Tom Riddle
Januar 1978
Gwendolyn war sauer.
Diese wiederholenden Anspielungen ihrer Lehrer über das Ministerium waren nicht zufällig. Diese unterschwelligen Botschaften bedeuteten mehr und ihr Gefühl sagte ihr, dass ihr Vater insgeheim dafür verantwortlich war. Nun konnte sie es allerdings nicht länger ignorieren und musste der Sache auf den Grund gehen. Wenn ihr Vater wieder einmal das tat, was er am besten konnte – Fäden aus dem Hintergrund ziehen – dann musste Gwendolyn nun reagieren, denn sie hatte es satt! Es war an der Zeit, dass sie ihn damit konfrontierte.
Rasend vor Zorn bog sie in den Korridor ab und eilte auf den Wasserspeier zu. Doch noch bevor sie ihn erreicht hatte, spürte sie dieses seltsame prickelnde Gefühl, welches ihre eigene Wut und ihr Emotionschaos weiter verstärkte.
Von Weitem sah sie, dass der Wasserspeier den Eingang bereits freigegeben hatte. Jemand musste gerade vor ihr hoch in das Büro gegangen sein. Gedankenlos eilte sie auf die Treppe zu, um noch hindurch schlüpfen zu können, bevor der Türwächter die Öffnung wieder blockieren würde, als sie unsanft mit jemand zusammenstieß. Etwas Metallisches schepperte auf das Pflaster, Gwen verlor die Balance und stürzte rücklings zu Boden. Oder hatte die Person sie sogar von sich gestoßen? Es ging so schnell, dass sie es nicht wahrnahm.
Ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Handgelenke und ihr Steißbein und einige Atemzüge lang blieb sie verwirrt sitzen, ganz auf dieses seltsame Gefühl konzentriert, das ihr unheimlich bekannt vorkam. Verdutzt stellte sie fest, dass es die magische Aura der Person war, die sie umgerannt hatte.
In dem Moment, als ihr das klar wurde, spürte sie den gleichen aufflammenden Zorn, von dem sie gerade eben noch selbst gefangen gewesen war.
»Du dummes GÖR! Kannst du nicht ...«
Als Gwendolyn aufblickte, verstummte er. Für ein paar Sekunden lang, starrten sie einander perplex an, dann bückte er sich nach einer silbernen Krone, steckte sie ein und hielt Gwen schließlich eine Hand hin.
Sie sah ihm in die grauen Augen, die verschmitzt in seinem blassen Antlitz funkelten. Strähnen schwarzen Haars fielen ihm in das hohlwangige und doch hübsche Gesicht. Auf den schmalen Lippen lag ein kaum sichtbares Lächeln.
Zögernd ergriff Gwendolyn seine Hand und er half ihr auf.
»Verzeiht mir, Miss Dumbledore«, sprach er mit einer melodiösen Stimme, zog ihre Hand an seine Lippen und hauchte einen Kuss darauf, während er sie ansah, »selbstverständlich ist es mir eine Ehre, wo ich doch schon so viel über Sie gehört habe.«
Seine Augen schienen sie zu durchleuchten. Gwens Magen zog sich ruckartig zusammen, Ihre Haut prickelte. Er hatte von ihr gehört? Von ihr und nicht von ›Dumbledores Tochter‹? Ihr Herz klopfte wild, sie war verwirrt und bemerkte, wie ihre Wangen heiß wurden.
Der Fremde ließ ihre Hand los, doch seine grauen Augen hielten sie noch immer fest. Er lächelte, aber es war ein beunruhigendes Lächeln, als koste er einen Triumph aus.
»Wenn Ihr mich entschuldigt ...«
Es war eigentlich keine Frage gewesen, doch Gwendolyn nickte und daraufhin wandte er sich ab und ging mit festen Schritten den Korridor hinab. Gwen sah ihm mit klopfenden Herzen nach, bis er um die Ecke verschwunden war. Ein eiskalter Schauer lief ihr Rückgrat herab, als sie es wagte, zu spekulieren, wer dieser Mann gewesen war.
War es tatsächlich möglich?
Der Wasserspeier bewegte sich und Gwen sprang rasch durch den Spalt und erklomm die Stufen hinauf zum Büro ihres Vaters. Ihre Wut hatte sie über diese bizarre Begegnung bereits vergessen. Sie klopfte an und trat im selben Moment ein. Ihr Vater hatte sich gerade von seinem Schreibtisch erhoben, doch Gwen sah den besorgten Gesichtsausdruck nicht.
»Wer war dieser Mann?«, verlangte sie zu Wissen ohne ein Wort der Begrüßung.
»Guten Abend, Gwendolyn«, entgegnete er freundlich und Gwen verschränkte trotzig die Arme und hakte erneut nach. »Tom Riddle. Er kam, um sich für die Stelle als Lehrkraft für Verteidigung gegen die dunklen Künste zu bewerben.«
Verteidigung gegen die dunklen Künste? Konnte es sein, dass sie sich irrte?
»Und«, fuhr sie fort, »hat er die Stelle bekommen?«
Albus Dumbledore sah nun seine Tochter an und er war sichtlich verärgert. »Nein, hat er nicht, denn er schien mir nicht geeignet, als Autoritätsperson vor minderjährigen Hexen und Zauberern aufzutreten.« Er hielt ihrem prüfenden Blick mit Leichtigkeit stand. »Bist du deshalb heute Abend zu mir gekommen? Um mit mir die Besetzung der Lehrstellen zu erörtern?« Sein Ton war trocken.
»Nein«, antwortete Gwen, die mit ihren Gedanken noch immer bei der Begegnung war, »wie kommt es, dass mich einige Fachlehrer, wie zufällig, auf eine mögliche Karriere im Ministerium ansprechen?« Sie hatte genau das gesagt, was ihr auf dem Herzen gelegen hatte, direkt und ohne Umschweife.
»Nun vermutlich, weil du durchaus die Qualifikationen für eine erfolgreiche Karriere im Ministerium besitzt.«
Einen Moment schwiegen sie sich an. Dann ergriff Gwendolyn erneut das Wort und unterdrückte die Wut in ihr, die schon wieder hochkochte. »Es ist also ein Zufall, dass mich die verschiedenen Professoren auf dieselbe Art und Weise ansprechen?«
»Worauf willst du hinaus, Gwendolyn?«
»Was heckst du hinter meinem Rücken aus!?«
»Ich pflegte Kontakte zum Ministerium schon lange vor deiner Geburt«, entgegnete ihr Vater schlicht.
»Und was hat das mit mir zu tun?« Nun hatte die Wut gewonnen.
»Was das mit dir zu tun hat, Gwendolyn? Du absolvierst gerade dein letztes Schuljahr in Hogwarts. Deine Berufsberatung hat dir bei deiner Entscheidung nicht geholfen. Nein!«, antwortete er barsch, als Gwen ihm ins Wort fallen wollte. »Was, Gwendolyn, hast du dir konkret überlegt? Was willst du nach der Schule machen?«
»Ich ... ich weiß es noch nicht«, log sie. »Was nicht heißt, dass ich mir keine Gedanken darum mache.«
»Genau das habe ich befürchtet«, schloss Dumbledore und setzte sich zurück an den Schreibtisch. »Und genau aus diesem Grund habe ich mit Bartemius Crouch Senior von der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit gesprochen. Er würde dich-«
»Du hast was?«
Dumbledore sah sie verärgert über diese Unterbrechung an. »Ich habe mit ihm gesprochen und sie bieten dir nach deiner absolvierten Prüfung eine Aus-«
»NEIN!«
»Bitte?«
»Ich werde dort nicht hingehen!«, protestierte Gwen lautstark.
»Tatsächlich? Was würdest du denn stattdessen lieber machen, Gwendolyn?«
»Mir ist alles andere lieber! Ich lasse mich nicht länger von dir behandeln, als wäre ich nichts anderes als eine Schachfigur auf deinem Brett!«
»Gwendolyn, ich warne dich.«
»Wovor denn? Was willst du tun, hm? Ich bin volljährig! Glaubst du, du hättest noch irgendwelche Ambitionen auf die Art oder den Ort meiner Ausbildung?« Albus sah seine Tochter scharf an, aber sie ignorierte diesen Blick. »Nein! Ich suche mir alleine etwas und wenn ich keinen Beruf finde, die mich interessiert, dann mache ich das, was mir gefällt. Nicht dir! Ich habe es satt ständig-«
Doch ihr Vater ließ sie nicht aussprechen. »Ich werde nicht dulden, dass Dumbledores Tochter sich auf ihrer faulen Haut ausruht.«
Es war wie ein Schlag in ihr Gesicht, ein weiterer Schnitt in ihre Seele, der Gwendolyns Abscheu, ihre Abneigung bekräftigte.
Es war nie um sie gegangen. Er sorgte sich nicht um ihre Zukunft. Ihr Vater hatte immer nur um sein eigenes Ansehen gebangt, dessen war Gwen sich nun sicher.
»Du kannst gerne selbst wählen, was du tun willst«, fuhr er fort, »aber wenn du dich nicht bis nach den Prüfungen entschieden hast, dann wirst du zu Mr Crouch ins Ministerium gehen!«
Es klopfte an der Tür. Professor McGonagall betrat das Büro des Schulleiters mit einer Miene, als hätte sie den Disput von draußen mitbekommen und die Störung schien ihr äußerst unangenehm zu sein.
»Sollen wir unseren Termin verschieben, Albus?«, fragte sie den Schulleiter mit einem Blick auf die rasende Gwendolyn.
Er wollte antworten, doch Gwen kam ihm zuvor und sagte: »Nein, Professor, es wurde alles gesagt!« Und mit einem letzten hasserfüllten Blick auf ihren Vater stürmte sie aus dem Büro, eilte die Wendeltreppe hinunter und lief durch die Korridore.
Als sie in der Eulerei ankam, zog sie einen Fetzen Pergament und eine Feder aus ihrer Tasche und kritzelte fünf kleine Worte darauf, bevor sie eine Eule damit entsandte.
Einige Stunden später und viele Meilen weiter, landete eine Schleiereule auf dem Fenstersims eines großen, alten Herrenhauses.
Lucius stand auf, öffnete das Fenster und ließ die Schuleule hinein. Nachdem er ihr die Botschaft abgenommen hatte, verschwand sie wieder. Lucius entfaltete den kleinen Zettel und las die entschlossen gekritzelte Nachricht darauf: Ich bin mir ganz sicher!
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