Kapitel 59 - Aussprache

Desorientiert sah er sich um, als er langsam wach wurde, um sich die ungewohnte Umgebung anzusehen, ehe sein Blick auf den dunklen Haarschopf fiel, der ihm so vertraut war und auf ihm lag. Seit dem heftigen Albtraum und ihrem kurzen Gespräch hatten beide tief und fest geschlafen, auch wenn es nicht sonderlich erholsam gewesen war. Vorsichtig löste sich Hizashi aus Shotas Klammergriff und legte eine Hand auf seine schweißbedeckte Stirn. Er fühlte sich immer noch wärmer an, als sie sollte, weswegen er nach dem Fieberthermometer griff, das noch immer auf dem kleinen Schränkchen neben dem Bett lag. Auch wenn seine Körpertemperatur noch immer zu hoch war, war es weitaus nicht mehr so schlimm wie in der Nacht. Es würde wohl noch etwas dauern, bis es Shota wieder viel besser ging. Aber das war auch zu erwarten gewesen. Nicht einmal jemand wie Aizawa würde es einfach wegstecken, fast zu Tode geprügelt zu werden und eine Nacht in der Mülltonne zu verbringen.

Kurz setzte er einen Kuss auf seine Stirn, ehe er das Schlafzimmer verließ, um herauszufinden, ob die anderen ebenfalls schon wach waren. Natürlich saßen Nemuri und Toshinori längt im Esszimmer bei ihren Gastgebern, die Frühstück vorbereitet hatten, während die beiden auf ein kleines Mädchen aufgepasst hatten, das auf dem Schoss der Dunkelhaarigen saß. „Guten Morgen, Schlafmütze", grüßte Kayama den Blonden, „wie geht's ihm?" Neugierig musterte die Dunkelhaarigen ihren jüngeren Kollegen, der sich neben ihr niederließ und so aussah, als ob er eine ganze Kanne Kaffee allein gebrauchen könnte.

Tatsächlich griff Yamada zuerst nach einer Tasse und goss sich etwas der koffeinhaltigen Brühe ein, gönnte sich einen Schluck, bevor er sich dazu imstande fühlte, zu antworten. „Er hat immer noch Fieber, aber es ist nicht mehr so schlimm wie gestern", erklärte er simpel. Von dem Gespräch und den Albträumen wollte er gar nicht erst anfangen. Er wusste, dass Shota im Moment sehr verletzlich war, und sich ihm anvertraut hatte. Auch wenn es vermutlich nur am Fieber lag, und er deswegen so offen mit ihm gesprochen hatte, war Hizashi froh, dass er überhaupt mit ihm geredet und sich etwas geöffnet hatte. Nach so langer Zeit war es ganz angenehm gewesen, sich wieder ein Bett mit ihm zu teilen und seine Nähe zu spüren.

„Ist er denn auch wach? Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages und laut dem Arzt sollte er keine davon auslassen", meinte Koichi lächelnd und reichte eine Tasse Kräutertee an Toshinori, „möchten Sie sonst noch irgendwas? Ich kann ihnen alles holen, was Sie möchten!" Dankend nahm der großgewachsene Mann die Tasse entgegen, winkte jedoch ab. „Das ist wirklich nicht notwendig", erklärte er und wurde leicht rot. Nach wie vor war es ihm schrecklich unangenehm, wenn er für Unannehmlichkeiten sorgte. Hätte Nemuri nicht um einen Tee für ihn gebeten, hätte er einfach ein Glas Wasser getrunken. Ständig glaubten die Menschen um ihn herum, dass sie ihn mit Nettigkeiten überschütten mussten, dabei machte ihn das schrecklich verlegen.

„Er hat noch geschlafen", berichtete Hizashi und nahm einen weiteren Schluck Kaffee, „viel Schlaf hilft schließlich auch. Hoffen wir es einfach."

„Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir ihn einfach mitnehmen sollten, solange er sich nicht dagegen wehren kann", merkte Nemuri an und beschmierte ein Brötchen mit Haselnusscreme, ehe sie es in zwei Hälften teilte und eine davon einem kleinen Mädchen reichte, das freudig lächelte, „am besten du gibst ihm noch einmal eine dieser starken Tabletten und dann ab ins Auto mit ihm."

Toshinori, der seine Hände um seine Tasse gelegt hatte, seufzte und sah zu der Frau auf. „Nemuri, wir haben doch gestern Nacht darüber geredet: Das wäre ein Fehler. Shota ist von der UA weg, weil er einfach rausmusste und keine andere Möglichkeit gesehen hatte, mit allem fertig zu werden. Er braucht etwas Abstand. Wenn wir ihn jetzt einfach so mitnehmen, gegen seinen Willen, machen wir alles nur schlimmer!", erinnerte er sie und legte den Kopf schief, während er sie ansah, „dann sind wir nicht besser als ... ." Immerhin hatte der Playmaker sie alle einfach so entführt, oder zumindest dachten sie das. Noch immer wussten sie nicht, was genau passiert war. Auch das machte es wahnsinnig schwer, mit allem fertig zu werden. Umso wichtiger war es, dass sie sich gegenseitig halfen. Aber nicht so. Es musste einfach einen andren Weg geben, um Shota beizustehen, und ihn vor sich selbst und anderen zu schützen.

Grummelnd musterte sie den Blondschopf, ehe sie sich an Hizashi wandte. „Du bist doch auch meiner Meinung, oder?", fragte sie mit Nachdruck. Yamada erschrak und verschluckte sich an einem Schluck Kaffee. „Nein ... ich bin eher Toshinoris Meinung", antwortete er, nachdem der Hustenanfall vorüber war. „Was?", zischte Nemuri sofort, „du bist komplett fertig, seit er abgehauen ist und bist fast zusammengebrochen, als du das Video gesehen hast und jetzt willst du zulassen, dass er so weiter macht? Wie sollen wir ihn beim nächsten Mal finden? Tot?" Obwohl Yagi versuchte, sie zu beruhigen, indem er seine Hand auf ihre Schulter legte, redete sie sich immer weiter in Rage.

Manaha, die immer noch bei Nemuri saß, begann leise zu schluchzen, was der Dunkelhaarigen ein wenig Wind aus den Segeln nahm. „Es tut mir leid", entschuldigte sie sich und schlang ihre Arme um das Mädchen, „ich wollte nicht laut werden, aber ich muss mit ihm schimpfen." Eigentlich hätte sie sich besser bei Hizashi entschuldigen sollen, anstatt bei dem Mädchen, das nur noch schniefte und mit ihrem verschmierten Gesicht zu der Frau hochsah. „Streit ist aber nie gut", meinte die Kleine.

„Das stimmt, vor allem wenn es keinen Sinn hat", meinte Toshinori und zuckte zusammen, als Nemuri ihm einen bösen Blick zuwarf. Auch wenn das zwischen den beiden noch nicht lange lief, hatte er längst mitbekommen, dass man einer so dominanten Persönlichkeit besser nicht oft widersprach, oder am besten gar nicht. Was jedoch nicht bedeutete, dass er deswegen zulassen würde, dass sie falsche Entscheidungen traf, auch wenn es ihm das Leben kosten könnte.

Natürlich war das Thema für die Dunkelhaarige damit nicht abgetan. Doch als plötzlich ein Poltern aus dem Gästezimmer drang, wurde ihre Aufmerksamkeit und ihr Blick zur Tür gelenkt. Sofort sprang Hizashi auf, doch Koichi war vor ihm in dem Raum. Der Anblick, der sich ihm bot, war fast armselig. Anscheinend wollte Aizawa aufstehen, doch es hatte nicht geklappt. Stattdessen war er mitsamt der Bettdecke aus dem Bett gestürzt und versuchte nun wieder auf die Beine zu kommen. Ohne zu zögern ging Haimawari neben dem Verletzten in die Knie und reichte ihm seine Hände, um ihm hoch zu helfen. „Vorsichtig", mahnte der junge Mann Shota, als dieser sich hastig hochziehen wollte und schmerzerfüllt stöhnte, „das wird schon wieder."

Als Shota wieder aufrecht stand, und sich auf Koichi stützte, kam auch Hizashi ins Zimmer. „Was ist passiert?", fragte er besorgt und ging sofort auf den Dunkelhaarigen zu, um ihn zu mustern, ehe er seinen anderen Arm um seine Schultern legte, „ich hab dich doch nur kurz allein gelassen!" Ein Seufzer entfuhr ihm, doch er wollte nicht mit seinem Freund schimpfen. Vor allem nicht, als sie einen Schritt auf die Küche zumachen wollten und Shota erneut einknickte. Glücklicherweise hielten die beiden Männer ihn fest, damit er nicht wieder stürzte. Sein verletztes Bein schien nachzugeben und höllisch zu schmerzen. „Versuch das Bein nicht zu belasten, wir bringen dich ins Esszimmer", versicherte Yamada ihm.

„Argh ...", stöhnte Shota und konnte nicht verhindern sein gesamtes Gewicht auf Hizashi zu stützen. Er fühlte sich noch immer benommen, und hatte das Gefühl, gar nicht richtig anwesend zu sein. Dennoch war er froh, den anderen an seiner Seite zu wissen, auch wenn er es nicht zu geben wollte. „Ich war mir nicht sicher, ob du wirklich ...", begann er in Richtung des Blonden zu flüstern, ehe er abbrach, weil er unbedacht das verletzte Bein belastete und scharf die Luft einsog. Langsam wünschte er sich, dass er doch träumte. Dann würde wenigstens die Chance bestehen, nach dem Aufwachen keine Schmerzen zu haben. Doch es war reines Wunschdenken. Im Moment war er nur froh, dass Hizashis Auftauchen kein Fantasiekonstrukt seines Fiebers war, auch wenn er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte, den anderen bei sich zu wissen, den er verlassen hatte. Er fühlte sich deswegen nach wie vor furchtbar schuldig.

„Schon gut", flüsterte Hizashi und versuchte Shota leicht anzuheben, um ihn weiter zu entlasten und sein Gewicht auf sich zu nehmen, „du hattest starkes Fieber und stehst immer noch neben dir." Ob er deswegen aus dem Bett gekrabbelt war, weil er dachte, er hätte sich die letzte Nacht nur eingebildet? Dabei war Shota nie ein Typ der so leicht zu verunsichern war. Vielleicht wollte er auch einfach nur das Weite suchen, solange er allein war und sich wieder verkriechen, aus Angst, dass sie ihn einfach mitnahmen. Zumindest würde das viel eher zu ihm passen als sein erster Gedanke. Dabei hatte er gar nicht so unrecht damit. Shota wollte tatsächlich nachsehen, ob er sich diese Nacht nur eingebildet hatte.

Als sie mit ihm das Esszimmer betraten, sprang Toshinori sofort auf, um ihnen zu helfen und Platz zu machen, indem er ihnen einen Stuhl bereitstellte. Nachdem Shota saß, holte Koichi ein Kissen aus dem Wohnzimmer, um es auf einen weiteren Stuhl zu legen, ehe sie das verletzte Bein vorsichtig darauflegten und es hochlagerten. Langsam zog der junge Mann das Hosenbein nach oben, um nach dem Verband zu sehen. „Das sieht nicht gut aus", kommentierte Koichi mit verzogener Miene. Der Verband war rot gefärbt und das Bein sah eindeutig angeschwollen aus. „Ich hol mal etwas zum Kühlen", meinte er, setzte wieder ein Lächeln auf und verschwand kurz in der Küche.

Mit schmerzverzerrter Miene rieb Shota vorsichtig über das Bein und wagte es nicht, aufzusehen. Erst als man ihm plötzlich einen Teller vor die Nase setzte, auf dem ein paar belegte Brote lagen, hob er seinen Blick. Mit finsterer Miene sah Nemuri zu ihm. „Iss das. Keine Widerrede", sagte sie in einem Ton, der den Mann schaudern ließ. Sie war also doch sauer auf ihn. Ihre gesamte Körperhaltung schrie förmlich danach, dass sie am liebsten über den Tisch gesprungen wäre, um sich auf ihn zu stürzen. Auch wenn Aizawa es nie für möglich gehalten hätte, hatte er im Moment ein wenig Angst vor ihr. Aus diesem Grund griff er sofort nach einem der Brote und biss lustlos hinein, obwohl er keinen Hunger hatte. „Und du auch", fuhr sie kurz darauf Hizashi an, der ebenso zusammenzuckte.

„Kannst du das mal sein lassen? Du bist in letzter Zeit so furchtbar gereizt", zischte der Blondschopf dann, „solltest du nicht eigentlich bessere Laune haben?" Kurz warf er einen Blick auf Toshinori, der sofort rot anlief und sich an seinem Tee verschluckte. Natürlich ahnte er, was Yamada mit seinem Blick aussagen wollte.

Auch Nemuri wusste diesen Blick zu deuten und presste ihre Lippen aufeinander, ehe sie Manaha absetzte und sie zum Spielen schickte. Die Männer ahnten sofort, dass dies kein gutes Zeichen war. Und damit hatten sie auch recht. „Ich bin gereizt, ja? Wie soll ich den verdammt nochmal reagieren, wenn ich dabei zusehen musste, wie einer von euch, vergiftet, einer von einer Riesenspinne aufgespießt wurde und der andere in den letzten Wochen gleich zweimal fast gestorben wäre. Wie soll man dabei bessere Laune haben? Sag mir das doch bitte ...", fuhr sie ihn wütend an und sah die drei der Reihe nach an. Sie hatte es satt ihnen bei einer Dummheit nach der anderen zuzusehen. Im Labyrinth hatte sie niemanden von ihnen beschützen können, aber nun würde sie alles tun, um sie in Sicherheit zu wissen. Auch wenn die drei es ihr verdammt schwer machten. „Ich ... ich kann einfach nicht mehr!", gab sie schließlich zu.

„Nemuri ...", versuchte Toshinori sie irgendwie zu besänftigen, doch als er merkte, dass sie zu zittern begonnen hatte, stand er auf, um sie in den Arm zu nehmen. Irgendetwas sagte ihm, dass es sie schwer mitnahm, von ihnen die Einzige zu sein, die bisher von allem verschont geblieben war. Er hatte schon zuvor geahnt, dass sie sich deswegen schuldig fühlte, doch sie konnte nichts dafür. Keiner von ihnen hatte an irgendetwas Schuld, oder darum gebettelt, verletzt und gequält zu werden. „Du hättest nichts davon verhindern können", versicherte er ihr, und vernahm plötzlich ein Schluchzen, „gib dir keine Schuld an dem, was passiert ist."

Kurz warfen sich die drei Männer einen Blick zu. Sie alle hatten eine Menge durchgemacht, doch bisher hatten die drei angenommen, dass es Kayama am besten weggesteckt hatte, weil sie nicht so viel abbekommen hatte, zumindest äußerlich. Stattdessen hatte es ihr noch viel mehr zugesetzt. „Ich hätte viel mehr tun müssen, anstatt immer nur untätig daneben zu stehen, während ihr verletzt wurdet", schluchzte sie laut, „ich komme mir so nutzlos vor."

„Das bist du nicht", versicherte Hizashi sofort und ging ebenso auf sie zu, um sie zu umarmen. Auch Shota hatte den Drang, es ihm gleich zu tun, doch seine Verletzungen hinderten ihn daran. Außerdem wusste er, dass es seine Schuld war, dass es ihr so schlecht ging. Würde er nicht existieren, hätte sie nicht solche Probleme. Sie alle wären viel glücklicher. Während die anderen drei sich in den Armen lagen, und versuchten sich gegenseitig Trost zu spenden, legte Aizawa das Brot beiseite und wandte sich ab. Erneut hatte er das Verlangen, einfach davon zu laufen, wie schon damals, nachdem er vor seine Klasse getreten war. Solange er in ihrer Nähe war, würden sie niemals ihr Glück finden.

Mit aller Kraft zog er sein Bein vom Stuhl und stemmte sich hoch. Solange sie miteinander beschäftigt waren, würden sie bestimmt nicht bemerken, wenn er verschwand. Zumindest dachte er das. „Wo willst du hin?", fragte Yagi plötzlich an ihn gerichtet, was ihn ertappt innehalten ließ, „du solltest lieber sitzen bleiben und dein Bein schonen."

Doch Shota schüttelte nur den Kopf, hielt sich am Tisch fest und versuchte auf einem Bein humpelnd voran zu kommen. Dabei wagte er es nicht, sie anzusehen, was dazu führte, dass er in Hizashi stolperte, der vor ihn getreten war. „Du willst nicht ernsthaft gerade abhauen, oder?", fragte der Blondschopf entsetzt, „was ist nur los mit dir?" Sofort griff er nach dem Arm des Verletzten, um ihn festzuhalten und daran zu hindern, weiter zu kommen.

Der Versuch, sich loszureißen, war nur schwach. Dafür war seine Sorge, wieder umzukippen und nicht mehr hochzukommen, viel zu groß. Wobei er kriechend vermutlich schneller vorankäme, als auf einem Bein. Vor allem als die drei ihn umzingelten und ihn eindringlich ansahen, merkte Shota, dass es kein Entkommen mehr gab. Er konnte weder davon laufen, noch sonst irgendwie aus dieser Situation entkommen. Dabei war ihm nicht nur diese Aufmerksamkeit zu viel, sondern auch die Tatsache, dass es ihnen allen nur wegen ihm so schlecht ging. Wie sollte er denn anders damit zurechtkommen, als einfach nur das Weite suchen zu wollen? Noch nie war er mit Emotionen und Gefühlen fertig geworden und er würde es jetzt auch nicht auf Anhieb lernen, sie zu verstehen. Er fühlte sich schrecklich überflüssig und in die Enge getrieben.

„Shota?", fragte Nemuri besorgt, nachdem Aizawas Blick starr auf dem Boden gerichtet blieb und er kein Wort über seine Lippen gebracht hatte. Sein Körper bebte, doch er wusste nicht, ob es deswegen war, weil er innerlich mit sich kämpfte, oder ob es einfach eine Reaktion seines Körpers auf die Anstrengung war. Er wollte einfach nur weg. Irgendwohin, wo ihn niemand finden konnte und er für sich war. Wo er niemanden sehen musste und niemand wegen ihm irgendetwas zustieß. Doch da es schon beim ersten Versuch nicht geklappt hatte, bezweifelte er, dass sein Vorhaben diesmal funktionieren würde. Vielleicht sollte er einfach beim Fenster rausspringen. Die Wohnung lag immerhin ein paar Stockwerke über dem Boden.

„Lasst mich vorbei", murmelte er, wagte es noch immer nicht sie anzusehen und hoffte, dass sie vielleicht doch nun zur Seite traten und ihn gehen ließen, „ich muss hier raus." Je länger er bei ihnen verweilte, umso mehr bekam er das Gefühl, dass ihm die Luft zum Atmen fehlte. Die Schuldgefühle, die ihn seit Wochen begleiteten und vor denen er davonlaufen wollte, stürzten mit voller Wucht wieder auf ihn ein. Damit kam er einfach nicht klar, und er wollte so schnell es ging weg von ihnen, bevor er unter ihrer Last zusammenbrach.

Hizashi dachte jedoch nicht daran, seinen Arm loszulassen. „Ganz sicher nicht." Sein Griff wurde kurzzeitig ein wenig fester, während seine Wut leicht stieg. Tatsächlich hatte Yamada es langsam satt. „Du bist abgehauen, weil du gesagt hast, dass du dich verloren hast und von vorn anfangen willst. Aber es hat nicht funktioniert, stattdessen scheint alles nur noch schlimmer geworden zu sein. Davonlaufen ist also keine Lösung!", versuchte er nicht allzu wütend von sich zu geben, doch er konnte nicht verhindern, dass sein Griff noch fester wurde. Erst als er das leicht schmerzverzerrte Gesicht des anderen sah, merkte er, was er tat und ließ locker.

Doch Shota störte es gar nicht. Es war ihm lieber, wenn sie ihm heimzahlten, was er ihnen angetan hatte. Vielleicht half ihm das, endlich mit allem fertig zu werden. Es brachte ihm jedoch nicht die erhoffte Erlösung. Nichts schien ihm zu helfen, mit all dem fertig zu werden. Nicht einmal seine Flucht hatte etwas gebracht. Sie hatte wirklich nur alles schlimmer gemacht. „Das weiß ich doch auch!", platzte es schließlich aus ihm heraus, „ich wünsche mir mittlerweile so sehr, dass er seine Drohung wahrgemacht hätte, und ich jetzt tot wäre. Ich weiß einfach nicht, wie ich mit allem umgehen soll ..." Gab es denn irgendwo eine Lösungsvorlage? Irgendeinen Anhaltspunkt, nach dem er sich richten könnte? Für gewöhnlich stürzte er sich in die Arbeit, um seine Probleme zu vergessen, doch im Moment war die Arbeit sein Problem. „Ich kann nicht vor meine Klasse treten, ohne an all das, was passiert ist, denken zu müssen. Ich schaffe es auch nicht, euch in die Augen zu blicken, nach allem was passiert ist ...", erklärte er weiter, ehe er den Kopf erneut sinken ließ und seufzte, „es geht einfach nicht." Ständig sah er sie vor sich, die Ereignisse im Labyrinth, wie verzweifelt und verletzt sie waren, nur wegen ihm, weil er damals einen Fehler gemacht hatte.

Kaum hatte er zu Ende gesprochen, schlangen sich die dünnen Arme Yamadas um ihn. „Bitte sag solche Sachen nicht. Der Playmaker ist im Unrecht, und wir sind alle froh, dass du am Leben bist", versicherte er ihm sofort und spürte, wie Shota in seiner Umarmung zu zittern begann und leise schluchzte. „Keiner ist dir wegen irgendetwas böse, aber ich verstehe, dass es schwer ist. Wir, vor allem du, hast viel durchgemacht. Es ist nur logisch, dass es nicht von heute auf morgen wieder normal weiterlaufen kann, aber bitte ... mach es nicht noch schlimmer!", bat der Blondschopf leise und strich zärtlich über den Rücken des anderen. Hilfesuchend sah er sich nach den anderen beiden um. Auch wenn sie, seit Shotas Verschwinden, viel geredet und gemutmaßt hatten, was in Aizawa vorgehen musste, waren sie zu keiner Lösung gekommen, die helfen könnte. Nur reden könnte helfen, aber das war etwas, was Shota oft zu vermeiden versuchte.

„Ihr solltet es aber sein", schluchzte Shota in Hizashis Halsbeuge und ließ sich zurück auf einen Stuhl lotsen, auf dem Hizashi platznahm und den Dunkelhaarigen auf seinen Schoß zog, „ich habe so viele Fehler begangen. Es ist alles nur meine Schuld."

Tröstend strich der Blondschopf über den Rücken seines Freundes. „Glaub mir, das hast du nicht. Und auch wenn du denkst, dass du leichter mit allem umgehen kannst, wenn wir sauer auf dich sind und dich hassen, werden wir dir zum einen den Gefallen nicht tun und zum anderen wird es einfach nicht der Fall sein", erklärte Yamada sanft, weil er Shota mittlerweile sehr gut kannte. Er wusste, dass er das Gefühl hatte, dass es ihm besser gehen würde, wenn sie alle ihren Frust an ihm ausließen, genauso wie es der Playmaker getan hatte. Aber damit wäre niemanden geholfen und Aizawa würde nur nach noch mehr Schmerz suchen. „Aber wenn du dich noch nicht bereit fühlst, zurück zur UA zu gehen, dann können wir für eine Weile in unsere alte Wohnung hier in der Nähe ziehen", schlug Hizashi vor, was Shota kurz ein wenig aufsehen ließ, „glaub ja nicht, dass ich dich weiter alleine lasse, solange du so neben dir stehst und Hilfe brauchst. Du schaffst das nicht allein, und du brauchst mich." Vor allem im Moment, da Aizawa nicht einmal zwei Schritte allein machen konnte.

„Das klingt doch nach einer guten Idee! Dann wissen wir zumindest, wo du bist, und dass wir uns keine Sorgen machen müssen", fügte Toshinori an und sah zu Nemuri, die ebenso nickte. „Aber zuerst sollte sich ein Arzt noch einmal das Bein ansehen", meinte die Dunkelhaarige, die sich endlich wieder etwas gefangen hatte. Haltsuchend lehnte sie sich an Toshinori, der sie an sich drückte.

Nachdenklich und auch ein wenig unsicher, sah Shota jeden der drei Menschen, die er als seine besten Freunde und auch als Familie bezeichnete, an. Obwohl sie durch seine Entscheidungen leiden mussten, schienen sie immer noch zu ihm zu stehen, auch wenn er das nicht nachvollziehen konnte. Doch er sah ein, dass er nicht weiter vor ihnen fliehen konnte. Daher nickte er, nachdem sein Blick wieder auf Hizashi lag. Weitere Wochen ohne den Blondschopf an seiner Seite, würde er ohnehin nicht überleben. Dafür vermisste er ihn zu sehr. Und vielleicht war es einfach Zeit, einen neuen Plan zu formen, um mit allem fertig zu werden.

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