15- Drohendes Unheil

15- Drohendes Unheil

"Bären, seid ihr bereit?", rief Schwarze Rinde. Die vielen Bären, die zwischen den Bäumen hervorkamen, brüllten ihre Zustimmung. Anthoni lief ein Schauer durch den ganzen Pelz, so beeindruckend war die Szene, die er sah. Die Bären, die lange Zeit als Feind der Wölfe gegolten hatten, brachen jetzt auf, um den Wölfen zu helfen. Jonata und Benedictus würden auch mitkommen, allerdings im Lager bleiben.

Anthoni hoffte, dass nicht die junge Wölfin den Kampf wirklich entscheiden musste, so wie es als Notlösung angedacht gewesen war. "Wenn wir in unserem Lager sind, werdet ihr genau erfahren, wie wir vorgehen", erklärte er und Schwarze Rinde übersetzte seine Worte für die Bären, die die Sprache der Wölfe nicht verstanden. Dann brachen sie auf. Agathe und er hatten erst mit Süßer Honig und Schwarze Rinde gesprochen, dass der Kampf jetzt kurz bevorstand. Dann waren Große Tatze und Schlammige Tatze erschienen.

Sie verkündeten, dass auch sie mitkämpfen würden. Die verschwunden Bärenjungen waren Verwandte von Schlammige Tatze und er selbst wollte den Wolf erledigen, der für die Entführung verantwortlich war. Anthoni hatte von Duretta und den verschwundenen Welpen erzählt, was die Bären nur noch mehr darin bestärkt hatte, ihnen zu helfen. "Wer unschuldige Jungen entführt, um einen Kampf zu provozieren, der ist es nicht wert, diesen zu gewinnen", hatte Große Tatze zu Anthoni gesagt."Dieser Wolf hat keine Ehre. Wir sollten ihm zeigen, was es heißt, uns unsere Jungen zu nehmen. Er wird sich nach diesem Kampf nie wieder in die Nähe eines Bären oder eines Wolfes wagen und seine lausigen Gefährten genauso."

Die Bären strömten über den Polterpfad, Agathe führte sie zum Lager der Wölfe. Jonata kam zu ihm gelaufen und wollte etwas sagen. "Jonata, wir haben jetzt keine Zeit mehr. Wir müssen so schnell es geht, zum Lager zurück, der Kampf wird bald beginnen", sagte er und lief davon. Die Wölfin folgte ihm, sah aber nicht gerade sehr glücklich aus.



Sie hätte Anthoni sagen müssen, was sie herausgefunden hatte. Der Wolf war jedoch zwischen den Bären verschwunden und Jonata bezweifelte, dass weder er, noch Jylge Zeit hätten, sie anzuhören. Der Kampf stand bevor und sie hoffte einfach nur, betete zum Rudel der Sterne, dass sich ihre Befürchtungen nicht bewahrheiteten. Sollte es so sein, dann würden weder Nachtschatten noch Jylge aus diesem Kampf als Sieger hervorgehen. Sämtliche Wölfe und Bären würden kämpfen, in den letzten Stunden waren immer mehr Bären zum Polterpfad gekommen, die Nachricht über die Bergwölfe und allem, was mit ihnen in Verbindung stand, hatte im Reich der Bären die Runde gemacht und immer mehr fanden sich, um die Wölfe zu unterstützen.

Jonata freute das, am liebsten hätte sie sich bei jedem einzelnen Bären bedankt, dass er das für sie alle tat, doch etwas Anderes war ihr dazwischengekommen. Wenn sie daran dachte, was passiert wäre, wenn sie nicht mit Endres auf der Großen Reise in Streit geraten wäre und sich nicht auf ihrer Flucht verletzt hätte, dann hätten all die Zufälle nicht dazu geführt, dass die Wölfe jetzt gewusst hätten, was ihnen bevorsteht. Dann wären sie überrascht worden und hätten sich ihrem Schicksal ergeben müssen. Eigentlich war es doch unlogisch, dachte sie, dass ihr kleiner Streit mit Endres zu all dem geführt hätte.

Wäre Endres nicht gewesen, hätten sie nie die Bergwölfe bemerkt, sondern hätten in den Bergen nur den besonderen Stein gesucht, den es bereits am Rand des Gebirges gab. Sie fiel immer weiter zurück, die Bären liefen ihr davon. Auch Benedictus hatte sie seit dem Aufbruch nicht mehr gesehen. Schließlich blieb sie stehen. Die Baumkronen über ihr wurden vom Wind bereits kräftig durcheinandergewirbelt und es donnerte. Das Gewitter war nur noch eine zusätzliche Belastung für den Kampf. Sie zögerte nicht lange, sondern lief zurück. Sie hatte eine Idee.



Nachtschatten genoss es, wie die Wölfe zu ihm hinauf jaulten. Sie würden ihm folgen, bei allem was er tat und vor allem, wenn er erst über die Große Ebene herrschte. Er würde zwar die alten Zustände wiederherstellen, aber dennoch gäbe es eine wichtige Veränderung: er würde als ranghöchste Wolf über alle anderen herrschen. Alle Rudel würden ihm unterliegen, er würde der mächtigste Wolf sein, der je auf der Großen Ebene gelebt hatte, ja wahrscheinlich sogar der mächtigste Wolf, den es je dort geben würde. "Wir werden nicht zulassen, dass diese Verräter unsere Vorfahren weiter schänden", brüllte er. "Sobald die Sonne das nächste Mal aufgeht, wird auf der Großen Ebene eine neue Zeit anbrechen, in der wir alles so machen, wie es ursprünglich war und wie es für immer sein soll."

Mit Genugtuung ließ er seinen Blick über all die Wölfe schweifen, die ihn ansahen, ja, ihn gerade zu verehrten. "Dieser kleine Kampf sollte kein Problem für uns sein", sprach er weiter. "Wir werden die Verräter vernichten, tötet ihre Anführer, bringt die um, die die falschen Geschichten weitergeben und geht sicher, dass kein Wolf sich dieser Revolution entzieht. Wir sind gerade dabei, in die Geschichte einzugehen und ab morgen werden alle Geschichten nur noch davon erzählen, wie wir die geschändeten Ahnen gerächt und die Große Ebene wieder ins Gleichgewicht gebracht haben."

In seiner Selbstgefälligkeit dachte er daran, dass vor allem er selbst in die Geschichten eingehen würde. Von ihm würden die Geschichten handeln, von Nachtschatten, dem großen Anführer. Dem größten Anführer, den es ja auf der Großen Ebene gegeben hatte. Jawohl, genauso würde es sein!



Auch Jylge blickte auf sein Rudel, doch vor Aufregung fast zitternd. Die Welpen waren nicht wiederaufgetaucht, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass Nachtschatten sie entführt hatte. Er würde auf keinen Fall zulassen, dass dieser Wolf seinen Kindern schadete oder dass er sein Rudel noch einmal so beleidigte. Es war keine einfache Beleidigung, die Worte, die Nachtschatten im Brustton der Überzeugung gesagt hatte, kratzten an der Ehre der Wölfe. Jylge wusste nicht, ob er richtig reagiert hatte, wenn er seine Wölfe, sein Rudel, sein zu Hause, jetzt schon in den Kampf schickte.

Von der Patrouille wusste er, dass sich die Bergwölfe unweit des Sternensees aufhielten. Den Kampf konnten sie auf der Großen Ebene austragen, doch würde es genug sein, dass die Wölfe das Gebiet kannten? Die Große Ebene war heimtückisch mit ihren kleinen Hügeln, hinter denen sich ein möglicher Angreifer verstecken konnte, genauso wie das hohe Gras, das das Laufen und Rennen erschwerte. Wenn Jylge in die Augen seiner Rudelgefährten blickte, sah er jedoch pure Entschlossenheit.

Sie würden kämpfen, auch wenn sie wussten, dass es ihren Tod bedeuten konnte. Es war der erste große Kampf seit langem. Genauso, wie es damals kurz vor dem Waldbrand gewesen war. Dann hatte das Rudel der Sterne eingegriffen, um den Kampf zu beenden. Würde das auch dieses Mal so sein? Jylge war sich nicht sicher, ob die Ahnen den Kampf billigten, das aufziehende Gewitter ließ ihn nur noch unsicherer werden. Wenn sie dagegen wären, hätten sie ihn sicher in seinem Traum besucht, redete sich der Leitwolf ein. Sie konnten diesen Kampf nicht auslassen, wenn die Zukunft der Wölfe und Bären auf dem Spiel stand, wegen dieses machtgierigen Wolfs.

Jylge betete stumm zum Rudel der Sterne, dass sie ihnen beistehen mögen und Acht gaben, dass alle seine Wölfe unverletzt aus dem Kampf zurückkommen. „Die Bären sind da", verkündete Geras. Der Berater des Leitwolfs war vor kurzem wiederaufgetaucht und auch, wenn er noch humpelte, ließ er sich nicht davon abbringen, mit in den Kampf zu ziehen. Jylge war froh, seinen engsten Freund wiederzusehen und sicher zu sein, dass der gute Mensch ihn gesundgemacht hatte.

Es war das zweite Mal, dass die Menschen ihnen halfen, als Gegenleistung hatten die Wölfe ihnen aber auch geholfen. Jylge schüttelte den Kopf. Zu viel war in letzter Zeit passiert, was äußerst ungewöhnlich war. Es musste aber alles einen Sinn haben. Er war sich sicher, dass er ihn zwar jetzt nicht verstand, aber später, vielleicht auch erst, wenn er ein Ältester war, würde all das einen Sinn ergeben. „Danke", sagte Jylge. „Sie sollen herkommen. Ich möchte verkünden, wie wir vorgehen." Anthoni kam zu ihm, mit dem er den Plan entworfen hatte. Sie sprachen ihn noch einmal durch, damit es keine Unklarheiten gab. Sollte die Organisation bereits unter den Verbündeten scheitern, dann würden sie den Kampf verlieren. Aus den Augenwinkeln bekam der Leitwolf mit, wie immer mehr Bären das Lager betraten. Bald schon war es so überfüllt, dass sich Pelz an Pelz drängte.

Jylge konnte nicht glauben, wie viele Bären gekommen waren, um ihnen zu helfen. Zwei große Bären wurden von Geras zu ihnen gebracht. „Sei gegrüßt, Jylge, Anführer der Wölfe", sprach der eine zu ihm. „G...Große Tatzt", stotterte dieser verwirrt. „Was verschafft mir die Ehre, dich hier zu sehen?" „Ich bin aus genau demselben Grund hier wie alle anderen Bären auch", verkündete Große Tatze und der Bär neben ihm, Jylge vermutete, dass es eine andere Tatze war, nickte bestätigend.

„Wir haben durch deine Wölfe von der drohenden Gefahr erfahren und ich muss zugeben, am Anfang waren wir skeptisch, was diese Sache betraf. Nun, da zwei Bärenjungen entführt worden sind und es ähnliche Fälle bei euch gab, überzeugt mich das nur noch, dass wir euch unbedingt helfen müssen. Es darf nicht zugelassen werden, dass ein lausiger Wolf die Kleinsten entführt, um damit seinen Willen durchzusetzen." „Außerdem sind wir der Meinung, dass die Beziehung zwischen uns Bären und euch Wölfen zu lange angespannt war", sagte der Berater. „Es wird Zeit, dass wir das Kriegsbeil zwischen uns begraben und uns auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist. Ich wünschte, wir könnten das aus einem anderen Anlass tun, aber wenn wir gemeinsam gegen einen Feind kämpfen, bin ich mir sicher, werden die Schreckgeschichten ein Ende haben."

„Nicht nur die", brummte Große Tatze. Jylge war überwältigt. Es kam ihm so unwirklich vor, was gerade vor seinen Augen geschah. „Wir werden später, sobald dieser Kampf gewonnen ist, noch einmal reden", verkündete Große Tatze und wandte sich ab. „Ich denke, die anderen warten darauf, dass du den Plan verkündest." Gestärkt durch die Worte des Bärenoberhauptes holte Jylge noch einmal Luft. „Wölfe und Bären!", rief er, während die Gespräche verstummten. „Es ist soweit! Der Kampf gegen die Bergwölfe wird bald beginnen..."

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