Der Elf im Mondlicht
Kelvryn Ssarath stand reglos im Mondlicht vor der Stammeshöhle, seine Augen nach oben gerichtet, wo der silberne Glanz des Mondes über die Landschaft strahlte und die Dunkelheit in kaltes Licht tauchte. Die Nacht war tief und erdrückend, wie immer in den Tälern, in denen die Dunkelelfen lebten. Doch Kelvryn fühlte sich mit ihr verbunden, als wäre sie ein alter, vertrauter Freund, der in jeder Faser seines Körpers widerhallte.
Sein Körper war schlank, seine Haut tiefschwarz, so wie es für die Dunkelelfen typisch war. Es war eine Haut, die in der Dunkelheit verschmolz, aber auch die Wunden des Lebens in schimmernden Narben trug. Die spitzen Ohren ragten aus seinem Kopf, ein Zeichen seiner Herkunft. Seine Zähne, die in violettem Zahnfleisch lagen, funkelten im Mondlicht, als er leicht die Lippen öffnete. Die langen, weißen Haare, die er teilweise zu einem lockeren Zopf gebunden hatte, fielen ihm über die Schultern und strichen im Wind. Doch am auffälligsten waren seine Augen – die tief violetten Augen, die im Dunkeln zu glühen schienen und in denen die ganze Last seiner Existenz sichtbar war.
Kelvryn war ein Bastard – das wussten alle im Clan. Der Stammanführer, sein Vater, hatte seine Mutter mit einem anderen männlichen Dunkelelfen betrogen, was zu seiner Geburt geführt hatte. Doch dieser Verrat war nicht der einzige Skandal, der seinen Ursprung in seiner Familie hatte. Kelvryn wusste, dass seine Mutter auch ihrem eigenen Mann nie treu gewesen war. Die Frauen des Clans, die er kannte, ließen sich oft von Männern verführen, die nicht ihre Ehemänner waren. Dies war ein weiterer Teil der schmutzigen Wahrheit, die Kelvryn von klein auf kannte.
Es gab jedoch etwas, das ihn von vielen anderen Kindern des Clans unterschied. Kelvryn hatte nicht nur einen Vater – er hatte zwei. Und beide Männer hatten sich auf ihre Weise um ihn gekümmert, ihm die Zuneigung geschenkt, die andere Kinder niemals von ihren Eltern erfahren hatten. Der Stammanführer, auch wenn er kalt und streng war, zeigte Kelvryn eine Fürsorge, die weit über das hinausging, was der Clan von einem Stammesführer erwarten würde. Auch der andere Mann, der mit seinem Vater in einer geheimen, verbotenen Beziehung lebte, hatte ihm Zuneigung geschenkt. Dieser Mann, ein Krieger des Clans, war ihm gegenüber nie abweisend, sondern hatte ihn gefördert, ihm beigebracht, wie man kämpfte und überlebte.
Doch das war alles kompliziert. Trotz dieser Zuneigung fühlte Kelvryn sich nie ganz akzeptiert. Er war der Bastard, der Sohn des Verrats. Die Clanhöhle, in der er geboren wurde, war ein Ort der Macht, des Kampfes und der ständigen Bedrohung. Es gab keine Zeit für Sentimentalitäten, und doch war da etwas in Kelvryn, das immer wieder gegen diese kalte Welt ankämpfte. Er hatte das Gefühl, dass er mehr war als nur das Kind eines verbotenen Aufeinandertreffens. Doch was war er, wenn der Stab des Vaters so fest in der Hand des Clans lag? Wie könnte er jemals aus dem Schatten des Verrats herauskommen?
Während er nachdachte, spürte Kelvryn das vertraute Gewicht seines Stabes Vaelthar, der an seiner Seite ruhte. Der Stab war nicht nur ein Werkzeug des Krieges, sondern auch ein Symbol für sein Erbe. Er hatte den Stab von einem alten Krieger des Clans erhalten, einem Mann, der einst ein enger Vertrauter seines Vaters gewesen war. Der Stab war aus tiefschwarzem Holz gefertigt, das von Runen durchzogen war, die im Dunkeln schwach leuchteten. Die Spitze des Stabes trug einen blauen Kristall, der bei Berührung zu pulsieren schien, als ob er die Geheimnisse der Dunkelheit selbst in sich trug. Vaelthar war mehr als nur ein Stab – er war eine Waffe, ein Schutzschild und ein Talisman in einem.
„Der Auftrag", dachte Kelvryn und spürte, wie sich der Druck in seiner Brust verstärkte. „Was will er von mir?"
Der Auftrag, den ihm sein Vater erteilt hatte, war nicht nur eine einfache Aufgabe. Es war eine Prüfung, ein Test. Ein Test, um zu sehen, ob Kelvryn genug war, um die Verantwortung zu übernehmen, die in der Linie des Stammes lag. Ein Test, um zu prüfen, ob er es wert war, an die Spitze des Clans zu treten, trotz seiner Herkunft. Doch was wusste er wirklich über das, was vor ihm lag? Der Clan war ein Ort des Verrats und der Intrigen, und Kelvryn wusste, dass er in einer Welt lebte, in der Macht und Vertrauen schwer zu gewinnen waren.
Seine Gedanken wanderten zurück zu seiner Kindheit, in der er als Bastard in der Clanhöhle aufgewachsen war. Die Erinnerungen waren gemischt – einige schmerzhaft, andere voller Wärme. Der Stammanführer hatte ihn zwar nie als vollwertigen Sohn angesehen, aber er hatte ihn beschützt, ihm die Grundlagen des Überlebens beigebracht. Der Krieger, der mit seinem Vater in einer geheimen Beziehung lebte, war die einzige Person, die ihm je Zuneigung entgegenbrachte. Kelvryn erinnerte sich daran, wie dieser Mann ihn in den düsteren Nächten der Clanhöhle mit Geschichten über die alten Krieger des Clans unterhielt, während sie gemeinsam trainierten. Es war diese Zuneigung, die ihm half, sich niemals ganz von der Welt des Verrats und der Kälte zu verlieren.
Doch die Welt, in der Kelvryn lebte, war eine Welt, in der jeder eine Waffe in der Hand hielt, in der Vertrauen eine seltene und kostbare Ware war. Die Dunkelelfen überlebten nicht durch Fürsorge oder Liebe, sondern durch Stärke und List. Und während er da stand, im Mondlicht, spürte er, dass er bereit war, die Rolle zu übernehmen, die ihm zugedacht war – ob er nun wollte oder nicht.
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