Blacks Entscheidung

Dezember 1978

»Was darf ich Ihnen bringen?«

Gwendolyn sah zu dem jungen Mann hinauf, der sie angesprochen hatte. Er hatte kurzes, schwarzes Haar, dunkelbraune Augen und in seinem Gesicht lag ein verschmitztes Lächeln. Er sah gut aus, doch er war ein Muggel und so blieb Gwens Miene unergründlich, ihre Augen kalt und sie antwortete mit einem knappen Wort: »Kaffee!«

Der junge Kellner versuchte noch einmal vergeblich, ihren Blick zu streifen, aber Gwendolyn sah bereits wieder hinaus aus dem Fenster. Normalerweise war diese Straße mitten in London sehr belebt, doch jetzt, da es unerbittlich schneite, war kaum jemand zu sehen.

Sie beobachtete einige Zeit, wie die dicken Flocken am Himmel tanzten, zog jedoch bald darauf eine silberne Uhr aus ihrer Manteltasche. Er war bereits fünf Minuten zu spät.

»Kann ich noch etwas für Sie tun, Miss?«, fragte der Kellner, stellte vorsichtig ein kleines Tablett mit einer Tasse Kaffee und einer Schale Gebäck ab.

»Ja«, murrte Gwen, »verschwinde!« Sie hatte zwar leise jedoch mit Nachdruck gesprochen und damit genau die Wirkung erzielt, die sie beabsichtig hatte.

Der junge Mann verschwand ohne ein weiteres Wort und Gwendolyn hatte einige Minuten ihre Ruhe.

Sie sah erneut aus dem bleiverglasten Fenster und schürzte genervt die Lippen. Gwen wartete nicht gerne und bei jeden anderen wäre sie bereits gegangen, doch die Freude auf ihr Wiedersehen war größer als ihre Ungeduld. Gwendolyn verspürte sogar ein wenig Aufregung, wenngleich sie sich dies nicht erklären konnte.

Ein eisiger Wind fegte in die kleine Kaffeestube, als die Tür aufging, und wehte einige Flocken hinein. Gwen sah erneut auf die Uhr. Zehn nach. Das war sehr untypisch für einen Black. Sie hatte die Uhr gerade zurück in die Tasche gesteckt, als scheinbar der Kellner abermals von hinten an sie herantrat, doch als sie sich umwandte, blickte sie in Regulus' strahlend graue Augen.

Sein Gesicht war von der Kälte draußen stark gerötet, sein schwarzes Haar ein wenig feucht und als Gwendolyn sich erhob, zog er sie ungefragt in eine Umarmung.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, flüsterte er und löste sich wieder von ihr. »Ich bin nicht von der Teegesellschaft losgekommen.«

»Der Teegesellschaft?«, lachte Gwen.

Regulus strich sich den Schnee von den Schultern und zog dann den Umhang aus und nahm gegenüber von ihr Platz.

»Ja«, sagte er noch immer außer Atem. »Bei den Blacks gibt's täglich Punkt siebzehn Uhr – und keine Minute später – Tee.«

Gwendolyn lächelte nur und musterte ihren ehemaligen Schulkameraden. Er war dünner geworden, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber auch älter. Seine grauen Augen beobachteten Gwen neugierig. Diese grauen Augen, die er mit Sirius gemein hatte.

»Wie kommt es, dass wir uns in«, sie suchte nach Worten, »so einem Laden treffen?«

Regulus grinste verschmitzt und sah sich in dem historischen Muggelladen um.

»Hier werden wir sicher niemanden antreffen, den wir kennen. Wir können also ungestört sprechen.«

Er suchte nach der Bedienung und wenige Minuten später kam eine Frau, kaum älter als sie selbst, um seine Bestellung aufzunehmen. Gwendolyn sah zur Theke, wo der junge Kellner stand, der augenblicklich ihrem Blick auswich. Sie grinste zufrieden. Nachdem Regulus sein Getränk erhalten hatte, nahm er das Gespräch erneut auf.

»Schön, dass du gekommen bist. Ich hatte die Befürchtung, du würdest vielleicht keine Zeit finden.«

»Für dich würde ich mir doch immer Zeit nehmen, Reg.« Es war die Wahrheit und Regulus errötete leicht.

Schon in Hogwarts hatte Gwendolyn das Gefühl gehabt, eine schützende Hand über den jungen Black legen zu müssen. Am Anfang setzte es ihr ziemlich zu, dass sie ihn nicht mehr täglich im Blick hatte. Angesichts Regulus' dünner und nervöser Gestalt, schien sie sich sogar darin bestätigt.

»Wie läuft's in Hogwarts?«

Regulus seufzte und rührte in seiner Tasse herum. Gwendolyn schob ihm die Gebäckschale hin, doch er lehnte ab.

»Es ist ziemlich öde, seit ihr weg seid«, begann er. »Der Club der Schlange trifft sich kaum mehr. Den anderen fehlt wohl die Motivation, ohne einen Anführer.« Er lächelte sie warm an. »Außerdem haben viele angst.«

»Angst?«

»Ja. Dein Vater hat einige Regeln verschärft seit deinem beeindruckenden Abgang. Die Aktivitäten der Schüler werden nun vermehrt beobachtet, die der Slytherins besonders. Dumbledore selbst streift auffällig oft durch die Korridore der Schule, wenn er da ist.« Er machte eine kurze Pause. »Die Stunden in VgddK sind aufgestockt worden. Es gibt nun extra Stunden, die uns über die Vorgehensweisen und Ziele des Dunklen Lords aufklären und abschrecken sollen. Zwei Stunden Muggelkunde in der Woche sind jetzt für alle Pflichtfächer.«

Gwendolyn legte ihre Hände um die mittlerweile nur noch lauwarme Tasse Kaffee, um sich diese zu wärmen.

»Weißt du irgendwas über seine Interaktionen mit dem Ministerium?«, fragte sie.

Einen Moment schien Regulus zu überlegen, bevor er antwortete.

»Nun ja ... Barty hat einiges erwähnt. Er sitzt ja jetzt sozusagen direkt an der Quelle. Man hat seinen Vater versetzt. Er leitet nun nicht mehr die Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit, sondern arbeitet für die Magische Strafverfolgung

»Ja, Sirius hat mir davon erzählt«, sagte Gwen.

Regulus schien für Sekunden den Atem anzuhalten. Gwendolyn konnte die Frage deutlich spüren, die ihm auf der Zunge lag, doch er besann sich und nahm stattdessen einen großen Schluck aus seiner Tasse.

»Jedenfalls«, sagte er, als er das Porzellan klirrend auf die Untertasse setzte, »meint er, sein Vater möchte ein härteres Vorgehen mit den Todessern durchsetzen. Anscheinend ist er der Meinung, dass man das Verbot der Unverzeihlichen für Auroren aufheben sollte.«

»Na sieh mal einer an«, lachte Gwendolyn, »das wird meinem Vater wohl nicht gefallen haben.«

»Nein«, Regulus grinste, »es muss zu einer ziemlich heftigen Auseinandersetzung zwischen ihm und einigen Ministeriumsangestellten gekommen sein. Der Tagesprophet hat von alldem aber nicht berichten dürfen. Bagnold hält einiges von Dumbledores Meinung, allerdings ist sie eine langjährige Bekannte von Crouch.«

Gwendolyn schob ihre kalte Tasse Kaffee von sich, stützte die Ellenbogen auf den Tisch, um sich die Hände zu reiben und sah aus dem Fenster. Das Schneechaos hatte ein wenig nachgelassen.

Ihr Vater mischte sich also nun in die Ministeriumsvorgehensweisen ein und war gleich am Anfang aufgelaufen. Sie grinste unweigerlich, denn mit dieser Art von Problemen müsste er sich gar nicht erst auseinandersetzen, wenn er das Amt des Zaubereiministers nicht mehrfach ausgeschlagen hätten. Millicent Bagnold war seit einigen Monaten die neue Zaubereiministerin und offenbar hatte ihr Vater nicht so viel Einfluss auf sie, wie auf den vorherigen Minister.

»Was ist mit seinem Orden? Arbeiten sie zusammen?«

Regulus zuckte nur mit den Schultern und sagte: »Niemand, der nicht Mitglied ist, hat eine Ahnung, was die machen oder vorhaben. Die haben wohl so eine Art Schweigepflicht, an die sich bisher jeder zu halten scheint.«

Es war die Antwort, die Gwendolyn erwartet hatte. Eine Organisation unter der Hand ihres Vaters war mit Sicherheit gut geplant und durchdacht.

Einige Weile schwiegen sie. Dann nahm Regulus den Faden wieder auf.

»Die Rosiers waren neulich bei uns zum Dinner.«

»Und?« Warum erzählte er ihr das?

»Nun, jetzt da ... Sirius aus unserem Stammbaum ausradiert wurde, haben meine Eltern beschlossen, dass sie mit mir ihren Tribut für den Dunklen Lord zahlen wollen.«

Gwendolyns Miene verhärtete sich, während sie Regulus zuhörte.

»Nun, ganz davon abgesehen, dass ich keine Chance habe, mich zu widersetzen-«

»Keine Chance?«, unterbrach ihn Gwen, beinahe aufgebracht. »Du hast dieselben Chancen wie dein Bruder, Regulus!«

Das schien ihn zu treffen und er senkte seinen Blick und sagte leise: »Das ... das kann ich meiner Mutter nicht antun, Gwen. Ich bin der letzte Sohn, der ihr geblieben ist.«

»Der letzte Sohn«, flüsterte Gwendolyn, »und trotzdem sind sie bereit, ihn zu opfern?«

Regulus sah überrascht auf.

»A-aber es ist doch eine Ehre, i-ihm zu dienen!?!« Er machte einen verwirrten und ängstlichen Eindruck.

Gwendolyns Herz begann wild zu klopfen vor Wut und sie nahm die Hände vom Tisch, um ihr Zittern zu verbergen. Sie kannte den kleinen Bruder ihres Freundes nun sieben Jahre lang. Sie wusste, er hatte nicht die geringste Vorstellung von dem, was ihn erwarten könnte.

Er hatte nicht die eiskalte Berechnung wie Lucius. Regulus war nicht roh und brutal wie Evan und es fehlte ihm an Fanatismus, um von den Lehren des Dunklen Lords wirklich überzeugt zu sein. Das Einzige, was Regulus Arcturus Black immer gewesen war, war gehorsam, gefügig und scheinbar naiv.

»Regulus«, es kostete sie alle Selbstbeherrschung, ihn nicht anzuschreien, »es ist nicht so, sie sie alle sagen! Der Dunkle Lord kennt keine Güte, er ist nicht gerecht und es ist verdammt noch mal keine Ehre ihm zu dienen, sondern eine Lebensentscheidung!« Sie sah ihn eindringlich an und hoffte, dass ihre Worte bei ihm ankamen.

Sie hatte erlebt, wie der Dunkle Lord strafte. Wie er Ungehorsame demütigte und züchtigte und sie hatte mit eigenen Augen gesehen, wie er seinen Hass auf Muggelstämmige und Muggel auslebte.

Gwendolyn erinnerte sich noch gut an Lucius' Warnung, doch sie erinnerte sich auch daran, dass sie seine Worte überzogen fand. Damals hatte sie nur geahnt, was auf sie zukam, aber die Wahrheit war sehr viel brutaler und furchteinflößender gewesen und bis heute waren keine dieser Situationen für sie Routine geworden.

»Wenn du diese Entscheidung triffst, dann muss es deine sein, Regulus, nicht die deiner Eltern, denn es ist dein Leben und deine Zukunft, die du aufs Spiel setzt.«

Sie sah in sein bleiches Gesicht, aus dem jede Euphorie gewichen war und dessen graue Augen nun ins Leere starrten.

»Regulus, ich werde dir auch beistehen, wenn du dich dagegen entscheidest. Dein Bruder würde dich mit offenen Armen empfangen. Du könntest bei uns wohnen und-«

»Nein!« Mit einer ruckartigen Bewegung bedeckte er mit den Händen sein Gesicht.

Er zitterte, schlimmer denn je und Gwendolyn legte ihm tröstend eine Hand auf den Arm.

»W-wie kannst du das nur sagen, Gwen? DU! Du hast dich ihm selbst angeschlossen ... du-«

»Und genau aus diesem Grund sage ich es. Ich habe ihn gesehen, ich habe ihn erlebt und ich bin mir sicher, dass es nicht ist, was dir vorschwebt, Reg.«

»Woher willst du das wissen?«, schluchzte er.

»Ich weiß es, weil ich dich kenne«, flüsterte Gwendolyn, »und ich will dich einfach davor bewahren, damit du daran nicht zerbrichst!«

Er hob seinen Kopf und sah sie aus geröteten feuchten Augen einen Moment lang an, bevor er sprach. »Dann entscheide ich mich halt dafür! Ich will ihm dienen!« Er legte eine Pause ein, um Gwendolyns Reaktion zu beobachten. »Wirst du mir dann auch beistehen?«

Gwendolyn seufzte gequält und antwortete: »Ja, natürlich.«

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