6.- Zuhause

Da Mum es nicht mochte, wenn ich mitten im Raum auftauchte, erschienen Apollo und ich wie zivilisierte Menschen (oder Götter in unserem Fall) vor der Wohnungstür. Mit einem kurzen Blick über die Schulter versicherte ich mich, dass unser Auftauchen nicht von irgendwelchen Nachbarin bemerkt worden war und zog meinen Schlüssel aus der Hosentasche.

„Das war interessant", verkündete der Sonnengott neben mir, während ich aufsperrte.

„So kann man es auch nennen", seufzte ich und öffnete die Tür. Mit einer einladen Bewegung bedeutete ich meinem Begleiter einzutreten, bevor ich ihm in die Wohnung folgte. Aus der Küche drang das Klirren von Geschirr, aber ansonsten war nichts zu hören.

Ich zog meine Schuhe aus und bedeutete Apollo das gleiche zu tun. Es war schon anstrengen genug die Wohnung mit Cassie sauber zu halten, weshalb ich selbst versuchte möglichst wenig Schmutz zu machen.

„Mum?" Beim Klang meiner Stimme verstummten die Geräusche und einen Moment später erschien meine Mutter in der Tür zur Küche. Sie hatte ihre Haare zu einem lockeren Zopf gebunden und einzelne Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Mehl klebte ihr an der Wange und in der Hand hielt sie einen Kochlöffel.

„Percy!" Ihr Backprojekt für den Augenblick vergessen kam Mum auf mich zu und schloss mich in die Arme. Etwas überrumpelt erwiderte ich die Geste, ich hatte eine weniger freundliche Begrüßung erwartet.

„Hi Mum", murmelte ich als sie sich von mir löste und mich prüfend anblickte, auf der Suche nach möglichen Verletzungen. Scheinbar überzeugt, dass ich unverletzt war, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck.

„Perseus Jackson!", begann sie und ich zuckte beim Klang meines Namens zusammen, „Wo warst du? Du wolltest zum Abendessen zurück sein! Gestern! Hast du eine Ahnung welche Sorgen ich mir gemacht habe?"

„Äh", begann ich und fühlte mich als wäre ich wieder acht. Dann erinnerte ich mich daran, dass ich ein mehr oder weniger allmächtiger Gott war. „Ich kann auf mich aufpassen, Mum, du musst dir keine Sorgen machen", murmelte ich sanft.

„Natürlich muss ich das. Es ist Teil des Jobs." Mum blinzelte mehrmals und schenkte mir ein schwaches Lächeln. Dann wandte sie sich an Apollo, den ich beinahe vergessen hatte. Der Gott sah meiner Meinung nach viel zu amüsiert mit der ganzen Situation aus, wurde aber ernst sobald der Blick meiner Mum zu ihm wanderte.

„Danke, dass du ihn zurückgebracht hast, Apollo."

„Es war mir ein Vergnügen Ms. Jackson."

Eigentlich sollte es mich nicht wundern, dass Mum Apollo um Unterstützung gebeten hatte. Der Gott war in letzter Zeit ein regulärer Gast im Hause Jackson. Seit ich wieder in New York war, war Thalia ständig auf der Jagd und soweit es aussah würde sie auch in nächster Zeit nicht ins Camp kommen. Auch Nico hatte allerlei zu tun und während der Abwesenheit meiner Zwei Geschwister hatte Apollo beschlossen unsere Freundschaft weiter auszubauen. Nicht dass ich mich beschwerte. Apollo war einer der umgänglichsten Götter die ich kannte und solange er in der Nähe war wurde es zumindest nicht langweilig. Auch wenn er manchmal wirklich nerven konnte. Besonders wenn ihm wieder einmal einfiel, dass ich nicht genug schlief. Was natürlich stimmte, da mich immer noch allerhand Albträume quälten und ich prinzipiell besseres zu tun hatte als zu schlafen, aber das war wieder eine andere Geschichte...

Mum sah aus als wollte sie noch etwas sagen, aber in diesem Moment hallten ein Pfauchen durch die Wohnung und aus dem Augenwinkeln nahm ich etwas Silbriges wahr, bevor jemand schmerzhaft an meinem Ohr zog. Kleine Krallen bohrten sich in meine Schulter und ich drehte den Kopf fluchend zur Seite in dem Versuch meinem Angreifer auszuweichen.

„Was zum Hades...? Nala!" Verwirrte versuchte ich das Wesen abzuwehren, aber sie war wie ein Sturm aus glänzenden Federn und zornigen Kreischen, aus wilder Wut und scharfen Krallen.

„Nala!", wiederholte ich etwas lauter und konzentrierte ich auf die Emotionen der kleinen Gestalt um herauszufinden was sie so beunruhigt hatte. Als ihr Erschaffer konnte ich sie fühlen wie meine eigenen, Gedanken und Gefühle die auf ewig an mich gebunden waren. Nala war das ersten und bis jetzt einzige Wesen, dem ich Leben und Seele eingehaucht hatte und die Verbindung, die ich zu ihr hatte, war stärker als die, die ich zu meinen zukünftigen Kreationen haben würde, auch wenn selbst die sich immer zu mir gezogen fühlen würden. Oder zumindest hatte Chaos es mir so erklärt.

Trotzdem dauerte es einen Augenblick bis ich verstand, warum mich meine kleine Begleiterin gerade attackierte. Scheinbar war sie recht aufgebracht darüber, dass ich so lange fortgewesen war und sie zurückgelassen hatte.

„Okay, okay!", beruhigte ich und hörte auf mich zu wehren, „Ist ja gut, ich hab's verstanden! Es tut mir leid, Nala, kommt nicht wieder vor." Meine Worte schienen sie zumindest etwas zu besänftigen, aber das Wesen konnte sich nicht davon abhalten noch ein letztes Mal an meinen Haaren zu ziehen. Dann, dem Anschein nach zufrieden mit sich selbst, rollte sie sich auf meiner Schulter zusammen und rieb ihre Wange gegen meinen Hals. Seufzend strich ich ihr über das glänzende Fell, ich konnte Nala nicht wirklich böse sein.

Apollo hob eine Augenbraue und sah mich fragend an, sagte aber nichts und Mum hatte die Szene gekonnt ignoriert.

„Also... was gibt es zu essen?"

***
Drei Tage. Drei Tage lang lebte ich in relativer Ruhe, bevor die Realität mich einholte.

Sosehr ich auch versuchte die Welt der Schattenjäger aus meinen Gedanken zu verbannen, war es mir nicht möglich. Eine ganz neue Kultur hatte sich mir gezeigt, und mit ihr unendlich viele neue Gefahren.

Dämonen. Monster aus anderen Dimensionen, die man mit guten Gewissen Hölle nennen konnte, schlichen sich wie Parasiten auf die Erde und brachten Finsternis mit ihnen. Schlimmer noch, wenn den Nephilim zu glauben war, wurde es diesen Kreaturen immer häufiger in unsere Welt.

Immer öfter suchte ich in dem alten Buch, dass Jace mir gegeben hatte, nach Antworten auf Fragen, die diese eigenartige neue Welt aufwarf und trotzdem würde ich mir nicht anmaßen die Hergänge der Schattenwelt zu verstehen. Annabeth hätte natürlich mit Freude zwischen den Zeilen nach Engeln und Dämonen gesucht, aber ich konnte mich einfach nicht dafür begeistern Seite für Seite über die Gesetzte und Geschichte dieser Leute zu lesen. Einzig die Beschreibungen der Monster, oder Dämonen, las ich komplett, machte mir aber nicht die Mühe die komplizierten Namen der einzelnen Wesen zu merken. Praktisch jedes von ihnen konnte von einer magischen Klinge, wie Springflut, zu Asche und Ichor gemacht werden, und wenn das nicht half, empfahl der Codex meist so schnell es ging das Weite zu suchen. Das Buch war also alles in allem nicht besonders hilfreich.

Genervt schlug ich das Buch zu und legte den Kopf in den Nacken, meine Arme vor mir auf dem Tisch verschränkend.

Nein, der Codex würde bei weitem nicht fähig sein meine Fragen zu beantworten. Er war nicht nur als Einstieg für junge Schattenjäger gedacht und enthielt damit nur Basisinformation, sondern war auch noch von Nephilim verfasst worden, die in ihrem ganzen Leben noch keinen Engel zu Gesicht bekommen hatten. Die Sterblichen verstanden die komplexen Netze unserer Welt nicht, kannten nur einen kleinen Teil des ganzen Bildes. Sie wussten nicht wie es in das Gewirr aus Gottheiten und Kulturen passte, waren nicht einmal über die Existenz anderer Götter informiert.

Um wahrlich zu verstehen wer oder was Engel und Dämonen waren, wo sie in der Hierarchie dieser Welt standen, würde ich mich an jemanden wenden müssen, der das Universum im tiefsten Sinne verstand. Zu Schade, dass Chaos mir immer noch nicht antwortete.

Seufzend stand ich auf und nahm das Buch um es auf einem der höheren Küchenregale, und somit außer Reichweite von Cassies kleinen Händen, zu verstauen. Meine Schwester war eine begeisterte Leseratte, oder zumindest so begeistert wie eine Zweijährige, fast Dreijährige, sein konnte. Womit ich sagen will, dass sie das Geräusch von zerreißenden Papier liebte und sogar Gefallen in dem Geschmack gefunden hatte. Unnötig zu erwähnen, dass Paul und Mum wenig erfreut über Cassies Liebe für Bücher waren. Überhaupt da diese sich auch auf Hefte und Hausaufgaben von Pauls Schülern ausweitete.

Wie auch immer. Zurück zum Thema. Chaos. Langsam machte die Unfähigkeit des Erschaffers mir zu antworten mich nervös. Natürlich erwartete ich nicht immer sofort eine Antwort, aber eine kurze Bestätigung, dass er meine Nachrichten auch erhielt wäre schön. Da ich sonst nicht wirklich eine Möglichkeit hatte um den Erschaffer zu erreichen, würde mir nicht anderes übrigbleiben als zu warten.

Außer...

Es war ja nicht so, dass Chaos die einzige Person war, die über die Engel informiert war. Der göttliche Teil meiner Verwandtschaft wusste Bescheid, aber von Apollo hatte ich erfahren, dass sie die Griechen vor langer Zeit von der Schattenwelt abgespalten hatten. Die Gefahr eines Krieges zwischen den zwei Kulturen war stets präsent gewesen und ein Aufeinandertreffen von zwei solchen Mächten hätte wahrscheinlich die Erde aus ihrer Umlaufbahn werfen können. Wer aus einem solchen Kampf als Gewinner hervorgehen würde war schwer zu sagen und schon damals hatte keiner Lust gehabt das herauszufinden. Also waren die zwei Welten getrennt worden, zur Sicherheit beider Seiten.

Nur wenige Götter erinnerten sich an diese Zeit und viele wussten nicht einmal über die Existenz der Engel Bescheid. Demnach war auch das Wissen über die himmlischen Krieger mehr als nur begrenzt. Apollo und auch die anderen Olympier wussten nicht mehr als das was ich bereits erfahren hatte und hatten sich als enttäuschende Informationsquelle erwiesen.

Aber. Es gab ja noch andere Wege um an Info über die Engel und besonders die Dämonen zu kommen. Mein Informant musste ja nicht zwingend griechisch sein. Oder göttlich, wenn wir gerade dabei waren.

Als Chaos Erbe war ich nicht nur ein Gott, sondern auch der Prinz des Universums. Und die Engel waren Teil dieses Universums. Demnach sollten sie mir eigentlich antworten, wenn ich nach ihnen rief.

Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Ich würde mir meine Details über die Engel und ihre Welt von einem Engel holen. Und mit etwas Glück würden dieser auch wissen, warum genau immer mehr Dämonen die Erde als Ferienhaus auswählten.

Aber für ein solches Treffen mussten Vorbereitungen getroffen werden. Der Codex hatte nur wenige Seiten zum Thema Engel, warnte aber alle paar Sätze davor niemals einen Engel zu beschwören. Angeblich antworteten die Himmelsboten aus Prinzip schon nicht und wenn es doch der Fall war, neigten sie wohl dazu denjenigen zu Staub zu machen, der es wagte sie zu stören. (Notiz an mich: Engel sind scheinbar leicht reizbar.)

Die Tatsache, dass ich kein herkömmlicher Sterblicher war, veränderte die Situation, trotzdem würde ich es aber bevorzugen nicht in die Luft gesprengt zu werden. Zwar würde mich etwas Derartiges nicht töten, aber ich nahm an, dass es sich um keine angenehme Erfahrung handelte.

Es war also Vorsicht gefragt. Die Wohnung schien mir nicht als idealer Ort für eine Beschwörung, egal welcher Art, und ich konnte den Engel schlecht in meinen Palast auf dem Olymp bestellen. Nein, eine vertraute, oder zumindest bekannte, Umgebung wäre angebrachter. Was für ein Glück, dass ich jemanden kannte, der in einer Kirche wohnte.

Begeistert nicht mehr länger herumwarten zu müssen, rief ich Nala mit einem kurzen Pfiff. Das kleine Wesen, das bis jetzt in der Sonne gedöst hatte, streckte sich kurz, bevor sie durch den Raum auf mich zuflog und auf meiner Schulter landete.

„Wir haben viel vor Nala", informierte ich sie während ich Mum eine kurze Nachricht hinterließ.

Keine zwei Minuten später standen wir vor der Tür des Instituts. Da keine Türklingel zu sehen war, klopfte ich. Es dauerte etwas bis mir jemand die Tür öffnete, aber schließlich schwang das schwere Holz auf und ich stand Jace gegenüber.

„Percy? Was...", der Schattenjäger sah recht überrumpelt von meinem Auftauchen aus, was wohl daran lag, dass ich ihn bedroht hatte, als wir uns zum letzten Mal gesehen hatten.

„Jace", grüßte ich freundlich und schob mich an ihm vorbei ins Innere der Kirche, „Was weißt du über das Beschwören von Engeln?" Ohne auf eine Antwort zu warten machte ich mich auf den Weg in die Bibliothek, der Nephilim folgte mir. Nala, aufgeregt über die neue Umgebung, löste sich von meiner Schulter und flog voraus, einen Moment später war das Wesen außer Sicht. Ohne Zweifel würde sie einen ausgiebigen Erkundungsflug machen, bevor sie wieder zu mir finden würde.

„Beschwören? Hör zu, das ist keine gute Idee", begann Jace und schüttelte den Kopf, „Glaub mir, ich weiß wovon ich rede."

„Du hast also Erfahrung? Umso besser!"

„Nein-" Bevor er noch etwas sagen konnte, schwang ich in einer dramatischen Geste die Türen zur Bibliothek auf, wo mich überraschender Weise bereits die anderen Bewohnter des Instituts erwarteten. Bei meinem plötzlichen Eintreten griffen die Schattenjäger nach ihren Waffen und ließen sie nicht los, als sie mich erkannten.

„Jace? Was macht er hier?" Isabel sah mich misstrauisch an und runzelte die Stirn, bevor ihr Blick zu Jace wanderte, der hinter mir den Raum betrat. Sie war von ihrem Sitz aufgesprungen, eine silberne Peitsche in der Hand. Auf dem Tisch vor Izzy lag ein dickes Buch, das sich, soweit ich das sagen konnte, mit Göttersagen beschäftigte. Ich war also nicht der einzige, der etwas recherchiert hatte.

„Ich werde einen Engel beschwören!", verkündete ich grinsend.

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