8- Wolfsfreund

8- Wolfsfreund

„Du kommst wohl auch und gehst, wann du willst?", fragte Bruder Siman, der am Tor Wache hielt. Der Mönch grinste vielsagend und Endres grinste zurück, auch wenn ihm im Moment nicht dazu zu Mute war. „Du warst wieder im Dorf, habe ich Recht?", wollte der Mönch wissen. „Wir hätten dich doch fahren können oder du hättest die ein Pferd ausgeliehen."

„Ich wollte halt etwas laufen", erklärte sich Endres. „In deinem Alter konnten meine Eltern auch nicht immer nachvollziehen, was ich gemacht habe", stimmte Bruder Siman zu. „Bruder Paulus ist in der Apotheke, falls du ihn suchst." Endres bedankte sich und lief schnell zur Apotheke. „Du könntest auch ruhig vorher anklopfen, bevor du mir fast die Tür aus den Angeln reißt", beschwerte sich Bruder Paulus lachend. „Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt."

„Was machst du da?", fragte Endres. „Ich bereite Tränke für den Winter vor und trockne nebenbei Kräuter", erklärte Bruder Paulus. Er ging zu seinem Tisch, nahm ein Bündel Kräuter und hängte es an einer Leine, die quer durch die Apotheke gespannt war, auf. „Hast du auch Hirtentäschel?", wollte Endres wissen. Bruder Paulus ließ die Hand wieder sinken und drehte sich um „Was hast du ausgefressen?", fragte er. „Hirtentäschel wird bei starkem Blutsverlust verwendet. Hast du jemanden ermordet?"

„Nein", antwortete Endres und noch einmal mit Nachdruck: „Nein! Was denkst du denn von mir?" „Ich möchte nur wissen, warum du auf einmal Hirtentäschel benötigst", erwiderte der Mönch. „Ich habe draußen am Kloster einen verletzten Wolf gefunden. Er hat sehr viel Blut verloren und ist ziemlich schwach", erklärte Endres. Bruder Paulus musterte ihn erstaunt. „Ich habe doch im Sommer erst einem Wolf geholfen, damals, als mich ein Wolf hier weggelockt hat, damit ich in sein Lager komme."

„Vielleicht konnten sich die Wölfe daran erinnern, dass es hier jemanden gibt, der ihnen helfen kann", meinte Endres und lachte. Bruder Paulus schien jedoch keinen Verdacht zu schöpfen, sondern hing stattdessen die Kräuter auf, die er eben schon an die Leine hatte binden wollen. „Man sollte diese Tiere nicht unterschätzen", sagte er. „Viele Menschen haben Angst vor ihnen, aber wir sollten einsehen, dass nicht nur wir Menschen in der Lage sind, zu denken. Wobei, wenn ich mir einige Exemplare von Menschen so ansehe, könnte ich fast sagen, dass einige Tiere deutlich intelligenter sind."

„Anders kann ich mir auch nicht erklären, warum der Wolf hier ist", stimmte Endres zu. Er fühlte sich schlecht, Bruder Paulus, seinen besten Freund, anlügen zu müssen, aber er wusste, dass er ihm sein Geheimnis nicht verraten konnte. „So wie es mir scheint, hat er sich mit letzter Kraft hergeschleppt." „Dann sollten wir ihm schnellstens helfen", sagte Bruder Paulus. „Kein Wesen der Natur hat es verdient, zu sterben, obwohl man ihm hätte helfen können." Er suchte schnell ein paar Kräuter zusammen, dann ließ er sich von Endres zu Geras führen. Inzwischen hatten ihn die anderen Wölfe an der Klostermauer abgelegt, er sah noch kurz einen Pelz am Waldrand, der vielleicht zu Anthoni gehören konnte. Bruder Paulus konzentrierte sich lieber auf Geras. „Den hat aber etwas ganz übel hingerichtet", stellte er fest. „Das arme Tier!"

Er sah sich die Wunden an. „Hol mir bitte etwas Wasser. Wir müssen die Wunden noch einmal auswaschen. Wahrscheinlich hat er probiert, sich die Wunden sauber zu lecken, aber das hat nicht ganz funktioniert." Endres tat, was Bruder Paulus ihm befohlen hatte.



Es war ungewöhnlich, wieder mit den Mönchen an einem Tisch zu sitzen. So lange war Endres nicht fortgewesen, aber es kam ihn wie eine Ewigkeit vor. Die Köche hatten wieder beste Arbeit geleistet und Endres ließ sich das frischgebackene Brot schmecken. Nachdem Bruder Paulus und Endres Geras versorgt hatten, hatten sie ihn in eine kleine Hütter im Kloster gebracht, wo sich der Wolf ganz erholen sollte. Nach dem Essen half Endres beim Abräumen und ging anschließend auf seine Kammer.

Er wollte für ein paar Stunden schlafen, erst jetzt kam die ganze Müdigkeit der letzten Wochen durch. Normalerweise verspürte er keine Müdigkeit, wenn er tagsüber im Kloster und in der Nacht bei den Wölfen war, aber manchmal wurde ihm beides einfach zu viel. Von seinem Zimmer aus hatte er Blick auf den Kräutergarten und dort sah er eine Gestalt herumwirtschaften. War Bruder Paulus noch dort? Es war schon fast dunkel. Endres lief wieder nach unten und tatsächlich, Bruder Paulus hockte noch im Schein einer großen Kerze im Kräutergarten. „Es ist dunkel", sagte Endres. „Du verdirbst dir noch die Augen!" „Ich muss diese Kräuter aber unbedingt noch ernten, vielleicht wächst die Pflanze vor dem Winter noch einmal", erklärte Bruder Paulus.

„Ich hatte gehofft, du würdest herkommen, dann kannst du mir nämlich die Kerze halten." Endres nahm die Kerze in die Hand und leuchtete dem Mönch. „Dem Wolf geht es gut", sagte er. „Ich habe noch einmal nach ihm gesehen. Vielleicht können wir ihn übermorgen zu seinem Rudel zurücklassen." „Das ist doch schön", freute sich Endres. „Da werden sich die anderen Wölfe bestimmt freuen."

Bruder Paulus setzte sich auf. „Endres?", fragte er. „Ich habe da schon länger eine Vermutung. Komm, setzen wir uns mal." Bruder Paulus und Endres hatten schon oft auf der Bank in dem Kräutergarten gesessen. „Ich erinnere mich noch gut daran, als eines Tages dieser Wolf hier auftauchte und unbedingt wollte, dass ich mitkomme", erzählte er. „Das Ereignis beschäftigt mich heute noch. Normalerweise meiden doch die Wölfe die Menschen und andersherum? Es gibt finstere Märchen von Wölfen, mit denen sich die Menschen gegenseitig Angst machen. Ich fürchte mich nicht vor Wölfen, aber dieser Verhaltensweise damals war trotzdem seltsam. Sehr seltsam."

Endres beschlich das Gefühl, dass der Mönch mehr wusste als er sollte. „Der Wolf hat mich an dich erinnert. Es ist bescheuert, in einem Wolf Ähnlichkeiten mit einem Menschen zu erkennen", gab er zu. „Dennoch: der Wolf war ziemlich groß, genau wie du und ihr lauft beide immer etwas gebückt. Außerdem, woher wusste der Wolf, dass genau hier der Mensch anzutreffen ist, der seinem Rudel helfen kann?" Endres antwortete nicht. „Heute kommst ausgerechnet du wieder, nachdem du erneut weg warst. Ich will dir da auch nicht reinreden, du kannst schließlich tun und lassen, was du willst, aber ausgerechnet heute ist wieder ein Wolf verletzt und du möchtest unbedingt, dass ich ihm helfe."

„Ich habe ihn zufällig dort gefunden", antwortete Endres. Bruder Paulus sagte nichts, sondern schwieg für einige Momente. „Dieser Wolf damals, das warst du, oder?", fragte Bruder Paulus unvermittelt. Endres sprang vor Schreck auf, ließ die Kerze fallen und die Flamme verpuffte in der Erde. „Nein... das, das kannst du doch nicht... wissen", stotterte er. „Also stimmt es?", hakte der Mönch nach. Endres antwortete nicht, sondern trat die Flucht an. Dabei dachte er nicht an die Schwelle an der Tür und fiel der Länge nach hin. Sofort war Bruder Paulus bei ihm und wollte ihn packen. Endres rollte sich weg und kroch weiter

. „Fass mich nicht an!", rief er und starrte den Mönch mit vor Schreck geweiteten Augen an. „Tu mir nichts!" Er sah, wie die Hände des Mönchs seinem Hals immer näherkamen. Endres schloss die Augen, vielleicht bekam er dann weniger von seinem Ende mit. Die Hände packten ihn jedoch an den Schultern und hoben ihn hoch, sodass er wieder saß. Bruder Paulus hockte sich neben ihn und sah Endres in die Augen. „Sollte es nicht andersherum sein?", fragte er. „Ich sollte doch Angst vor dir haben und nicht du vor mir!" „Du... du willst mich also nicht umbringen?" Endres zitterte immer noch.

„Warum sollte ich dich umbringen?", fragte Bruder Paulus verwirrt. „Weil... ich bin doch...", stotterte Endres. „Du bist ein Wolf und ein Mensch zugleich, na und?", erwiderte Bruder Paulus. „Jetzt beruhig dich, keiner wird dir etwas tun. Schon gar nicht ich!" Endres Atem beruhigte sich langsam wieder. „Du denkst, dass ich dich jetzt für sowas wie ein Monster halte, oder?" Endres nickte.

„Ich sollte eigentlich Angst vor dir haben, aber das ist nicht der Fall. Mir ist schon vor einiger Zeit klargeworden, dass du der Wolf bist", erklärte der Mönch. „Sowas kann es doch aber gar nicht geben", erwiderte Endres. „Du bist doch der lebende Beweis dafür", widersprach Bruder Paulus. „Hör mir zu: die Wege des Herrn sind unergründlich, deswegen weiß ich, dass er sich etwas dabei gedacht hat, dir diese Gabe zu schenken."

„Du siehst es also als eine Art... Gabe an?", wollte Endres wissen. „Es fällt mir schwer, das jetzt zu beschreiben, aber so könnte es sein", gab der Mönch zu. „Alles auf der Welt hat seine Berechtigung, man muss aber nicht alles erklären können. Man muss nur daran glauben, dass sie zu etwas gut ist."

„Aber warum werden dann Menschen verbrannt, weil man sie verdächtigt, Hexen zu sein?", fragte Endres. „Weil die Menschen Angst haben", antwortete Bruder Paulus klar. „Wenn Menschen etwas nicht verstehen, weil bestimmte Dinge ihren Horizont übersteigen, dann haben sie Angst davor. Diese Angst können sie nur besiegen, wenn sie den Auslöser dafür vernichten, indem sie die Hexe also verbrennen."

„Und du hast keine Angst?", fragte Endres. „Ich bin nicht dumm, Endres", antwortete der Mönch. „Ich weiß, dass es Dinge auf dieser Welt gibt, die wir nicht kennen und die wir erst recht nicht verstehen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich werde niemandem etwas verraten, aber dafür musst du mir etwas über das Leben der Wölfe erzählen." Endres wunderte es, dass Bruder Paulus so reagierte. Er wusste, dass er sich immer auf ihn verlassen und ihm vertrauen konnte. „Nur eines musst du mir versprechen", forderte der Mönch. „Lüg mich bitte nie wieder an." Endres nickte und dann erzählte er.

***

An dieser Stelle möchte ich mich mal wieder zu Wort melden. Inzwischen habe ich schon etliche Kapitel vor geschrieben und bin nun bei der Hälfte angekommen. Wie gefällt euch der 3. Band bis jetzt? Ich könnte sofort weiterschreiben, aber ich darf meinen Schalfrhythmus nicht ganz über den Haufen hauen, nächste Woche muss er wieder normal funktionieren^^ Wie dem auch sei, ich werde noch versuchen, so viele Kapitel wie möglich zu schreiben.

Außerdem habe ich jetzt den Ergänzungsband "Mondfinsternis" hochgeladen, den ihr auf meinem Profil findet. Dort werde ich nach und nach Informationen, Erklärungen und Kurzgeschichten zu den Wölfen hochladen, die in den Büchern leider keinen Platz mehr gefunden haben. Ich hoffe, ihr schaut mal vorbei ;)

Bis zum nächsten Kapitel

Hovi2010

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top