Kapitel 52 - Das Leben eines Undergroundheros

Seine Hand zitterte, als er sie hochhielt. Blut klebte an seinen Fingern, was ihn nur kurz genervt seufzen ließ. Sofort drückte er seine Handfläche wieder auf die rechte Seite seines Unterleibs. Es war nur ein dämlicher Kratzer, mehr nicht, dennoch schien es höllisch wehzutun. Trotzdem versuchte Eraserhead keine Miene zu verziehen, während er das Messer weg trat, das vor ihm auf dem Boden lag, ehe er mit dem freien Arm ausholte und dem Schurken einen k.o-Schlag verpasste, den er soeben bekämpft hatte.

Seufzend schnürte er den Bewusstlosen zu einem Paket zusammen und wählte die Nummer der örtlichen Polizei, damit sie den Schurken einsammeln konnten. Es war bereits der fünfte Verbrecher diese Nacht, den Shota dingfest machen konnte. Vermutlich war er deswegen so müde und unvorsichtig gewesen, dass ihn das Messer hatte erwischen können. Zudem war er außerdem zuvor bei dem Kampf gegen Schurke Nummer vier von einem Dachvorsprung gefallen und in einem Müllcontainer gelandet. Im Moment schien er fürchterlich aus der Form zu sein, oder lag es einfach daran, dass er im Gedanken ständig woanders war.

Noch bevor die Polizisten am Ort des Geschehens eintrafen, war Aizawa längst verschwunden, hatte nur die nötigsten Daten auf einer Visitenkarte hinterlassen, um später für seine Arbeit bezahlt zu werden. Er wollte im Moment zu niemanden Kontakt haben. Außerdem war er nicht dumm. Der Dunkelhaarige kannte Toshinoris Kontakte zur Polizei gut genug, und wusste, dass er Tsukauchi bestimmt bereits darauf angesetzt hatte, nach ihm Ausschau zu halten. Daher wollte er es ihnen nicht zu einfach machen, ihn zu finden.

Langsam dämmerte bereits der Morgen über den Dächern von Naruhata, während Shota in einer Seitengasse verschwand und den Weg zu seinem Büro einschlug. Schon damals, bevor er nach Musutafu gezogen war, hatte er diese Räumlichkeit gemietet und als Standort seiner Agentur angegeben. Er hatte Glück gehabt, und schnell herausgefunden, dass das Büro noch immer leer stand. Keiner der Helden wollte in so einer dunklen Seitengasse eine Agentur eröffnen. Sie war viel zu abgelegen und die Miete war unerhört hoch, obwohl man wenig Vorteile von der Lage hatte. Nur ein Katzencafé an der Ecke führte dazu, dass sich hier nicht nur zwielichtige Personen herumtrieben. Vermutlich hatte das den Preis für die Miete in die Höhe getrieben, denn Aizawa kam die Miete damals sehr erschwinglich vor.

Da Shota fast jeden Cent, den er sich beiseitegelegt hatte, für die Kaution und Miete aufbringen musste, blieb wenig für den Alltag über. Von dem Bisschen, das übriggeblieben war, hatte er sich etwas Verbandszeug und ein paar Proteinpäckchen besorgt. Eigentlich hatte er vorgehabt, sein Erspartes dafür zu nutzen, Hizashi nach ihrer Hochzeit mit einer Reise zu überraschen, aber diesen Plan hatte er vor dem Ausflug in die Hölle verfolgt. Die Welt sah nun anders aus, ebenso wie Aizawas Pläne.

Um wieder bei Null anfangen zu können, und seiner Tätigkeit als Held nachzugehen, brauchte er ein Büro, da war es nur passend, die alten Räumlichkeiten wieder zu mieten. Immerhin war er doch ein Gewohnheitsmensch und eine alte Umgebung, die ihm bereits bekannt war, würde ihm bestimmt dabei helfen, schneller auf die Beine zu kommen. Zumindest war das sein Gedanke dahinter gewesen. Stattdessen hatte er nur feststellen müssen, dass er nicht bei der Sache war und ihm das bisher eine Menge blauer Flecken und Blutergüsse eingebracht hatte. Heute Abend sogar eine Schnittwunde und ein verstauchtes Bein. Natürlich war er Verletzungen bisher gewohnt, doch es war frustrierend, dass er erst eine Woche zurück in Naruhata war, und bereits mehr einstecken musste, als in den letzten Monaten. Es war unglaublich frustrierend.

Noch dazu kam, dass die Fälle ausblieben, da niemand sich zu seinem Büro verirrte, und er somit auf die nächtlichen Streifzüge angewiesen war, um ein bisschen Geld zu verdienen. Da er allerdings nicht die Werbetrommel rührte, und die Agentur erst seit einer Woche wieder eröffnet war, konnte man wohl ohnehin nicht davon ausgehen, dass man ihm die Tür einlief. Nur ein paar geldeinbringende Aufträge waren ganz hilfreich, um nicht die Mülltonnen plündern zu müssen, die in der Nähe des Cafés standen, wenn das Geld nicht mehr für Essen reichte. Es war ein harter Abstieg für ihn, von dem er allerdings sicher war, dass er es ohnehin nicht anders verdient hätte.

Während er versuchte, den Schnitt zu säubern und zu verbinden, nuckelte er sein letztes Proteinpäckchen aus, und begann danach das T-Shirt seiner Heldenuniform im kleinen Waschbecken der Toilette zu säubern. Der Raum war nicht sonderlich groß und schloss an sein Büro an, doch es musste fürs erste reichen, um sich selbst ausreichend sauber zu halten. Es war wirklich fast wie früher. Shota war auf sich allein gestellt und schlief auf dem Sofa seines Agenturbüros. Früher hatte er anfangs nicht einmal solche Räumlichkeiten und hatte sich in Lagerhallen eingeschlichen, um zu schlafen und sich dort kurzzeitig einzunisten, bevor er genügend beisammen hatte, um sich dieses Büro zu mieten. Damals war er ziemlich stolz deswegen gewesen, auch wenn es seltsam war, für seine eigene Leistung so etwas zu empfinden. Aber das Gefühl, etwas geschafft zu haben, war doch recht angenehm gewesen. Das einzige, was er im Moment fühlte, war noch mehr Abscheu vor sich selbst, als er sonst empfand.

Nachdem er sein schwarzes Shirt zum Trocknen aufhängte, begann er seine Schulter und den Ellbogen etwas mit Salbe einzureiben, die er noch aus dem Krankenhaus hatte. Die fast leere Tube warf er zurück in den Verbandskasten und konnte nicht vermeiden, sich selbst in dem kleinen Spiegel zu betrachten, der über dem Waschbecken hing. Müde Augen blickten ihm entgegen, die blutunterlaufener erschienen, als sonst, auch seine Augenringe stachen markanter hervor. Kurz fuhr er sich über die Stirn, rieb sich die Stelle, an der er die Platzwunde davongetragen hatte, und wo sich nun eine kleine Narbe befand und ihn ebenso wie jene unter dem Auge für immer daran erinnern würde, dass er seine Schüler und Freunde nicht ausreichend beschützen konnte. Ein Symbol dafür, dass er versagt hatte.

Seufzend wandte er sich ab, und trottete zurück in sein Büro, um ein frisches T-Shirt aus dem Koffer zu ziehen. Bevor er es jedoch überzog, hielt er inne. Der Stoff, den er in der Hand hielt, fühlte sich anders an. Als er das Shirt entfaltete, merkte er auch, wieso. Es war keines seiner Kleidungsstücke, sondern eines von Hizashi. Anscheinend hatte er in aller Eile auch etwas von Yamada eingepackt. Nachdenklich fuhr er über den Stoff des Shirts und streifte es im nächsten Moment über. Hellgrau war zwar sonst nicht seine Farbe, allerdings hatte er im Moment sonst nichts anzuziehen. Das einzige, was ihn daran störte, war die Tatsache, dass es ein Kurzarmshirt war und recht eng anlag. Um all die Narben auf seinem Am zu verbergen, zog er auch noch eine Jacke hervor, um sie überzuziehen.

Obwohl er eigentlich etwas schlafen sollte, um sich auszuruhen, band er seine Haare zusammen, bevor er die Kapuze überzog, wickelte seine Fangwaffe um seinen Hals und verließ das Büro. Auch wenn er sein Bein eigentlich schonen sollte, konnte er nicht still sitzen und wollte sich die Beine vertreten. Außerdem hatte er Hunger. Das Proteinpäckchen hatte nicht ausgereicht, seinen knurrenden Magen zum Schweigen zu bringen, also hoffte er, in dem Café an der Ecke mit dem Bisschen an Geld, das er noch hatte, eine kleine Mahlzeit abzustauben, oder zumindest einen Kaffee.

Es war immer noch seltsam für ihn, dass aus dem kleinen Laden der Hotta Brüder, in dem er sich damals eingenistet, und immer Kaffee geschnorrt hatte, nun ein gut besuchtes Katzencafé geworden war. Natürlich hatte er damals bei seinem Aufbruch zur UA versprochen, ab und an vorbei zu kommen, aber es war keine Zeit dafür gewesen. Zum ersten Mal seit er nun wieder hier war, wollte er sein Versprechen einlösen und das Café betreten.

Leicht humpelnd trat er auf den Eingang zu, konnte bereits den Duft von Kaffee wahrnehmen, ebenso wie von frisch gebackenen Muffins und anderen Köstlichkeiten, die seinen Magen nur noch lauter rumoren ließen. Nachdem er ein paar Gästen des Cafés die Tür aufhielt, während sie den Laden verließen, trat er selbst ein und sah sich um, auf der Suche nach einem abgelegenen Platz oder einem bekannten Gesicht. Auch wenn er unbemerkt bleiben wollte, wäre es gewiss ganz angenehm, wenn er mit alten Bekannten reden könnte. Vor allem die Hotta Brüder und deren Freunde würden verstehen, wenn er sie um Diskretion bat, schließlich hatten sie alle eine kriminelle Vergangenheit. Sie wussten, was es bedeutete, wenn man nicht auffallen wollte.

Allerdings kam Shota gar nicht weit. Noch ehe er darüber nachdenken konnte, ob er seine Kapuze abstreifen sollte, stand ein bedrohlich wirkender Kellner vor ihm. Ein bekanntes Gesicht, schoss es ihm sofort durch den Kopf. Kamachi Kirihito. Doch noch ehe Aizawa etwas sagen konnte, hob der Mann, der aussah wie ein Gottesanbeter die Arme. „Tut mir leid, aber in unserem Café sehen wir nur ungern Penner ... vor allem solche die unsere Mülltonnen plündern und dementsprechend riechen", erklärte der Manager des Hopper Cafés naserümpfend und deutete Shota mit ein paar Handbewegungen, dass er sich schleunigst aus dem Staub machen sollte.

Grummelnd zog der Dunkelhaarige seine Mundwinkel nach unten und wollte aufsehen, um etwas zu sagen, als er plötzlich den Fernseher in der Nähe bemerkte. Auch wenn der Ton nicht gerade laut angestellt war, und man somit nichts hören konnte, sah Aizawa dennoch deutlich ein Bild von ihm über den Bildschirm flackern. Laut Bildunterschrift versuchte die Presse immer noch seinen Aufenthaltsort zu ermitteln. Wenn er sich nun zu erkennen gab, lief er Gefahr, dass nicht nur seine alten Bekannten ihn wiedererkannten, sondern auch andere Cafébesucher ihn bemerkten.

Ein Seufzen unterdrückend, zuckte er leicht zusammen, ließ die Schultern mehr hängen und senkte den Kopf so weit wie möglich, ehe er sich mit tiefklingender Stimme bei Kamachi über die Unannehmlichkeiten entschuldigte und sich umwandte, um schnellst möglich zu verschwinden, bevor noch jemand auf die Idee kam, ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. Heute würde er wohl hungrig in seinen Schlafsack kriechen und warten, bis die Nacht begann, und er sich unbemerkt wieder der Bekämpfung der Verbrecher widmen konnte.

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