52. Kapitel - Sag, wenn ich dir helfen kann.

Es klopfte erneut.
Genervt stand er auf und rieb sich kurz über die Augen bevor er die verdammte Tür öffnete und auf den Gang hinaus spähte.
Rabenfeder. Was wollte die denn hier?
Er hätte seiner Leibwächterin sagen sollen, dass er keinen Besuch wünschte. Erst recht nicht von Bekannten.
Aus großen, schwarz umrandeten Augen blickte sie ihn vorwurfsvoll an. "Weißt du eigentlich wie spät es ist?"
"Äh.. nein. Warum?"
Als sie das Kinn reckte, glitzerte Mutters Perlenkette silbern in ihrem aufwendig hochgesteckten Haar. "Wir haben zwei nach Neun."
Er runzelte verwirrt die Stirn. "Ja und?"
"Eigentlich sollten wir jetzt mit den anderen beim Meeting sein. Einen Plan wegen der Championsache machen und so. Anscheinend gibt es von den Priestern Neuigkeiten zur Strecke. Wir wollten gemeinsam hingehen, vergessen?" Zu seiner Überraschung klang sie eher besorgt als verärgert.
"Sorry," murmelte er zerknirscht während sie ihn aufmerksam von oben bis unten musterte. Das Meeting hatte er völlig vergessen. Er fuhr sich mit der Linken durch die Haare, die inzwischen in unvorteilhafter Position getrocknet waren. Mit einem Mal war es ihm ein wenig peinlich, völlig zerknittert und verstrubbelt vor seiner perfekt gestylten Halbschwester zu stehen. Verstohlen blickte er sich um, doch abgesehen von Rabenfeder und seiner Leibwächterin, die diskret einige Schritt Abstand hielt, war niemand zu sehen.
Rabenfeder musterte ihn prüfend. Ihr Blick blieb einige Sekunden länger als nötig an seinen Augen hängen. "Hast du wieder mal gekifft?" fragte sie.
"Nein," erwiderte er knapp. "Dieses Mal nicht."
"Sicher?"
"Wenn ich es dir doch sage!" raunzte er gereizt. Ob man ihm ansah, dass er geweint hatte? "Ich kiffe nur dann, wenn es mir echt Scheiße geht."
"Das ist in letzter Zeit aber oft." Sie runzelte nachdenklich die Stirn.
"Gar nicht wahr," grummelte er und verschränkte die Arme auf der Brust. Langsam ging ihm dieses ständige Psycho–Gerede wirklich auf die Nerven. Konnte man ihn nicht mal für ein paar Minuten in Ruhe lassen?
"Außerdem löst man auf diese Weise keine Probleme," fuhr Rabenfeder in genau dem belehrenden Tonfall fort, den er so sehr hasste. „Im Gegenteil. Du schadest deiner Gesundheit damit massiv und wenn du erst mal abhängig-"
"Ich bin nicht süchtig, verdammt noch mal! Und ich habe auch garantiert nicht vor es jemals zu werden," schnautzte er sie an. Vielleicht ein wenig aufgebrachter als beabsichtigt. Er hasste es, dermaßen bevormundet zu werden. Zumal er schon volljährig war.
Außerdem war er sich gar nicht so sicher, wie schlimm süchtig sein in seinem Zustand überhaupt noch war. Wenn es schlecht lief, würde er der Göttin schon in ein paar Monaten ins Angesicht treten. Zumindest hatte der Doktor das heute Morgen so gesagt. Er schluckte hart und versuchte, die aufsteigenden Emotionen im Zaum zu halten.
Rabenfeder setzte an etwas zu sagen.
"Süß, dass du dich um mein Wohlergehen sorgst," sagte er energisch, "aber ich kann durchaus selber auf mich aufpassen." Ein weiterer Jemand, der ihm vorschrieb, wie er sein Leben zu leben hatte, war so ziemlich das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Wütend funkelte er sie an. „Außerdem kannst du dir deine dämlichen Ratschläge sonst wo hin schieben. Ja, ich weiß auch selber, dass es keine gute Idee ist zu kiffen. Aber deshalb mache ich es ja auch nicht ständig."
"Mir wäre es trotzdem lieber, du würdest es gar nicht tun," sagte sie leise. Der liebevoll besorgte Ausdruck auf ihrem Gesicht nahm seiner Wut ein wenig den Wind aus den Segeln.
Er seufzte resigniert und starrte ins Leere. "Mir auch," murmelte er kaum hörbar. „Aber... manchmal kann ich der Versuchung, wenigstens für ein paar Stunden abzutauchen, nicht widerstehen." Als er den Blick hob, lag ein bittender Ausdruck in seinen Augen. „Wie gesagt, ich pass auf. Versprochen."
Abschätzend sah Rabenfeder ihn an. Dann nickte sie langsam. "Okay."
Eine Weile herrschte betretenes Schweigen.
"Ist sonst eigentlich alles in Ordnung bei dir?" fragte Rabenfeder vorsichtig.
"Ja," sagte er hastig.
"So schlimm?"
Er lächelte matt. "Hätte ich wissen müssen, dass du mich durchschaust?"
"War kein großes Kunststück. Man kann viel über dich sagen, aber Unzuverlässigkeit gehört eigentlich nicht dazu." Sie zuckte mit den Schultern. „Als du mich nicht wie verabredet an meinen Räumlichkeiten abgeholt hast, dachte ich mir gleich, dass was faul ist." Sie machte eine kurze Pause, legte den Kopf schief und blickte ihn abwartend an. "Willst du darüber reden?"
Er zwinkerte ihr schelmisch zu. "Stimmt. Ist sonst eigentlich nicht meine Art, eine hübsche Dame einfach so sitzen zu lassen. Auch wenn sie meine Halbschwester ist."
Sie kicherte leise vor sich hin und Rabenklaue stieß einen tiefen Seufzer aus. "Wenn du die Wahrheit hören willst: Ich hatte heute einen scheiß Tag. So Scheiße, dass ich das Meeting komplett vergessen habe."
"Aber nicht Scheiße genug, um deinen Kummer in Drogen zu ertränken?"
Als er sie ansah umspielte der Hauch eines Lächelns seine Mundwinkel. "Doch. So Scheiße, dass ich ein komplettes Kilo auf einmal rauchen könnte."
Rabenfeder sog scharf die Luft ein.
"Alter, das war ein Scherz," fügte er hastig hinzu und das schelmische Lächeln verschwand so schnell wie es gekommen war. "Ich bin völlig nüchtern, kapiert? Außerdem würde ich nie ein ganzes Kilo von was auch immer auf einmal rauchen. Ich bin schließlich nicht lebensmüde. Und es ist neun Uhr früh und kenne ich mich hier nicht aus. Ich will nicht riskieren irgendwelchen Scheiß untergejubelt zu bekommen. Wie gesagt, ich pass auf."
"Sei bitte trotzdem vorsichtig."
Er nickte leicht genervt. Konnte sie nicht endlich akzeptieren, dass das seine Sache war?
Stille breitete sich zwischen ihnen aus.
"Willst du jetzt darüber reden oder nicht?" hakte Rabenfeder vorsichtig nach.
"Worüber?"
"Deinen Tag. Wenn er so früh schon so scheiße war..."
Ihre Worte schwebten für einige Augenblicke wie ein süßes Versprechen in der Luft. Er hätte sich gerne jemandem anvertraut, aber er brachte es nicht über sich. Was er vorhin erfahren hatte war in mehrfacher Hinsicht viel zu ungeheuerlich, um es mit einem anderen Menschen zu teilen. Und so schüttelte er nur traurig den Kopf. "Danke für das Angebot Schwesterchen, aber ich denke, ich komme auch alleine klar."
Sie blickte ihn forschend an und er musste sich alle Mühe geben, nicht mit der Hand über den Mund zu fahren oder ebenfalls an sich hinunter zu starren, um sich zu vergewissern, dass er keine verdächtigen Flecken übersehen hatte, die ihn möglicherweise verrieten. Wobei sie dann vermutlich sowieso nur denken würde, dass er vor lauter Alkohol gekotzt hatte.
"Das Angebot steht aber weiterhin. Nur für den Fall, dass du doch mal reden willst."
Er nickte kaum merklich. "Danke."
Rabenfeder nahm seine Hand und drückte sie sanft. "Keine Ursache. Du hast mir schließlich auch schon oft genug den Arsch gerettet."
"War doch Ehrensache," sagte er und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Doch auch diese Geste konnte sie nicht über die Leere in seinem Blick hinwegtäuschen, die ihr schon in letzten Wochen ab und an bei ihm aufgefallen war. Wenn er ihr doch nur endlich sagen würde, was ihn derart beschäftigte.
"Wie war eigentlich dein Tag?" fragte er nach einigen Augenblicken einträchtiger Stille.
Sie zuckte mit den Schultern. "Vor ein paar Minuten hätte ich ebenfalls beschissen gesagt, aber verglichen mit dem, was du durchgemacht zu haben scheinst, war es wohl ganz okay."
"Möchtest du reinkommen und darüber reden?" fragte er, froh endlich ein anderes Thema gefunden zu haben, auf das er sich konzentrieren konnte.
Sie nickte. "Also wenn es dir nichts ausmacht."
Rabenklaue winkte ab. "Ach iwo. Ich muss mich so oder so noch frisch machen." Er deutete mit großer Geste an sich hinunter. „Wenn ich in dem Aufzug zum Meeting erscheine, wird die Rabenmutter mich ohnehin zwei Sekunden später in Schimpf und Schande zurückschicken. Mit der ausdrücklichen Anweisung nicht eher wieder zu kommen als dass ich ordentlich angezogen und frisiert bin."
Er trat einen Schritt zur Seite und hielt ihr die Tür auf.
"Für den Fall, dass du dich setzen möchtest, das Sofa kann ich dir wärmstens empfehlen. Hab's Gestern eine Weile ausprobiert."
"Nach der Party noch?"
"Ja klar." Er gluckste leise. „Wann denn sonst. Sagen wir mal so: ich hatte noch Besuch."
"Oh," murmelte Rabenfeder und wurde rot. "Ich glaube in dem Fall steh ich lieber."
"Keine Angst, ist nicht das, was du jetzt denkst." Amüsiert schüttelte er den Kopf und hob demonstrativ beide Hände, wie um sich zu ergeben. Manchmal war sie schon putzig. "Ich versichere dir, dass bisher niemand auf dem Sofa durchgevögelt wurde oder so. Zumindest nicht von mir. Für das, was andere Gäste vor mir getan haben, übernehme ich keine Garantie." Immer noch grinsend lief er in den angrenzenden Raum, um sich seinen Frack zu holen.
"Willst du mir jetzt eigentlich erzählen was los ist oder lieber doch nicht?", fragte er, als er wieder zurück war und begann sich zu entkleiden.
"Ach, vermutlich findest du es lächerlich," sagte Rabenfeder und knetete verlegen ihre Hände, "aber die Rabenmutter hat mich heute morgen gebeten darüber nachzudenken, den diplomatischen Teil des Wettlaufes zu übernehmen.
Eigentlich hatte ich auf ein paar ruhige Tage gehofft, in denen ich mich nur auf mein eigenes Leben und die Finanzen der FerrumMars konzentrieren könnte. Du weißt ja, das Geschäft läuft eher mäßig und ich bin gerade dabei die Firma auf Weisung von ganz oben komplett umzustrukturieren.
Aber nun..." Sie seufzte resigniert. "Das Schlimmste ist, ich soll da ganz alleine hin."
Rabenklaue brummte irgendetwas Unverständliches während er frische Unterwäsche aus dem Schrank nahm.
"Das ist eine mega wichtige Mission. Wenn du tatsächlich König werden solltest, dann muss vorher noch allerlei im Hintergrund geregelt werden." Sie machte eine unbestimmte Handbewegung. "Aber ich habe so was noch nie gemacht. Ich... Ich verstehe einfach nicht, warum die Rabenmutter ausgerechnet mich darum gebeten hat, mit den anderen Adelshäusern zu verhandeln. Es gibt zig Leute, die darin wesentlich geschickter sind als ich."
"Aber die verfolgen meistens ihre eigenen Interessen," warf Rabenklaue ein und betrachtete abwägend seine Anzughose. "Deine Loyalität steht hingegen außer Zweifel."
Die Falten der letzten Nacht waren zwar erst auf den zweiten Blick als solche zu erkennen, aber schon allein der Umstand, dass sie da waren, könnte im Zweifelsfall für Gerede sorgen.
"Mir doch egal. Ich will einfach nicht," sagte Rabenfeder aufgebracht. „Ich hasse es, mich mit zwielichtigen Leuten abzugeben, über deren Absichten ich allenfalls spekulieren kann, und in deren Gegenwart ich ständig jedes Wort auf die Goldwaage legen muss, bevor ich es von mir gebe. Ich hasse es, alleine die ganze Verantwortung in so einer wichtigen Sache zu tragen und ich hasse es, ewig von Zuhause weg zu sein." Sie schien ein ganzes Stück in sich zusammen zu sacken. "Mit Zahlen und Daten umgehen kann ich gut. Aber nicht mit Menschen. Da hilft auch alles Training nichts."
Eine Weile herrschte Schweigen.
Er verschwand ins Bad und für einige Atemzüge war nichts als das leise Rauschen des Wassers zu hören.
"Warum lehnst du den Auftrag nicht einfach ab?" fragte er nachdenklich während er sich die  dunklen Haare mit einem weißen Frotteetuch trocken rieb und einzelne Strähnen mit den Fingern in Form brachte.
"Sag mal spinnst du? Eine Bitte der Rabenmutter lehnt man nicht einfach so ab."
"Warum nicht?" Er ging zum Hocker, auf dem er vorhin seinen Frack und die Unterwäsche abgelegt hatte und begann sich einzukleiden. „Wenn ihr die Möglichkeit, dass du ablehnen könntest nicht gefällt, hätte sie dich doch wohl gar nicht erst gebeten, darüber nachzudenken sondern dich stattdessen gleich in den Flieger kommandiert," nuschelte er, während er, die Krawatte im Mund, in sein Hemd schlüpfte.
"Sie hat lediglich aus Höflichkeit gefragt, glaub mir. Wenn ich ablehne, wird sie sich was anderes einfallen lassen, um mich genau dorthin zu bringen, wo sie mich sehen will."
"Das glaube ich kaum. Ich habe auch schon Aufgaben abgelehnt, die sie mir übertragen wollte. Weißt du was dann passiert ist? Nichts."
Rabenfeder seufzte und schüttelte vehement den Kopf während er sich nun doch eine frische Anzughose aus dem Regal zog.
"So ein Verhalten lässt sie maximal bei dir durchgehen. Rabenklaue, du weißt genauso gut wie der restliche Hofstaat, dass die Rabenmutter dir mehr erlaubt als allen anderen. Aber an mir hat sie leider keinen Narren gefressen." Resigniert ließ sie die Hände in den Schoß sinken. Langsam fing sie an zu bereuen, die Sache überhaupt angesprochen zu haben. "Wenn die Rabenmutter mir sagt, ich soll über die diplomatische Reise nachdenken, meint sie damit, dass ich mir überlegen soll, ob ich den Mist freiwillig oder unfreiwillig erledigen möchte."
Sie blickte Rabenklaue abwartend an, der mit geübten Fingern eilig den Konten seiner Krawatte band, doch sein Schweigen war ihr Antwort genug.
"Komm," sagte sie tonlos und erhob sich, "wir sollten die anderen nicht länger als nötig warten lassen."
Er nickte kaum merklich, hielt sie jedoch kurz vor der Tür noch einmal zurück. "Sag mir einfach, wenn ich dir irgendwie helfen kann, okay?"

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