17. Kapitel - Aus dem Leben einer Prinzessin

Die Leute sagen, es ist das größte Geschenk des Schicksals, als Prinzessin auf die Welt zu kommen. Doch sie haben keine Ahnung. Die Kehrseite der Macht ist stehts die Einsamkeit. Denn wo Reichtum und Ehre hausen, sind auch Neid und Missgunst nicht weit. Das wusste jedes Kind.

Wie hatte sie nur so naiv sein können?
Resigniert drückte Rabenfeder das Buch fester an sich. Sie mochte das Gefühl. Es hatte etwas seltsam Tröstliches. Vielleicht lag es auch an der Geschichte. Der wunderbaren, herzerwärmenden Erzählung einer Freundschaft, die alle Grenzen überwindet und allen Widrigkeiten zu trotz bestehen bleibt. Sie liebte dieses Buch und durfte trotzdem mit niemandem darüber reden. Denn erstens, war es genaugenommen gar nicht mal ihr Buch und zweitens offenbarte es ihre größte Schwäche.
Sehnsüchtig strich sie mit dem Finger über die Buchstaben auf dem Einband. Für immer und ewig, stand darauf zu lesen.
Im Buch ging alles gut aus. Wie immer in solchen Geschichten. Aber die Wirklichkeit schien viel mehr eine Vorliebe für Tragödie zu haben als für HappyEnds.
Eine einsame Träne rann ihr die Wange hinab.
Wie hatte sie nur ernsthaft glauben können, dass sie und der Champion vielleicht Freunde werden könnten?  Auch wenn sie wusste, dass diese Freundschaft niemals von Dauer hätte sein können. Aber anscheinend war das Mädchen aus der Unterschicht auch kein bisschen anders als die Leute hier im Palast.
Deprimiert ließ sie ihren Blick über den nächtlichen Rosengarten schweifen. Es war noch nicht einmal ganz Mittag, aber ein Fingertipp auf dem RR genügte und aus Tag wurde Nacht. Sie war Herrin über Wind und Regen, Licht und Schatten, Tag und Nacht.
Zumindest in ihrem Zimmer.
Sie lächelte wehmütig.
Die Simulation des nächtlichen Rosengartens war ihre liebste. Sie erinnerte sie an ihre lieblings Szene im Buch:
Maja und Ronja sitzen auf einer Bank inmitten von Rosen. Dort erzählen sie sich ihre geheimsten Geheimnisse, betrachten den Nachthimmel und schwören sich ewige Freundschaft.
Solange sie denken konnte, hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht als eine Beste Freundin. Jemanden, mit dem man über alles reden konnte. Jemanden, der einem in schwierigen Situationen beistand. Jemanden, mit dem sie einfach Spaß haben konnte. Vor allem aber jemanden, der aus freien Stücken mit ihr befreundet war, weil er sie als Person mochte und nicht wegen ihrer Stellung, ihrem Reichtum oder gar weil man es ihm befahl. Sie wünschte sich eine Freundin wie Ronja sie im Buch bekam.
Und vor wenigen Wochen hatte sie des Nachts einen Traum gehabt...
Sie schüttelte den Kopf. Träume sagten nichts über die Zukunft aus. Sie waren lediglich ein wirres Konstrukt des Gehirns. Ganz egal was die Priester über nächtliche Botschaften der Rabengöttin, Zukunft, Schicksal, Prophezeiung und so weiter und so fort schwabulierten.
Sie würde sich wohl oder übel mit der Leere in ihrem Inneren abfinden müssen. Sie lachte trocken. Es war ein trostloser, verbitterter Laut. Hier, in der Residenz des Raben, war sie tagein tagaus umzingelt von Menschen. Und dennoch fühlte sie sich allein. Das war wahrhaftige Ironie des Schicksals. Sofern man denn an Schicksal glaubte.
Eine Zeit lang hatte sie versucht diese innere Leere mit Äußerlichkeiten auszufüllen. Sie hatte täglich Stunden in Beautysalon, Boutique und begehbarem Kleiderschrank zugebracht. Versucht der Gesellschaft von oberflächlichen, kichernden Cousinen und großmäuligen Cousins etwas abzugewinnen. Aber man hatte mit ihnen über nichts ernsthaft reden können, es sei denn man wollte, dass es die ganze Welt erfuhr. Sie hatte sich angepasst. War auch zu einem plappernden, hohlköpfigen Monster geworden.
In gewisser weise hatte der Champion oder besser gesagt Ravenna also Recht. Sie war tatsächlich eine oberflächliche Dummtussi. Aber es tat trotzdem weh das gesagt zu bekommen.
Sie seufzte. Manchmal spielte sie mit dem Gedanken, der Göttin das Geschenk des Lebens zurück zu geben.
Federn rauschten. Aus den Augenwinkeln konnte sie einen schwarzen Fleck ausmachen, der mit anmutig gespreizten Federn auf sie zu flog. Dem Zwielicht zum Trotzt hatte sie keine Mühe ihren kleinen Gefährten zu identifizieren.
Schon spürte sie seine weichen Federn auf ihrer Haut und die feinen Krällchen, die sich auf ihre Schulter legten. Sie seufzte erneut.
Cubert krächzte leise und rieb seinen Kopf zärtlich an ihrer Wange. Lieb von ihm. Zum Dank kraulte Rabenfeder ihn am Bauch. Dort mochte er es besonders gerne.
Cubert zählte zu den wenigen Dingen in ihrem Leben, an denen sie wirklich hing. Genau genommen, war er der einzige Freund, den sie jemals gehabt hatte.
Möglicherweise lag es auch daran, dass niemand mit einer Dummtussi wie ihr ernsthaft befreundet sein wollte. Als sie gemerkt hatte, dass sie auf dem besten Weg war, genauso wie ihre Cousinen zu werden, hatte sie versucht sich zu ändern. Den Lauf der Zeit umzukehren. Erfolglos, wie es schien.
Sie war immer noch dieselbe Dummtussi die sie auch schon Jahre zuvor gewesen war.
Nur mit dem kleinen Unterschied, dass nun auch Verantwortung übernehmen musste, Aufträge der Rabenmutter ausführen, endlose Einweisungen in Politik und Wirtschaft über sich ergehen lassen. Die "privaten" Gespräche mit gleichaltrigen Verwandten drehten sich nun nicht mehr um Klamotten und Aussehen, sondern um Geld und Macht, aber im Kern hatte sich nichts geändert. Manchmal fragte sie sich, ob die anderen tief im Innern nicht genauso fühlten wie sie.
Einzig ihr Halbbruder war manchmal zu ernsthaften Gesprächen bereit. Aber das kam ganz auf seine Laune an. Und wirklich verlassen konnte man sich auf ihn auch nicht.

Rabenfeder blickte hinauf zum falschen Mond, der den Sternenhimmel über dem Garten zierte. Er war groß und rund. So wie jeden Abend.
Der wirkliche Mond war im Besitz ihrer Familie. Sie bauten dort Rohstoffe ab, und hatten Kraftwerke errichtet, die nun aus Sonnenlicht und Radiowellen Energie erzeugten. Überhaupt gehörte der Großteil der wirtschaftlich interessanten Planeten ihrer Familie. Zwei waren sogar nach ihr benannt.
Ihre Dynastie hielt fast das alleinige Monopol auf den Weltraumhandel und zählte so zu den einflussreichsten Adelsfamilien. Und dass obwohl sie nur zweimal den König gestellt hatten. Aber das würde sich bald ändern. Ihr dämlicher Halbbruder hatte schon Bilder von sich machen lassen. Er rechnete fest damit bald selbst über dem Altar der Könige zu hängen.
Und auch ihr eröffneten sie zahlreiche Zukunftsperspektiven.
Sie seufzte.
Schon möglich, dass sie drauf und dran war eine der mächtigsten Personen des Sonnensystems zu werden, aber all das nutzte ihr zur Zeit herzlich wenig. Man kann sich eben nicht alles kaufen. Leider.

Es klopfte.

Rabenfeder kuschelte sich tiefer in ihren Sessel. Sie wollte allein sein.

Doch es klopfte erneut. Nachdrücklicher diesmal.

Sie konnte sich nicht vor der Realität verstecken. Auch nicht für ein paar lächerliche Minuten. Es war dumm so etwas auch nur zu denken.
Sie war eine Adelige, ein Rabenkind.
Sie musste ihre Pflichten erfüllen. Auch wenn das hieß, dass sie vierundzwanzig Stunden am Tag lächeln, zuhören und hinreißend aussehen musste.
Widerwillig stand sie auf.
Sie hatte schon so eine Ahnung, wer da klopfte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top