Kapitel 35 - Schuldgefühle

Obwohl eine längere Pause ziemlich logisch gewesen wäre, beschlossen diesmal Nemuri und Toshinori, dass es das beste wäre, nicht zu lange an diesem Ort zu verweilen. Sobald die Schüler sich allesamt wieder fit fühlten, und sie Shota davon abgehalten hatten, sein gesamtes Blut an Yamada zu spenden, brachen sie auf. Hizashi schwebte auf einer Trage neben ihnen her, während Yagi erneut Aizawa huckepack genommen hatte, bevor der Dunkelhaarige vor Erschöpfung auf seinem Rücken einfach eingeschlafen war.

Tatsächlich war Toshinori ein wenig Stolz auf seinen jüngeren Kollegen, dass er nicht erneut den Mut verloren hatte, sondern sofort einen Plan entwickelte, um Yamada zu retten. Auch wenn er unten im Tunnel befürchtet hatte, dass es dem Playmaker bereits gelungen war, Shota in kleine Teilchen zu zerbrechen, schien es zum Glück nicht der Fall gewesen zu sein. Oder aber das Gespräch und die kleinen Späße, die sie auf dem Weg nach oben abgehalten hatten, hatten wie ein Superkleber gewirkt und ihn wieder etwas zusammengesetzt. Nun war nur zu hoffen, dass sie wieder mehr Glück hatten, und nicht noch mehr Menschen verletzt wurden und Yamada durchhielt.

Etwas anderes war jedoch auch noch wichtig zu klären. Seitdem sie aufgebrochen waren, schienen die anderen Klassenmitglieder, die sich bekämpft hatten, verstummt zu sein und sich aus dem Weg zu gehen, während die anderen, die mit Aizawa und Yagi unterwegs waren, munter miteinander plauderten. „Wollt ihr mir vielleicht erzählen, was dazu geführt hat, das Katsuki mich in die Luft jagen wollte? Ich meine ... er droht es ja oft genug jeden an, aber bisher hat er noch nie ernst gemacht", versuchte Toshinori zu scherzen, doch anstatt seine Schüler damit aufzumuntern, hatte es eher den gegenteiligen Effekt. „Kommt schon, sprecht bitte darüber!", bat er erneut und sah zu Izuku.

Ihre Blicke kreuzten sich kurz, was den Grünschopf dazu veranlasste, peinlich berührt zu Boden zu sehen. „Es war dieser Kerl, der schon dafür gesorgt hatte, dass Mic-Sensei und Midnight-Sensei fast Aizawa-Sensei erwürgt hätten. Er hat sich dieses Trigger gespritzt und somit anscheinend die Kraft, uns alle gleichzeitig in seinen Bann zu ziehen." Der Junge schämte sich dafür, dass er sofort auf die Wirkung angesprungen war und somit einen Kampf mit Katsuki begonnen hatte. All die Wut, die er jemals für seinen Sandkastenfreund empfunden hatte, weil er ihn ständig herumgeschubst und nie ernst genommen hatte, schien mit einem Mal so stark gewesen zu sein, dass er ihm am liebsten den Hals umdrehen wollte und es auch fast getan hätte.

Dabei war er nicht der einzige gewesen. Sie waren alle übereinander hergefallen wie ein Rudel hungriger Wölfe, die sich um ein Stück Fleisch zankten. Wären die anderen und Aizawa nicht rechtzeitig da gewesen, um die Macke zu stoppen, hätten sie sich gegenseitig erschlagen. Allein der Gedanke daran, ihren Freunden Schmerzen zugefügt zu haben, verstörte die Jugendlichen. „Jetzt wissen wir zumindest, wie Present Mic-Sensei und Midnight-Sensei sich zuvor gefühlt hatten, nachdem sie ...", versuchte Todoroki zu erklären und brach ab, als sein Blick kurz zu Momo glitt, die er zuvor fast hätte erfrieren lassen.

„Okay, also wissen wir nun, dass seine Komplizen Macken haben, die zum einen alle aufeinander losgehen lassen und zum anderen Menschen durch ihre Ängste quält und sie real werden lässt", schlussfolgerte Toshinori und runzelte die Stirn. Ob letzterer wohl auch für das Spektakel verantwortlich war, dass der Playmaker als Aizawas persönliche Hölle bezeichnet hatte? Wenn sie tatsächlich Trigger nutzten, war es durchaus möglich, dass jemand dazu im Stande sein konnte. Dabei reichte allein dieses Labyrinth schon, um sie an ihre Grenzen zu schicken.

„Er hat mehr Komplizen, insgesamt vier. Er hat sie das Quartett des Bösen genannt", erklärte Tsuyu und schloss zu ihrem Lehrer auf, „wir kennen also nur die Hälfte ihrer Macken und sind immer noch im Nachteil, quack."

„Vielleicht kennen wir auch drei von vier Macken", dachte Toshinori laut nach und sah an sich herab, „so einfach verliert man nämlich nicht von einer Sekunde auf die andere seine Lebensjahre, und wird jünger." Vielleicht war das ja auch eine der Macken, die diese vier Schurken besaßen, die hinter dem Playmaker standen. Blieb nur immer noch die Ungewissheit, welche Macke der Boss des Quartetts selbst hatte. Wenn es tatsächlich eine Illusionsmacke war, dann eine verdammt mächtige, oder zumindest durch die Droge extrem verstärkt. Egal, was es war, es beunruhigte Yagi sehr, dass dieser Wahnsinnige solche Menschen um sich scharrte, und nicht davor zurückschreckte, sie alle damit leiden zu lassen.

„Mal angenommen, dass das stimmt und die Macken Verjüngung, Wutverstärkung und Folterung durch Ängste sind, wieso wissen wir dann immer noch nicht genau, welche Macke er selbst hat, oder der vierte im Bunde?", gab Tenya zu bedenken. Langsam schienen die trüben Mienen zu weichen und endlich wieder ein bisschen Leben in die Runde einzukehren. Zumindest schien das Nachdenken und Grübeln sie ein wenig von ihrem schlechten Gewissen abzulenken.

„Vielleicht ist der vierte Kerl ein Ass im Ärmel? Oder aber er ist mitverantwortlich für all das hier", meinte Ochaco schulterzuckend und deutete auf die Mauern neben ihnen. Ein ganz kleiner Hoffnungsschimmer blieb auch, dass er vielleicht eine sehr schwache Macke hatte und nur zur Unterstützung dabei war.

Yagi nickte bei den Überlegungen seiner Schüler und warf einen kurzen Blick zu Nemuri, die stillschweigend neben dem bewusstlosen Hizashi herging. Nur zu gerne würde er sie aufmunternd, doch er wusste nicht wie. Einer ihrer Freunde war schwer verletzt worden und bewusstlos und der andre sah gerade aus wie ein Fünfzehnjähriger und schlief tief und fest auf seinem Rücken, weil er eindeutig etwas zu viel von seinem Blut abgegeben hatte. Da war es schwer irgendwelche aufmunternden Worte zu finden, die helfen konnten. Vor allem wenn man selbst gerade aussah, als wäre man noch grün hinter den Ohren.

Doch Toshinori wäre nicht er selbst, wenn er es nicht doch irgendwie versuchen würde, zumindest bei den Schülern wollte er keine trüben Mienen mehr sehen. Mit einem Lächeln würden sie ihre Lage leichter durchstehen. „Ich würde auf jeden Fall sagen, dass wir einen großen Vorteil haben und hier sicher bald rauskommen. Alle gemeinsam, ihr werdet schon sehn!", verkündete er und streckte seine Faust in die Luft, als würde er seine berühmte Siegerpose einnehmen, „ihr solltet aufhören euch Vorwürfe zu machen und dieses Ziel im Auge behalten, junge Freunde! Auch wenn die Macke irgendwelche Gefühle verstärkt hatte, heißt das nicht, dass ihr euch tatsächlich irgendwann an die Gurgel gegangen wärt. Manchmal ist man einfach ein kleines Bisschen auf jemanden wütend, aber das legt sich doch immer wieder!" Hoffentlich würde er damit auch noch die letzten niedergeschlagenen Schüler wieder etwas aufheitern können.

Es half tatsächlich. Zumindest ein kleines Bisschen, da die Schüler untereinander wieder zu plaudern begannen. Die einen erzählten, was ihnen nach dem Absturz passiert war und die anderen berichteten von dem fast gelungenem Plan, den Playmaker zu fangen. Allein die Tatsache, dass es nicht mehr still war, war für Yagi wie Musik in den Ohren. Zufrieden grinsend schritt er voran.

„All Might? Hast du kurz Zeit?" Izuku hatte zu ihm aufgeschlossen, und vergewisserte sich kurz, ob sein Klassenlehrer auch weiterhin schlief, ehe er in das junge Gesicht seines Mentors sah.

Neugierig darüber, was seinen Schüler weiterhin bedrückte, konnte Toshinori natürlich nicht Nein sagen. „Natürlich!"

Auch wenn Izuku diese Frage auf der Zunge brannte, seit er All Might wiedergesehen hatte, fiel es ihm nun doch schwer, die Worte über seine Lippen zu bringen, die ihn quälten. Beschämt kratzte er sich am Hinterkopf. „Ich wollte nur ... wollte nur fragen ... ob du ... ob du gerade deine Kräfte wiederhast?", schaffte er es endlich zu fragen und starrte sofort auf seine Schuhspitzen und hoffte, dass sein Idol diese Frage nicht als unhöflich auffassen würde.

Doch der Blondschopf legte aufmunternd eine Hand auf die grünen Haare. „Nein, leider nicht. War aber auch irgendwie klar, immerhin ist der letzte Funke von One for All damals bei Kamino erloschen. Unsere Körper wurden nur verjüngt, aber die Zeit wurde deswegen nicht zurückgedreht", erklärte er ihm und erwähnte dabei nicht, dass er es auf die schmerzliche Tour herausfinden musste. Natürlich hätte er sich gefreut, noch einmal seine Blütezeit erleben zu können, aber es war töricht gewesen, diese Hoffnung überhaupt zu hegen. Wieso hätte hier drin auch irgendetwas Gutes passieren sollen? Außerdem hatte er OFA weitergegeben, von allein kam es bestimmt nicht zurück, und das war auch gut so. Diese Kraft war am Ende nur noch eine Bürde gewesen.

Midoriya runzelte nachdenklich die Stirn, ehe er langsam zu seinem Lehrer aufsah, der ihn im Moment gar nicht so extrem überragte wie sonst immer. „Willst du ... ich meine ... möchtest du sie denn zurückhaben?", fragte er vorsichtig nach und wich Toshinoris Blick sofort wieder aus, als dieser ihn aufmerksam musterte.

„Aber mein Junge! Warum sollte ich das wollen? Sie ist jetzt deine Kraft! Ich würde nie ...", begann Yagi sofort zu verneinen, ehe ihm etwas in den Sinn kam, „du fragst mich das nur, wegen dem Kampf vorhin, oder?"

Ertappt sah Izuku erneut auf seine Schuhspitzen. „One for all sollte für das Gute eingesetzt werden ... und ich hätte damit vorhin fast Kacchan das Genick gebrochen. Das ist nicht sonderlich heldenhaft ...", murmelte der Junge betrübt.

„Es lag an der Macke, die euch dazu getrieben hat. Wenn sie durch diese widerliche Droge verstärkt wurde, dann konntest du dich gar nicht dagegen wehren! Also macht es dich nicht weniger wert, mein Nachfolger zu sein. Ich zähle auf dich, mein Junge", versicherte Toshinori im sanft klingend und lächelte ihm zu. Diese Wirkung, die dazu geführt hatte, dass sie sich bekämpft hatten, schien wirklich viele sehr mitgenommen zu haben.

„Aber ...", begann Izuku laut zu protestieren, ehe ihm seine eigene Lautstärke bewusstwurde und er zusammenzuckte. Das Lob seines Idols bedeutete ihm natürlich viel, aber das machte das schlechte Gewissen nicht sofort wieder wett. „Aber damals ... beim Sportfest, als Shinsou mich mit seiner Gehirnwäsche belegt hatte, hatte One for all dafür gesorgt, dass die Wirkung beendet wird ... diesmal war es aber nicht so", teilte er seine Bedenken in einem leiseren Ton mit und biss sich auf die Unterlippe.

Seit Izuku ihm von diesem Vorfall berichtet hatte, hatte Toshinori oft darüber nachgedacht, war bisher aber nie zu einer zufriedenstellenden Antwort gekommen. Eigentlich hatte er es damals noch als Einbildung abgetan, aber nachdem der Junge dann von weiteren Träumen berichtet hatte, und er auch noch eine weitere Macke dazu bekam, war sich Yagi nicht mehr so sicher, ob er in all seinen Jahren als Besitzer von OFA überhaupt irgendetwas darüber gelernt hatte. Daher konnte er Midoriya auch nicht wirklich weiterhelfen. „Ich würde diese beiden Ereignisse nicht vergleichen, mein Junge. Hitoshi hatte seine Macke damals noch nicht so gut im Griff und dieser Typ hatte eine Substanz verwendet, die Wirkungen massiv verstärkt", versuchte er den Schüler zu besänftigen, auch wenn es vermutlich nicht viel brachte.

„Denkst du denn, dass es einen Einfluss hat, wie gut jemand seine Macke beherrscht?", fragte Izuku neugierig nach, was Toshinori fast dazu veranlasst hätte zu seufzen. Zum Glück hatte er sich soweit im Griff, und behielt sein Lächeln bei. Der Junge war einfach zu neugierig und wollte jede noch so kleine Theorie ausdiskutieren. Zumindest war es ein Zeichen dafür, dass es ihm wieder etwas besser ging. Wenn es ihn auf andere Gedanken brachte, war es ihm nur recht.

„Ich denke eher, dass das Primärziel der Schurken ist, uns alle zu verunsichern und dazu zu bringen, an uns zu zweifeln", antwortete der Blondschopf ehrlich und wuschelte durch die grünen Haare seines Schülers, „dem nach zu folgen, was wir bisher erlebt haben, will er nicht nur Aizawa zum Zweifeln bringen. Wir sollten uns also nicht dazu verleiten lassen, ihn gewinnen zu lassen, oder?"

Obwohl Izuku lieber etwas anderes aus dem Mund seines Mentors vernommen hätte, runzelte er kurz grübelnd die Stirn und nickte dann. „So will er vermutlich den Zusammenhalt zerstören", stellte der Junge fest. Schließlich war das etwas, was den Playmaker anscheinend am meisten gestört hatte, nachdem er festgestellt hatte, dass sie als Klasse geschlossen hinter ihrem Lehrer standen und nicht auseinander zu bringen waren, egal wie groß die Rivalitäten innerhalb der Klasse manchmal war. Die Macke des Schurken hatte vorhin jedoch etwas anderes gezeigt.

„Genau. Aber deswegen müssen wir umso enger beisammenstehen. Egal was zuvor passiert ist. Aizawa ist immer noch dazu bereit für seine Freunde alles zu geben, obwohl Mic ihn durch diese Macke fast erwürgt hätte. Das zeigt doch, dass wir uns nicht von dem beirren lassen sollten, was durch diese Macke ausgelöst wurde?", meinte Toshinori. Kurz konnte er sehen wie Izukus Blick zu dem schlafenden Shota glitt, ehe er plötzlich etwas aufrechter neben ihm stand und die Faust in die Luft streckte. „Wir sollten nicht zulassen, dass er mit uns und unseren Gefühlen spielt", verkündete der Grünschopf plötzlich viel euphorischer als zuvor und strahlte endlich wieder diese Energie aus, die Toshinori damals dazu veranlasst hatte, ihm One for all zu überlassen.

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