16.Kapitel

Madame Demoté war eine spindeldürre Frau, mit einer grauen Hochsteckfrisur, die in altmodische Kleider geschnürt war. Sie war älter als Nancy es sich vorgestellt hatte und hielt in der einen Hand einen Krückstock, in der anderen ein blutbeflecktes Taschentuch. Ihre, selbst für Geister, blasse Haut schimmerte silbrig und durchscheinend im schwindenen Tageslicht des Fensters.

,,Madame Demoté?" Sprach Colix sie an. ,,Wir hätten eine Bitte an Sie."

,,An mich?" Sie wandte sich überrascht um. ,,Lass mich raten, ich soll für euch tanzen?"

,,Fast."

Mit einem charmanten Lächeln erzählte Colix der ehemaligen Lehrerin von dem Wettbewerb, an dem sie teilnahmen und ihren Schwierigkeiten eine überzeugende Kür zu entwerfen. ,,Wir brauchen ihre Hilfe." Sagte er und zog bittend die Augenbrauen zusammen. ,,Sonst ist es hoffnungslos! Nancy und ich können einfach nicht tanzen! Wir werden es auch nie lernen!"

Nancy wollte ihm schon einen beleidigten Blick zu werfen, als sie das milde Lächeln auf Madame Demotés Gesicht bemerkte, was nicht recht zu den blutunterlaufenen Augen passen wollte. ,,Sagen sie das nicht, junger Herr. Jedermann kann tanzen lernen!" Sie schwebte graziös, trotz des Krückstocks, zu ihnen. ,,Ich habe es zu meiner Zeit geschafft Schülern das tanzen beizubringen, die konnten noch nicht einmal vernünftig laufen. Unter meinen Anweisungen haben sie Turniere gewonnen. Auch für sie beide gibt es Hoffnung! Sie müssen nur bereit sein hart zu arbeiten."

,,Heißt das sie werden uns helfen?" Strahlte Colix.

Sie nickte würdevoll. ,,Aber natürlich. Ich betrachte es als meine Pflicht die Kunst des Tanzen weiter zu geben und es juckt mir regelrecht in den Fingern mal wieder zu unterrichten."

,,Wunderbar! Vielen Dank." Lächelte Nancy und ließ sich auf dem Weg nach unten nur allzu gerne die Unterschiede zwischen dem Wiener Walzer und dem sogenannten Langsamen Walzer erklären, obgleich sie nur die Hälfte der verwendeten Begriffe verstand.

Als Madame Demoté das Lied des Grammophons hörte war sie begeistert. ,,Oh! Die Symphonie des blühenden Frühlings von dem weltberühmten Komponisten Romain Sherbakova! Dazu habe ich einst in St. Petersburg und Paris getanzt! Ein junger russischer Zar wollte mich nach meiner mitreißenden Ballett Vorstellung heiraten, doch ich sagte seinem Dolmetscher, ich wäre schon verheiratet - mit meinen Tanzschuhen."

In Erinnerungen schwelgend hob sie die Arme und machte einige zierliche Tanzschritte, doch ein heftiger Hustenanfall zwang sie aufzuhören. Sich schüttelted beugte sich die Geisterdame über ihr Taschentuch. ,,Ach, diese vermaledeite Krankheit..." seufzte sie. ,,Hat mir alle Kraft geraubt. Das einzig Gute was sich über sie sagen lässt ist, dass sie meine Taille verschmalert hat. Nun ja. Kommt Kinder, Lasst mich sehen was ihr bisher schon habt."

Sie betrachtete den kläglichen Anfang von Colix' und Nancys Kür seufzend. ,,Ich sehe schon, es gibt viel zu tun. Da ändern wir nochmal alles. Mit dem Grundschritt und ein, zwei Drehungen beeindruckt ihr niemanden. Und, verzeiht mir, aber eure Haltung ist furchtbar."

Trotz ihres kränklichen Aussehens erwies Madame Demoté sich als eine strenge Lehrerin. Unerbittlich befeuerte sie ihre beiden Schüler mit Anweisungen. ,,Colix, mehr führen! Nancy, wie hältst du denn deinen Kopf, Kind? Du fällst ihm noch aus den Arm! Kopf nach links! Die gefassten Hände zur Mitte! Die Füße müssen versetzt stehen, um Himmels willen! Lasst die Beine grade, ihr fliegt hier nicht auf euren Besen! Fußarbeit! Heben und senken! Eins, Zwei, Drei! Eins, Zwei, Drei!"

Bald tropfte Nancy der Schweiß vom Gesicht. Colix schien es ebenso zu gehen. Manchmal fand er einen Augenblick Zeit und Energie um ihr ermutigend zu zulächeln oder kurz ihre Hand zu drücken. Die Kür, die Madame Demoté für sie ausgetüftelt hatte, war anspruchsvoll und die dünne Geisterdame duldete keine Art von Imperfektion.

,,Nochmal von vorne." Befahl sie, als Colix und Nancy endlich dachten sie hätten es fehlerlos hinbekommen. ,,Lasst eure Füße mehr am Boden, als würdet ihr gleiten, und lächelt. Das Lächeln ist das Wichtigste!"

Manchmal, wenn Nancy grade nicht darauf konzentriert war zu lächeln, oder ihre Füße richtig zu bewegen, oder im Takt zu bleiben, oder Colix' nicht auf den Fuß zu treten, stellte sich ein Zustand ein, bei dem sie fast aufhörte zu denken. Ihre Füße bewegten sich, ohne das sie sie zu steuern brauchte, im Takt der Musik, ohne das sie im Kopf mitzählen musste. Sobald Nancy diesen Zustand wahrnahm verflog er jedoch stets. Es war frustrierend.

Madame Demoté ließ die Beiden Tanzpartner keine Sekunde durchatmen. Wieder und wieder mussten sie dieselben Bewegungen durchgehen. Der Schweiß ihrer fest umklammerten Hände vermischte sich.

,,Gleite, Nancy, gleite! Colix, Brust raus und mehr Körperspannung! Haltet die Hände höher! Schultern aber unten lassen. Nur nicht müde werden! In eurem Alter konnte ich dreizehn Stunden lang durchtanzen. Ach was, sechzehn! Lächelt!"

Endlich war Madame Demoté zufrieden. ,,Meine Arbeit hier ist fertig." Verkündete sie knapp, grade als die Uhr zu den letzten drei Minuten aufgerufen hatte. ,,Mehr konnte ich in der Zeit nicht tun. Viel Glück bei eurem Wettbewerb."

Sie knickste auf eine Art die erahnen ließ, wie viel Anmut sie in ihren besten Tagen besessen haben musste. Grazil lächelnd entschwebte die Meistertänzerin durch die Wand und ließ zwei völlig erschöpfte Schüler zurück. Colix' ließ sich kurzerhand auf den Boden sinken und Nancy tat es ihm nach. Heftig nach Luft ringend sahen sie sich an.

,,Meinst du wir kriegen das hin?" Wisperte Nancy. Sie musste dringend was trinken, sie starb fast vor Durst.

Colix beugte sich vor und strich sachte eine verschwitzte Haarsträhne zurück, die ihr im Gesicht klebte. ,,Ich glaube das nicht. Ich weiß es!"

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