Kapitel 58 - Verquere Logik
Also war es eine beschlossene Sache, dass die drei UA-Lehrer über Nacht blieben. Die anderen Männer verabschiedeten sich, nachdem sie Hizashi geholfen hatten, Shota wieder ins Bett zu verfrachten. Schließlich sollte der Blondschopf noch nicht wieder schwer heben, und sich weiterhin schonen. Auch wenn es mit der Stimme schon wieder besser klappte, war die Wunde an seinem Oberkörper schon fast verheilt, aber er sollte sich so lange wie möglich nicht überanstrengen, weswegen er noch immer vom Heldendienst freigestellt war.
Der Voicehero würde sich das Gästebett mit seinem Verlobten – Yamada nahm die Trennung einfach nicht hin – teilen, um weiterhin bei ihm zu sein, während Toshinori und Nemuri es sich auf dem Sofa bequem machten. Tatsächlich war es eine gute Idee, dass Yamada die Nacht bei Aizawa blieb und ihm Gesellschaft leistete.
Zweimal musste er ihn wecken. Der Schrecken des ersten Albtraums verflog schnell wieder, doch der zweite Albtraum fiel weitaus heftiger aus. Schweißgebadet und zitternd lag Shota neben ihm, als er leise zu schluchzen begann und flehte. „Shota ...", versuchte Yamada sofort den Schlafenden zu wecken. Als er ihn an der Schulter berührte, schluchzte er nur noch lauter. „Bitte ... tu ihnen nichts", wimmerte der Dunkelhaarige leise, „nimm mich ... lass sie in Ruhe."
„Ssssh, Shota, alles ist in Ordnung. Wir sind in Sicherheit", versicherte der Blonde ihm sofort und nahm ihn in den Arm, um ihm Sicherheit zu geben, und strich ihm sachte über den Rücken. „Wir sind weit weg von diesem Irren. Er kann dir nichts mehr tun und uns auch nicht." Ängstlich klammerte sich der Dunkelhaarige an ihn. Der Traum musste wirklich heftig ausgefallen sein, wenn jemand wie Aizawa so reagierte. „Es ist alles gut", wiederholte Hizashi immer wieder, solange bis das Schluchzen leiser wurde und Shota sich etwas beruhigte. Es brach ihm das Herz, den Mann, den er liebte und der für gewöhnlich der Stärkere der beiden war, so verzweifelt zu sehen. Kein Wunder, dass er das Weite gesucht hatte. Selbst bei den furchtbarsten Albträumen war es bisher noch nie so schlimm gewesen.
Erst nach ein paar Minuten beruhigte sich der Zitternde wieder, schniefte und vergrub sein Gesicht in der Schulter seines Freundes. Um sich weiter zu beruhigen sog Shota seinen Duft ein, den er in den letzten Tagen schmerzlich vermisst hatte. „Es tut mir alles so leid", flüsterte Shota schließlich, „ich hätte nicht einfach gehen sollen. Es war dumm." Sehr dumm. Er traf in letzter Zeit so viele dumme Entscheidungen, weil er dachte sie wären logisch. So viele Fehler, die er eigentlich hatte vermeiden wollen und können, wenn er nur richtig nachgedacht hätte. Doch in seinem Kopf hatte alles so logisch geklungen. Wie konnte er sich nur so irren? „Ich wollte dir nicht noch mehr wehtun, aber ich wusste nicht, was ich tun soll, weiß ich immer noch nicht." Kaum hatte er das ausgesprochen, schluchzte er erneut. Eigentlich wollte er mit seinem Weggang verhindern, dass Hizashi jemals wieder in Gefahr geriet und er nicht verletzt wurde, doch stattdessen hatte er alles nur noch schlimmer gemacht. Für Yamada und vor allem auch für sich selbst, aber dass er sich selbst gerne quälte, war nichts Neues.
„Schon gut, Sho. Es ist viel passiert und du hast viel durchgemacht. Ich hätte spüren müssen, dass du nur so tust als wäre alles in Ordnung. Du tust das immer ...", seufzte Hizashi und strich über Shotas Haare. Obwohl er anfangs wütend und traurig über sein Verschwinden war, empfand Yamada nun nur noch Schuld. Vielleicht hätte er den plötzlichen Aufbruch verhindern können, indem er seinem Freund mehr beigestanden wäre. Aber wie sollte das funktionieren, wenn er sich nie öffnete? Dieses ständige Lügen und Verschweigen musste endlich aufhören. Auch wenn sie einander dadurch nur beschützen wollten, aber sie machten es meist nur ungewollt schlimmer.
„Es tut mir leid ... du musst mich hassen. Zumindest wäre es logisch nach allem, was ich dir angetan habe", murmelte Aizawa leise und löste sich vom Oberkörper des anderen, ehe er sich die Tränen in dem Ärmel des Hoodies abwischte. Für gewöhnlich hatte er seine Emotionen besser im Griff, aber das Fieber und die Schmerzmittel machten ihn mürbe. Glücklicherweise war nur der Mensch anwesend, dem er am meisten vertraute und der ihn so sehen durfte. Dennoch schämte er sich so sehr, dass er seinen Kopf sinken ließ und es nicht wagte hochzusehen.
Vorsichtig griff Hizashi unter Shotas Kinn, um seinen Kopf leicht anzuheben, damit er ihn direkt ansehen musste. „Ich könnte dich niemals hassen", versicherte er ihm liebevoll und küsste ihn sanft auf die Lippen. Es konnte noch so viel passieren, aber dabei war der Blondschopf sich sicher. Er könnte Shota niemals hassen. Dafür liebte er ihn zu sehr. „Deine Logik ist zur Zeit ziemlich verquer, Sho", fügte er belustigt an, „vor allem wenn sie dir sagt, dass du davonlaufen sollst. Ich dachte wir hätten längst geklärt, dass du das sein lassen sollst. Wir sollten uns gegenseitig helfen. Immer zusammenstehen." Nach wie vor hielt er den Dunkelhaarigen fest, und hoffte, dass er bei der erstbesten Möglichkeit nicht wieder das Weite suchte. Momentan hinderten seine Verletzungen ihn am Verschwinden, aber sobald es ihm auch nur etwas besser ging, würde ihn nichts aufhalten. Davor hatte Yamada große Angst. Er wollte, dass Shota bei ihm blieb. Für immer.
„Im Moment sagt sie mir nur, dass ich schlafen will", murmelte Aizawa müde vor sich hin und kuschelte sich an Hizashi, der sich langsam wieder hinlegte und Shota an sich zog. Auch wenn ihm furchtbar heiß war, wollte er Yamada nicht loslassen. Irgendwie hatte er immer noch das Gefühl, er könnte jederzeit aus einem Traum aufwachen und allein in einer dunklen Ecke liegend, verbluten. In diesem Augenblick bereute er seine Entscheidung, doch was hätte er sonst tun sollen? Als er vor die Klasse getreten war damals, konnte er einfach nicht da weitermachen, wo er vor dieser Sache aufgehört hatte. Bisher war es immer so einfach gefallen, aber diesmal nicht. Diesmal war es anders gewesen und er musste einfach weg. Er hatte keine Ahnung, wie er damit umgehen sollte. Weder an diesem Tag vor ein paar Wochen noch heute.
„Hast du denn gefunden, wonach du gesucht hast?", fragte der Blondschopf neugierig und spürte, wie der andere den Kopf schüttelte. Mehr wollte Shota dazu auch gar nicht sagen. Sonst hätte er noch zugeben müssen, dass er im Moment nicht einmal mehr sicher war, ob er überhaupt zum Helden taugte. In den letzten Tagen und Wochen hatte er viel zu viel einstecken müssen, um weiterhin daran festhalten zu können, gut in seinem Job zu sein. Eigentlich wäre es wohl eher besser, diesen Beruf an den Nagel zu hängen, doch wenn er dies nun laut aussprechen würde, würde er es sich eingestehen und vielleicht tatsächlich seine Heldenlizenz zurückgeben. Stattdessen schwieg der Dunkelhaarige und klammerte sich an Yamada, als wäre er eine Rettungsboje.
Sanft strich Hizashi die kurzen dunklen Haarsträhnen hinter Shotas Ohr. „Die Frisur gefällt mir", flüsterte er leise, nachdem sie ein paar Minuten in Stille verbracht hatten, „erinnert mich an früher." An eine unbeschwerte Zeit, in der alles noch so neu für sie beide gewesen war. Auch damals schon hatte Shota immer die Angewohnheit gehabt, sich hinter einem Vorhang aus seinen Haaren zu verstecken, weswegen er sie immer länger wachsen ließ, um sich besser vor den Blicken der anderen zu schützen. Schon während ihrer Schulzeit hatte Hizashi es genossen, den Vorhang zu lüften, in seine dunklen Augen zu blicken und sich einen Kuss zu stehlen. Dabei war es nur ein kurzer Zeitraum gewesen, in dem sie zusammenkamen und so etwas wie glücklich und unbeschwert waren. Nach dem Tod ihres Freundes war es schwierig für die beiden geworden, weil sie nicht mit dem Verlust umgehen konnten. Tatsächlich hatten sie nie gelernt, mit schweren Schicksalsschlägen umgehen zu können, was auch Shotas ständige Flucht erklärte, weil er sich den Gefühlen nie stellen wollte.
„Hm ... die Bürste kam nicht durch... und der Kaugummi nicht raus ...", erklärte der Dunkelhaarige schläfrig. Auch wenn er seine Haare in einer Kurzschlussreaktion abgeschnitten hatte, weil es ihm logisch erschien die Mähne, die er nicht bändigen konnte, loszuwerden, gefiel es ihm selbst auch langsam. Es war wie ein Neubeginn, auch wenn es bescheuert klang. Aber er war wohl nicht der einzige, der neu anfangen wollte. „Läuft etwas zwischen Toshinori und Nemuri?", fragte er leise und gähnte. Mit diesem Thema hoffte er, von sich endlich etwas ablenken zu können.
„Dir entgeht auch nichts", meinte Hizashi amüsiert und strich weiter über Shotas Haare, „ja, zwischen den beiden hat sich etwas entwickelt, auch wenn sie versuchen es vor mir zu verbergen seit ... seit du weg bist." Die letzten Worte fügte er leise an, hoffte, dass Aizawa den traurigen und verletzten Unterton nicht mitbekommen würde. Sowohl Kayama als auch Yagi versuchten so verdammt rücksichtsvoll mit ihm umzugehen, obwohl ihre beginnende Beziehung doch so auffällig sofort ins Auge stach. Allein der Gedanke daran, machte Hizashi plötzlich wütend. „Weißt du, sie wollen Rücksicht nehmen, aber das ist dämlich. Nur weil mein Herz zerbrochen wurde, müssen sie sich nicht verstecken. Oder bin ich so ein schrecklicher Mensch, dass sich alle vor mir verstecken müssen?", fragte er bitter klingend. Doch eine Antwort auf seine Frage blieb aus.
Tatsächlich vernahm er den gleichmäßigen Atem des Dunkelhaarigen, der halb auf ihm lag. Shota hatte seine Worte gar nicht gehört und seine Wut nicht mitbekommen, da er längst wieder eingeschlafen war. Hizashi seufzte. Vermutlich war es auch besser so. Am Ende hätte es noch alles schlimmer gemacht. Immerhin wollte er wirklich nicht wütend sein auf seinen Freund. Er konnte verstehen, dass er raus musste. Es war nur so furchtbar verletzend, dass er Yamada verlassen hatte, und es für nötig hielt, mit ihm Schluss zu machen. Noch vor ein paar Stunden hatte der Blonde sich vorgestellt, wie er Shota zuerst Ohrfeigen würde, wenn er ihn endlich fand, bevor er ihn leidenschaftlich küssen wollte. Doch nach dem Auftauchen dieses Videos und dem Wissen, dass er schwer verletzt worden war, womöglich getötet wurde, machte er sich nur noch mehr Sorgen. Aizawa war eindeutig noch nicht wieder arbeitsfähig, weil er nicht bei der Sache war. Wie auch, wenn sein Geist in kleine Stücke zerbrochen worden war. Was aber nicht hieß, dass Hizashi deswegen nicht dennoch immer noch leicht sauer war. Immerhin sollte Shota wissen, dass er immer für ihn da war, um ihn wieder zusammenzuflicken.
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