20- Sterne, Mond und Frieden
20- Sterne, Mond und Frieden
Lange Zeit standen sich die Wölfe schon gegenüber. Keiner von ihnen wagte sich, den ersten Schritt zu machen. Alle fürchteten sich davor, keine wusste, was er sagen sollte. So starrten sie sich an. Der Mond schien auf die Große Ebene und der leichte Wind strich über das Gras. Die Sterne in den Pelzen der Wölfe funkelten in dieser Nacht besonders hell. In dieser Nacht waren einige neue Wölfe zu ihnen hinaufgestiegen und hatten sich in ihre Reihen gesellt. Noch war der Abstand zwischen den beiden Gruppen mehr als drei Wolfslängen groß, jedoch traute sich keiner, weiter vorzutreten, um endlich den ersten Schritt zu wagen.
„Wir sollten nicht noch mehr Zeit damit verschwenden, uns anzuschweigen", brach schließlich ein Wolf das Eis. „Meinst du, es ist soweit?", fragte eine Wölfin von der anderen Seite. „Feindseligkeit und Verachtung sollen in dieser Welt vorerst keine allzu große Bedeutung bekommen", fand ein anderer Wolf. Die anderen Wölfe murmelten ihre Zustimmung. Auf beiden Seiten. „Wie ist es, wieder hier zu sein?", fragte eine Wölfin aus dem Rudel der Sterne. Einige der Mondwölfe, die ihnen gegenüberstanden, traten unruhig auf den Pfoten. „Ich weiß, dass auf beiden Seiten Wölfe sind, die bereits damals beim Waldbrand dabei waren."
Es dauerte einen Augenblick, bis endlich ein Wolf antwortete. „Es fühlt sich richtig an, wieder hier zu sein", antwortete schließlich eine. „Wir waren viel zu lang von hier weg." Wieder erhob sich zustimmendes Gemurmel auf der Seite der Mondwölfe. „Wir hätten uns nie voneinander abwenden dürfen", sagte ein Wolf. „Das war einer der größte Fehler in der Geschichte der Sternenwölfe."
„Wir haben uns damals verraten gefühlt", erklärte eine andere Wölfin. „Damals war alles zu schlimm, dass man verstehen konnte, was passierte. Man konnte einfach nicht richtig nachdenken, was man tun sollte. So haben wir damals die falsche Entscheidung getroffen." „Es ist gut, dass ihr wieder hier seid", sagte ein Wolf vom Rudel der Sterne. „Nehmt ihr uns den Fehler nicht übel?", fragte ein Wolf der anderen Seite skeptisch. „Wir haben einen schwerwiegenden Fehler begangen, der unzählige Wölfe ins Verderben geführt hätte."
„Das konnten wir vorher nicht absehen", gab eine Wölfin zu. „Über die Zeit haben wir so viel Hass aufgebaut wie die Wölfe unten auf der Erde. Wir redeten uns ein, dass es richtig gewesen war, euch zu verlassen, um unsere Nachfahren auf der Erde immer im Blick zu haben." „Unser Himmel lag viel zu weit entfernt von eurem", erklärte ein weiterer Wolf. „Die Verbindung riss und damit auch jegliches Vertrauen. Wir haben, wahrscheinlich genauso wie ihr, gedacht, der jeweils andere hätte uns im Stich gelassen."
Jetzt senkten auch einige Wölfe vom Rudel der Sterne die Köpfe. „In der Tat, so war es", gab eine alte Wölfin zu. „Wir hatten mehr als genug mit den Wölfen hier auf der Großen Ebene zu tun, wir mussten ihnen Hoffnung geben, dass sie ihren Lebensraum nicht aufgeben dürfen. Sie mussten einfach hierbleiben, sonst wären die Wölfe der Großen Ebene vollends verloren gegangen."
„Es kostete uns viel Zeit und Kraft, den Wölfen dort unten zu versichern, dass das Leben weitergehen würde, auch wenn es nicht so schien", ergänzte ein alter Rüde. „Dennoch hätten wir uns nicht nur auf die Wölfe konzentrieren sollen, bei denen wir es für richtig hielten, über sie zu wachen. Wir hätten auf alle Acht geben müssen, um sie wieder hier zusammen zu bringen, damit sie alle zusammen stark sein können. Doch keiner von uns war so stark, um sich gegen die Willen einiger anderer Wölfe durchzusetzen."
„Es ist schlimm, was damals passiert ist und es ist schlimm, was sich im Nachhinein daraus entwickelt hat", murmelte eine Mondwölfin, doch alle konnten sie verstehen. „Die Wölfe auf der Erde erzählen sich immer, dass die Wölfe in den Sternen schlau und wissen sind", meinte eine Wölfin und lachte. „Dabei sind wir zwar alle schon tot, aber mit dem Tod wird uns nur die Möglichkeit gegeben, im Himmel weiterzuleben und über unsere Nachfahren zu wachen. Der Eintritt in die Sterne bedeutet nicht unendliches Wissen." „Wir können genauso nicht alles vorhersehen und unsere Augen überall haben wie die Wölfe auf der Erde", fand ein Wolf vom Rudel der Sterne.
„So hätten wir vielleicht auch mitbekommen, was Nachtschatten für finstere Pläne schmiedet, nicht wahr?", fragte ein Mondwolf. „Ich könnte mich selbst dafür beißen, aber auch wenn wir wussten, was im Kopf dieses Wolfes abgeht, haben wir daran geglaubt, dass es richtig ist, was er plant. Auch wir wollten die Große Ebene zurück, um dort weiter zu machen, wo wir damals aufhören mussten."
„Man kann es nicht einmal jemandem verübeln", überlegte eine Wölfin vom Rudel der Sterne. „Wir hätten an eurer Stelle bestimmt nicht anders gehandelt. So lange Zeit so weit weg von zu Hause zu sein, ist für keinen Wolf schön." „Jetzt sind wir wieder hier", brachte es ein Mondwolf auf den Punkt. „Wir werden nicht wieder gehen. Nun bleiben wir hier, auch wenn nichts so wie vorher sein wird."
„Damit müssen wir aber auch leben", stellte ein Wolf der anderen Gruppe klar. „Nach diesem Kampf wird es nicht einfach so weitergehen wie bisher. Es wird anders sein." „Dieses Mal werden wir aber nicht gehen und die anderen im Stich lassen", behauptete eine Wölfin und sofort erklang zustimmendes Jaulen. „Wir können nicht immer vor unseren Problemen flüchten und hoffen, dass es sich so besser lebt. Deswegen brauchen wir erst gar nicht die Flucht antreten, sondern wenden uns, damit wir den Problemen direkt ins Gesicht schauen können." „In den letzten Monden wurde zu viel falsch gemacht, jetzt ist es an der Zeit, mal wieder etwas richtig zu machen", schrie eine andere Wölfin und das Jaulen wurde lauter, es erfüllte die ganze Nacht. Jetzt liefen die Wölfe aufeinander zu, drückten sich gegenseitig die Schnauzen ins Fell. Die Sterne in ihren Pelzen wurden heller, bis sie fast blendeten.
„In dieser Nacht haben wir viele Wölfe zu uns aufgenommen", sagte ein Wolf und die Begeisterung wurde leiser, schlug eher in Betroffenheit um. „Ja, zu viele", stimmte eine Wölfin zu. „Ich wäre gerne noch länger bei meinem Rudel geblieben", erhob ein Wolf die Stimme, der sich bis jetzt eher im Hintergrund gehalten hatte. Die Wölfe wendeten ihm die Köpfe zu, bis eine andere Wölfin sagte: „Ich auch." Immer mehr Rufe ertönten. „Was ist mit Endres?", fragte ein Wolf, der auch erst in dieser Nacht zu den Sternenwölfen hinaufgestiegen war. „Ich habe gesehen, wie ein Wolf aus den Bergen ihn getötet hat, danach wurde ich selbst umgebracht." Die Sternenwölfe sahen sich um, riefen den Namen des Wolfes, aber er antwortete nicht. „Endres scheint nicht hier zu sein", stellte ein Wolf fest.
„Endres ist nicht hier, weil er nicht von Anfang an zu den Wölfen gehört hat", erklärte eine Wölfin. „Jylge hat vor einigen Monden eine Nachricht von uns erhalten, dass ein besonderer Sternenwolf zu seinem Rudel kommen wird. Mit Endres kam viel Aufregung, aber wäre er nicht gewesen, hätten Jylge und Duretta einen weiteren Wurf Welpen verloren und schließlich hätten er auch nicht mit Jonata und Alba die Entdeckung in den Bergen gemacht. So, und nur so, konnte es schließlich zu dem Ereignis kommen, wie es heute geschehen ist. Es war an der Zeit, dass ein Wolf kommt, der die alten Traditionen nicht kennt und der mit den neuen auch nicht vertraut ist. Ein Wolf, der frisches Gedankengut in die Wölfe bringt. Ein Wolf, der dafür sorgt, dass die Wölfe neue Schritte wagen, an die sie vor seiner Ankunft nicht einmal gedacht hatten." Die Wölfe nickten verstehend.
Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. „Angesichts dessen, was passiert ist, wird das wiedervereinte Rudel der Sterne eine Entscheidung treffen, die einmalig in der Geschichte der Wölfe auf der Großen Ebene sein wird", sprach ein Wolf schließlich. Seine Stimme war rau und kratzig. Er war alt, einer der ältesten Wölfe im Rudel der Sterne. „Normalerweise bleiben die Wölfe, die zu uns kommen, auch bei uns." „Wir haben die Macht, bestimmte Dinge zu lenken und sie zu beeinflussen", erklärte eine Wölfin, die mindestens genauso alt war. „Alle Dinge können wir nicht steuern, das wäre nicht unsere Aufgabe. Wir haben die Macht, Hinweise und Nachrichten an die Wölfe auf der Erde zu schicken, weil wir hier oben die Lage anders betrachten können. Doch es ist noch nie vorgekommen, dass wir Wölfen eine zweite Chance geben." Die Wölfe sogen erschrocken die Luft ein.
„Noch ist es nicht zu spät für eure Körper, sich wieder mit Leben zu füllen", erklärte die Wölfin weiter. „Ihr bekommt hier und jetzt die Möglichkeit, entweder bei uns zu bleiben oder in euren Körper auf der Großen Ebene zurückzukehren und dort zu bleiben, bis ihr als Älteste zu uns kommt." „Sind alle anderen Wölfe damit einverstanden?", fragte der alte Rüde. Die Wölfe zögerten, dann nickten die ersten. „Ich wäre auch gerne noch länger auf der Erde geblieben", meinte ein Wolf nachdenklich. „Ich habe mich gegen die Ordnung in den Bergen aufgelehnt und bin deswegen hier. Aber ich denke, es ist nur gerecht, wenn alle Wölfe, die in diesem Kampf sterben mussten, wieder zurückdürfen. Sie sind zu Unrecht gestorben."
Schließlich stimmten die anderen Wölfe zu. „Dann werden wir euch jetzt zurück auf die Erde schicken", gab die Wölfin bekannt. „Stellt euch einfach vor, ihr kehrt wieder zurück in euren Körper. Ruft euch den Geruch der Großen Ebene zurück ins Gedächtnis, die Wölfe, die in der Schlafhöhle neben euch liegen und die Wälder, durch die ihr beim Jagen streift."
Die Wölfe, die noch nicht lange bei den Sternenwölfen waren und vorerst auch nicht länger bleiben würden, schlossen die Augen und versanken in ihre Gedanken. Dann lösten sich ihre Körper auf. Sie kehrten zurück an den Ort, wo sie noch lange bleiben sollten. Die Wölfe, die zurückblieben, jubelten laut. Das Rudel der Sterne hatte wieder zusammengefunden!
Und wenn die Wölfe fortan zum Himmel hinaufsahen, leuchteten viel mehr Sterne als jemals zuvor. Die Sternenwölfe waren alle wieder dort, wo sie hingehörten. Sie hatten Frieden geschlossen und der Frieden brachte das Licht zurück, das so viele Wölfe so lange vermisst hatten.
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