42. Kapitel - Du bist dieser Typ


"Hi," sagte er unsicher.

Langsam wandte die dunkelhaarige Schönheit am Barhocker den Kopf.
Ein anzügliches Lächeln lag auf ihren schmalen, rot bemalten Lippen, doch es erlosch sofort, als sie ihn erkannte.
"Mark?" Sie legte den Kopf schief und musterte ihn irritiert. "Was machst du denn hier?"

Er steckte die Hände in die Hosentaschen und zuckte verlegen lächelnd mit den Schultern. "Keine Ahnung. Also das heißt, eigentlich weiß ich schon, warum ich hier bin, sonst würde ich wohl kaum vor dir stehen, aber ... ja. Ich bin jetzt da wo ich hinwollte. Also zu dir."

Für einige Herzschläge starrte sie ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Dann deutete sie langsam auf den roten Button an seiner Brust.

Nachdem Mark vorhin unbedachterweise verraten hatte, dass er auf Leonardos Ratschlag hier war, hatte der Türsteher ihn plötzlich mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt.
Warum hast du das nicht gleich gesagt?, hatte er gefragt und ihm mit einem freundschaftlichen Schulterklopfen einen kleinen, roten Ansteckknopf überreicht.
Dann hatte der Türsteher, der sich übrigens als "Alex" vorgestellt hatte, Mark noch geraten, möglichst in den oberen Stockwerken mit seiner Suche nach CIS.A. anzufangen, wo die Preise für den Zutritt in, für Marks Verhältnisse, schwindelerregende Höhen stiegen, da Leonardos Schwester, soweit er wusste, gerade eine steile Karriere hinlegte. Wenn das so weiterging würde sie ihren Bruder vielleicht irgendwann abzocken.
Mark sollte sich aber keine Sorgen machen, denn mit dem roten Ansteckknopf würde er überall Zutritt erhalten, auch wenn sich einige vermutlich durchaus fragen würden, woher so ein schmuddeliger Junge wie er, das Geld für einen VIP-Knopf herbekommen hatte.
Auch wenn Mark die ganze Zeit über viel zu perplex gewesen war, um wirklich darauf zu reagieren, hatten sich die Worte des Türstehers als sehr hilfreich erwiesen. Und mehr noch der rote Ansteckknopf. Selbst die Eingangskontrolle im fünfundzwanzigsten Stock, hatte Mark kommentarlos durchgewinkt. Dort waren fast ausschließlich Leute mit roten oder schwarzen Buttons zu finden gewesen. Hier, im neunzehnten Stock, gab es noch einige Besucher mit grünen oder braunen Knöpfen. Doch selbst die, waren ausnahmslos deutlich besser gekleidet als er. Auch wenn immer alle pflichtbwusst wegschauten, sobald er sich umsah, konnte Mark die neugierigen Blicke in seinem Rücken spüren.

"Du willst also zu mir?" sagte CIS. A. gedehnt.

Überrascht riss er die Augen auf und trat hastig einen Schritt zurück.
"Nein, nein, nein, nein," murmelte Mark schnell und spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. "So war das nicht gemeint. Ich bin hier weil," er machte eine kurze Pause, um nach den richtigen Worten zu suchen, "weil ich deine Hilfe brauche."

"Du brauchst meine Hilfe?" murmelte sie zweifelnd. "Wobei?"

Unsicher blickte Mark sich um. Das Freudenhaus war heute gut besucht. Wahrscheinlich war es immer gut besucht. So oder so, er konnte keine Mithörer gebrauchen.

Er setzte an etwas zu sagen, doch Larissa unterbrach ihn mit harscher Geste. "Sag mal, kann es eigentlich sein, dass Leonardo dich schickt?"
Die unerwartete Aggressivität in ihrer Frage überraschte ihn. Früher war Larissa immer so fröhlich und nett zu allen und jedem gewesen.
Hatte er sie in irgendeiner Weise beleidigt?

"Schickt er dich jetzt, ja oder nein?" wiederholte sie ungeduldig.

"Jein," stammelte Mark, völlig überfordert.
So hatte er sich das Treffen mit seiner ehemaligen Klassenkameradin nicht vorgestellt.

"Was genau verstehst du unter jein?"
Ihre Finger trommelten einen unruhigen Takt auf die Glasplatte des Tresens.

Er holte tief Luft. "Also. Das ist etwas kompliziert."
Wieso ahnte sie überhaupt, dass ihr Bruder seine Finger im Spiel hatte?

"Ich höre."

Er blickte sich erneut um und schüttelte den Kopf. "Können wir nicht irgendwo reden, wo wir ungestört sind?"

"Nicht, wenn du für meinen Bruder arbeitest. Sag ihm, dass er sich seine Bande sonst wo hin schieben kann. Ich kooperiere nicht mehr, ganz egal, was er dir erzählt hat."

"Aber..." murmelte Mark verzweifelt.

"Was aber?" fragte sie spitz und schürtzte die blutrot bemalten Lippen. "Wenn Leonardo dir zur Strafe den Hintern versohlt, ist mir das egal."

"Es geht auch nicht um mich. Sondern um meine Schwester."

"Interessiert mich nicht. Da du offensichtlich doch mit Leonardo zusammenarbeitest, werde ich dir nicht helfen. Ganz egal, worum es sich dabei handelt.
Schon allein aus Prinzip."

Mark biss sich auf die Lippe, senkte den Blick und blinzelte gegen die aufkeimende Verzweiflung an.
Er hasste es, es zugeben zu müssen, aber es war nicht nur die Aussichtslosigkeit seiner Lage, die ihm die Tränen in die Augen trieb, sondern auch die unerwartete Härte in den Worten seiner einstmals guten Freundin.
Patrick hatte wirklich Recht, er war ein verdammter Idiot.

"Sag mal, du wirst jetzt doch wohl nicht anfangen zu flennen wie ein kleines Kind, nur weil ich dir gerade eine Abfuhr erteilt habe?"

Mark schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
Mit schnellen Schritten durchquerte er den großen Saal.

Eine spärlich bekleidete junge Frau, die eine riesige Weinflasche in der Hand hielt, tänzelte mit wippenden Hüften auf ihn zu. Mark beschleunigte unwillkürlich seine Schritte. Sie sollte bloß nicht auf dumme Gedanken kommen.
Und er besser auch nicht.

Fest entschlossen, den Saal zügig zu verlassen, zog er die Schultern hoch, wandte den Blick ab und starrte demonstrativ in die entgegengesetzte Richtung.
Dort saß eine Gruppe älterer Herren an einem der ausladenden Tische neben dem Fenster. Einer von ihnen zog unter lautem Gejohle der Umstehenden völlig ungeniert das Mädchen zu sich auf den Schoß, das gerade im Begriff war kleine Appetithappen zu servieren.

Mit mulmigem Gefühl beschleunigte er seine Schritte noch ein wenig mehr. Er sollte diesen widerlichen Ort so schnell wie möglich verlassen.
Sonst - er bremste abrupt ab, weil ein gutaussehender Jüngling, der bestimmt nicht viel älter war als er selbst, eiligen Schrittes seinen Weg kreuzte.

"Hi," gurrte eine lallende Stimme von hinten in sein Ohr und ein Körper mit gut ausgeprägten weiblichen Rundungen schmiegte sich sanft an seinen Rücken.
Im ersten Moment bleib er völlig erstarrt stehen. Der Geruch von Alkohol und schwerem Parfum stieg in seine Nase.
"Du siehst so traurig aus," fuhr sie fort, "ich bin mir sicher, ich könnte dich aufheitern."
Sie ließ ihre Hand, die bis jetzt auf seiner Schulter geruht hatte, langsam nach unten gleiten.
Verärgert schüttelte Mark sie ab. "Lass das!"
Als er sich umdrehte, schaute er direkt in das stark geschminkte Gesicht des Mädchens mit der Weinflasche. Ihre schwarz umrandeten Augen blinzelten ihn verwirrt und fragend an.

"Habe ich euch erzürnt, mein Herr?"

"Nein."
Er wollte Anstalten machen, sich wieder umzudrehen und seine Flucht in Richtung Ausgang fortzusetzen, als sie ihre Hand erneut auf seine Schulter legte.
Unsanft wischte er sie von sich.
"Ich will nicht von dir belästigt werden, okay?" raunzte er.

Sein Ärger verflog jedoch sofort, als er sah, wie sie betroffen den Kopf senkte und angestrengt auf ihre Fußspitzen starrte. "Es ist ..., weil ihr mich ... hässlich findet, ... oder?"
"Ihr müsst mir natürlich nicht antworten, wenn es euch nicht genehm ist, mein Herr," schob sie schnell hinter. "Ihr würdet mir damit lediglich einen großen Gefallen tun. Ihr seid nun schon der dritte in Folge, der mich heute abweist und wenn das so weitergeht, dann," sie schluckte hart, "... dann schmeißen die mich raus."

Er hätte gerne etwas erwidert, aber sein Kopf fühlte sich an wie leergefegt, während er unbeholfen neben dem Freudenmädchen stand. Eigentlich wollte er nur weg hier, aber es widerstrebte ihm zutiefst sie einfach so stehenzulassen. Sie war noch so jung. Viel zu jung.

"Ich ... finde dich nicht hässlich," murmelte Mark schließlich unbeholfen und starrte ebenfalls verlegen auf ihre rot lackierten Zehen, die in engen, hochhackigen Sandalen steckten.

"Wirklich?" flüsterte sie zweifelnd und blickte wieder zu ihm auf.

Der Ausdruck in ihren Augen erinnerte ihn an Mia.
Sie hatte ihn auch manchmal so angesehen. Mit dieser Mischung aus Bitte, Hoffnung und ungerechtfertigter Bewunderung.

"Wirklich," bestätigte er mit belegter Stimme und schluckte.

In diesem Moment krümmte sie sich plötzlich und erbrach sich über seine Füße.

Überrascht starrte Mark auf den rötlichen Brei, der langsam in seine Schuhe sickerte und eine kleine Pfütze auf dem geschniegelten Parkettboden bildete.

Sie würgte erneut, dieses Mal jedoch ohne sich zu erbrechen.

Hilflos blickte er sich um. Sie musste weg von hier. Aber wohin?

Die Umstehenden schienen jedenfalls nicht bereit, ihr zu helfen.
Sie alle blickten verlegen zur Seite, sobald sein Blick sie streifte. Oder taten so, als hätten sie nichts bemerkt.

Das Mädchen, das eben noch auf dem Schoß des korpulenten Herrn gesessen hatte, gab einer etwas älteren Arbeitskollegin ein Zeichen, die daraufhin ihr Tablett mit den Appetithappen auf dem Tresen abstellte und mit besagtem Herrn hinter einem der zahlreichen Vorhänge verschwand, die in jeder der sechs Wände des großzügig ausgestatteten Saals zu finden waren.

Der Jüngling von vorhin hatte sich zu einer Gruppe von Damen Mitte Dreißig gesetzt und kramte in einem Wagen, während er mit großer Geste etwas erzählte, das einige von ihnen mit durchtriebenem Lächeln quittierten.

Das Freudenmädchen würgte erneut. Spuren von Erbrochenem klebten ihn ihrem langen, seidig glänzenden Haar.

Hier drin konnte sie nicht bleiben. Dazu war es zu warm, zu stickig und zu überfüllt. Viel zu viele verstohlene Blicke, denen sie schutzlos ausgeliefert war.
Doch nach draußen, an die frische Luft zu gehen, war auch keine Option.
Sie befanden sich immerhin im neunzehnten Stock.
Außerdem legte Mark auch nicht allzu viel Wert darauf, mit einer Prostituierten an einer Straße zu stehen, auf der jederzeit Leute vorbeikommen konnten, die er kannte.

Aus Mangel an Alternativen nahm er sie sanft beim Arm und führte sie auf eine etwas ruhigere Ecke zu.
Seine Stiefel hinterließen dabei eine Spur aus schmierigen Fußdappen. Aber das war nicht sein Problem. Sollten sich die Besitzer des Bordells doch darum kümmern.

Das Freudenmädchen kicherte leise. "Wohin gehen wir?"

"Alles gut," murmelte er und nötigte sie, sich auf den Boden zu setzten.
"Du bleibst jetzt erst einmal hier sitzen und entspannst dich ein wenig. Ich komme gleich wieder."

"Bringst du mir 'nen Drink mit?" fragte sie und lächelte ihn unschuldig an.

"Später," murmelte er halblebig.
"Darf ich?" Er deutet auf die Weinflasche, die sie immer noch umklammert hielt.

Sie nickte langsam und beobachtete ihn intensiv.

Vorsichtig nahm er ihr die Flasche aus der Hand und richtete sich auf.
"Du bleibst hier bis ich wiederkomme, okay?"

Sie starrte ihn weiterhin mit großen Augen an, ohne eine Reaktion zu zeigen.

"Hast du das verstanden?" fragte er erneut.

"Ich glaube, ich kenne dich," wisperte sie wie in Zeitlupe. "Du bist der Typ, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist."

Mark erstarrte irritiert und blieb für einige Herzschläge wie vom Donner gerührt stehen. Er war sich sicher, sie noch nie zuvor gesehen zu haben.
Doch in einer Stadt von dieser Größe musste das nicht zwangsläufig etwas heißen.

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