2- Langersehnte Rückkehr

2- Langersehnte Rückkehr

Es kam Endres vor als wäre er diesen Weg seit Jahren nicht gegangen. Dabei war er gerade mal wenige Wochen weggewesen. In diesen wenigen Wochen hatte sich jedoch einiges verändert. Die Blätter waren jetzt bunt gefärbt und fielen bereits auf den Boden. Die Sonne stand nicht mehr so hoch am Himmel und ging früher unter. Bald würde die Zeit kommen, in der man im Kloster nicht mehr ohne Licht umhergehen könnte.

Dann würden sie die wenigen Stunden am Tag nutzen, um draußen die Sonne zu genießen, damit die Laune nicht ganz und gar einen Tiefpunkt erreichte. Endres beschleunigte seine Schritte. Die Sonne war bereits aufgegangen, bevor er das Rudel verlassen hatte. Jylge hatte ihn, Jonata und Alba als vollwertige Mitglieder in sein Rudel aufgenommen. Endres war stolz, dass sie es geschafft hatten, obwohl sie die Große Reise ja nicht richtig absolviert hatten.

Er hätte sich gewünscht, dass sie ohne große Probleme von statten gegangen wäre, aber dann hatten sie ja die Entdeckung machen müssen. Auf der anderen Seite war es aber auch gut, dass sie es herausgefunden hatten, was der Großen Ebene bevorstand. Denn was wäre gewesen, wenn die Bergwölfe sie einfach so überrascht hätten? So hatten sie immerhin noch den Hauch einer Möglichkeit, die Katastrophe abzuwenden oder wenigstens dafür zu sorgen, dass sie geschwächt wurde. Die Mauern des Klosters kamen in Sicht. Bald würde er sich einigen Fragen stellen müssen. Endres wusste, dass in der Zeit, in der er weggewesen war, ein Großteil der Ernte geschehen war. Die Apfelbäume waren reif und auch die letzten Getreidefelder wurden geerntet.

Endres überkam ein schlechtes Gewissen, dass er die Mönche im Stich gelassen und ihnen nicht geholfen hatte. Es dauerte nicht lange und er stand vor dem Tor. Noch war es verschlossen. Ein wenig fühlte er sich wieder wie damals, als er mit Lorentz hiergestanden hatte, wenige Tage nach dem Raubritterüberfall. Er zögerte, genau wie an diesem Tag, klopfte dann aber doch an. Der Schieber im Tor wurde zur Seite geschoben und Bruder Clewiz blickte ihn an. Als er sah, wer vor dem Tor stand, weiteten sich seine Augen vor Erstaunen.

„Endres? Was machst du denn hier?", fragte er. Doch dann schob er den Riegel wieder zurück und öffnete stattdessen einen der Torflügel. „Komm herein, komm herein!" Endres betrat das Kloster und er freute sich, wie Bruder Clewiz ihn angrinste. „Wo hast du denn nur gesteckt, sag mal?", fragte er. „Wir haben uns alle große Sorgen um dich gemacht."

„Jetzt bin ich ja wieder da", antwortete Endres ausweichend. „Wo ist eigentlich Bruder Sewolt? Bewacht er das Kloster nicht eigentlich?" „Eigentlich ja, aber er hat sich eine Erkältung eingefangen. Er ist über den Berg, aber ein paar Tage wird es schon noch dauern, bis er wieder ganz gesund ist", erklärte der Mönch. „Bruder Clewiz, wer klopft denn so früh am Morgen schon an unser Tor?", fragte eine Stimme. Bruder Auberlin erschrak, als er Endres erblickte. „Na, da sieh einer an!", sagte er. „Endres ist wieder da!"

Die letzten Worte rief er und auf einmal kamen auch die anderen Mönche herbeigestürzt. Natürlich bestürmten sie ihn sofort mit Fragen, alle durcheinander. Einige freuten sich, ihn wiederzusehen, andere waren etwas wütend, dass er verschwunden war und jetzt wieder auftauchte, wenn die Ernte vorbei war.

„Nun lasst den armen Jungen doch mal in Ruhe", rief eine laute Stimme, die Endres sofort erkannte. Bruder Paulus drängelte sich durch die Mönche hindurch. „Er ist gerade wieder zurückgekommen. Wollt ihr ihn da gleich wieder vertreiben?" Er fasste Endres am Arm und zog ihn mit sich. Die anderen Mönche blickten ihnen stirnrunzelnd und vor sich hin murmelnd hinterher.

***

„Du musst mir nicht erzählen, wo du warst", sagte Bruder Paulus. Er war mit Endres in die Apotheke gegangen. „Sewolt habe ich einen Spaziergang verordnet. Heute scheint die Sonne noch einmal schön. Frische Luft tut gut." Er bot Endres den Hocker an und er setzte sich. „Es würde mich ja brennend interessieren, wo du dich so lange rumgetrieben hast", meinte der Mönch. „Aber ich bin mir sicher, dass du einen Grund für dein Verschwinden hast."

„Den gibt es auch", stimmte Endres zu. „Es ist aber schwierig, den zu erklären." „Willst du es mal probieren?", fragte Paulus. „Ich werde auch den anderen nichts erzählen, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Vielleicht bin ich der, der es am wenigsten wissen möchte, da sind einige andere Mönche viel wissbegieriger."

„Ich habe euch bei der Ernte allein gelassen", gab Endres zerknirscht zu. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. „Das... das tut mir leid. Ehrlich." Er suchte nach den richtigen Worten. „Nur gab es da etwas, worüber ich nachdenken musste. Ich brauchte meine Ruhe." „Du musst dich nicht dafür entschuldigen. Wir bringen die Ernte seit Jahren allein ein und allein deswegen finde ich es unerklärlich, warum jetzt einige der Meinung sind, wir hätten deine Hilfe unbedingt gebraucht. Wie du vielleicht gesehen hast, haben wir es auch in diesem Jahr geschafft, die gesamte Ernte von den Feldern zu holen."

„Sind die anderen sehr sauer?", fragte Endres. Er hoffte, dass er die Mönche nicht zu sehr verärgert hatte. Sonst könnte es auch sehr schnell für ihn heißen, dass er das Kloster verlassen muss. „Die haben sich schon wieder eingekriegt. Vielleicht war das einfach nur die Krönung für manche, dass in diesem Jahr etwas schiefgegangen ist. Ein Pferd hat schlappgemacht und war die gesamte Ernte hindurch nicht zum Ziehen zu gebrauchen und das andere konnte natürlich bei weitem nicht so viel allein transportieren. Dann ist auch noch ein Rad des Wagens abgebrochen und es hat drei Tage gedauert, bis das neue fertig war und wir weitermachen konnten. Das wäre uns aber sicherlich auch passiert, wenn wir deine Hilfe gehabt hätten."

„Dann bin ich ja erleichtert", meinte Endres und lachte verlegen. Er hätte sich in den Hintern beißen können, dass er nicht hier gewesen war, um bei der Ernte zu helfen. „Bist du wenigstens wieder mit deinen Gedanken im Reinen?", griff Paulus wieder Endres' Antwort auf. „Du hattest ja anscheinend über vieles nachzudenken, wenn du über drei Wochen weg warst."

Für einen Moment schwieg Endres. Er musste erst genau überlegen, was er sagte, damit Bruder Paulus keinen Verdacht schöpfte. Der Mönch wusste nichts von den Wölfen und auch nicht, dass Endres nachts mit ihnen lief und das sollte so bleiben.

„Ich wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte", versuchte Endres sich an einer Erklärung. „Wir sind jetzt schon wieder seit dem Frühjahr hier und ich weiß immer noch nicht so ganz, ob ich hierbleiben oder doch lieber ins Dorf ziehen soll."

Er war darüber erstaunt, wie leicht die Worte seine Lippen verließen. Über das hatte er noch nie nachgedacht, es sprudelte jetzt einfach aus ihm heraus. „Das ist in der Tat nicht einfach", gestand Bruder Paulus. „Ich musste damals auch lange überlegen, ob der Eintritt ins Kloster das richtige für mich ist. Aber ich kann dich beruhigen. Als ich vor dieser Entscheidung stand, war ich schon ein paar Jahre älter als du jetzt. Du hast noch locker zwei oder drei Jahre Zeit, um dich endgültig festzulegen."

„In der Zeit falle ich euch doch aber zur Last. Mir gefällt es hier, aber ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, hier für immer zu leben", gab Endres zu. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du uns nicht zur Last fällst. Das redest du dir nur ein. Wenn ich noch einmal etwas davon höre, dann..." Bruder Paulus hob drohend die Hand, doch sein Grinsen verriet, dass er es nicht unbedingt Ernst meinte. „Sicher, es ist eine Entscheidung, die dein Leben bestimmen wird. Wer aber kann denn schon sagen, was in zwei oder drei Jahren sein wird?", fügte er, nun wieder ernster, hinzu. „Eben, das ist es ja", sagte Endres. „Was wird in ein paar Jahren sein? Was kommt alles auf mich zu? Vielleicht bereue ich es ja dann auch, wie ich mich entschieden habe."

„Das geht mir auch manchmal so", erklärte Paulus. „Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich mich damals anders entschieden hätte. Wenn ich vielleicht das Leben eines Bauern gewählt hätte, dann wäre ich jetzt vielleicht Vater von ein paar Kindern." Er seufzte. „Aber dann weiß ich, dass sich der liebe Gott schon was dabei gedacht hat, dass er mich diese Entscheidung hat treffen lassen. In jedem Leben trifft man auf Probleme, die vielleicht früher oder später gekommen wären. Es gibt Dinge, die lassen sich nicht aufhalten. Sie kommen einfach und man kann sie nicht aufhalten."

„Aber was kann man denn dann machen?", fragte Endres. „Wenn man bestimmte Dinge nicht aufhalten kann? Sonst überrollen sie einen doch einfach und zerstören alles, was man bisher gekannt hat."

„Meinst du, so wie damals, als die Raubritter euer Dorf überfielen?", fragte Paulus. Endres nickte. „Sicher, das war ein herber Rückschlag für die Dorfbewohner, aber ihr habt euch doch nicht unterkriegen lassen. Ihr habt euch zur Wehr gesetzt. Das einzige, was man tun kann, ist, sich ihnen in den Weg zu stellen und sie vielleicht auszubremsen. Wenn man einfach nur tatenlos vor sich hinlebt, dann braucht man sich auch nicht beschweren. Man muss schon etwas dafür tun, dass das eigene Leben so gut wie möglich ist. Nicht umsonst sagt man: Jeder ist seines Glückes Schmied."

„Ist das ein Spruch von Bruder Moritz?", fragte Endres und musste an den Mönch denken, der in einem der Gebäude des Klosters seine Schmiede hatte. „Ich habe das schon oft von den anderen Mönchen gehört. Kann gut möglich sein, dass Bruder Moritz das auch mal gesagt hat", überlegte Bruder Paulus. „Was ich aber damit sagen möchte: du wirst dir früher oder später Gedanken machen müssen, wie du dein Leben gestalten willst. Du stimmst mir aber sicherlich zu, wenn ich behaupte, dass es überhaupt nichts bringt, wenn man ständig alle Eventualitäten abwägt, über alle Probleme und deren Folgen nachdenkt und ja darauf bedacht ist, nichts falsch zu machen. Ein Leben mit Ecken und Kanten ist doch gerade interessant." Wie so oft hatte Bruder Paulus recht. Endres musste dem Mönch zustimmen und er war froh, dass einen so guten Freund hatte.

***

Die Wände zitterten von dem Geschrei wider. „Endlich hat das Unheil ein Ende!", jaulte eine Stimmte, die das Geschrei übertönte. „Wir werden uns das zurückholen, was uns seit Monden gebührt. Wir lassen nicht zu, dass es uns von Unwürdigen kaputt gemacht wird!" Das Jaulen wurde lauter, das Bellen kräftiger und das Knurren bösartiger. Die Höhle war erfüllt von grauen, roten, schwarzen und gelben Pelzen, die ihre Zustimmung hinausschrien.

„In wenigen Tagen gehört uns endlich das, was uns vor langer Zeit verloren gegangen ist. Wir werden über die Unwürdigen herrschen, wenn wir sie nicht vorher vernichten. Wir haben die Macht, wir haben die Kraft, dies zu schaffen. Denn uns gebührt das Leben, dass diese Unwürdigen seit langer Zeit unverdient leben, während wir unser Dasein weit unter unserer Würde fristen mussten. Dafür rächen wir uns!"

Wieder schwoll das Gejaule der Zustimmung an. Die Wölfe feierten ihren Anführer, sie waren sich sicher, dass er sie zum Sieg führen würde. Damit sie endlich dahin zurückkehren konnten, wovon ihre Vorfahren nur geträumt hatten.

***
Nicht wundern über die Wiederveröffentlichung. Es hatte sich ein Fehler eingeschlichen, den ich jetzt korrigiert habe^^

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