21 (Olivia)
Ich hatte sie gehen lassen. Vielleicht hätte ich mit ihr mit gehen müssen. Doch als sie nachts nicht zurück kam, hatte ich mir keine Sorge gemacht. Stattdessen ging ich davon aus, dass sie das Bild entdeckt und sich auf den Weg in die Vergangenheit gemacht hatte.
Ich saß gerade an meiner Arbeit, die heute darin bestand, dass ich die Quellen eines wissenschaftlichen Artikels prüfte und seine fachliche Korrektheit sicherstellte, als mein Telefon klingelte.
"Hallo Olivia", flötete meine Mutter in den Hörer und im Hintergrund konnte ich das Blubbern eines Kochtopfes ausmachen. "Mama, ich arbeite", erklärte ich ihr und war ein klein wenig genervt, da es nicht das erste Mal war, dass sie mich unter der Woche vormittags zum Plaudern anrief.
"Ich weiß mein Schatz", sie kicherte verlegen," Dauert nur ganz kurz"
Ich brummte und sah mich dabei verstohlen um. Doch mein Chef war weit und breit nicht zu sehen.
"Deine neue Freundin, wie heißt sie noch Mal?", begann sie.
"Emma"
"Genau, Emma. Wie hat sie den Tot von ihrem Arbeitskollegen verarbeitet", fragte sie, doch ich kannte sie und ohne eine Antwort zu erwarten, redete sie weiter, "Nun ja, ich habe mir gedacht, dass sie einsam wirkt"
Ich überlegte, ob ich ihr zustimmte. Ich wusste es nicht. Emma wirkte nicht einsam, vielleicht alleine. Sie hatte ihre Familie nie erwähnt und mir kam der Gedanke, den ich gestern hatte, wieder in den Sinn. Ich hatte mich gewundert, dass sie niemanden von dem was passiert war, erzählt hatte. Sie war nirgendwo hingefahren, zu keinen Eltern oder Geschwistern, um sich auszutauschen und Trost zu finden.
Aber ob das bedeutete, dass sie einsam war, wusste ich nicht. Vielleicht war es einfach ihre Art. Vielleicht lebte ihre Familie auch nicht hier.
"Olivia?", meine Mutter klang ungeduldig,"Hast du mir zugehört?"
"Nein", gab ich zu.
"Verstehe ich", sagte sie sofort in einem versöhnlicheren Ton,"Ihr habt viel erlebt. Ich wollte euch beide bei uns einladen. Vielleicht tut deiner Freundin ein wenig Familienzeit gut"
Mir war bewusst, dass es sich dabei um einen freundlichen Vorschlag handelte und meine Mutter sich wirklich Gedanken gemacht hatte. Aber ich kannte Emma nicht. Ich wusste nicht, ob sie es mögen oder hassen würde.
Aber noch weniger wusste ich, wann ich sie wieder sehen würde.
..."oder ob", wisperte eine Stimme in meinem Hinterkopf und ich schluckte schwer. Vielleicht hätte ich sie begleiten sollen.
"Danke für das Angebot", ich versuchte gefasst zu wirken, doch meine Stimme war belegt,"Aber ich glaube sie braucht Zeit und ich habe zur Zeit auch viel zu tun"
Den Rest meines Arbeitstages konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Ich dachte an Emma und wie sie irgendwo in der Vergangenheit versuchte einen kauzigen, alten Mann das Leben zu retten.
Ich mochte sie. Sehr sogar. Und alleine der Gedanke an ihre weichen Lippen ließ mich wohlig Schauern.
Vielleicht sollte ich ihre Rückkehr feiern, überlegte ich und schrieb eine List mit Dingen, die ich dafür besorgen musste.
Als ich Marks und meine Wohnung betrat roch es wohlig nach meinem Lieblingsgericht. Ich ließ meine Tasche im Flur fallen und ging irritiert in die Küche.
"Ich habe mitbekommen was passiert ist", waren Marks Worte, der mich reinkommen hörte. Seine Haare standen zu allen Seiten ab und er roch frisch geduscht.
"Ich dachte mir, du konntest ein wenig Unterstützung gebrauchen", erklärte er und hätte irgendwer anders das so gesagt, ich hätte es als herablassend empfunden. Aus seinem Mund klangen die Worte jedoch liebevoll.
"Danke", antwortete ich knapp und ließ mich auf meinen Sitz fallen. Das Shakshuka schmeckte himmlisch und ich vergaß für einen Moment wer wir waren. Wir redeten, lachten und ich schank mir selbst Wein ein.
"Ist alles in Ordnung bei dir?", fragte er nach einiger Zeit feinfühlig und es brach aus mir heraus.
Vielleicht war es der Alkohol, der meine Zunge lockerte, vielleicht aber auch die Tatsache, dass er und ich uns so nahe gestanden waren, es wahrscheinlich immer noch taten.
Ich redete von Zeitreisen, dem Gemälde und das Emma alleine in der Vergangenheit war.
Seine Miene war die ganze Zeit unbeweglich, ab und an nickte er und legte den Kopf zur Seite. Er stellte keine Fragen, sondern ließ mich aussprechen und ich fühlte mich so gehört, so wahrgenommen und verstanden. Doch dieser Zustand hielt nicht lange an. "Wenn du diese Wahnvorstellungen morgen noch hast", begann er als ich zu einem Ende gekommen war,"Musst du ins Krankenhaus. Der Mord muss dich sehr geschockt haben. Ich verstehe das. Ich stehe dir zu Seite"
Ich wollte ihm etwas erwidern, ihm erklären , dass das alles Wahr war.
"Da draußen gibt es eine Welt von der du keine Ahnung hast", hätte ich ihm am liebsten entgegen geschleudert, doch ein Blick in seine Miene verriet mir, dass nichts was ich sagen würde, seine Meinung ändern könnte.
"Ich gehe dann Mal besser schlafen", sagte ich stattdessen und erhob mich schwerfällig.
"Brauchst du Gesellschaft", fragte er mich nach einem Moment.
Ja, ich hätte Gesellschaft gebraucht, aber nicht seine, sondern Emmas.
Ich hätte sie am liebsten in meinen Armen gehabt und in meiner wilden Fantasie, wäre ich mit meinen Fingern über ihre schönen Gesichtszüge gefahren.
Vielleicht hätten wir uns noch einmal geküsst, vielleicht war das auch nur eine einmalige Sache. Ich wusste es nicht, aber es war mir egal. Alleine ihre Anwesenheit hätte meine Stimmung gehoben und mein Herz leichter gemacht.
"Nein", antwortete ich bestimmt und ging in mein Zimmer.
Wenige Minuten nach dem ich mich auf mein Bett gelegt und in meine Decke eingekuschelt hatte, griff der Schlaf nach mir und zog mich in sein Reich.
Ich träumte viel und lebhaft und schließlich wachte ich mitten in der Nacht von meinem eigenen Schreien auf.
Eine Gestalt stand in meinem Zimmer und ich brüllte ein weiteres Mal.
"Olivia", der Schatten stellte sich nach betätigen eines Lichtschalters als Mark heraus. Die Helligkeit blendete mich und ich hielt mir die Augen zu.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top