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Melina
"Da ist ein Ort, der Mayrem heißt. Da haust das Volk, das man Lichtelfen nennt. Aber die Schattenelfen wohnen tief in der Dunkelheit und sind ungleich im Angesicht und noch viel ungleicher in ihren Verrichtungen.
Die Lichtelfen sind schöner als die Sonne und die Schattenelfen schwärzer als die Nacht."
Immer und immer wieder las ich diesen einen Absatz. Er stammte aus einem uralten Buch meiner Großmutter, von denen sie haufenweise hatte. Doch keines war so präzise wie dieses hier: Die Existenz von Licht und Schatten.
Manchmal konnte ich es nicht mehr ertragen, zu lesen wie unterschiedlich unsere Spezies waren. Wir waren die Bösen und sie die Guten. Das schien mir nicht besonders gerecht.
Welche Wahl blieb meinen Vorfahren, als die Dunkelheit vor Jahren das Land umhüllte? Die Wahl sich ohne Hoffnung an einen Funken Licht zu klammern und beinahe zu sterben?
Dafür hätte ich mich damals auch nicht entschieden - und meine Eltern hatten es auch nicht getan.
Seufzend klappte ich das Buch zusammen, legte es beiseite und erhob mich. Leise, um meine Großeltern nicht zu wecken tapste ich durch unser kleines Haus. Wir lebten am Rande des Landes in Gorso, eine der zwei Städte, in denen sich die Schattenelfen aufhalten durften.
Ich durchquerte den Wohnbereich und lächelte leicht, als ich meinen Großvater schnarchen hörte. Die Tür zu ihrem Zimmer war geschlossen, doch die hielt die Laute nicht auf, zumal das modrige Holz einige Löcher aufwies.
Zielsterbend steuerte ich auf das Regal zu, in dem wir ein Bild meiner Eltern stehen hatten. Traurig griff ich danach und betrachtete es ausgiebig. Wie schön sie doch gewesen waren.
Elros, mein Vater, trug sein Haar auf dem Gemälde noch lang und offen. Zudem war es blond und glänzte beinahe. Sein Lächeln machte mich für einen Moment glücklich, sowie die schönen blauen Augen, die er einst hatte. Er wirkte so gelöst und glücklich. Zu der Zeit war er noch ein Lichtelf gewesen, ebenso wie meine Mutter, Meril.
Sie wurde genauso gut gemalt wie mein Vater, wenn nicht sogar eine Spur lebhafter. Ihr hellbraunes Haar fiel ihr in einem kunstvoll geflochtenen Zopf über die Schulter und ich erkannte blassblaue Perlen darin. Ihr Gesicht wirkte aufgeweckt - glücklich. Die grünen Augen mit braunen Sprenklern versehen, die kleine Stupsnase und das breite Lächeln. Jeder konnte sehen wie verliebt sie in diesem Moment gewesen war.
Schluchzend strich ich eine Träne aus meinem Augenwinkel. Ich vermisste sie so sehr. Warum mussten sie mich auch so früh verlassen? Wie gern ich sie jetzt bei mir gehabt hätte.
Erschöpft ließ ich mich auf einen gepolsterten Stuhl fallen. Das Bild hielt ich dabei ganz fest an mich gepresst. Vielleicht würden sie ja dadurch spüren, dass sie mir fehlten.
So saß ich nun eine Weile da, wiegte mich hin und her und versuchte, nicht zu laut zu sein. Es war noch mitten am Tag, da wollte ich meine Großeltern nicht unnötig wecken.
Irgendwann musste ich dann doch eingenickt sein, denn als ich meine Augen wieder aufschlug, öffnete meine Großmutter die Fenster und ließ ein wenig frische Luft hinein. Es war nun stockfinster draußen. Die Nacht hatte begonnen.
"Wie lange habe ich geschlafen?", fragte ich mit kratziger Stimme und rieb mir die Augen. Meine Großmutter drehte sich herum und lächelte schwach, dann bückte sie sich, hob das Gemälde meiner Eltern vom Boden auf und stellte es zurück an seinen Platz, während sie sagte:" Ein paar Stunden. Es ist kurz vor Mitternacht."
Ich nickte. Das war in Ordnung. Ich musste erst um ein Uhr im Zentrum sein, da konnte ich getrost noch eine Runde spazieren gehen.
"Wirst du deine Gabe heute ausüben?" Ihre Stimme klang belegt. Dieses Thema wurde bei uns äußerst selten zu Wort gebracht, denn es wurde stets totgeschwiegen. Die anderen Elfen fürchteten sich vor unserer Gabe und ich konnte es ihnen leider nicht verübeln.
Wir konnten sehr gefährlich sein, wenn es nötig war. Unsere Vorfahren hatten dies ja bereits bewiesen. Schließlich war es kein leichtes eine ganze Welt ins Dunkle zu stürzen.
Deshalb gab es in den Städten Gorso und Urath Regeln. Regeln an die sich nur die Schattenelfen halten musste, da wir das bekanntlich Böse zu sein schienen. Als hätten wir es uns ausgesucht, dass wir Kraft aus der Dunkelheit schöpften...
Die oberste Regel lautete: Jungelfen ist es erlaubt ihre Gabe einmal in der Woche auszulösen. Jedoch nur gemeinsam und in Anwesenheit eines Ältesten.
Dies war der Grund, aus dem ich in das Zentrum reiten würde. Denn dort lernten wir nicht nur, welche Unterschiede es zwischen Licht- und Schattenelfen gab und welche Rangordnung sie zu befolgen hatten, sondern auch unsere Gabe zu kontrollieren.
Es war von äußerst wichtiger Bedeutung, da es sonst zu katastrophalen Ausmaßen kommen konnte. Ein wenig Regen konnte dem Land nicht schaden, aber eine Flut, die alles verschlang schon. Und so wurden wir klein gehalten.
Niemand von uns Jungelfen hatte die Macht, eine Flut heraufzubeschwören, eine kleine Welle auf einem stillen See, das war's.
"Ja, wir werden wahrscheinlich ein kleines Gewitter über das Land ziehen lassen", antwortete ich schnell. Meine Großmutter musterte mich mit ihren gelben Augen und nickte dann nach einigen Augenblicken. Sie schien mir mitgenommen zu sein.
Das Auslösen ihrer Gabe machte ihr wohl zu schaffen. Manchmal, so sagte sie, wäre es ihr lieber, sie hätte sich für das Licht eingesetzt, anstatt sich der Dunkelheit hinzugeben. Denn wenn wir Schattenelfen ein gewisses Alter erreichen, ist es nicht mehrwohltuend unsere Gabe auszulösen, sondern Kräftezerrend. Doch wir mussten sie einsetzten, sonst würden wir nicht überleben. Keine Elfe würde das - auch nicht die Lichtelfen.
"Soll ich uns noch etwas zu Essen machen?", fragte meine Großmutter mich fürsorglich und strich sich eine graue Strähne hinters Ohr. "Celebron wird sicherlich gleich wieder kommen."
Ich legte die Stirn in Falten. "Wo ist Großvater denn?" Plötzlich lachte sie auf und zeigte mir ein tadelndes Lächeln. "Du weißt schon. Er hat gesagt, er müsse mal das tun, was Männer halt so tun." Ich verdrehte die Augen und schmunzelte. Wahrscheinlich fing er am See ein paar Wische, die wir später ausnehmen und braten konnten.
Gemeinsam bereiteten meine Großmutter und ich eine Kleinigkeit zu Essen vor, welches ich dann ich einen Umschlag packte und mit ins Zentrum nahm.
Zu Pferd erreichte ich es innerhalb weniger Minuten.
Am Hauptgebäude angekommen - es war ein großes Haus aus allerlei Holzarten gebaut und zwar mitten in die größte Eiche unserer Stadt. Es sah wirklich eindrucksvoll aus, wenngleich es schon öfter geflickt wurde.
Geschickt sprang ich vom Rücken meines Pferdes, Awilix, tätschelte ihren Hals und öffnete das Gatter, um sie zu den anderen Pferden zu lassen. In unserem Land gehörte jeder Elf zu einem Pferd, welches sich seinen Reiter schon in frühster Kindheit ausgesucht hatte. Beinahe so ist es auch mit anderen Tieren.
Feya, meine beste Freundin, hatte einen Wolf Zuhause. Er hieß Mero und war ein ziemlich taffer Kerl, vor allem, wenn es darum ging sie zu beschützen. Dafür beneidete ich sie wirklich, denn mein Wunsch war es, dass auch mich ein Wolf erwählen würde, doch das geschah bei uns Schattenelfen besonders selten. Zu meinen Ungunsten.
Nachdem ich meinen Haflinger auf die Wiese geschickt hatte, machte ich mich auf den Weg ins Innere des Zentrum. Einige andere Jungelfen begleiteten mich auf diesem Weg.
Es führte ein Treppe nach oben und nach unten - genauer gesagt, unter die Erde. Die Tunnel führten nicht nur in anderen Räumlichkeiten, sondern auch aus dem Land heraus - nur für den Fall der Fälle, dass der Lichtbringer etwas plante, was uns gefährden könnte. So viel ich wusste mündete der Ausgang in einem anderen Land.
Wie üblich nahm ich die Treppe nach oben. Unser Saal befand sich auf der obersten Ebene. Dort hatte man den schönsten Ausblick über Gorso, auch wenn es kaum etwas zu sehen gab, was einen in der Dunkelheit faszinierte. In der Abenddämmerung jedoch fühlte es sich beinahe magisch an. Der einzige Zeitpunkt, in dem wir das Licht ertragen konnten.
Auf dem Weg nach oben holte Feya mich ein. "Hallo, Fremde", begrüßte sie mich mit eine Lächeln. Sie schien ganz aufgeregt zu sein, was ich angesichts dessen, dass wir nur ein Gewitter beschwören würden, nicht verstand.
"Hey, du", erwiderte ich eher nicht so enthusiastisch. Mir ging es heute nicht besonders gut. Lag wohl daran, dass meine Eltern genau heute vor 3 Jahren dem Licht entgegen geblickt hatten und zu Staub zerfallen waren. Feya müsste das eigentlich wissen, doch irgendwas schien in ihr vorzugehen.
Als wir in der oberen Ebene ankamen, unsere Taschen auf die gewohnten Plätze abstellten, sah ich sie fragend von der Seite an. Ein wenig angespannt strich sie sich durch das schwarze Haar, welches sie wie üblich offen trug. Nur die obere Partie hatte sie kunstvoll geflochten, ähnlich wie bei mir.
Ihre Lieder flatterten unkontrolliert, ehe sie zu mir herüber sah und mich mit ihren roten Augen musterte. Sie zwinkerte und meinte leise zu mir:" Du denkst sicherlich, ich hab sie nicht mehr alle, oder?" Sie kicherte. Ich ebenfalls. "Ja, vielleicht ging mir das soeben durch den Kopf", erwiderte ich schmunzelnd. Neugierig hoffte ich, sie würde mir davon erzählen. "Also sag schon", meinte ich drängend.
Mit großen Augen sah Feya mich an, senkte die Stimme und sagte:" Der Lichtbringer wird kommen."
Hier ist das erste Kapitel! Hinterlasst gerne einen Kommentar, wie ihr es findet :)
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