7- Ruhe vor dem Sturm
2. TEIL DUNKELHEIT
7- Ruhe vor dem Sturm
„Ich kann es einfach nicht fassen, dass die Bären uns ohne weitere Umstände ihre Hilfe zugesagt haben", meinte Jonata. „Ich fasse es einfach nicht." „Ich habe auch eher erwartet, dass die Bären ihre Feindseligkeit jetzt erst richtig heraushängen lassen und uns sofort wieder fortschicken", überlegte Benedictus. „Vielleicht war jetzt auf beiden Seiten des Polterpfads die Zeit reif, dass alle bereit sind, ihr Abneigung abzulegen", vermutete Alba. Die vier Wölfe liefen inmitten der großen Bären wieder in Richtung des Polterpfads.
Sie waren umgeben von riesigen Pelzen in den unterschiedlichsten Brauntönen, aber deswegen brauchten sie sich nicht zu fürchten. Jetzt fühlten sie sich gestärkt, den Bergwölfen gegenübertreten zu können. Die Tatzen waren jedoch zurückgeblieben, um ein paar letzte Gespräche zu führen und Vereinbarungen zu treffen, sollte sich der Kampf wirklich in das Gebiet der Bären ausbreiten.
Allerdings hatte Große Tatze die Bären Süßer Honig und Schwarze Rinde zu den vorübergehenden Befehlshabern ernannt, da die Territorien der beiden Bären am nächsten am Polterpfad lagen. Dort sollten sich die drei Dutzend Bären, so wie Endres sie gezählt hatte, vorübergehend aufhalten, bis sie in den Kampf ziehen sollten. Auch die Bären waren aufgeregt, jetzt, da Große Tatze ihnen von der Gefahr erzählt hatte. „Und ihr uns auch auf jeden Fall Bescheid sagen, wenn wir werden gebraucht?", fragte Süßer Honig Benedictus. „Das machen wir.
Der Weg vom Lager zum Polterpfad ist nicht weit und wenn die Bergwölfe da sind, holen wir euch." „Und dann die bösen Wölfe können was erleben!", knurrte Süßer Honig angriffslustig. Sie legten den Weg zum Polterpfad schnell zurück. „Wir bleiben hier und werden warten, bis ihr uns holen kommt", verkündete Schwarze Rinde, die bisher nicht viel zu ihnen gesagt hatte. „Mögen die Bärengeister über euch wachen! Wir werden euch unterstützen, wo wir können." „Vielen Dank für alles, was ihr bereit seid, für uns zu tun", sagte Jonata aus tiefstem Herzen.
„Noch wir haben Bergwölfe nicht besiegt", erwiderte Süßer Honig. „Wenn Nachtschatten und alle anderen bösen Wölfe weg, wir können feiern und danke sagen, aber jetzt noch nicht." Das machte Endres wieder bewusst, wie ernst die Lage war. „Wir sollten so schnell wie möglich zum Lager zurück", warf Alba ein, „damit wir Jylge Bericht erstatten können."
„Richtet eurem Leitwolf viele Grüße von uns aus", bat Schwarze Rinde. „Es wird Zeit, dass Bären und Wölfe wieder zusammenfinden, wie damals. Und wenn es darin besteht, einem gemeinsamen Feind die Stirn zu bieten, dann soll es so sein!"
Sie näherten sich dem Lager und Endres stach der Geruch von Blut sofort in die Nase. „Was ist das?", fragte Jonata beunruhigt. „Es riecht wie Blut", antwortete Alba. „Die Zeit der Elche ist doch vorbei!" Endres erinnerte sich noch gut an seine erste Jagd, bei dem da Rudel zusammen unterwegs war. Jetzt roch es allerdings anders. „Das ist Blut von einem Wolf", stellte er fest. „Von mehreren Wölfen." „Wenn mich nicht alles täuscht, schwebt mir der Geruch von Nachtschatten in die Nase", murmelte Alba.
Die Wölfe zögerten keinen Moment, sondern sprinteten sofort los. Der Geruch wurde umso stärker, je näher sie dem Lager kam, aber von einem Kampf war nichts zu hören. Sie preschten durch den Lagereingang und stellten im selben Moment fest, dass hier zwar ein Kampf stattgefunden hatte, der aber vorbei war. „Was ist passiert?", rief Jonata. „Ihr seid wieder da!", rief Afra erfreut zurück. Sofort kamen aus den anderen Höhlen auch Wölfe. Es war aber bei weitem nicht das ganze Rudel. Endres konnte sich denken, dass Wölfe wie Marthes oder Agathe sie nicht unbedingt willkommen heißen wollten, aber dann erblickte er Agathe, die doch erleichtert schien, dass sie wieder da waren. „Wo ist Jylge?", fragte Endres. „Wir müssen ihn dringend sprechen."
„Ich bin hier", antwortete der Leitwolf, der gerade zu der Gruppe Wölfe dazu stieß. „Was ihr mir zu sagen habt, könnt ihr auch vor dem ganzen Rudel sagen. Nur eines solltet ihr wissen: Nachtschatten ist bereits da." Erschrocken stellten sich Endres' Nackenhaare auf. „Gestern Abend kam er mit einigen seiner Wölfe in unser Lager und fing einen Kampf an. Viele Wölfe sind verletzt, aber wir konnten eine Waffenruhe vereinbaren. Sie soll drei Nächte dauern, dann werden sie wiederkommen, dann aber mit allen Wölfen. So traurig und schlimm wie es ist, aber wir konnten uns gerade gegen die Anzahl von Bergwölfen gestern wehren, da wir zahlenmäßig in etwa gleich waren. Nur ist Nachtschattens Rudel bei weitem größer. Ich hoffe, ihr kommt mit guten Nachrichten zurück."
„Das sind wir", antwortete Alba. „Am Polterpfad warten bereits viele Bären darauf, sich mit uns zu verbünden, damit wir gemeinsam in den Kampf ziehen können. Weitere Bären, auch das Oberhaupt, wollen noch folgen." Sofort brach im Lager freudiges Geheul aus. „Das sind sehr gute Nachrichten", freute sich auch Jylge. „Wie kam es, dass sie sich so schnell entschieden haben?" „Es lag wahrscheinlich daran, dass auch die Bären erkannt haben, dass es nichts bringt, wenn wir uns weiterhin hassen", vermutete Endres. „Große Tatze hat ihnen gesagt, dass die Bergwölfe die Wölfe sind, die sie hassen sollten und nicht uns. Weil Nachtschatten gierig nach Macht ist und auch in das Reich der Bären einfallen könnte."
„Das würde ich ihm sogar zutrauen", murmelte Jylge düster. „Er machte nicht gerade den hellsten Eindruck auf mich, aber diese Dummheit macht ihn dafür umso gefährlicher." „Ihr könnt stolz auf euch sein, dass ihr es geschafft habt, die Bären und Wölfe wieder zu vereinen", mischte sich auf einmal Annlin ein, vor allem, weil ihr Sohn Benedictus darunter war. „Ich denke, es lag eher daran, dass Hass und Feindseligkeit sich im Laufe vieler Generationen einfach verlieren", erwiderte Benedictus. „So wie es für uns aussah, dienen die Wölfe bei den Bären und die Bären bei uns Wölfen nur als Schreckgestalten, um die Kleinen gehörig zu machen." „Es ist die Unwissenheit, dass die eine Seite nicht mehr von der anderen weiß, wie es dort drüben zugeht. Eine Bärin hat sogar vorgeschlagen, ein Treffen zu veranstalten, bei denen Wölfe und Bären sich wieder friedlich begegnen und die alte Feindseligkeit ablegen sollen", erklärte Endres.
„Das klingt gut", stimmte Jylge zu. „Nur leider würde dieses Treffen durch den Überfall von Nachtschatten überschattet." Endres ließ den Blick über die Wölfe schweifen, in der Hoffnung, seinen Mentor Geras zu entdecken. „Wo ist Geras?", fragte er Jylge. Der Leitwolf schluckte und antwortete dann nur: „Geh zu Peternella." Schnell lief Endres zur Höhle der Heilerwölfin. Nahe beim Eingang lag Marthes, der einen Verband um den Hinterlauf hatte. „Ihr seid ja wieder da", stellte er fest und das ganz ohne die Abneigung, die er sonst gegen Endres hegte. Die anderen Wölfe, die ebenfalls in der Lage waren, hoben den Kopf, um Endres zu sehen. „Endres, es ist schön, dass ihr wieder da seid", rief Peternella erfreut.
Endres brauchte nicht lange, um zu realisieren, dass die Wölfin überfordert war. „Kann ich dir etwas helfen?", fragte er. „Du kannst die Paste bei Marthes und Donatus erneuern. Vorher holst du aber bitte etwas nasses Moos, dass ich Geras kühlen kann", wies ihn Peternella an. „Was hat er denn?", fragte Endres erschrocken. Er sprang zu dem Wolf, der gekrümmt am Boden lag. Der Pelz war zerzaust und wies viele blutige Stellen auf. „Er hat sehr viel Blut verloren", antwortete die Heilerin. „Er ist nicht mehr der Jüngste, schmeißt sich aber trotzdem ins Kampfgetümmel, als wäre er erst von der Großen Reise zurück. Sein Körper ist stark geschwächt und jetzt hat er auch noch Fieber bekommen. Ich weiß nicht mehr weiter. Der Thymian will nicht helfen und ich habe nichts mehr, das ich ihm noch geben könnte."
„Was hast du noch in deinem Kräutervorrat?", fragte Endres. „Nicht mehr viel", gab die Heilerin traurig zu. „Ich hätte schon längst wieder Kräuter sammeln müssen, aber ich habe nie mit so vielen Verletzten gerechnet." „Was ist mit deinem Menschenfreund?", rief Donatus. Die Stille, die sich plötzlich in der Höhle ausbreitete, war beängstigend. „Du meinst den Menschen, der damals Gawin geholfen hat", erklärte Donatus. „Ihr könnt euch doch bestimmt alle daran erinnern." „Du willst ihn wirklich wieder ins Lager holen?", fragte Marthes. „Ja, genau den meine ich", antwortete Donatus. „Er hat Gawin damals geholfen, sodass er nicht sterben musste. Das kannst du nicht verleugnen."
„Ich verleugne es auch nicht", erwiderte Marthes. „Ich weiß nur nicht, ob es so gut ist, einen Menschen herzuholen, wenn die Bergwölfe jeden Moment wieder einfallen könnten. Sie kennen keine Menschen und würden uns deswegen für noch komischer halten, was sie darin bestärken würde, die alte Ordnung wiederherzustellen." „Dann bringen wir Geras eben zum Menschenort", schlug Peternella vor. „Was ich gehört habe, leben dort nur Menschen, die freundlich sind und im Einklang mit der Natur leben. Sie sind sehr gebildet und könnten uns sicher weiterhelfen."
„Dann suchen wir Wölfe, die Geras zum Menschenort bringen", legte Endres fest. „Kann man ihn in diesem Zustand transportieren?" Peternella nickte. „Aber es ist kritisch. Wir sollten nicht zu lange warten." Endres rannte wieder nach draußen, wo die anderen Wölfe inzwischen Benedictus, Alba und Jonata umringten und sie ausfragten. Endres suchte nach Jylge, den er schließlich in dessen Höhle fand. Den Welpen ging es zum Glück gut, die Bergwölfe hatten sie verschont. Noch. Jylge zögerte gar nicht lange, sondern stimmte zu. „Wenn es eine Möglichkeit gibt, Peternella zu entlasten und Geras zu helfen, dann sollten wir sie nutzen", sagte er. „Ich traue den Menschen bis heute nicht, aber du hast uns damals bewiesen, dass es, wie überall, Ausnahmen gibt. Bringen wir Geras zum Menschenort."
Ein paar Wölfe erklärten sich auch sofort bereit, Geras zu tragen. Dem Rudel lag sehr viel an dem Wolf, er genoss ein hohes Ansehen und war bei allen sehr beliebt. Endres erklärte sich dazu bereit, vorzulaufen, um den Menschen zu suchen. Er wusste, dass es nicht einfach werden würde, Bruder Paulus davon zu überzeugen, wieder einmal einem Wolf zu helfen, ohne dass er sich selbst verriet. Seine Welt stand eh schon Kopf.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top