geben zu können.
Mich auf die Runen und mit ihnen die fremdartige Energie konzentrierend, streckte ich meine Schwingen und ließ meine Aura den Raum fluten. Hinter mir schnappte jemand laut nach Luft, aber ich nahm es kaum wahr. Meine Macht legte sich um die Runen, welche wie zur Antwort golden aufleuchteten.
„Sachiel." Meine Stimme war sanft, denn die mächtigsten Worte wurden nicht mit wildem Gebrüll, sondern stiller Bestimmtheit gesprochen. Die Symbole reagierten auf den Klang und strahlten heller.
„Sachiel", wiederholte ich und ich spürte wie sich zwischen den Welten etwas regte, eine Macht, alt und hell, wie ich sie noch nie gespürt hatte. Es war wie ein Gott, aber anders, reiner.
Der Goldschein der Runen wurde mit jeder Sekunde heller, es war nun fast schon blendend. Dann regte sich in der Mitte der Abbildung etwas. Zuerst war ein nur ein goldener Funke über den leuchtenden Linien. Doch während die Runen nun verblassten, wurde das Etwas, der Engel, realisierte ich, immer strahlender. Hoffentlich hatten die Nephilim hinter mir genug Verstand um die Augen abzuwenden.
Der Engel, immer noch ohne feste Gestalt, schwebte durch den Raum, bevor er sich in der Mitte des Runenkreises manifestierte.
Die Gestalt, die dort erschien, war zweifelsohne ein Engel.
Er war etwa so groß wie ich, mit unglaublich blauen Augen und eleganten Gesichtszügen umrahmt von langem Haar, schwarz wie Ebenholz, und dunkler Haut, über die sich goldenen Runen zogen und sanft schimmerte. Er trug nichts außer einer schlichten weißen Hose, wurde aber von einem Paar strahlend weißer Flügel eingehüllt.
„Prinz Perseus", grüßte die Gestalt, seine Stimme ein lang vergessenes Lied von Herrlichkeit und Anmut. In den Augen des Engels schien goldenes Feuer zu lodern und mir war als konnte ein Blick des Engels die Seelen von Sterblichen verbrennen. „Wir haben schon auf Euch gewartet, mein Prinz", mit der Eleganz die allein den Ewiglebenden vorbehalten war sank er zu Boden, ein Knie ruhte auf dem Holz, während er seine Arme über das andere legte, sein Kopf gesenkt. Seine Federn streiften den Boden und verwischten die Symbole. Die Geste sah falsch aus, ein solches Wesen sollte sich nicht verbeugen, vor niemanden.
„Bitte erheb dich", murmelte ich und bot dem Engel meine Hand an. Für einen Moment musterte er mich in Gedanken versunken, dann akzeptierte er die Geste und stand auf. Sachiels Haut war warm unter meinen Fingern, als würde nicht Ichor, sondern himmlisches Feuer in seinen Adern brennen.
„Ihr habt mich gerufen?", seinem Ton fehlte jede Emotion, als er sprach. Immer noch betrachtete er seine Hand in der meinen, als wäre ihm die Berührung fremd, ließ aber trotzdem nicht los. Unsicher ob ich ihm der Kontakt unwohl war, zog ich meinen Arm zurück und verschränkte die Hände stattdessen hinter meinen Rücken.
„So ist es. Ich habe Fragen über diese Welt." Wenn der Engel meine Bitte eigenartig fand, ließ er es sich nicht anmerken. Wobei ich mir nicht sicher war, ob er überhaupt solche Gefühle besaß. Auch wenn dieses Wesen wie lodernde Flammen war, wirkte er kalt, oder zumindest distanziert.
„Mein Wissen soll das Eure sein", erwiderte Sachiel und ich nahm das als Einladung um meine Fragen zu stellen.
„Die Engel sind wie die Götter in der Welt, in der ich aufwuchs, oder?"
„Annähernd", Sachiel legte den Kopf zur Seite, als würde er überlegen wie er fortfahren sollte, aber ansonsten blieb er völlig ruhig. „Sowohl die Krieger des Himmels als auch unsere ewigen Widersacher und gefallenen Brüder sind den Göttern ähnlich. Unser Blut ist der Ichor und wir sind dazu bestimmt ewig zu leben, keine irdische Klinge kann uns töten. Aber wo die Götter einfach sind, sind wir Licht und unsere Feinde Dunkelheit, Gut und Böse wenn Ihr es so wollt. Wie die Menschheit und alle Kreaturen der Erde hat auch das Göttergeschlecht den freien Willen zwischen den zwei Seiten zu wählen, während wir zu einer gebunden sind. Es ist keinen Dämon möglich wahrlich gut zu sein und kein Engel kann Böses tun. Unser ist der endlose Krieg, das ewige Gleichgewicht zwischen den Mächten." Huh, das machte sogar Sinn, wer hätte das gedacht?
„Gleichgewicht... wie funktioniert das? Die Dämonen suchen die Erde heim, während Engel sie kaum betreten." Sachiel schlug unruhig mit den Flügeln, die, wie ich bemerkte, kleiner waren als meine eigenen.
„Anders als die Götter sind wir nicht fähig unsere Kräfte zu zügeln und die Sterblichen vor den Auswirkungen unserer Macht zu schützen. Die Erde ist nicht fähig uns zu beherbergen und gleichzeitig können wir nicht lange hier bleiben ohne von dieser Welt geschwächt zu werden. Nein, einzig die Nephilim", Sachiel deutete auf die Schattenjäger, die es nicht wagten sich unter den Blick des Engels zu rühren, „Sind fähig ohne solche Probleme hier zu leben und einzig sie sind es, denen die Verantwortung zufällt die Gefallenen zu bekämpfen und das Gleichgewicht auch hier zu wahren."
„Aber das Gleichgewicht kippt", gab der Engel zu und zuckte unruhig mit seinen Schwingen, „Jemand-" Was auch immer Sachiel mir sagen wollte, wurde von plötzlicher Finsternis unterbrochen. Die Runen zu seinen Füßen färbten sich schwarz, wandten sich in neue Formen, verzerrte Symbole aus denen Schatten sickerten.
Ohne nachzudenken warf ich einen Schild um Sachiel und mich. Gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Moment prallte eine Faust aus Dunkelheit gegen uns. Die Wucht des Schlages ließ mich zurück taumeln. Sachiel schien zu realisieren was geschah, denn der Engel warf mir einen letzten Blick zu, bevor er kurz aufleuchtete und verschwand.
Die Finsternis im Raum wurde dicker, nur das sanfte schimmern meines Schildes spendete Licht und ich schauderte unwillkürlich.
„Percy", säuselte eine nur allzu bekannte Stimme und ich unterdrückte den Drang mich um meine eigene Achse zu drehen um den Ursprung des Geräusches zu finden. Mein Schild zitterte unter der rohen Macht, die in meine Richtung geschleudert wurde, aber dieses Mal war ich vorbereitet.
Funken schimmerten zwischen meinen Fingerspitzen, doch anstatt meine Verteidigung zu stärken, ging ich in die Offensive. Dieselbe Kraft, mit der ich den Gott schon einmal besiegt hatte, strömte wie flüssiges Licht in die Schatten, silberne Fäden, die sich um die Dunkelheit wandten.
„Netter Trick", Moros lachte als seine Finsternis gegen mein Licht ankämpfte, „Aber ich muss zugeben, ich fand ihn beim ersten Mal besser. Komm schon Percy, ist das alles?"
Den Schatten schienen Reißzähne und Krallen zu wachsen, als sie sich auf mich stürzten, gleich einem Rudel wilder Tiere aus der dunkelsten Ecke des Tartarus. Heftig mit den Flügeln schlagend spreizte ich meine Finger und silbernes Licht flutete den Raum. Ich versuchte nicht einmal meine Kräfte zu zügeln, hindert meine Macht nicht daran wild um mich zu peitschen. Die Schatten verglühten wo das Licht sie traf und die Luft knisterte mit dem Überfluss an schierer Energie.
Moros machte sich nicht die Mühe gegen mich anzukämpfen, versuchte nicht einmal seine Fähigkeiten mit meinen zu messen. Das hier war nur ein Spiel für ihn, ein weiterer Test. Sein Lachen hallte immer noch durch die Bibliothek, das letzte Überbleibsel seiner Finsternis.
Der Moment war so schnell vorbei wie er gekommen war. Einmal mehr drang Sonnenlicht durch die hohen Fenster und die Bibliothek. In der Luft schimmerte Energie, kleine Sterne schienen durch den Raum zu tanzen und meine Ohren rauschten von der mit Macht überladenden Atmosphäre. Ein Blick auf meine Hände verriet mit, dass über meine Haut immer noch Funken jagten.
„Was war das?" keuchte Jace, er war unnatürlich blass geworden und sein Blick huschte durch den Raum auf der Suche nach einer möglichen Bedrohung. Anstatt zu antworten hob ich die Hand, um ihm zu bedeuten mir einen Moment zu geben. Mit tiefen Atemzügen versuchte ich meine Kräfte unter Kontrolle zu bringen und streckte gleichzeitig meine Sinne um sicherzugehen, dass Moros sich wahrlich zurückgezogen hatte, aber ich fand keine Spur des Gottes. Die Schilde des Instituts waren unbeschädigt.
Moros war zurück.
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