36 - Lesenacht 3

Mit zitternden Knien stand ich auf und lief in mein Zimmer. Ich knallte die Tür zu und ging rasch auf das Fenstern zu und machte es ganz auf.

Ich stütze mich ans Fensterbrett, schloss die Augen und zog gierig die frische Luft in meine Lunge. Ich versuchte, meinen Körper zu beruhigen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Hinter mir hörte ich die Tür, wie sie geöffnet und wieder zu gemacht wurde. An meinem Rücken spürte ich Damien und seine Hände auf meiner Taille. Ich ließ mich gegen seine Brust fallen und schloss meine Augen.

"Ich habe Jahre lang gelernt, mit dem Schmerz zu leben. Gelernt, dass die innere Ruhe und der Frieden nicht für mich gemacht sind. Gelernt, keine Emotionen mehr zu fühlen, gelernt, dass sich alles in einem Augenblick ändern kann und plötzlich ist man alleine.
Ich lernte und akzeptierte mein Schicksal und lebte meine traurigen Tage, einen nach dem anderen. Wie es aussieht, verfolgt es mich weiterhin. Warum war ich so dumm und glaubte, es wäre anders? "

"Weil es ist anders, Celeste. Es ist schon anders, siehst du es nicht? Du bist jetzt nicht mehr alleine, wir sind da, ich bin da, für dich und wir lassen nicht zu, dass dir jemand wieder weh tut. "

"Das ist aber schon passiert, Damien. Siehst du es nicht? Es ist da, alles ist wieder da drinnen.",sagte ich traurig und zeigte auf meine Brust. " Ich hätte einen lieben Vater haben können, der stolz auf seine Tochter sein könnte, der die Jungs erschrecken würde, die mir zu nahe kommen könnten. Einen Vater, der Morgens mit meinen Haaren zu kämpfen hatte, weil er keinen richtigen Zopf machen könnte, einen Vater, der mich lieben würde und mir kein Haar gekrümmt hätte.", sagte ich jetzt laut und mit einem Tränen überströmten Gesicht.

Ich drehte mich um und schaute in das traurige Gesicht von Damien. Er wollte mir helfen und wollte mir den Schmerz nehmen, das wusste ich. Aber das konnte er nicht. Ich musste alleine damit klar kommen, alleine loslassen und es alleine schaffen, mich zu befreien. Und gerade war das einzige, was ich machen konnte, meinen Schmerz laut raus zu schreien. Meine Enttäuschungen.

"Ich hätte einen Vater haben können, DER MICH LIEBTE, Damien! Einen Vater, der mir das jeden Tag sagen hätte können! Einen Vater, der mir Abends auf die Stirn küsste und mir eine gute Nacht sagen würde. Nicht einen, der das mit Fäusten tat. EINEN VATER, DAMIEN! EINEN Vater! Einfach....einen..... Vater!", sagte ich immer leiser werdend und weinte immer lauter.

Damien stürzte sich auf mich und drückte mich fest in seine Arme. So fest, das ich keine Luft mehr bekam, aber ich brauchte das und ich wollte nicht, dass er mich loss liess.

Ich weinte meinen Schmerz heraus. Ich weinte wegen dem schrecklichen Schicksal, dass mir das Leben gespielt hatte. Ich weinte wegen der Schläge, die ich bekommen hatte und wegen einem Vater, der nicht meiner war. Ich weinte für meine Mutter, die ich verloren hatte und für das Geheimniss, was sie vor mir verheimlicht hatte. Und ich weinte für einen Vater, den ich eigentlich hatte, aber trotzdem nicht.

Ich weinte!

Ohne Kraft und nicht mehr im Stande, auf meinen Beinen zu stehen, hob mich Damien hoch und trug mich ins Bett. Er legte mich langsam hin und breitete eine Decke über mich aus, dann wollte er aufstehen. Ich hielt ihn aber an seiner Hand zurück.
"Bitte bleib!"
Er legte sich sofort hinter mich und zog mich eng an seine Brust. Eine Hand schob er unter meinen Kopf und drückte mich fest in seine Arme.
"Ich bin da. Ich werde immer da sein!", sagte er leise und seine Worte beruhigten mich.

Ich schlief ein und träumte von einer schönen, grünen Wiese, mit vielen bunten Blumen. Ein Mann, der ein kleines Mädchen in den Armen hatte und wie er sie in der Luft herum wirbelte. Sie lachte herzlich und er auch. Dann setzte er sich zwischen all die Blumen, mit dem kleinen Mädchen auf dem Schoss. Langsam legte er ihre Haare hinter ihr Ohr, steckte ihr eine schöne, rote Blume ins Haar, dann küsste sie auf die Stirn.

Leise Schritte und geflüsterte Wörter vertrieben meinen Traum. Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht aufwachen und den Traum verlieren. Mit geschlossenen Augen lag ich weiterhin auf dem Bett und versuchte, die Stimmen ein zu ordnen. Es waren Damien und Cole.

Ich spürte eine warme Hand, die mir meine Haare streichelte und hörte eine leise Stimme. Das war aber nicht Damien.
"Es tut mir so leid, Kleines! Das wollte ich nicht. So so leid!"
Ich hörte, wie er tief durchatmete und dann wieder seine Stimme.
"Wie geht es ihr? Hat sie sich beruhigt?"
"Schrecklich, Cole! Ihr geht es nicht gut aber sie ist tapfer."

Cole stand auf und entfernte sich, denn seine Stimme war nicht mehr so nah zu hören.
"Das ist meine Schuld. Ich hätte meinen Mund halten müssen und nicht einfach so die Bombe platzen lassen sollen. Wie dumm von mir. Jetzt hasst sie mich bestimmt und sie hatte nicht mal die Chance, mich besser kennenzulernen."
"Nein, Cole. Das tut sie nicht. Sie weiß, was für eine Person du bist und sie hat gesehen, wie stark dich das alles getroffen hat. Sie kann dich nicht hassen. Es ist nur, dass sie jetzt Zeit braucht."
"Ich weiß. Und die werde ich ihr geben. Ich muss selber damit klar kommen. Ich werde sie nicht drängen. Und wenn sie mich nicht mehr sehen will, dann werde ich das akzeptieren, so sehr mir das weh tut. "

"Ich will das aber nicht, Cole.", sagte ich kleinlaut und er drehte sich erschrocken um.
"Ich wurde dir weggenommen und du hattest nicht die Chance, für mich ein Vater zu sein. Das ist nicht deine Schuld. Alles was passiert ist, ist nicht deine Schuld. Ich will aber Erklärungen. Woher weiß du das? Seit wann? "

Cole atmete schwer ein und wieder aus, dann fuhr er sich durch seine Haare. Ich schaute ihm ernst ins Gesicht . Er wirkte älter. Die Wärme in seinen Augen war nicht mehr zu sehen. Die Ruhe und der Frieden, den ich in seinem Gesicht lesen konnte, war verschwunden. Es war fast nichts mehr von dem alten Cole übrig geblieben.
Er machte den Mund auf und versuchte, etwas zu sagen, doch er schloss ihn wieder.
"Cole, sag es mir bitte."

Mein ganzes Leben ist gerade auf den Kopf gestellt worden. Alles, was ich wusste, was ich dachte, nichts davon war wahr.
Cole Stimme erweckten mich wieder aus meinen Gedanken.

"Das erste mal, als ich dich gesehen habe, dachte ich, ich hätte Kelly vor mir. Ich habe dann dein Gesicht genauer betrachtet und in deine Augen gesehen und es war so, als würde ich meine eigenen sehen. Ich war schockiert erstmal. Aber dann, dann dachte ich nicht weiter darüber nach. " Cole machte eine Pause um durchzuatmen und ich nutzte die Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten. Seinen Augen, Schoko Braun wie meine. Das war aber nicht alles, es war nicht nur die Farbe, es war das Gesamtbild. Erst jetzt sah ich eine leichte Ähnlichkeit. Wie aber war das möglich?

"Erzähl bitte weiter.", sagte ich leise.
"Du kamst, um in meiner Bar zu arbeiten. Als wir hinten in meinem Büro waren, wegen den Unterlagen, habe ich deine Kette gesehen. Das war der zweite Hinweis. Ich dachte, dass es viele solche ähnlichen Ketten gibt. Ich habe dann die Buchstaben auf der Rückseite gesehen. Das konnte langsam kein Zufall mehr sein."
"Ich versteh nicht ganz, Cole! Was hat das damit zu tun?"

Ich stand auf und blieb vor Cole stehen.
"Ich habe Kelly die Kette geschenkt. Sie ist von mir. Und C kommt von Cole und nicht von Christopher. "

"Das kann doch nicht sein! Meine Mutter sagte mir, sie ist von meinem Va....oh mein Gott! Nein.....nein. ", die Tränen brannten wieder in meinen Augen und ich erinnerte mich an den Moment, als sie mir die Kette schenkte. Sie war von meinem Vater, genau so, wie sie es mir gesagt hatte. Damien war an meiner Seite und drückte mich eng an seine Brust.
"Warum hat sie so etwas getan? Warum hat sie mir nichts gesagt? Und du...du wusstest nichts?"

"Nein, Celeste. An dem Tag ihrer Hochzeit habe ich sie das letzte mal gesehen und Kontakt mit ihr gehabt. Da wurde mir das Herz gebrochen, als sie entschieden hatte, ein anderen Mann zu heiraten. Sie war schon schwanger. Bis zur Geburt hatte sie nicht mehr lange. Sie sagte gar nichts darüber und ich fragte auch nicht, wie weit sie war, also ging ich davon aus, es wäre Christophers Baby."

"Das alles kommt mir richtig komisch vor. Es sind nur ein paar Hinweise, nichts besonderes. Augenfarbe, Kette......", ich stoppte mitten in meinem Gespräch und schaute, wie Cole sich sein T-shirt auszog.
"Cole wa.....?"

Er drehte sich um und präsentierte mir seinen Rücken und da war es. Meine Augen wurden groß und ich legte mir eine Hand auf meinen Mund. Ich konnte das nicht glauben. Wenn mir bis jetzt alles unklar war, das sollte, nein, das musste mir Bestätigung genug sein.

Ich liess Damien los und machte ein paar Schritte auf Cole zu. Mit zitternder Hand fuhr ich über das Zeichen, das ich selber seit meiner Geburt auf meinem Rücken trug. Ich zeichnete mit meinen Fingern das Petersilienblatt auf Coles Rücken nach.

"Das, Celeste, das war meine Bestätigung, dass du meine Tochter bist. An dem Tag am Strand habe ich es gesehen und seit dem quält mich der Gedanke daran jeden Tag. Seit dem Tag kämpfe ich damit, wie ich es dir sagen soll."
"Warum? Warum wurde mir das verschwiegen? Ich kann es nicht begreifen! Meine Mutter ....nein, nein!"

Mein Kopf fühlte sich immer schwerer an. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte, was ich glauben sollte.
Mit schnellen Schritten ging ich aus meinem Zimmer raus und direkt ins Wohnzimmer, wo ich vor Tante Marie stehen blieb. Ich funkelte sie genervt an und brüllte ihr meine Fragen ins Gesicht. Ich hatte genug von all dem.
"Wusstest du es? Hast du schon immer davon gewusst?
"Was, Celeste? Wovon redest du?"
"Stell dich nicht dumm, Tante Marie und Rede einmal Klartext. Wusstest du, dass Cole mein Vater ist ?"
"Ich....Celeste i..."
"JA ODER NEIN?"

Sie schaffte nicht mir ins Gesicht zu schauen und das war mir Antwort genug.
Mein Kopf war leer und mein Herz fühlte sich schwer an. Schon wieder würde mein Leben auf dem Kopf gestellt.
"Sag es!" , bot ich sie an."sag es einfach. Ich will es hören. Schau mich in die Augen und sage es, verdammt nochmal."

Zittrig hob sie den Kopf und schaute mich an.
"Ja, das ist er. Cole ist dein Vater."

Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Ich drohte zu explodieren und fing an zu zittern. Diese paar Worte klangen immer lauter in meinem Kopf und vor meine Augen wurde schwarz. Ich drohte umzukippen, doch Damien stand neben mir und hielt mich fest.

"Hey, Celeste, Celeste schau mich an. Bleib hier bei mir und schau mich an.", redete er auf mich ein und drehte mich um, damit ich ihn ansehen konnte. Ich blickte in seine warme Augen und versuchte mich zu beruhigen. Rechts von mir, sah ich Cole auf einem Stuhl sitzen, mit hängendem Kopf und Nicole neben ihm, eine Hand auf seiner Schulter.

Was für ein Unrecht wurde uns getan! Und ich verstand nicht, warum. Etwas wurde mir gerade klar, erschreckte mich noch mehr und Tränen der Verzweiflung fingen an zu fließen. Ich weinte und schluchzte laut. Damien versuchte mich zu beruhigen. Cole hielt es kaum noch aus und musste mit sich selbst und seinen Gedanken klarkommen. Nicole wusste nicht, was sie machen sollte und Tante Marie traute sie sich nicht, sich zu bewegen.

"Ich bin es.", sagte ich, "es ist meine Schuld, allein meine Schuld, dass ich so behandelt wurde.", das würde mir gerade klar.
"Was redest du da, Celeste!", fragte Damien.
"Es ist meine Schuld. Meine. Meine.", wiederholte ich immer wieder und die Tränen hörten nicht auf zu fallen.
"Das du geschlagen wurdest? Das meinst du?, und ich nickte in seine Richtung.

"Bist du bescheuert? Wie kannst du sowas denken?", und bei seinen Wörter hob Cole seinen Kopf und blickte in meine Richtung. Er stand auf und kam geradewegs auf mich zu.

"Celeste, wir würden beide schwer vom Leben bestraft. Du mehr als ich und wir müssen mit all dem klar kommen. Aber das, was du ertragen musstest, ist nicht deine Schuld. Sowas kann man nicht entschuldigen. Du konntest nichts dafür. Wenn er damit nicht klar kommen konnte, dann hätte er euch verlassen sollen. Er war aber ein Feigling.", sagte er leise.

Ich weinte weiter und sah, wie Cole eine Hand hob und vor meinem Gesicht stoppte. Er traute sich nicht und ich hatte auch keine Kraft mehr, etwas zu sagen. Er wollte mir meine Tränen weg wischen und mich trösten. Traute sich aber nicht. Dann ließ er die Hand wieder fallen und schloss seine Augen.

Ich drehte mich wieder Tante Marie um. Wischte mir einmal übers Gesicht und räusperte mich.

"Warum wurde es mir nichts gesagt? Und es wäre besser, wenn du mir erklären würdest ohne dich andauernd raus zu reden. Ich habe keine Kraft und keine Geduld mehr. Also, rede." Zum Glück kapierte sie und ließ mich nicht warten.

"Deine Mutter hat es ihm versprochen. Sie hat sehr gelitten, als sie Cole verloren hatte und mein Bruder stand ihr bei. Er hat sie geliebt, schon lange, Kelly hatte aber nur Augen für Cole. Kurz nach dem Cole weg gegangen ist, erfuhr sie, dass sie schwanger war. Sie war total durcheinander und wusste nicht was sie machen sollte. Die Zeit verging und langsam wurden ihre Gefühle intensiver, auch wenn mein Bruder schon wusste, dass ihr Herz immer für Cole schlagen würde. Ganz gehörte sie ihm nie. Kurz und knapp, sie haben entschieden, zu heiraten und das einzige was mein Bruder sie gebeten hat, war zu versprechen, niemanden zu sagen, dass sie mit Coles Kind schwanger war. Er würde das Kind adoptieren und als sein eigenes großziehen. Aus dem Grund wusstest du nichts davon."

Ich wollte mit alles beenden und mich irgendwo verstecken. Wir standen alle da, ohne ein Wort zu sagen und die Stille war erdrückend. Eine zu laute Stille.

"Ich will sie nicht mehr hier haben. Nicht jetzt. Ich ertrage sie heute nicht mehr. Bitte Damien!"

Cole hörte meine Worte, stand plötzlich auf, packte Tante Marie und zog sie hinter sich her.

"Hey Cole, was soll das?Spinnst du!, aber Cole hörte nicht. Vertieft in seine Gedanken ging er einfach weiter, ohne auf tante Marie zu achten. Sie zappelte und schrie weiter, bis Cole mitten im laufen stoppte und sie sauer anschaute.
"Du hast zwar noch viel zu erklären, also halt einfach deinen Mund." , dann ging weiter.
"Cole Nein, warte. " Er achtete aber nicht auf sie.
"Ich gehe lieber mit nicht das noch was passiert. Kommt ihr klar? Celeste, süße?!"

"Alles gut, Nicole, geh.", antwortete Damien an meiner Stelle. Ich war unfähig noch etwas zu sagen oder zu machen. Ich reagierte nicht mehr.

Ich hasste mein Leben. Ich hasste mich.

Ich würde gerne abhauen, mich in ein Loch verkriechen und nicht mehr raus kommen. Ich würde gerne alles vergessen.
All meine Enttäuschungen.
All meine Wunden.
Meinen ganzen Schmerz.
Meine Leben.

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