Kapitel 36
Jade
„Warte, Callum!“, rufe ich ihm hinterher und stehe auf. Ich muss jetzt einfach Gewissheit kriegen und die Frage stellen, die mir schon seit einigen Stunden auf der Zunge sitzt.
„Was, hast du es dir vielleicht anders überlegt?!“, fragt Callum und dreht sich zu mir um. Seine Stimmlage gefällt mir gar nicht.
Ich atme tief durch, dann frage ich endlich: „Bist du der Maulwurf? Gibst du Informationen an die TNS weiter?“
„Sag mal, hast du sie noch alle?!“, rief er mit vor Zorn funkelnden Augen und trat ein Schritt näher. „Wie kommst du nur auf so einen Blödsinn?!“
„Du tauchst zufällig immer zum richtigen Zeitpunkt auf, und ziehst immer die richtigen Schlüsse, dir passiert nie etwas, als du entführt wurdest, hattest du auch keinen einzigen Kratzer, vermutlich, weil das alles nur ein Spiel war, um mich und die anderen in eine falsche Richtung zu locken!“
„Wie kommst du nur auf die Idee, dass ich der Maulwurf bin?!“ Ich sehe Tränen in seinen Augen. Er funkelt mich trotzdem wütend an.
„Wer soll es denn deiner Meinung sonst sein?“, kontere ich.
„Dieser Rick oder jemand anderes aus dem Team!“, ruft Callum.
„Rick vertraue ich blind“, erwiderte ich wütend.
„Ach, und mir nicht?!“ Callum dreht sich auf der Stelle um und geht. Und ich? Ich verfluche mich selbst, die Sache mit dem Maulwurf und Callum überhaupt in Erwägung gezogen zu haben.
Ich spüre, wie Tränen mir in die Augen treten und ich setze mich auf die Bank und weine. Warum habe ich Callum verdammt noch mal verdächtigt? Er ist wohl der, dem ich am meisten vertrauen sollte. Und jetzt? Jetzt weiß ich nicht mal, ob ich Callum je wieder sehe. Er sah so wütend und verletzt aus, ich weiß, ich habe ihm sehr wehgetan. Wird diese innere Wunde je wieder zwischen uns heilen?
Ich schluchze mittlerweile und blende die Umwelt vollkommen aus. Nur ich bin da. Ich fühle mich, als würde man mich in ein schwarzes Loch werfen.
Gefühlte Stunden sitze ich einfach nur da und weine vor mich hin.
Plötzlich spüre ich etwas kaltes an meiner Kehle! Ein Arm legt sich um mich und drückt mich gegen einen warmen, muskulären Körper!
„Keine Bewegung, Süße!“, höre ich eine knurrende Stimme und erkenne sofort, wer da hinter mir steht und mir offenbar ein Springmesser an die Kehle hält. „Wenn zu schreist…“ Er demonstriert es, in dem er das Messer so nah an meiner Kehle vorbei zieht, dass er mich fast umgebracht hätte.
„Rick, was soll das?“, fragte ich und spüre, wie sein Arm, der sich um mich gelegt hat, mich fester an ihn drückt.
„Halt‘s Maul, Jade und stehe langsam auf! Ganz langsam. Und versuche erst gar nicht, zu fliehen“, zischt Rick und ich tue, was er sagt. Er drückt mich vorwärts auf den Weg, der zum Parkplatz des Parks führt. Ich bin in dieser Situation machtlos!
Am Parkplatz drängt er mich zu einem Pick-Up und nimmt von der Ladefläche ein Seil, mit dem er geschickt meine Hände fesselt und dann auch zu meinen Füßen übergeht.
„Warum, Rick? Was tust du hier?“, frage ich, als er mich unsanft auf die Ladefläche hievt und eine Plane über mich legt.
„Bist du wirklich so dumm, Jade Harper?“, lacht Rick höhnisch.
Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Er ist der Maulwurf! Er hat uns verraten! Er hatte Zugriff zu allen Akten!
Ich hörte, wie er seine Waffe entsichert! Würde er mich jetzt töten? Ich spüre, wie mein Körper anfängt zu zittern und schließe die Augen.
„Was willst du hier, Marcus?“, höre ich Rick auf einmal sprechen und horche auf. Marcus? Was? Was macht er hier? Mich retten ja wohl kaum.
„Jade gehört mir!“, ruft Marcus. „Gib sie mir. Sofort!“
Rick lacht: „Hast du denn den Boss nicht gehört? Wir sollen sie zu ihm bringen. Nach London. Ich soll das erledigen. Mich überwacht die FSA nicht!“
„Jade gehört mir! Sie ist meine Freundin! Außerdem habe ich noch eine Rechnung mit ihr offen“, knurrt Marcus. Ich kann wegen der Plane nichts sehen, doch es hört sich so an, als würden Rick und Marcus kämpfen. Ich höre, wie sie sich schlagen, treten und dann ein Schuss. Die Plane wird von mir gerissen. Marcus greift mich und schleift mich zu einem Auto. Er hält eine Pistole und seine Hände sind blutig.
Er legt mich auf die Rückbank und holt ein Kästchen heraus. Fummelt etwas daran, dann holt er eine Spritze mit einer grünen Flüssigkeit heraus.
Verdammt, was hat er vor? Ich versuche, nach ihm zu treten, doch er weicht gekonnt aus und rammt mir die Spritze ins Bein. Ich spüre kurz einen Schmerz.
„Was hast du mir gegeben?“, frage ich ein wenig ängstlich, doch versuche, meine Angst zu verstecken.
„Keine Sorge, Jade. Umbringen werde ich dich, wenn du wach bist, nicht so“, lacht Marcus, klettert hinters Lenkrad und startet den Motor. Er fährt los und lenkt den Wagen auf den Highway. Was hat er vor.
Ich spüre, wie ich zunehmend benommen werde. Hat er mir ein Betäubungsmittel gespritzt? Meine Augen fallen immer wieder zu und ich spüre, wie ich immer weniger von der Umwelt mitbekomme. Nur noch halb bekomme ich mit, wie jemand eine Decke über meinen Körper legt, dann wird alles schwarz und ich bin bewusstlos.
Als ich die Augen öffne, befinde ich mich in einem abgedunkelten Raum. Jemand hat mich gefesselt und gegen die Wand gesetzt. Ich spüre, wie trocken meine Kehle ist und muss stark husten. Ich kann nicht aufhören und bekomme so nicht mit, wie Marcus den Raum betritt und sich zu mir hockt. Er hält mir eine Flasche Wasser an den Mund und ich nehme ein paar Schlucke, um den Husten zu beenden.
„Warum?“, frage ich dann und sehe in sein, von seinen braunen, schulterlangen Haaren, bedecktes Gesicht.
„Weil du mir schlimmes angetan hast, Jade. Du wolltest mich verlassen, Jade. Das konnte ich nicht zulassen. Ich habe dich hier her gebracht, damit wir neu anfangen können.“
Neu anfangen? Was redet er da? Nie im Leben würde ich etwas mit ihm anfangen! Ist es nicht so, dass er sich gegen mich verbündet hat?
„Du bist doch ein Psychopath“, sage ich das, was mir durch den Kopf rutscht. „Nie im Leben würde ich etwas mit dir anfangen!“
„Was?!“ Wütend springt Marcus auf und schlägt mit seiner linken Hand gegen die Wand. „Was hast du gesagt?!“
„Ich werde nie etwas mit dir anfangen, Marcus. Du bist doch verrückt!“, sage ich und versuche ruhig zu klingen. Vielleicht hilft es ihm ja.
Doch das Gegenteil scheint zu passieren, denn Marcus wird fuchsteufelswild und tritt erst gegen die Wand und dann gegen mich!
Ich muss mir einen Schrei unterdrücken und versuche mich von den Fesseln, die sich langsam in meine Haut schneiden, zu befreien.
„Nicht weglaufen, Süße“, sagt Marcus in einem Tonfall, der psychopathisch klingt. Er zieht meine Fesseln noch fester und drängt mich zum Aufstehen. Auf wackeligen Beinen stehe ich da und sehe Marcus an. Er ist gar nicht wiederzuerkennen. Vielleicht kann ich mehr herausfinden, wenn ich die Ängstliche spiele. Ja, ich habe Angst, aber ich weiß sie zu verstecken. Doch jetzt kommt diese mir vielleicht zum Vorteil.
Ich fasse einen Entschluss. Das letzte Mal hätte Marcus fast gewonnen. Ich bin nicht das verweichlichte Weib, welches er vermutlich vor sich sieht. Ich bin Jade Harper, Agent bei der FSA, ich habe das Zeug dazu, mich zu verteidigen! Diesmal lasse ich Marcus nicht gewinnen!
„Was hast du mit mir vor?“, frage ich gespielt ängstlich und hoffe, dass er nicht bemerkt, dass das mein Plan ist.
„Antworten bekommen“, zischt Marcus und zückt ein Messer. Ich zucke zurück und sehe auf das Messer. Will er mich jetzt umbringen?
Nein, will er nicht. Er schneidet meine Fußfesseln durch, vermutlich, damit ich gehen kann.
Marcus drängt mich vorwärts, steckt das Messer aber weg. Sehr gut.
Wir kommen in einen weiteren Raum. Marcus schaltet das Licht ein und ich kann ein Becken erkennen, in dem eiskaltes Wasser ist. Nun will er mich also foltern. Na toll. Was will er wissen? Wie wir zueinander stehen?
Ich entdecke eine Knarre auf einem Tisch neben der Tür. Ich muss handeln. Jetzt.
Als Marcus hinter mir steht, drehe ich mich blitzschnell um und trete ihm kräftig gegen das Knie. Er schreit vor Schmerz auf und stolpert rückwärts. Doch auch ich stolpere rückwärts und falle in das Becken mit dem Wasser. Ja, es ist definitiv eiskalt. Ich versuche mich daraus zu befreien, als Marcus auch schon mit seinem Messer da ist und versucht, mich zu töten. Doch ich kann mich befreien und gebe ihm einige Tritte, bevor ich ihm das Messer aus der Hand trete, es zu Boden fällt, ich mich mit einer Rolle daraufwerfe, das Messer in die Hände bekomme und meine Fesseln löse. Als meine Hände frei sind, habe ich gerade noch so Zeit, einem wütenden Marcus auszuweichen, der mit einem Stuhl, den er gefunden hat, auf mich wirft. Ich renne Richtung Tür, doch Marcus ist schneller und will mich aufhalten. Es fühlt sich fast wie damals in der Wohnung an.
Ich gebe ihm einen kräftigen Tritt in die Magengrube, dann einen Kinnhaken und als Marcus zu Boden stürzt, greife ich mir die Pistole und renne aus dem Raum.
Dem Adrenalin verdanke ich, dass ich nicht merke, dass mich Marcus mit dem Messer am Bein erwischt hat und ich blute. Ich spüre den Schmerz nicht, noch nicht.
Nach einer halben Ewigkeit habe ich mich aus diesem Haus befreit und finde mich in einem Wald wieder. Ich renne, Hauptsache weg, bis ich vor Erschöpfung hinfalle und mich an einen Baum lehne. Ich range nach Luft und schließe die Augen. Mir ist kalt und ich bin kaum noch bei Bewusstsein.
Ich spüre etwas hartes in meiner Hosentasche und fingere etwas heraus. Als ich die Augen öffne, kann ich nicht fassen, was ich da in der Hand halte! Mein Handy! Marcus hat es mir nicht abgenommen! So ein Glück!
Ich suche Callums Kontakt. Ich brauche ihn, seine Hilfe. Alleine komme ich hier nicht weg.
Ich schreibe ihm:
SOS! Ich weiß, wir haben uns gestritten, aber du hattest Recht. Rick ist der Maulwurf. Er wollte mich entführen, doch dann ist Marcus aufgetaucht und hat mich stattdessen entführt und in eine Hütte im Wald verschleppt. Ich konnte fliehen, doch ich bin verletzt und alles tut weh, ich kann nicht mehr, Callum.
Bitte, bitte hilf mir!
Jade
Ich schicke ihm noch die Koordinaten, dann lasse ich das Handy fallen. Mir ist kalt, ich zittere und mein ganzer Körper fühlt sich heiß an. Ich fühle mich so hilflos. Mir wird übel und ich weiß, dass es daran liegt, dass ich seit Tagen nichts gegessen habe und nach dem Spurt aus Marcus Hütte mein Körper nicht mehr mitspielt.
Meine letzte Hoffnung: Callum.
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