Blacks Wandlung
»Sie tut dir nicht gut, Severus!« Gwendolyn war aufgebracht, sehr aufgebracht sogar, doch noch lange nicht so sauer wie ihr Freund.
»Ich will nichts mehr davon hören, Gwen. Lass mich einfach in Ruhe!«
Sie waren gerade auf dem Weg hinunter zum See. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel warm auf sie herab.
Gwendolyn hasste es. Sie hasste es, wenn Severus sich mit ihr stritt und sie hasste sie, denn sie verletzte ihren besten Freund zutiefst.
»Zieh' doch jetzt endlich einen Schlussstrich, Sev. Welche Zeichen brauchst du noch?«
Severus stapfte wütend einen der vielen Trampelpfade entlang, die Generationen von Hogwartsschüler in den Boden gelaufen hatten. Gwen trottete ihm hinterher und als er nicht reagierte, fuhr sie fort: »Ihr habt euch schon ewig auseinander gelebt und werdet in Zukunft verschiedene Wege gehen! Warum klammerst du dich so an eine trügerische Vergangenheit?«
Er antwortete ihr noch immer nicht und als das Ufer des Sees erreichten und ihre Lieblingsstelle in Sicht kamen, überholte sie Severus und stellte sich ihm in den Weg. Er funkelte sie wütend an.
»Lass sie endlich los, Sev! Es ist vorbei und-«, doch er unterbrach sie.
»Ach, was weißt du schon!«, brüllte Severus und wollte an Gwen vorbeigehen, aber sie versperrte ihm hartnäckig den Weg.
»Sev, sie behandelt dich wie das Letzte. Sie hat deine Aufmerksamkeit gar nicht verdient, auch andere Mütter haben-«
»GENUG!«, fauchte er. »Sprich nicht so über sie! Was weißt du schon über Liebe, Gwen? Du kennst doch gar nichts anderes, als deine blöden Bücher und deinen Stolz. Ich bezweifle stark, dass dir jemals jemand als gut genug erschien, dass du ihn lieben könntest.«
Gwendolyn schüttelte verdutzt den Kopf und wich perplex einen Schritt zurück. In einer solch abfälligen Art, hatte schon lange keiner mehr gewagt mit ihr zu sprechen und wäre es nicht ihr bester Freund gewesen, aus dessen Mund diese Worte kamen, hätte sie die betreffende Person erst einmal ordentlich durchgehext.
»Ach, das glaubst du also?« War alles, was ihr dazu einfiel.
Einen Augenblick lang sah Severus so aus, als würde er seine Worte bereuen, doch er war noch viel zu aufgebracht, um dies zuzugeben.
»Vergiss es einfach«, sagte er nur, drehte sich um und stapfte den Weg einfach wieder hinauf.
Gwendolyn blieb alleine am See zurück.
Nach ein paar Atemzügen der Besinnung schnaubte sie ungläubig. Sie würde ihm nicht ein zweites Mal hinterherlaufen. Sollte er doch tun, was er für richtig hielt – auch wenn es noch so dämlich war.
Betreten schlenderte Gwen zum Ufer, zog Schuhe und Strümpfe aus und ließ sich am Rand des Sees nieder, um die blanken Füße ins Wasser zu strecken. Rechts und links von ihr erhob sich meterhohes Schilf und schirmte sie von den Blicken anderer Schüler ab.
Sie dachte über Severus' Worte nach.
Wie konnte er nur so unfair sein?
Ja, er war wütend und aufgewühlt gewesen wegen des Streits mit Lily, aber das rechtfertigte noch lange nicht, was er ihr an den Kopf geworfen hatte.
Was bildete er sich eigentlich ein?
Sie hatte doch Lucius geliebt, bevor sich dieser entschied, vor seinem autoritären Vater zu kuschen und irgendeine Reinblütige zu heiraten.
Oder etwa nicht?
Die Erinnerung an ihn schmerzte. Natürlich hatte sie das, auch wenn sie es Severus gegenüber nie zugegeben hätte.
Sie hörte hinter sich Schritte, die vom Gras gedämpft wurden und neigte leicht den Kopf.
»Darf ich mich zu dir setzen?«
Gwen erkannte die Stimme sofort, umso überraschter war sie, dass er so höflich darum gebeten hatte und zu ihrer eigenen Verblüffung nickte sie zustimmend.
Sirius Black ließ sich neben ihr am Ufer nieder und begann damit ebenfalls seine Schuhe auszuziehen. Als er seine Füße, wie Gwendolyn, ins kühle Nass streckte, fragte er ohne sie anzusehen: »Ihr habt euch gestritten?«
»Wie kommst du darauf?«, antwortete Gwen in einem Ton, der jeden vom Gegenteil überzeugt hätte.
»Ich hab' euch gesehen.«
»Oh.« Ihre Fassade fiel.
Sie schwiegen eine Weile, doch es war nicht dieses unbehagliche Schweigen, in dem keiner von ihnen wusste, was er sagen sollte. Es war vielmehr ein Moment der Ruhe und des gegenseitigen Respekts.
Gwendolyn betrachtete die schwarze Oberfläche des Sees.
Sie war sehr in Lucius verliebt gewesen, doch warum konnte sie Severus nicht nachempfinden, wie er sich momentan fühlte?
»Er hängt noch sehr an ihr«, gestand sie nach einigen Minuten.
»An Lily?«
Gwendolyn nickte. »Das sie jetzt mit Potter zusammen ist ... hat ihm das Herz gebrochen.«
Black schwieg und Gwen war darüber dankbar. Sie hatte keine Lust auf einen weiteren Streit.
»Du magst ihn sehr, hm?«, hakte er nach.
»Er ist mein bester Freund!«
»Ich würde jeden anderen vorziehen!«
»Ja, so sehe ich das bei Potter auch ...« Sie lächelte und sah den Gryffindor zum ersten Mal, seit er sich zu ihr gesellt hatte, an. Seine grauen Augen funkelten und um seine schmalen Lippen bildete sich ebenfalls ein Lächeln.
»Das scheint also auf den Blickwinkel anzukommen.«
»Natürlich«, antwortete Gwen prompt, »so ist das doch mit allem.«
»Findest du?«
»Ja. Ob gut oder böse, arm oder reich, viel oder wenig. Das alles ist doch nichts anderes, als eine subjektive Einschätzung.«
»Ich schätze«, sagte Black schließlich, während er sich genüsslich streckte, »da muss ich dir recht geben, die Welt ist nicht schwarz-weiß.«
Es war ein Satz, der sich für immer in Gwendolyns Gedächtnis fressen würde. Ein Satz, der so einfach gestrickt war und der es trotzdem schaffte, all ihre Ansichten banal auf den Punkt zu bringen.
Die Welt war nicht schwarz-weiß!
Es gab kein Gut oder Böse. Man konnte nie das Richtige tun, denn irgendwo gab es immer jemanden, der es für das Falsche hielt. Alles, was zählte, war, dass man selbst erkannte, was einem wichtig war. Dass man wusste, wer man war und was man wollte, nur dann waren einem die Wege zu Füßen gelegt. Wege, die den einen als falsch und andere wiederum als richtig erscheinen würden. Aber es war dieser einmalige Weg, der definierte, was für einen selbst das Richtige war.
Bis Gwendolyn diesen Weg finden würde, würde jedoch noch einige Zeit vergehen müssen, denn sie war sich nicht im Klaren darüber, was sie eigentlich wollte.
Trotzdem schmunzelte sie nun zufrieden und beobachtete ihre Füße dabei, wie sie den braunen Sand unter Wasser aufwirbelten. Es war schon etwas seltsam, hier alleine mit Sirius Black zu sitzen und zu philosophieren.
Schließlich war er der beste Freund ihres Erzfeindes.
Gwendolyn konnte darüber auch gar nicht länger sinnieren, denn hinter ihnen ertönte plötzlich die unverwechselbare schnarrende Stimme.
»Hey Tatze, lass uns ... was geht denn hier ab?!«
Gwen drehte den Kopf über die Schulter, obwohl sie schon wusste, was sie sehen würde. Hinter ihr stand James Potter, in der gewohnt gespielt, lässigen Art mit einer Hand im Haar, der anderen in der Tasche. Bei ihm waren Remus Lupin, dem die Situation offensichtlich unangenehm war, und Peter Pettigrew, der mit einer Mischung aus Neugierde und Angst zu ihnen hinüber spähte. Gwen wandte sich von der Szene ab, allerdings nicht ohne Potter mit einem verachtenden Blick zu bedenken.
»Wir wollten wieder hoch zum Schloss gehen«, fuhr James fort und überspielte seine Überraschung.
»Ich komm' später nach, James«, antwortete Black kühl.
»Aber-«
Doch dann ertönte Lupins Stimme und Gwen konnte sich bildlich vorstellen, wie dieser versuchte, seinen Freund von ihnen wegzuziehen.
»Komm! Wir gehen einfach schon mal vor.«
»Aber-«
»James!«
Potter schien nachzugeben, denn Gwendolyn hörte deutlich, wie sich die drei entfernten. Als sie außer Hörweite waren, wollte sie dasselbe tun. Potter hatte ihr nun endgültig die Laune verdorben. Gerade als sie sich erhoben hatte, spürte sie einen Widerstand am Ärmel. Black zog sie zurück.
»Bitte, bleib noch!«
Aus einem ihr unergründlichen Antrieb heraus, kam sie dieser Bitte nach und setzte sich wieder.
»Du weißt doch, wie er ist«, entschuldigte er sich für das Benehmen seines Freundes.
Gwen ignorierte es.
Ja, sie wusste, wie Potter war. Ein eitler, eingebildeter Proll hoch zu Ross!
»Dein Patronus neulich war wirklich große Klasse! Ein Greif ... wirklich beeindruckend. Ich habe etliche Versuche gebraucht, bis man die Gestalt meines Patronus' erkennen konnte Es ist ein Hund.« Er sprach im netten Plauderton, um das Thema zu wechseln.
Gwen stöhnte innerlich auf. Die vergangene Zauberkunst-Stunde war scheinbar nicht nur ihr in Erinnerung geblieben. Zwar war sie stolz auf die vollbrachte Leistung, doch die Aufmerksamkeit, die sie damit auf sich gezogen hatte in Kombination mit der Gestalt ihres Patronus', war ihr unangenehm und sie hatte sich in dem Moment seltsam entblößt und verletzlich gefühlt.
»Ich muss sagen, es hat mich selbst etwas überrascht«, gab sie schließlich zu. »Ich hatte zuvor nur über den Zauber und dessen Ausübung gelesen, weil ich nicht dazu kam ihn auszuprobieren.«
»Du übst die Zauber, bevor sie im Unterricht durchgenommen werden?«
»Meistens. Ich habe mich vorab über den Lehrplan informiert und mir Unterlagen von der Vorstufe besorgt.« Sie warf ihrem Gegenüber einen abschätzenden Blick zu. »Meine Leistung fällt mir auch nicht in den Schoß, ich arbeite hart für meine Noten.«
»Und wofür das alles?«, fragte Black neugierig. »Was willst du nach der Schule machen?«
Gwendolyn überlegte einen Moment. Sie hatte sich diese Frage in den vergangenen Wochen oft gestellt, war aber nie zu einem Ergebnis gekommen. Sie wusste nicht, was sie wollte. Zwar hatte sie Lucius damals im Pub beteuert, sich sicher zu sein, wäre ihm in der Euphorie, die seine Erzählung in ihr erzeugt hatte, wahrscheinlich auch sofort gefolgt, doch im Nachhinein stellte sie dieses Vorhaben in Frage.
Es geschahen so viele merkwürdige Dinge in der letzten Zeit. Der Tagesprophet berichtete fast täglich vom mysteriösen Verschwinden, Übergriffe auf Muggelstämmige oder ähnlichem. Es verunsicherte Gwendolyn. Es war ganz deutlich zu spüren, dass ein Umbruch in der Luft lag. Ein Umbruch, der sie letztendlich zwingen würde, ihren Weg zu wählen und es blieb nicht mehr viel Zeit. Bis zu ihrem Schulabschluss waren es nur noch wenige Monate.
Der Gedanke ängstigte sie. Schon bald war ihre schulische Ausbildung beendet und sie musste Hogwarts verlassen. Ihr Bildungsstand der Magie wäre dann auf dem gesellschaftlich erwünschten Niveau und man erwartete von den jungen Hexen oder Zauberer, dass sie einen Beruf ergriffen.
Gwendolyn jedoch haderte mit dieser Vorstellung. Sie wollte dem Studium der Zauberei einfach nicht den Rücken kehren und die Handhabung der Magie auf die Vereinfachung des Alltages degradieren. Und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. So offensichtlich war es gewesen, so allgegenwärtig und doch hatte Gwendolyn so lange gebraucht, um es zu verstehen. Deswegen gab es keinen Beruf, der ihr Interesse weckte. Nichts wofür sie sich begeistern konnte. Nichts, außer der Magie selbst.
»Ich möchte gerne weiterhin die Magie studieren«, antwortete sie nachdenklich. »Ich habe keine Lust eine öde Ausbildung zu machen, um mich den Rest meines Lebens auf zehn Zauber zu beschränken.« Sie bemerkte, dass der Gryffindor ihr aufmerksam zuhörte und ihr Blick schweifte wieder über den großen See. »Ich möchte einfach noch viel mehr erfahren, als die wenigen Dinge, die man uns hier lehrt, um die großen Zusammenhänge zu verstehen. Magie ist so facettenreich, wir benutzen gerade einmal einen Bruchteil von dem, was eigentlich möglich wäre. Ich will mich einfach nicht mit dem zufrieden geben, was wir momentan erreicht haben, solange die Möglichkeit besteht nach mehr zu streben ...«
Black ließ die Worte einen Moment auf sich wirken, bevor er antwortete: »Also etwas in Richtung Entwicklung und Forschung?«
»Ja, vielleicht käme so etwas irgendwann für mich in Frage.« Sie atmete tief ein. Ihr Herz klopfte wild, allein durch ihre neu gewonnene Erkenntnis und der Hoffnung auf die Möglichkeit zur Umsetzung. Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, hakte sie bei Black nach.
»Und was gedenkst du zu tun? Bestimmt zusammen mit Potter Auror werden, was?« Ihre Stimme war sarkastischer geworden, als sie es beabsichtigt hatte, doch der Gryffindor überspielte diese Stichelei mit einem charmanten Lächeln.
»Eigentlich interessiere ich mich mehr für das Ausland. Ich werde mich in der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit bewerben.«
»Oha!« Damit hatte sie nun nicht gerechnet. »Beherrschst du denn Fremdsprachen?«
»Ich spreche Französisch und ein sehr gebrochenes Deutsch. Wir haben Verwandte in Frankreich, ich bin praktisch mit dieser Sprache aufgewachsen.«
»Dafür habe ich mich ehrlich gesagt nie wirklich interessiert. Englisch versteht man ja auch fast überall.«
»Stimmt.«
Gwen sah ihn an. Seit sechs Jahren besuchten sie gemeinsam die Schule und auch viele Fächer, doch sie wusste fast nichts über ihn.
»Kannst du etwas sagen?«
»Was?«, fragte er verlegen – ja, Sirius Black schien tatsächlich verlegen zu sein.
»Irgend 'was auf Französisch.«
»Hm ...«, murmelte er etwas perplex.
Sie sahen einander an und während Gwen gespannt wartete, konnte er sich einfach nicht von ihren tiefblauen Augen loslösen.
»La femme«, begann er zögernd, »que j'adore, a les yeux bleu comme l'ocean, mais elle ne me voit pas.«
Gwendolyn lächelte und einen kleinen Moment lang dachte Sirius, sie habe ihn reingelegt und in Wirklichkeit doch alles verstanden.
»Was bedeutet das?«, fragte sie dann und er grinste erleichtert.
»Das musst du wohl selbst herausfinden!«
»Oh, das werde ich. Werd' mich später auf direktem Weg in die Bibliothek begeben.«
Black lachte bellend auf und Gwen konnte nicht anders, als miteinzustimmen. Dann ließ sie sich rücklings ins Gras fallen und schützte ihr Gesicht mit ihrem rechten Arm vor der Sonne. Eine leichte Brise wehte und das Wasser des Sees war angenehm kühl an ihren Füßen. Es war lange her gewesen, dass sie es sich gestattet hatte, einfach einmal zu entspannen und Gwen genoss es gänzlich.
Ein kühler und unfreundlicher Wind weckte sie. Die Sonne war bereits hinter den Wolken verschwunden und Gwendolyn war scheinbar weggedöst. Ihre Kleider, mit denen sie im Gras lag waren klamm. Verschlafen streckte sie sich und nahm unerwartet eine Berührung an ihrer linken Hand wahr und tastete danach. Überrascht hob sie den Kopf. Sirius lag neben ihr, den einen Arm vor dem Gesicht und mit der rechten Gwens Hand haltend.
Sie war so verdutzt darüber, dass sie sich reflexartig zurückzog und ihn damit weckte. Eilig sprang Gwen auf, stakste aus dem Wasser, trocknete mit einem Zauber ihre Füße und begann ihre Schuhe anzuziehen.
»Du gehst schon?«, fragte er ein wenig verschlafen und setzte sich auf.
»Es ist schon spät. Ich muss vor dem Abendessen noch einmal runter in die Kerker.«
»Hm«, brummte er nur und zog sich die Socken über seine nassen Füße.
Gwendolyn konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Gemeinsam, jedoch wortlos, gingen sie zum Schloss hoch und waren offenbar die Nachzügler, denn sie waren völlig alleine.
Als sie die Eingangshalle betraten, fiel Gwens Blick auf die vier Stundengläser, die ihren Punktestand anzeigten. Slytherin lag in Führung, weiter hinten kam Gryffindor und Ravenclaw und Hufflepuff war dieses Jahr das Schlusslicht.
»Also dann, bis demnächst«, sagte Gwen knapp und war schon auf dem halben Weg zu den Kerkern, als Sirius ihr nachrief.
»Das sollten wir mal wiederholen!«
Gwendolyn wandte sich um und beäugte den Gryffindor kritisch. Dieser grinste nur verlegen, verabschiedete sich mit einem Augenzwinkern und spurtete die Treppe hinauf. Das Lächeln, das auf Gwens Lippen lag, konnte er deswegen nicht sehen noch ahnen, dass dies der Anfang war.
Der Anfang ihres gemeinsamen Weges.
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