Kapitel 22
Jade
Mein Handy vibriert, während wir das Hauptquartier verlassen und ich sehe, wer mir eine Nachricht gesendet hat. Ich sehe auf das Display. Es ist das Überwachungssystem. Eine Bewegung in meiner Wohnung wurde wahrgenommen. Ich gehe auf die Nachricht und kann nun sehen, welche Bewegung gesichtet wurde – und erschrecke! Da ist Thompson mit Meredith und James in meiner Wohnung, und sie durchwühlen alles. Verdammt, ich bin aufgeflogen!
„Callum, warte!“, sage ich und sehe ihm tief in die Augen. „Wir können doch jetzt nicht einfach gehen.“ Ich will ihm nichts von den Einbrechern erzählen, aber ihn auch nicht in Gefahr bringen.
„Warum nicht?“, fragt er und sieht mich verwirrt an. Ich merke, die Ermittlungssache ist nicht so seins. Wenn sich ein Gericht nicht entscheiden kann, wird es auf den nächsten Tag vertagt, bei einem Kriminalfall allerdings gilt es, die Sache so schnell wie möglich aufzuklären. Und das ist nichts für schwache Nerven oder Büroleute. Erneut überlege ich, ob es eine gute Sache ist, Callum mit einzubeziehen. Es ist einfach nicht sein Gebiet, er hat Anwalt sein einfach im Blut, nicht Agent spielen.
Die Fahrstuhltüren öffnen sich und wir steigen aus. Ich muss es ihm sagen. Ich kann es einfach nicht verschweigen.
„Callum, warte mal.“ Ich sehe ihm tief in die Augen und atme tief durch, bevor ich sage: „Hör mal. Ich weiß, du hast mir versprochen, zu helfen, doch ich glaube, das ganze ist zu gefährlich. Ich will nicht, dass dir was passiert, Callum. Und du bist einfach nicht für den Job gemacht. Es tut mir so unglaublich leid, aber ich muss das alleine durchziehen. Wenn du an- oder erschossen wirst, das kann ich mir nicht verzeihen. Sobald das ganze vorbei ist, kehre ich zu dir zurück und dann können wir endlich normal leben.“ Während ich das sage, hab ich angefangen zu weinen. „Thompson, Meredith und James sind in meiner Wohnung, sie könnten dich umbringen!“
Callum sieht mich verständnisvoll, aber auch entsetzt an. „Und wenn du stirbst?“
„Ich passe auf mich auf, Callum“, flüstere ich, bevor ich ihn ein letztes Mal küsse und dann zurück in den Aufzug steige. Ich winke ihm zu, ehe sich die Türen schließen und ich hinunter fahre. Währenddessen wische ich mir die Tränen weg und sehe mich im Spiegel an, der im Fahrstuhl angebracht ist. Ich mag meine blonden Haare, doch jetzt, wo Thompson, Meredith und James wissen, wie ich aussehe, muss dringend was anderes her. Wie wäre es mit Haselnussbraun? Es würde gut zu mir passen, wie ich finde.
Die Fahrstuhltüren öffnen sich und ich steige aus, als Steele und Collins mit plötzlich entgegenkommen. „Jade! Ein Glück sind sie noch hier. Thompson, Meredith und James suchen nach Ihnen. Sie sind in Gefahr“, ruft Collins.
„Ich weiß. Mein Überwachungssystem hat mir Bescheid gegeben. Darum bin ich auch hier. Hören Sie mal zu, Callum ist ein wahnsinnig guter Anwalt, jedoch liegt ihm ermitteln nicht. Ich habe große Angst, dass ihm etwas passiert“, erkläre ich mein alleiniges Auftreten. „Wenn die TNS von meiner Verbindung zu Callum erfährt und uns immer zusammen sieht, bringt sie ihn vielleicht um, um mir zu schaden. Das darf nicht sein.“
„Wir haben auch schon gemerkt, dass es Ihnen im Blut liegt, Agent Harper. Darum haben wir Ihnen, als Agent Baton dabei war, auch nicht alles gesagt. Wir haben nämlich einen Plan, wie wir die TNS aufhalten wollen. Und wir haben da ein Angebot für sie...“
„Was für ein Angebot?“, frage ich neugierig.
„Ein Eingliederungstest, Agent Harper. Sie können ihn gleich machen und erhalten morgen das Ergebnis. Sie können offiziell für die FSA arbeiten und werden damit ein richtiger Agent“, erklärte Grace. „Da wir Sie seit längerem beobachten, wissen wir, dass es ihr Traumberuf ist.“
Ich kann es kaum fassen! Ein Eingliederungstest für eine Agentcy! Wie cool ist das denn? Es ist schon immer mein Traum gewesen, einmal als Agent zu arbeiten. Und jetzt ist das wirklich möglich. Ich werde ein richtiger Agent. Doch was ist mit Callum? Er lebt und arbeitet in Deutschland, er wird nach dieser Sache zurück wollen. Und ob ich es nun zugebe oder nicht, ich liebe ihn und ich will mich nicht von ihm trennen. Ich bin hin und her gerissen zwischen meinem Traumberuf und der Person, die ich liebe. Was soll ich tun? Nein sagen? Doch ich bin mir noch nicht zu hundert Prozent sicher, dass das mit mir und Callum funktioniert.
„Ich mach’s“, sage ich schließlich und die beiden lächeln mich freudig an.
Ich weiß nicht, wie lange ich schon gegen den Boxsack hämmere. Es ist der nächste Tag, die ganze Nacht war ich in der FSA, mittlerweile hat es mich in die Trainingshalle verschlagen, wo ich seit gefühlt Stunden auf den Boxsack hämmere, und mir vorstelle, es wäre Liam, der seine verdiente Tracht Prügel bekommt.
„Bist du neu hier?“ Eine männliche Stimme reißt mich aus den Gedanken und ich drehe mich um. Hinter mir steht ein jüngerer Mann, vielleicht Mitte dreißig, er trägt dunkle Haare und besitzt grüne Augen.
„Hi, ja bin ich“, antworte ich dem Mann. „Hab gestern meinen Eingliederungstest gemacht.“
„Ich bin Rick. Willkommen in der FSA. Lust auf ein bisschen Kamptraining?“, fragt er und grinst mich an.
„Ich heiße Jade. Und gern!“, stimme ich zu und wir stellen uns auf einer Matte gegenüber. Ich gehe in Kampfstellung und sehe Rick an. Dann geht es los. Wir rennen aufeinander zu und beginnen, zu kämpfen, Rick ist stark, doch ich bin dafür flink und weiche seinen Schlägen aus, nur, um dann selbst zuzuschlagen. Ich reiße ihn zu Boden und wir rangeln dort, bis Rick ruft: „Okay, Pause!“ Ich rutsche von ihm herunter und wir verschnaufen.
„Krass, du bist echt gut, Jade. Bist du auch im Team TNS stoppen?“, fragt er.
Ich nicke eifrig und springe auf meine Füße. „Ich bin praktisch unfreiwillig in die Sache reingerutscht. Mein Ex war Teil der TNS.“
„Du sagst war, ist er das denn nicht mehr?“, möchte Rick wissen, während er ebenfalls aufsteht und sich mit einem Handtuch über das Gesicht wischt.
„Er wurde von Thompson ermordet“, erkläre ich und trinke einen Schluck aus meiner Wasserflasche, zupfe mein Top zurecht und blicke auf die Uhr. „Ich sollte jetzt besser duschen gehen.“
Ich verabschiede mich von Rick und gehe in den Duschraum, dusche mich und ziehe mich hinterher wieder an. Dann trete ich ans Waschbecken und hole die Haarfarbe für Haselnussbraun aus meiner Sporttasche. Es wird Zeit, die Haare zu färben. Ich lese mir die Gebrauchsanweisung durch und beginne mit dem Färben. Ich sehe mich dabei im Spiegel an und merke, wie mich die letzten Wochen verändert haben. Ich stehe selbstbewusster da, meine Schultern hängen nicht mehr hinunter und der Kratzer auf meiner Wange ist fast verschwunden.
Nach einer halben Stunde ist mein Werk vollbracht und meine Haare haben eine neue Farbe. Mit einem Lockenstab locke ich sie sanft und sehe mich erneut im Spiegel an.
Plötzlich kommen wieder die Bilder von Joes Leiche in mir hoch. Die ganze Zeit habe ich sie verdrängt, doch nun kann ich meine Emotionen nicht stoppen. Ich beginne zu weinen und stütze mich am Waschbecken ab, dann kann ich meine Faust nicht mehr halten. Mit voller Kraft schlage ich gegen den Spiegel, um mein Elend nicht zu sehen. Es tut weg und meine Finger beginnen zu bluten, doch das ist mir egal. Ich gleite zu Boden und schluchze kräftig, bis ich mich irgendwann beruhigt habe und meine Hand verarzte. Zum Glück ist es die linke Hand, mit der ich nicht so viel mache.
Nach einer halben Ewigkeit kehre ich zurück zum Hauptgebäude und betrete Steeles und Collins‘ Büro.
„Hoppla, Jade! Was haben Sie denn mit ihren Haaren gemacht?“, fragt Collins sofort, als er mich sieht.
„Gefärbt“, erkläre ich. „Was gibt es neues?“
Steele geht zur Pinnwand und zeigt auf den Zettel, auf dem in großen Buchstaben CIA steht. „Die TNS bricht übermorgen auf nach Langley, Virginia, dem Sitz der CIA. Wir werden Morgen fliegen, um die Verbrecher überraschen und auf frischer Tat ertappen zu können.“
Schon Morgen? Das ist früh. Ich weiß, es ist gefährlich, aber ich muss mich mit Callum treffen, mich verabschieden. Ich hoffe, dazu bleibt noch genügend Zeit. Fu fliegen, ohne mich zu verabschieden, das bringe ich nicht übers Herz. Was Callum wohl gerade macht? Ist er vielleicht schon auf dem Rückweg nach Deutschland? Ich hoffe, nicht.
„Ach, und Jade? Sie haben den Eingliederungstest bestanden“, berichtet Steele und überreicht mir eine Marke und eine Art Pass, in der meine wichtigsten Daten einschließlich meines Status‘ als Agentin der FSA stehen. Man, sieht das cool aus! Doch was wird Callum dazu sagen? Wird er sauer sein? Ich muss mich sofort treffen.
Nachdem ich mit Callum ein Treffen im St James Park organisiert habe, fahre ich mit meinem neuen Auto, welches mir die FSA zur Verfügung stellt, zum Park. Meine neue Marke habe ich sogleich an meinen Gürtel zu meinem Waffenholster gehängt.
Als ich aussteige, sehe ich Callum schon, doch er scheint mich nicht gleich zu erkennen. Ich denke, es liegt an den Haaren.
„Jade! Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“, fragt Callum und sieht mich überrascht an. Kein „Hallo“ oder „Schön, dich zu sehen“? Habe ich doch etwas falsches getan, als ich Callum „abgeschoben“ habe?
„Gefärbt“, antworte ich knapp und sehe ihm tief in die Augen. „Callum, es, es tut mir so unfassbar leid, dass du nicht mehr dabei sein kannst. Aber ich liebe dich und ich will nicht, dass dir was passiert, Callum!“ Ich sehe ihn ernst an und greife seine Hände. „Morgen geht es nach Virginia und es ist vielleicht das letzte Mal, dass wir uns die nächsten Tage, Wochen sehen werden. Und darum wollte ich mich mit dir treffen. Denn ich muss dir was erzählen.“
„Schieß los“, sagt Callum gespannt, doch ich höre einen leichten Unterton in seiner Stimme.
„Ich habe einen Eingliederungstest beim FSA gemacht und habe ihn bestanden. Callum, ich bin jetzt wirklich ein Agent, mein größter Traum ist wahr geworden.“ Ich zeige auf meine Marke, während ich Callum weiterhin ansehe. Was wird er wohl dazu sagen?
***
Geschrieben von Alexandra
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