Kapitel 15 - Notlüge

Als Shotas Augenlider sich flatternd öffneten, verfluchte er die Welt dafür, dass sie ihm neben höllischen Kopfschmerzen, nun auch noch Halsschmerzen bereitet hatte. Dabei brannte sein gesamter Körper plötzlich und begann zu protestieren, als er sich umwandte, um seinen Blick umherschweifen zu lassen. Ein paar Schüler waren wach, und schienen wache zu halten, während der Rest schlief. Aizawa unterdrückte ein Seufzen. Sie hatten also doch Zeit vergeudet und eine Pause eingelegt. Er würde später ein ernstes Wort mit ihnen sprechen müssen, doch den Gedanken verwarf er rasch wieder, als seine Augen weiterwanderten und auf Hizashi und Nemuri fielen, die zusammengekauert und abseits saßen, als ob man sie möglichst weit weggezerrt hätte.

Shota schluckte bei dem Gedanken daran, was zuvor geschehen war und verzog kurz seine Miene da sein Hals schmerzte. Noch immer hatte er das Gefühl, dass jemand zudrücken würde und es machte ihm Angst, dass bei diesem Gedanken das starre und wutentbrannte Gesicht seines Freundes vor ihm auftauchte. Doch Hizashi hatte Recht gehabt. Er schien regelrecht darum zu betteln, dass ihn irgendetwas tötete. Aber was hatte den Voicehero dazu gebracht, so extrem wütend zu werden und der Wut seinen freien Lauf zu lassen? Bevor er bewusstlos wurde, hatte er bemerkt, dass die Schüler unruhig geworden waren, doch er hatte nur mehr das Rauschen seines eigenen Blutes im Ohr gehört anstatt ihrer Worte. Vermutlich war es wieder das Werk dieser seltsamen Stimme gewesen, denn auch wenn Yamada ein ungelöstes Problem mit unterdrückter Wut hatte, würde er sie niemals gegen ihn richten.

Leise versuchte er sich umzudrehen, unterdrückte ein schmerzerfülltes Stöhnen und zog sich an der Wand hoch. Seine Beine wollten sofort wieder nachgeben, doch er ignorierte den Drang, sich wieder hinzulegen. Er hatte einen Entschluss gefasst: Er musste hier weg. Es war besser, wenn er allein nach dem Ausgang Ausschau hielt. Irgendetwas sagte ihm, dass sie sich alle nur gegenseitig aufhalten würden, wenn er bei der Klasse blieb. Doch war es wirklich ein logischer Entschluss, zu dem er da gerade kam? Sein Kopf schmerzte so sehr, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Natürlich sollten sie sich besser nicht trennen, doch er war sich sicher, dass sowohl Nemuri, als auch Hizashi seine Klasse gut genug im Griff haben würden, um sie im äußersten Notfall zu beschützen. Im Moment fühlte er sich nur als Klotz am Bein, wenn er bei ihnen blieb.

„Wo willst du ...?", begann jemand neben ihm zu murmeln, doch Shota legte schnell den Finger an den Mund, und deutete demjenigen still zu sein. Eri sah ihn mit großen Augen an. Sie wirkte müde und besorgt, fast so, als ob sie geweint hätte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie wohl neben ihm geschlafen hatte.

„Schlaf weiter, ja? Alles ist gut", versicherte er ihr leise und setzte ein Lächeln auf. Hoffentlich würde es genügen, um sie zu beruhigen. Wenn sie weiterhin so laut sprach, würden die Schüler, die Wache hielten, noch auf sie aufmerksam werden, und das wäre nicht optimal. Er konnte es sich nicht leisten, aufgehalten zu werden.

„Aber ... schläfst du auch weiter? Du musst gesund werden. Bitte!", flehte die Kleine und klammerte sich an sein Hosenbein. Nur zu gerne hätte er sich mit ihr hingelegt, nur um sicher zu gehen, dass sie sich beruhigte und nicht mehr so sorgenvoll dreinblickte, doch er hatte das Gefühl, dass er nicht mehr die Kraft hätte erneut aufzustehen, wenn er erst einmal wieder lag. Er wollte keine Zeit mehr verlieren, nachdem sie die letzten Stunden oder Tage hier nur vergeudet hatten. Der Weg nach draußen musste schnell gefunden werden, bevor mehr solcher Aufgaben auf sie zukamen.

Jetzt brauchte er jedoch eine Möglichkeit, um Eri für den Moment zufriedenzustellen, damit er sich davon schleichen konnte. „Ich muss mir nur kurz die Beine vertreten, aber dann schlafe ich auch weiter. Okay?" Eine Lüge, die seinem Herzen einen kleinen Stich versetzte, doch es ging nicht anders. Es war der einzige Weg, um sich von der Gruppe zu entfernen und allein loszuziehen. Sein schlechtes Gewissen trieb ihn dazu. Schließlich war er schuld daran, dass sie in dieser Lage steckten. Wenn er nur besser aufgepasst hätte, dann wäre es gewiss zu verhindern gewesen, schließlich hatte er sogar schon einen Plan dafür gehabt, wenn die anderen ihn nicht zu etwas anderem überredet hätten. Er hätte die Sache mehr ernst nehmen müssen.

Als Eri nickte und sich geschlagen gab, wuchs das schlechte Gewissen nur noch mehr, auch wenn er versuchte es zu ignorieren, während er sich zu ihr hinab beugte und ihr einen Kuss auf die Stirn setzte. „Ich hab dich lieb", murmelte das Mädchen verschlafen und lächelte zu ihm hoch, „komm bald zurück, ich halt dir den Platz warm." Aizawa nickte und versuchte nicht zu hölzern zu wirken. Hatte sie gerade wirklich das ausgesprochen, was er gehört hatte, oder spielten seine Ohren ihm einen Streich? Diese Worte machten es nur noch schwieriger für ihn, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, doch er musste.

An der Wand entlang schlich Shota sich leise davon, darauf bedacht kein Geräusch zu verursachen. Immer wieder hielt er kurz inne, um nachzusehen, ob die wachenden Schüler ihn nicht entdeckten. Sie durften ihn nicht aufhalten, nicht schon wieder. Er wollte doch nur schnellstmöglich nach dem Ausgang suchen und verhindern, dass dieser Verrückte weiterhin sein Spielchen mit ihnen trieb und weitere Menschen verletzt wurden. Dazu war es einfach nötig, dass er sich absetzte. Allein kam er schneller voran. Zumindest war das sein Gedanke.

Erst als er hinter einer Ecke verschwunden war, wagte er es tief nach Luft zu schnappen. Natürlich war es eine nicht sonderlich grandiose Idee, in seinem momentanen Zustand allein unterwegs zu sein, das wusste er selbst, doch für das Wohl seiner Schüler musste er sich einfach zusammenreißen und weitermachen. Nur allein konnte er, ohne Rücksicht auf andere nehmen zu müssen, in Ruhe seiner Arbeit nachgehen und den Ort erkunden, an dem sie festgehalten wurden. Nachdem es sich ohnehin so anfühlte, als ob Nemuri und Hizashi ihm ihre Freundschaft gekündigt hatten, und die Situation vermutlich nur noch seltsam geworden wäre, fiel sein schlechtes Gewissen, sich einfach abgesetzt zu haben, gar nicht so schlimm aus. Deswegen hatte er auch seinen Ring abgenommen, und auf der Trage liegen gelassen. Ebenso tat Eri ihm leid, schließlich hatte er sie gerade angelogen. Mit dem Gedanken, es wieder gut zu machen, zog er weiter. Wenn er erfolgreich zurückkehren würde, würde sie ihm bestimmt nicht böse sein.

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