Kapitel 39 - Shotas Zweifel
Erholt von dem Schrecken und den Strapazen der letzten Aufgabe, brachen sie auf, um den Weg zu wählen, der weit weg von dem gefährlichen Abgrund führte. Izuku brauchte ein wenig, bis sein Körper aufhörte zu zittern und das Adrenalin verschwand, das wild durch seinen Körper gepumpt wurde. Erst danach gelang es ihm, sich etwas aufs Ohr zu legen, nur um von einem entsetzlichen Albtraum wieder geweckt zu werden.
Während sie alle nebeneinander hergingen, blieb die Neugierde der anderen natürlich nicht aus. Ständig versuchten sie, herauszufinden, worin die Aufgabe bestanden hatte, die dazu geführt hatte, dass sie das Gegenmittel erhalten hatten. Immer wieder tauschten die fünf Jugendlichen Blicke aus, behielten allerdings stillschweigen darüber. Niemand wollte das Versprechen brechen, dass sie sich gegeben hatten. Schließlich waren manche Geheimnisse nicht für jeder Manns Ohren gedacht. Gerade jenes von Toshinori und Izuku wäre ziemlich gefährlich, wenn es publik werden würde, wie Yagi ihnen erklärt hatte, nachdem sie die Kiste endlich befreien konnten und sich auf den Rückweg gemacht hatten.
Glücklicherweise brach das Interesse irgendwann ab, weil die Schüler bemerkten, dass sie nichts in Erfahrung bringen konnten, und die Gespräche wandten sich wieder anderen banaleren Dingen zu. Doch auch diese Gespräche verstummten bald, während sie weitermarschierten und den langen Gängen folgten, die sich vor ihnen erstreckten, an Kreuzungen anhielten, und kurz beratschlagten, wo sie langgehen sollten. Sobald sie müde wurden, legten sie eine Pause ein, und brachen danach wieder auf. Ein sich wiederholender Vorgang, der für die Klasse und ihre Lehrer mittlerweile zum Alltag geworden war.
Hizashi bekam davon allerdings nicht viel mit. Immer mal wieder wurde er wach, wurde von Shota und Nemuri mit Flüssigkeit und ein wenig Nahrung versorgt, ehe er wieder erschöpft einschlief. Viel konnte er nicht zu sich nehmen, nur jene Dinge, die einfach zu schlucken waren und seinen verletzten Hals nicht noch mehr reizten. Aizawa tat es weh, seinen Freund so leiden zu sehen. Vor allem war ihm bewusst, dass der Blonde so nicht lange durchhalten würde. Auch Nemuri sah nicht sonderlich gesund aus, obwohl sie sich immer wieder zu einem Lächeln zwang, wenn Shota sie etwas fragte, oder sie merkte, dass er sie ansah.
Was brachte es denn, wenn er all die Jahre versucht hatte, Hizashi und Nemuri so gut es ging auszuschließen um sie zu beschützen, damit ihnen nichts zustieß so wie Oboro, wenn sie nun trotzdem wegen ihm in Gefahr geraten waren und schwer verletzt wurden. Der Gedanke machte ihn wütend, doch er konnte nicht definieren, wem diese Wut eigentlich galt. Sich selbst, weil er somit Jahre vergeudet hatte, die er stattdessen mehr genießen hätte können oder dem Playmaker, der seine Freunde, Familie und Schüler in seinen persönlichen Rachefeldzug miteinbezogen hatte. Viel lieber wäre es Aizawa, der junge Mann hätte sich ihm einfach im Kampf gestellt, oder in einer abgelegenen Seitengasse in eine Falle gelockt. Hauptsache irgendetwas, womit er ihn hätte ausschalten können, ohne so ein Theater zu veranstalten. Shota war Aufmerksamkeit zuwider, und dass dieser Trubel hier ihm geschuldet war, bereitete ihm Übelkeit.
Vor allem aber ließ ihn der Anblick seines Freundes den Tränen nahekommen. Natürlich wusste er, dass es sinnlos war zu weinen. Zum einen wurde damit niemanden geholfen, schon gar nicht Hizashi, und zum anderen hatte er es nicht verdient den Effekt der Selbsttröstung zu erfahren. Und Mitleid, falls ihn jemand dabei erwischte, wollte er schon gar nicht. Das was er wirklich wollte, war einen Ausweg zu finden, der sie alle schnell und heil hier rausbrachte und dafür sorgte, dass Yamada rechtzeitig professionelle Hilfe bekam. Auch wenn sein Blick immer wieder zu Eri glitt, die mal neben ihm ging, oder auf seinem Rücken saß, wenn sie nicht mehr konnte, wollte er sie nicht dazu bringen, ihre Macke einsetzen zu müssen. Er wollte es nur im äußersten Notfall versuchen, da er nichts riskieren wollte. Doch irgendetwas in ihm drängte ihn ständig dazu, nicht zu lange zu warten. Allerdings wollte er das Kind nicht unnötig mit etwas belasten. Was, wenn es nicht klappte? Wenn es schieflief? Dann würde sich Eri auf ewig Vorwürfe machen, obwohl alles Shotas schuld war. Es war eine Zwickmühle.
Um nicht weiter darüber zu grübeln, weil er bereits Kopfschmerzen davon bekam, ließ er den Blick schweifen, um nach den anderen zu sehen. Doch auch ohne in die Gesichter seiner Schüler zu sehen, hatte er längst gespürt, dass die anfängliche Euphorie und der Optimismus längst nachgelassen hatten. Ihre betrübten Mienen sprachen tatsächlich Bände. Selbst Toshinoris Lächeln wirkte eher wie eine Grimasse. Fast so, als ob er keine Ahnung mehr hatte, wie er seine Lachmuskeln noch weiterhin dazu ermutigen sollte, oben zu bleiben.
Allein dieser Anblick ließ Shota seufzen. Auch wenn sie ihm oft genug versichert hatten, dass alles wieder gut werden würde, und dass er nicht darüber nachdenken durfte, den einfachsten Weg zu wählen, kam er nicht darum herum nach wie vor bei diesen Gedanken hängen zu bleiben. Wie sollte es auch anders sein, während sie herumirrten und jegliches Zeitgefühl verloren hatten. Wer konnte schon sagen, wie lange sie hier schon herumirrten? Jeder von ihnen hatte längst mehr durchmachen müssen, als sie jemals verdient hätten, und daran war allein er schuld, nur weil er sich von Kayama dazu bereitschlagen hatte lassen, eine Stelle als Lehrer anzunehmen. Natürlich hieß dies nicht, dass er nun versuchte die Schuld auf Nemuri abzuwälzen. Nein. Es blieb noch immer eine Verfehlung, die er begangen hatte und zu der er stand. Insgeheim fragte er sich längst, ob alle seine ehemaligen Schüler ähnlich schlecht von ihm dachten, und dass es wohl nur eine Frage der Zeit war, bis seine momentane Klasse ebenso eine Meinung über ihn entwickelte. Wer konnte es ihnen schließlich verübeln? Aizawa war kein angenehmer Zeitgenosse.
Erneut kam der Drang auf, einfach loszulaufen und nach dem Playmaker zu rufen. Wenn es sein Wunsch war, sich an Shota zu rächen und er ihm Gegenzug alle anderen gehen lassen würde, könnte er bestimmt einen Deal aushandeln. Mittlerweile wäre Aizawa für alles offen, solange die Menschen aus dem Spiel gelassen wurden, die er liebte. Denn Toshinori hatte mit einem Recht gehabt: Er hatte seine Schüler in sein Herz geschlossen, auch wenn er es sich nicht erklären konnte, weswegen. Bereits am ersten Tag, als er das Klassenzimmer betreten hatte, hatten sie ihn immer wieder erstaunt, wie schnell sie lernten, auch wenn sie ab und an immer noch wie ein wilder Haufen erschienen. Doch sie waren alle lernwillig und bereit füreinander einzustehen. Vor allem seit er die Verantwortung für Eri übernommen hatte, hatte er seine eiskalte Mauer um sein Herz ein wenig schmelzen lassen. Vermutlich war es ein Fehler gewesen, der sie nun alle hierhergebracht hatte. Wenn er nicht offen gezeigt hätte, wie viel ihm dieser Haufen bedeutete, wären sie nun nicht in Gefahr. Aber daran ließ sich nun nichts mehr ändern.
Als ob sie seine Gedanken lesen könnte, klammerte sich plötzlich Eri an sein Hosenbein und rieb sich müde die Augen. „Brauchst du eine Pause?“, fragte er sanft und beugte sich zu ihr hinab, um sie auf seinen Rücken klettern zu lassen. Nur zu gerne hätte er sie einfach hochgehoben, doch seine Schulter schmerzte immer noch höllisch.
„Vom vielen Spazierengehen wird man müde“, murmelte sie gähnend und klammerte sich an sein T-Shirt, ehe sie ihren Kopf auf dem Fangtuch bettete. „Onkel Hizashi schläft auch wieder tief und fest“, stellte sie fest, als sie auf den Blonden sah, der von zwei Schülern getragen wurde, „sollte ich es nicht versuchen, ihn zurückzuspulen? Damit es ihm besser geht?“
„Nur im Notfall. Ich möchte nicht, dass du dich ebenso verletzt“, antwortete er ihr sanft und wickelte das Tuch ein wenig um sie, damit sie nicht runterfallen konnte, während sie langsam einschlief. Er wusste, dass sie dazu bereit war dem Mann zu helfen, von dem sie am liebsten Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen bekam, doch Shota hatte Bedenken, dass es sie ebenfalls zu sehr auslaugen könnte, und am Ende sie auf der Trage lag. Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie schlimm ihr Zustand damals war, nachdem sie Izuku ständig zurückgespult hatte. Bisher hatten sie im Training nie lange die Wirkung ihrer Macke bestehen lassen, sodass sie sich nicht verausgabte. Sie war immer noch ein Kind, und keine Geheimwaffe, so wie Overhaul sie ständig behandelt hatte. Shota widerstrebte es, Eri ebenso wie dieser Mann, der sie jahrelang gequält hatte, einfach zu benutzen, auch wenn er dadurch den Mann, den er liebte, retten könnte. Wie konnte er auch einen Menschen, den er liebte in Gefahr bringen, nur um einen anderen zu retten, den er ebenso liebte?
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