Kaffe schwarz

James P. o. V.

Mit einem besorgten Seitenblick musterte ich Sirius, der schon wieder so traurig guckte. Sein braunes Haar war nun kurz geschnitten, der Bart hingegen lange nicht mehr rasiert worden und er hatte Augenringe bis zum Kinn.

Marys zweiter Todestag lag noch nicht allzu weit zurück, der Schmerz war wieder neu aufgeblüht und noch nicht wieder in der traurigen Senke seines gebrochenen Herzens verschwunden. Es wäre allerdings eine Lüge gewesen zu behaupten, dass es ihm das restliche Jahr über besser ging.

Mit geschlossenen Augen nahm er einen großen Schluck aus der noch größeren Kaffetasse vor ihm und gab ein Seufzen von sich, das von Erlösung sprach. Seine blassen, zitternden Hände umklammerten den Henkel, während seine Munwinkel merkwürdig zuckten.

Ich fragte mich, ob er gerade an Mary dachte. Falls dass der Fall gewesen sein sollte und er bei der Erinnerung an seine ganz persönliche Sonne fast gelächelt hätte, so war ihm wohl im nächsten Moment schon wieder eingefallen, dass sie tot war. Unerreichbar für ihn.

Ein bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, als ich mir selber etwas vom schwarzen Kaffe eingoss. So hatte Sirius Black es am liebsten.

Schwarz, schwärzer, am schwärzesten.

"Schwarz kann man nicht steigern, genau genommen ist es gar keine Farbe."

Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als Lilys Stimme in meinem leeren Kopf widerhallte. In den letzten Tagen, seit ich von meinem Amt als Schulsprecher erfahren hatte, war das oft vorgekommen. So oft, dass ich gar nicht anders konnte, als dauernd an sie zu denken und mich zu fragen - nein, falsch, zu hoffen - dass sie auch mal an mich dachte.

Mit ihrer vertrauten Stimme war stets auch die brennende Sehnsucht in mein Herz zurückgekehrt, die ich die letzten zwei Jahre erfolgreich verdrängt hatte. Da war ein Gefühl in mir, in meiner Brust, in meinem Bauch, in meinem Kopf, dass mir sagte, dass danach schrie, dass ich zu Lily musste. Ich spürte fast, wie mein Herz von ihr angezogen wurde und das Verlangen meine Seele aus meinem Körper trug, in eine Richtung, wo ich Lily vermutete.

Schon ein trauriges Bild, dass Sirius und ich darboten.

Die einstigen tapferen Rumtreiber waren vom Liebeskummer in die Knie gezwungen worden.

Die früheren Regelbrecher, die risikobereiten Raufbolde, die beliebtesten Gryffindors des ganzen Jahrgangs, die zwei begehrtesten Jungen der ganzen Schule - saßen nun Trübsal blasend und schweigend am Küchentisch, schwelgten in melancholischen Gedanken und trauerten zwei Mädchen hinterher, von denen beide auf unterschiedlichste Weise unerreichbar waren.

Ich rang mir ein müdes Grinsen ab und spülte den Rest des schwarzen Kaffes herunter. Es schmeckte grauenvoll.

"Komm", meinte ich urplötzlich gutmütig und erhob mich von der Umzugskiste, die mir als zugegeben recht unbequemer Stuhl gedient hatte. Sirius sah mich überrascht an. Seine grauen Augen, die einst so lebenslustig gefunkelt hatten, in denen früher ein Sturm der Leidenschaft gewütet hatte, waren leblos und trist. Ganz stumpf starrten sie mir entgegen.

Schwer vorzustellen, dass diese Augen bis vor wenigen Jahren nahezu jedes Mädchenherz in Hogwarts hatten höher schlagen lassen. Der unmotivierte Junge vor mir war nicht derselbe Junge, der in der fünften Klasse vor Liebesglück "I Feel Fine" gesungen und charmant geflirtet hatte, was das Zeug hielt.

Doch egal wie viele Mädchenherzen er im Anschluss gebrochen hatte - sein jetziges Leid war wahrscheinlich größer als das aller seiner verflossenen Verehrerinnen zusammen genommen.

"Wohin?", fragte Sirius nach, ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Er klang müde, erschöpft von der langen Nacht, die er wahrscheinlich schweigend damit verbracht hatte, in seinem Zimmer an die Decke zu starren, während ich in den Bars und Nachtclubs von London auf der Jagd nach Ablenkung gewesen war.

Etwas besorgt musterte ich ihn, in den letzten Wochen hatte der Ärmste kaum Schlaf bekommen. Aber mal ehrlich - Wer in unserem Alter konnte das schon von sich behaupten?

Auch ich lag nicht selten stundenlang wach, meine üblichen Nachtgedanken plagten mich und raubten mir die Erholung, die ich doch so dringend nötig hatte.

Meine üblichen Nachtgedanken. Keine Ahnung worüber sich normale Teenager so den Kopf zerbrachen, meine Ängste und Zweifel drehten sich jedenfalls jede Nacht aufs Neue um meine Eltern.

Nicht, weil sie mir Hausarrest erteilt und wir uns gestritten hatten.

Nicht, weil sie sich wegen meinen schlechten Noten über meine Zukunft Sorgen machten.

Nicht, weil sie mich zwangen, meine Großmutter zu besuchen.

Nicht, weil ich mein Zimmer nicht aufgeräumt hatte.

Nein.

Sondern weil sie tot waren und ich sie vermisste - scheiße - weil ich sie so schmerzlich vermisste. Besonders in diesen stillen Stunden der Einsamkeit, in denen mein Wimmern niemand hören und meine Tränen niemand sehen konnte.

Ich hasste es vor anderen zu weinen, mir den Schmerz anmerken zu lassen.

Doch wer mochte das schon.

"Es reicht jetzt, wir müssen raus hier!", rief ich übermotiviert und fing an, an den klapprigen Armen meines abgeneigt guckenden besten Freundes zu ziehen. Wo früher Muskeln gewesen waren, sah ich nun lediglich Knochen.

"Wohin?", wiederholte Sirius stur.

"Wir müssen noch Schulsachen kaufen, schon vergessen?", meinte ich ohne zu überlegen und zog mir meine Lederjacke über. "Die Zeit läuft uns davon, der Hogwarts Express fährt schon übermorgen. Denk nur an die alte Mcgonagall, die dreht doch durch, wenn wir da ohne Bücher aufkreuzen! Liebeskummer zählt bei der sicher nicht als Ausrede."

Sirius rang sich ein schwaches Grinsen ab. "Hast Recht", gab er stumpf zurück. "Und du als neuer Schulsprecher darfst auf keinen Fall negativ auffallen, das wäre ja fatal!"

Das war schon mehr der Sirius, den ich kannte. Den Sirius, den ich meinen besten Freund nennen konnte.

Binnen weniger Sekunden waren wir in die Winkelgasse appariert und mischten uns rasch in die Masse, die uns direkt zu den Läden trieb. Es waren keine Worte nötig, damit Sirius und ich gleichzeitig Qualitäten für Quidditch  ansteuerten. Das Fachgeschäft für unseren Lieblingssport, das allerdings bereits ziemlich überfüllt war mit aufgeregt schnatternden Hogwartsschülern.

Mit einem schlechten Gewissen, das angesichts der hohen Preise nur noch wuchs, dachte ich daran, dass Mum und Dad bestimmt nicht gewollt hätten, dass ich ihr reiches Erbe für einen schnelleren Besen ausgab. Die meisten jungen Hexen und Zauberer liebten diesen Laden, doch die meisten verließen ihn auch wieder, ohne etwas zu kaufen.

Ganz anders war das bei Sirius und mir.

Keiner von uns beiden hatte Geldsorgen, da jeder von uns aus einer mehr oder weniger angesehenen, auf jeden Fall aber alten und vermögenden Familie stammte.

Was für ein dummes Klischee, dass nur Mädchen sich glücklich shoppten, dachte ich, als wir dreißig Minuten später im mittaglichen Sonnenschein auf die Straße traten, jeder eine große Tüte in der Hand.

Schief grinsend drehte ich mich zu Sirius um und ging ein Paar Schritte rückwärts, als ich es hörte. Ihre Stimme. Schon wieder.

"Erstklässler dürfen keinen Besen besitzen, das steht in der Schulordnung. Hey, das habe ich genau gesehen, mach das nicht noch mal! Ehrlich, Marlene, was ist nur mit den Kindern von heute los? So waren wir doch damals nicht, oder?"

Doch Marlene antwortete nicht. Mit leicht geöffnetem Mund starrte sie Sirius und mich an, ihre rosa lackierten Fingernägel krallten sich ebenfalls um eine Tüte aus Qualitäten für Quidditch.

"Oh, hallo", murmelte sie schließlich ganz überrascht und senkte rasch den Blick. Als sie ihn wieder hob, war das mutige Funkeln in ihre blauen Augen zurückgekehrt, während ihre kirschroten Lippen von einem breiten, strahlendem Lächeln geziert wurden.

Lily hatte sich nicht ganz so gut im Griff. Ihre Lippen waren - anders als die von Marlene - fest zusammengepresst, ihre grünen Augen musterten uns nahezu erschrocken.

Es war immer peinlich, wenn alte Freunde aufeinander trafen, die seit zwei Jahren nur das Nötigste miteinander gesprochen haben, doch noch viel peinlicher wurde es, wenn fast alle vier miteinander etwas gehabt hatten.

Lily und ich konnten uns kaum in die Augen sehen, Marlene hingegen vermied sorgfältig mit mir und Sirius den Blickkontakt.

Peinlich, peinlich.

Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich nach mehreren Anläufen endlich hervor brachte: "Ihr macht auch Schuleinkäufe?"

Lily nickte heftig. "Oh, ja!" Dankbar ging sie auf das banale Thema ein. "Wir waren schon in der Apotheke, in der Magischen Menegarie, bei Flourish&Blotts, jetzt brauchen wir nur noch neue Kessel, und Marlene wollte unbedingt zum Quidditchgeschäft, haha!" Sie lachte nervös, es klang viel zu schrill und laut, einfach un-lilyhaft und affektiert.

Es war nicht ihr echtes Lachen.

Ich  kannte ihr echtes Lachen.

Hatte es schon oft gehört, fast vergessen, so vermisst.

Am schönsten war es stets gewesen, wenn ich ihr ein echtes Lachen hatte entlocken können, egal ob durch einen Streich oder einen Witz oder einfach ein besonders schräges Liebesgeständnis.

Heute konnte ich mir jedoch wohl kaum Hoffnungen machen, dass mir das gelingen würde.

Peinlich berührt strich Lily sich eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht und biss sich auf die Lippe. Merlin, wie sehr ich das liebte. Geliebt hatte. Früher. Das war einmal gewesen, doch schon lange vorbei.

Für immer.

Für immer?

Für immer!

"Was?", fragte ich perplex, als auf einmal die abwartenden Blicke der anderen drei auf mir lasteten.

"Ich wollte wissen", wiederholte Lily geduldig, "wie eure Ferien so waren."

"Großartig!", erwiderte ich zügig und bemühte mich, meine Verlegenheit hinter einem breiten, charmanten Lächeln zu verstecken. Peinlich berührt fuhr ich mir mit der Hand durch das schwarze Haar. "Ganz toll, wirklich. Schade, dass die Schule schon so bald wieder anfängt. Und bei euch so?"

Das Gespräch war so gezwungen, so unnötig, so verklemmt.

Und voll von Lügen.

"Sehr schön, danke der Nachfrage", gab Lily höflich zurück.

Einen Moment lang herrschte peinliches Schweigen.

Peinlich. Alles war mir in diesem Moment so unfassbar peinlich.

Die schwer lastende Stille dauerte an, bis Marlene endlich möglichst unbefangen rief: "Sirius, ich habe gehört, du wurdest zum Quidditchkapitän ernannt? Ich freue mich sehr für dich, du machst das bestimmt super!"

Sirius nickte abgehackt. Seine heisere Stimme klang sehr eingestaubt, irgendwie rostig, als wäre sie lange nicht benutzt wurden. Trotzdem gab er sich sichtlich große Mühe, etwas Begeisterung in seinen monotonen Ton zu mischen: "Stimmt, danke, ja, echt fantastisch. Schade, dass du es nicht geworden bist, ich hätte es dir auf jeden Fall gegönnt."

Marlene winkte ab. "Schon in Ordnung", sagte sie gutmütig. "Dafür ist unsere Lily" - sie schlug ihrer verdutzten und peinlich berührt wirkenden Freundin nicht wirklich sanft auf den Rücken - "ja sogar zur Schulsprecherin ernannt worden!"

Ich vermag kaum zu beschreiben, was für unterschiedliche Gefühle mich in diesem Moment ergriffen.

Sirius warf mir einen bedeutenden Seitenblick zu. Ich merkte sofort, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg und ich errötete. Verzweifelt versuchte ich, ihm mit meinem Fuß auf seinen zu treten, damit er die Klappe hielt.

Ich wollte Lilys ungläubiges Gesicht nicht sehen, wenn sie es erfuhr.

Ich hatte keine Lust auf ihren enttäuschten Blick angesichts der Tatsache, dass es nicht Remus geworden war.

Und gleichzeitig fragte ich mich, was sie fühlte bei dem Gedanken, dass wir das ganze nächste Schuljahr dauernd zusammenarbeiten würden.

"Ach, tatsächlich? Echt klasse, und wisst ihr was? James-", fing er schmunzelnd an, doch ich schnitt ihm das Wort ab. "-hat so etwas schon erwartet. Wir beide, natürlich!", fügte ich hinzu, mit einem affektierten Lachen.

Auch Lily kannte mein echtes Lachen, so wie ich ihres kannte. Die Frage war nur: Vermisste sie es auch? Ging es ihr wie mir?

"Wir müssen dann auch wieder los", sagte Lily fast schüchtern. Auch ihr Gesicht war bei den letzten Sätzen rot geworden, sie kaute schon wieder so süß auf ihrer Lippe herum.

"Ja. Ist schon spät", antwortete ich lahm.

Die Verabschiedung verlief noch peinlicher als die Begrüßung und als ich mich mit Sirius in die andere Richtung zum Gehen wandte, hatten meine Wangen noch immer nicht wieder ihre normale Farbe angenommen.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top