Lebendiges Zombieherz
Lily P. o. V
Zu unserem Glück fiel der Verwandlungsunterricht wegen Krankheit aus.
"Bestimmt liegt sie im Sterben", sagte Sirius ganz entsetzt und schüttelte dramatisch den Kopf. "Was?", schreckte ich verwirrt hoch. Sicher hatte ich mich verhört. Kein Wunder, James Küsse eben im Kerker hatten mich total aus meiner alltäglichen Laufbahn gerissen.
Normalerweise würde ich mich jetzt auf den Unterricht konzentrieren und alle meine Gedanken und meine ganze Aufmerksamkeit den Worten der Professoren schenken, doch stattdessen pochte mein Herz viel zu laut und meine Hände zitterten und mein Haar war etwas zu auffällig verwuschelt und bestimmt war ich total rot im Gesicht.
Ich war überzeugt, dass jeder mir ansehen würde, dass ich gerade James geküsst hatte.
Und dass es mir gefallen hatte.
Sehr sogar.
Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das gerade laufen lernte. Immer wenn ich endlich halbwegs stabil auf beiden Beinen stand, kam James und gab mir einen winzigen Schubs mit dem Zeigefinger, sodass es mich komplett umhaute und ich wieder am Boden lag.
Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass ich ihm nicht vollständig verfallen war. Denn das war ich. Mehr als je zuvor.
Zwei Wochen hatte ich ihn aus der Ferne beobachtet und mein Herz hatte jedes Mal geschmerzt, wenn ich an ihm vorbei gegangen war, ohne dass er aufgeschaut hatte. Alles, woran ich denken konnte, war er.
Und zwar nur er.
Ich hasste mich ja selbst dafür, so abhängig von ihm zu sein. Das war nicht nur unfassbar anstrengend und ermüdend, sondern auch noch ziemlich beschämend und demütigend. Wie gerne wäre ich eine starke, selbstbewusste und unabhängige Frau, die keinen Mann an ihrer Seite brauchte. Doch die traurige Wahrheit war, dass es sich bei mir um ein emotional-verliebtes Wrack handelte.
Zunehmend beschlich mich das Gefühl, dass ich eigentlich jeden Tag nur aufstand, um James zu sehen, auch wenn es nur von der anderen Seite des Klassenzimmers war. Ich wandelte wie ein Zombie herum, lediglich erfüllt von der Hoffnung, ihm zufällig zu begegnen. Bloß dass mein Herz sehr wohl lebendig war, besonders dann, wenn ich ihn sah. Aber sonst war es schon etwas tot, das stimmte.
Ich fragte mich, ob James wusste, was er für eine Wirkung auf mich hatte und wie sehr ich von ihm abhängig war. Wenn wir uns sahen und redeten oder sogar küssten wie eben, dann ging es mir gut. Dann fühlte ich mich frei und unbeschwert und so beglückt!
Doch wenn wir einander nicht begegneten oder er mich einfach ignorierte, wenn ich vorbei ging, dann fühlte ich mich so elendig, so unbegreiflich traurig und deprimiert.
Es war einfach nur erbärmlich, aber meine Laune war von ihm abhängig.
Das stand fest.
"Na, Professor McGonagall", sagte Sirius, als wäre das offensichtlich. Seine Worte holten mich wieder zurück in die Gegenwart. James und ich waren gerade noch rechtzeitig zur Klasse dazugestoßen, um mitzubekommen, dass unsere Lehrerin krank war. Jetzt hingen alle Gryffindors planlos im Gemeinschaftsraum herum.
Und scheinbar hatte jeder Siebtklässler unseres Kurses eine andere Theorie, warum McGonagall nicht im Stande war, zu unterrichten.
Sirius erntete viele Lacher, doch er blieb ganz ernst. "Die Hexe ist sonst nie krank! Wisst ihr noch, als sie in unserem zweiten Jahr mit einem Gipsbein ins Klassenzimmer gehumpelt ist, weil wir 'um jeden Preis mit dem Stoff voran kommen müssen'? Oder als in wir in der fünften Klasse waren, da hat sie sich nicht mal von dieser komischen Fieberkrankheit und dem Keuchhusten abhalten lassen, uns mit irgendwelchen komplizierten Zaubersprüchen zu langweiligen!"
Viele nickten zustimmend oder mussten bei der Erinnerung daran schmunzeln.
"Ich glaube ja", schloss der Rumtreiber seinen Vortrag theatralisch ab, "dass Dumbledore sie ans Bett gefesselt hat. Was sonst würde McGonagall vom Unterrichten abhalten?"
Nun musste ich auch grinsen. Irgendwie fand ich seine Vorstellungen ja doch ganz lustig, wenn auch ziemlich abwegig.
"Ich sage, sie ist schwanger", mischte sich nun auch James mit ein und schlug mit der Faust auf den Tisch. "Und jetzt muss sie ihr Kind erst gebären, bevor sie uns weiter quälen kann."
Remus verdrehte die Augen. "Da hat wohl jemand in Sexualkunde nicht ganz aufgepasst", kommentierte er spöttisch.
"Laber nicht", schnappte James prompt zurück. "Ich weiß sehr wohl, wie das mit Bienen und Blümchen funktioniert!"
"Dann hat McGonagall ihren Babybauch die letzten neun Monate wo genau versteckt?", erwiderte Remus dezent entnervt.
"Vielleicht ist es ja ein Baby mit Superkräften, das sich unsichtbar machen kann oder gar nicht im Bauch wächst sondern im Hintern?", erklärte James herausfordernd und verschränkte die Arme. Auch wenn es stimmte, dass McGonagall seit letztem Schuljahr sehr zugenommen hatte, besonders am Hintern, zeigte seine alberne Theorie mal wieder, dass er noch weit davon entfernt war erwachsen zu sein, egal was in seinem Ausweis stand.
Er hatte seinen jetzt-habe-ich-es-dir-aber-gezeigt-Blick aufgesetzt, auch wenn dieser gerade völlig fehl am Platz war.
Und wisst ihr, was das Dämlichste an der ganzen Situation war?
Dass ich mir trotzdem nichts Schöneres vorstellen konnte, als ihn zu küssen.
Problem: Wir waren nicht alleine.
Bevor Remus irgendetwas antworten konnte, schnitt Marlene ihm verärgert das Wort ab: "Jetzt entspannt euch! Vermutlich hat Madam Pomfrey es ihr einfach verboten."
Ganz ernüchtert von Marlenes einfallsloser Theorie verstummten die Rumtreiber allesamt. "Viel wichtiger: Was machen wir jetzt mit unserer neu gewonnen Zeit?", fragte sie und schlug kokett die Beine übereinander.
"Ich weiß ja nicht was ihr hübschen Ladies vorhabt", meinte Sirius und zwinkerte, "aber ich für meinen Teil werde raus aufs Quidditchfeld. Krone, bist du dabei?" Sofort wanderte mein Blick zu James, in der Hoffnung, er würde verstehen, dass er ablehnen sollte und wir stattdessen etwas Zeit verbringen konnten.
Doch er war sofort Feuer und Flamme. "Na klar, ich hole nur schnell meinen Besen, dann geht's los! Egal was McGonagall nun hat, aber es ist ein Segen für unsere Mannschaft, etwas zusätzliches Training tut uns sicher gut!"
Enttäuscht blieb ich sitzen, als auch Marlene aufsprang. Auch Peter schloss sich den drei Spielern an, da er ja immer Sirius und James nachlief wie ein giggelndes Fangirl auf der Jagd nach Autogrammkarten.
"Kommt doch auch mit", schlug Sirius vor. Toll, dass die Idee von ihm kam und nicht von James. "Nein, danke", lehnte ich ab und bemühte mich, nicht allzu kühl zu klingen. "Ich glaube, ich bleibe lieber hier mit Remus und lerne für den Test morgen."
"Langweiler halt", kommentierte Sirius nur schulterzuckend und machte sich auf den Weg, doch James zögerte. Es gefiel ihm jetzt scheinbar doch nicht mehr so gut, dass ich es vorzog, Zeit mit Remus anstatt mit ihm zu verbringen.
Nicht, dass ich je etwas mit Remus anfangen würde und das wusste er auch. Hier ging es ums Prinzip.
Ohne eine Gesichtsregung musterte ich ihn.
Sirius, der bereits am Porträtloch war, drehte sich nun nach seinem besten Freund um. "Kommst du? Oder bleibst du auch lieber bei den Strebern? Stimmt, ich hatte vergessen, dass du ja jetzt Schulsprecher bist, da hast du ja vermutlich für so einen Kinderkram gar keine Zeit." Verstimmt und mit einem herausforderdendem Blick sah er James an, welcher offensichtlich mit sich zu ringen schien.
"Klar bin ich dabei, Tatze!", gab er schließlich protzig zurück und verschwand, ohne mich noch einmal anzusehen.
Ich biss die Zähne zusammen, noch während sich ein Kloß in meinem Hals bildete.
Das war einer dieser Momente, in denen mein Zombieherz durchaus lebendig schlug. Aber nicht vor Freude, weil ich James sah, sondern vor Schmerz, weil James schlichtweg dämlich war.
Verdammt, ich wollte doch Zeit mit ihm verbringen! Merkte er das denn nicht? Aber wenn er mich nicht dabei haben wollte und stattdessen lieber trainieren ging, dann bitte! Soll er doch.
Und schon war meine Laune dahin. Auch vorhin, als wir zur Gruppe zurückgestoßen waren, hatte er mich ignoriert. Seine Aufmerksamkeit hatte einzig und allein den Rumtreibern und der Tatsache, dass wir Ausfall hatten, gegolten.
Und ich?
Ich hatte ihn beinahe durchgängig angestarrt, hatte meinen Blick kaum von seinem fesselndem Erscheinungsbild abwenden können.
Gut.
Toll.
Meinetwegen.
Wenn er meint, dass er mich vor seinen Freunden anders behandeln muss, dann bitte, nur zu. Auch ich habe bisher weder Marlene, noch Remus, von James und mir und allem erzählt. Aber ich dachte, so langsam könnten wir uns wieder der Öffentlichkrit präsentieren. Wir müssen uns ja nicht gleich ablecken vor versammelter Mannschaft, aber wenigstens miteinander reden wäre doch mal ein Anfang.
Wenn er mich im Kerker küssen kann, sollte er auch das hinkriegen.
Stattdessen ließ er mich mit angeknackstem Zombieherz zurück. Meine Laune hatte ihren Tiefpunkt erreicht und ich fühlte mich auf einmal so schwermütig und unendlich müde. Am liebsten wäre ich in den Schlafsaal gegangen, hätte mich auf mein Bett geschmissen und einfach nur geweint.
Mir war echt nicht nach Gesellschaft zumute.
Aber wie oft tun wir Dinge, die wir eigentlich gar nicht wollen, nur weil andere es von uns erwarten?
Genau.
Viel zu oft.
"Komm, Remus", sagte ich erschöpft. "Lass uns in die Bibliothek gehen, dann können wir schon einmal mit dem Aufsatz anfangen."
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