3.- Von Engel und Nicht-Engeln
Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich nicht mehr auf der Straße. Und ich war nicht alleine.
Ohne die Augen zu öffnen, versuchte ich ruhig weiter zu atmen und herauszufinden wo ich war. Wenn möglich würde ich meinen Entführern nicht ganz ohne Hintergrundwissen entgegentreten. Zuerst bemerkte ich die dröhnenden Kopfschmerzen. Was auch immer mich getroffen hatte, war mit großer Kraft geschwungen worden und ich hatte den Verdacht, dass es nicht aus irdischem Metall gewesen war.
Meine Kopfschmerzen so gut es ging in den Hintergrund schiebend, konzentrierte ich mich auf meine Umgebung. Ich lag auf einem Bett, oder zumindest einer Matratze. Jemand hatte meine Handgelenke gefesselt, aber auch wenn das Material der Handschellen eine mir fremde Aura hatte, war ich ziemlich sicher, dass ich sie ohne große Probleme durchbrechen konnte. Der Geruch von Holz und etwas Anderem, das ich nicht erkennen konnte, lag in der Luft und im Raum war es angenehm warm. Flüsternde Stimmen drangen zu mir durch und es dauerte einen Moment bis ich den Sinn der Worte erfassen konnte.
„- er ist gefährlich", die Stimme war männlich und klang jung.
„Wir sollten ihn zuerst befragen", murmelte eine zweite, dieses Mal weiblich.
„In einer Zelle", zischte die erste Person.
„Und wenn wir den Rat kontaktieren?", warf eine dritte Person ein, ebenfalls eine Frau.
„Wozu?", der Mann klang genervt.
„Jace", nun sprach wieder die erste Frau, „Du hast sein Blut gesehen. Es ist golden – nur eine Art blutet golden."
An diesem Punkt beschloss ich, dass ich genug gehört hatte. Meine Hände zu Fäusten ballend, öffnete ich die Augen.
„Hey! Er wacht auf!"
Bevor jemand reagieren konnte, sprang ich auf, wobei meine Handschellen klirrend zerbrachen, und landete geschmeidig auf dem dunkeln Holzboden. Kaum stand ich, waren drei leuchtende Klingen auf mich gerichtet. Reflexartig streckte ich meine Schwingen und der Nebel um sie verschwand.
Meine Entführer taumelten erschrocken zurück, ließen ihre Waffen aber nicht fallen. Sie waren zu dritt, ungefähr so alt wie ich.
„Ich habe doch gesagt er ist ein Engel", verkündete eines der Mädchen, das ich als Stimme Nummer drei erkannte. Mit ihren langen schwarzen Haaren und den außergewöhnlich roten Lippen sah sie schön aus, auf eine Art wie eine scharfe Klinge schön war.
„Kein Engel zieht sich so an", erklärte der junge Mann der Gruppe. Er erinnerte mich an Apollo, mit seinen blonden Haaren und den fast schon goldschimmernden Augen. Die Art wie er sich hielt war die eines Kriegers und seine Bewegungen waren zu fließend für einen gewöhnlichen Sterblichen. Ich bezweifelte stark, dass dieser Typ menschlich war.
„Nun, das ist einfach nur unhöflich", erwiderte ich trocken, „Zuerst entführt ihr mich und jetzt werde ich auch noch beleidigt." Möglichst unauffällig ließ ich meinen Blick über den Raum gleiten. Er war spartanisch eingerichtet und die wenigen Möbel, die es gab, sahen altmodisch aus. Das Fenster war mit schweren Vorhängen verdeckt, ich hatte also keine Möglichkeit um herauszufinden wo genau ich war.
Nicht-wirklich-Apollo wollte weiter auf mich zu treten, aber das zweite Mädchen hielt ihn zurück. Ihre Haare waren feuerrot und ihre grünen Augen schienen zu leuchten. Sie war die kleinster der Gruppe, aber etwas sagte mir, dass sie nicht unterschätzt werden sollte.
„Wir wollen keinen Ärger", begann sie, den Blick auf mich gerichtet, „Wir haben lediglich ein paar Fragen."
„Und wir wollen Antworten", warf der Junge ein und machte Anstalten näher zu kommen, seine Waffe immer noch auf mich gerichtet. Einen Wimpernschlag später ruhte Springflut in meiner Hand.
„Das würde ich nicht tun", warnte ich, meine Stimme bedrohlich ruhig. Ich war zu dem Entschluss gekommen, dass alle drei nicht ganz menschlich waren. Eine seltsame Macht hüllte sie ein und die silbernen Linien, die sich über ihre Haut zogen, machten mich misstrauisch.
„Hindere mich doch daran", spottete er. Der Kerl sah aus als würde er sich jeden Moment auf mich stürzen. So weit würde ich es aber nicht kommen lassen. Meine Finger spreizend ließ ich ihn nach hinten fliegen, bis er unsanft gegen die Wand krachte und dort festgehalten wurde. Vielleicht war ich gröber als nötig, aber der Typ hatte mich K.O. geschlagen, entführt, beleidigt und bedroht. Blondie schrie überrascht auf, ließ sich den Schmerz aber nicht anmerken.
„Jace!" Die anderen zwei reagierten augenblicklich, aber eine unsichtbare Wand hinderte sie daran zu mir vorzudringen.
„Ich habe nicht vor euch zu verletzten-"
„Fühlt sich anders an", fauchte der Junge und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Ich ignorierte ihn.
„Das hier wird folgendermaßen ablaufen. Ich werde euch jetzt verlassen und ihr werdet mich nicht daran hindern. Wir werden diese kleine Auseinandersetzung vergessen und alle unserer Wege gehen."
„Wer bist du?", verlangte die Schwarzhaarige zu wissen.
„Das geht euch gar nichts an."
„Wirklich?", mischte der Typ, Jace, sich wieder ein, „Du hast einen Vermithrall- Dämon getötet. Dämonen sind unser Fachgebiet." Es dauerte einen Moment bis ich begriff, dass er vom Wurmmonster sprach.
„Es war mir nicht bewusst, dass es sich um einen Freund von euch handelte. In diesem Fall tut es mir natürlich leid ihn verbrannt zu haben."
„Er war nicht-", Jace seufzte genervt, „Es war unsere Aufgabe ihn zu töten."
„Eine Sterbliche war in Gefahr, ich hatte keine andere Wahl", erklärte ich und schüttelte den Kopf.
„Als ob. Du tauchst zufällig genau dann auf, wenn die Dämonenaktivität maßgeblich ansteigt und gibst dich als Retter in der Not aus. Wer's glaubt."
Zuerst das Gerede von Engeln und jetzt auch noch Dämonen. Entweder ich war in einen Kult geraten oder ich hatte mich in eine andere Götterwelt verirrt. Vielleicht auch beides.
„Ihr jagt also Dämonen", wiederholte ich und sah sie prüfend an, „Und ihr habt mich entführt, weil ich euren Job für euch erledigt habe. Wäre ein Geschenkkorb nicht angebrachter gewesen?"
Während ich sprach, streckte ich meine Sinne. Soweit ich es sagen konnte, umgaben starke Schilde meinen Aufenthaltsort und außerdem konnte ich nicht mit Sicherheit sagen wie viele Leute sich im Gebäude befanden. Wahrscheinlich wäre ich in der Lage die Schilde zu durchbrechen, aber wenn diese Leute wirklich Dämonen jagten, dann war der Schutz nicht grundlos angebracht worden. Selbst wenn sie mich nicht wirklich freundlich aufgenommen haben, war ich nicht bereit sie verwundbar zurück zu lassen. Überhaupt da es aussah als würden wir auf der selben Seite stehen. Oder zumindest hoffte ich das.
Und da war noch etwas. In all den Jahren, in denen ich in New York gelebt hatte, hatte ich noch nie auch nur von Dämonen gehört. Es mussten also erheblich mehr geworden sein. Ich glaubte nicht an Zufall, schon lange nicht mehr, demnach war ich nicht grundlos hier...
„Warum gehen wir das hier nicht wie zivilisierte Menschen an", mischte die Rothaarige sich ein und erntete einen verwirrten Blick von Jace, „Mein Name ist Clary und das sind Jace und Izzy. Es würde mich sehr freuen, wenn wir uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen würden."
„Verständlich", erwiderte ich und beobachtete wie Clary ihr Schwert sinken ließ.
„Und du bist?"
„Percy." Meine Flügel zuckten unruhig. Ich wollte Chaos nach diesen Leuten fragen, aber der Erschaffer des Universums hatte scheinbar endlich etwas zu tun gefunden, denn er antwortete mir, wie so oft in letzter Zeit, nicht.
Meine Macht zurückziehend, ließ ich Jace los und er landete überraschend geschickt auf den Beinen. Um auf Nummer sicher zu gehen ließ ich meine Wand wo sie war.
„Warum bist du in New York?", wollte Izzy wissen, anders als Clary hielt sie ihr Schwert immer noch auf mich gerichtet.
„Ich wohne hier?", antwortete ich etwas verwirrt. Die Mädchen warfen sich einen vielsagenden Blick zu.
„Du bist ein Engel. Engel leben nicht in New York, oder auf der Erde, wenn wir schon dabei sind."
„Wenn du das sagst. Aber ich bin kein Engel", meinte ich während ich Springflut wieder in seine kleinere Form brachte und in meiner Hosentasche verschwinden ließ.
„Bist du dir sicher?", Clarys Blick hing an meinen Flügeln.
„Ich glaube ich wüsste es, wenn ich ein Engel wäre", schmunzelte ich, aber keiner der Drei schien mir glauben zu schenken.
„Vielleicht hast du ihn zu fest geschlagen", wisperte Izzy zu Jace, der nur mit den Schultern zuckte.
„Das habe ich gehört." Die Arme verschränkend lehnte ich mich gegen den Bettpfosten.
„Wenn du kein Engel bist", Jace trat einen Schritt nach vorne, wurde aber von meinem Zauber aufgehalten, „Was bist du dann?"
Für einen Moment überlegte ich, was ich ihnen sagen sollte. Zu lügen wäre meine erste Wahl gewesen, aber diese Menschen waren nicht wie die Zauberer, ich hatte den Verdacht, dass sie meine Schwindeleien schnell durchschauen würden. Außerdem fiel mir keine plausible Lüge ein. Die Wahrheit also.
„Ein Gott", gab ich zu, „Ich bin ein Gott." Um dem ganzen etwas Nachdruck zu verleihen schlug ich einmal mit meinen mächtigen Flügeln, bevor ich sie hinter meinen Rücken faltete.
„Ein Gott?", zweifelnd sah Clary mich an, während Jace aussah als würde er sich nur mit Mühe sein Lachen verkneifen können.
„Genau."
„Hör zu, Percy", begann sie vorsichtig, „Ich denke du bist verwirrt. Den einzigen Gott, den es gibt, hat seit Äonen keiner mehr gesehen. Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass du nicht Gott bist. Was du meinst sind Engel. Sie haben Flügel, wie du, sie haben goldenes Blut, wie du und sie sind sehr mächtig."
„Engel?" Ich blinzelte mehrmals um zu begreifen was genau sie mir da erklärte. Wenn es wahr war, was Clary sagte, dann gab es tatsächlich Engel auf dieser Welt. Und mit ihnen Dämonen. Chaos hätte mich ruhig informieren können.
„Richtig. Sie sind selten auf der Erde und leben erst recht gar nicht hier. Was also, machst du hier?"
„Ich bin kein Engel", wiederholte ich leicht genervt.
„Hör zu Mann", Jace fuhr sich mit der Hand durch die Haare, „Du bist kein Gott. Götter gibt es nur in Geschichten und Mythen. In der Realität gibt es Engel und Dämonen. Du bist entweder das eine oder das andere. Dämonen haben schwarzes Blut, dein Hinterkopf blutet aber goldenen Ichor. Da ist es nicht schwer eins und eins zusammen zu zählen."
Mit der Hand ertastete ich meine Wunde. Bis jetzt hatte ich nicht bemerkt, dass ich blutete, aber als ich meine Finger zurückzog, glitzerten sie mit meinem halbtrockenen Blut.
„Und was seid ihr dann?", wollte ich schließlich wissen. Sie glaubten mir meine Abstammung offensichtlich nicht, aber das war etwas womit ich mich später beschäftigen konnte.
„Wir werden Schattenjägern genannt. Oder Nephilim, wenn dir das etwas sagt", auf meinen verwirrten Blick hin, fuhr Jace fort, „Menschen mit Engelsblut. Der Engel Raziel hat uns erschaffen um Dämonen zu jagen und die Ordnung unter den Unterweltlern aufrecht zu erhalten."
„Noch nie davon gehört... Was ist ein Unterweltler?" Mittlerweile hatte ich meine Schutzwand fallen lassen. Diese Leute hielten mich für einen ihrer Engel, sie würden mich nicht angreifen. Wahrsceinlich.
„Ein Überbegriff für Hexenmeister, Werwölfe, Vampire und Elben", erklärte Clary geduldig.
Ich war mir ziemlich sicher, dass es keine Vampire gab, genauso wenig wie Elben existierten. Aber ich unterließ es Clary darauf hinzuweisen, sie hielt mich so schon für verrückt genug.
„Schau Percy, es ist spät und du bist offensichtlich nicht ganz fit. Warum schläfst du nicht eine Nacht drüber, vielleicht fällt die am Morgen wieder ein, wer genau du bist. Du kannst das Zimmer haben und wenn du morgen immer noch nicht weiterweißt, beantworten wir all deine Fragen." Izzy sah mich mitleidig an und lächelte schwach.
„Verdammt", fluchte ich und dachte daran, dass ich Mum versprochen hatte, zum Abendessen zuhause zu sein, „Wie spät ist es? Ich muss zurück - " Ich bewegte mich in Richtung Tür, aber Jace versperrte mir den Weg. Er bewegte sich elegant wie eine Katze und positionierte sich geschmeidig zwischen mir und dem einzigen Ausgang. Abgesehen vom Fenster, aber das war mit Zaubern verstärkt.
„Du solltest hierbleiben", erklärte er eindringlich, „Im Institut bist du sicher, Dämonen können es nicht betreten." Die Stirn runzelnd sah ich ihn an. Ich hatte nicht vor die Nacht hier zu verbringen.
„Du bist verwirrt und ich werde keinen Engel auf New York loslassen, der nicht ganz bei Sinnen ist."
„Ich bin kein Engel", wiederholte ich zum gefühlt tausensten Mal, aber Jace warf mir einen Blick zu, der mir sagte, dass ich seine Behauptung nur noch mehr unterstrich.
Teleportieren war mir nicht möglich, und selbst wenn ich es hier raus schaffte ohne erneut bewusstlos geschlagen zu werden, würden mir diese Leute mit Sicherheit folgen und ich würde nicht riskieren sie zu Mum und Cassie zu führen. Ich hatte keine Ahnung ob sie in der Lage waren mich auf Grund meiner Aura zu finden, aber es war gut möglich, da ich annahm, dass sie Dämonen auf ähnliche Weise aufspürten.
Chaos?
Keine Antwort. Fantastisch.
„Es ist nur für eine Nacht", beruhigte Clary und da es so aussah als hätte ich keine andere Wahl, nickte ich. Immer noch nach einem Ausweg suchend, beobachtete ich wie sie einer nach dem anderem den Raum verließen, bis ich schließlich alleine war.
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