10- Unter Verdacht
10- Unter Verdacht
„Woher kommt nur, dass sich die beiden so verrückt verhalten?", fragte Jonata verständnislos. „Die beiden benehmen sich als hätten sie ihren Verstand irgendwo im Wald liegen gelassen", beklagte sich Agathe. „Hast du eine Idee, woher das kommen könnte?", wandte sich Jylge an Endres. Die Wölfe lagen oder saßen draußen herum und redeten. Bald würde sie Sonne aufgehen und dann ging Endres zurück zum Kloster, um nach Geras zu sehen. Viele Wölfe waren wegen Cunos und Donatus' komischen Verhaltens beunruhigt, einen solchen Fall hatte es noch nie gegeben
. „Manchmal sagt man ja im Spaß, dass sich die Wölfe den Kopf gestoßen haben, die etwas verrückt sind", warf Fronicka ein. Die Aufregung hatte auch die beiden Ältesten aus ihrem Bau geholt. „Ich bin nun schon so lange in diesem Rudel, aber das habe ich wirklich noch nicht erlebt", seufzte Georig. „Den Kopf werden sie sich sicher nicht gestoßen haben", erwiderte Endres. „Dazu müssten sie mit voller Wucht gegen einen Baum laufen und ich denke nicht, dass die beiden das tun würden."
„Nur, was kann es denn dann sein?", wollte Anthoni wissen. „Es gibt durchaus Kräuter im Wald, die die Sinne und den Verstand benebeln können", überlegte Endres. „Du meinst, sie sind durch Kräuter im Wald verrückt geworden?", fragte Agathe. „Dann hätten das doch aber schon andere Wölfe bemerken müssen!" „Ich kann es mir auch nicht erklären", antwortete Endres ausweichend. „Es ist nur eine Vermutung."
„Ich denke, dass die Bergwölfe dahinterstecken!", rief Jos. Sofort brach unter den Wölfen eine Diskussion aus, in der einige Wölfe sofort angreifen wollten. Jylge gebot dem ganzen jedoch Einhalt. „Haltet euch zurück mit vorschnellen Urteilen!", sagte er bestimmt. „Wir wissen nichts, was dafürspricht, dass die Bergwölfe Cuno und Donatus verrückt gemacht haben."
„Es gibt aber auch nichts, was dagegenspricht", widersprach Jos. „Trotzdem bringt es uns nichts, wenn wir jetzt losstürmen, um den Bergwölfen das Fell über die Ohren zu ziehen!", keifte Fronicka. „Ich sage dir eins, mein Junge. Wenn ich in meinem Leben eines gelernt habe, dann ist es, Ruhe zu bewahren." „Unser Rudel befindet sich in einer unbekannten Lage, keiner weiß, was als nächstes passieren wird", ergänzte Georig. „Wenn ihr euch jetzt Hals über Kopf in den Kampf stürzt, dann könnte dieser Schritt unseren Untergang schon besiegelnd!"
Das Rudel hielt Ruhe und einige sahen beunruhigt zu Boden. „Wir werden warten, was als nächstes passiert", befahl Jylge. „Noch gilt die Waffenruhe und wir sollten es nutzen, um uns so gut wie möglich auf den Kampf vorzubereiten. Heute werden wir noch einmal jagen gehen, damit die kranken Wölfe schneller auf die Beine kommen. Patrouillen gehen nur zu vier und nur in Nähe zum Lager. Solltet ihr etwas Verdächtiges bemerken oder etwas, das euch komisch vorkommt, zieht euch sofort zurück und berichtet es den anderen Wölfen. Jonata, Benedictus, Anthoni, Endres und Agathe werden jetzt zu den Bären aufbrechen."
Die Wölfe murmelten viel Glück und wünschten ihnen eine gute Reise, obwohl die Wölfe schon bei Sonnenhoch wieder zurück sein konnten. Endres überraschte es, dass er mitgehen sollte, hatte er doch eigentlich bald ins Kloster zurückgehen wollten. Dennoch sagte er sich, dass es besser war, Jylges Befehlen Folge zu leisten, außerdem konnte er sichergehen, dass Jonata und Benedictus wohlbehalten bei den Bären angekommen waren. Die Wölfe brachen also auf und die anderen blickten ihnen hinterher. In dieser Zeit hielt das Rudel so sehr zusammen wie schon lange nicht mehr.
Schnellen Schrittes liefen die Wölfe in Richtung des Polterpfads. Jonata und Benedictus liefen vorweg, wobei Benedictus immer so nah wie möglich bei der Wölfin lief. Endres wäre auch gerne neben ihr gelaufen, aber der Weg ließ es nicht zu. Er sagte sich, dass Benedictus ja auf sie aufpassen sollte, da konnte es nicht schaden, wenn er sie von jetzt an nicht mehr aus den Augen ließ. Hinter den beiden lief Anthoni, dann folgten Agathe und Endres.
„Gibt es wirklich so ein Kraut, das einen Wolf verrückt machen kann?", wollte sie wissen. „Ich habe schon mal von einem Kraut gehört, das solche Wirkungen hervorrufen kann", antwortete Endres ausweichend. Er erwartete, dass Agathe misstrauisch nachfragte, woher er das denn wusste. Sie gehörte auch zu den Wölfen, die Endres bisher nicht gerade freundlich behandelt hatten.
„Weiß du denn mehr darüber?", fragte sie zu Endres' Verwunderung, doch er musste verneinen. „Es gibt viel, was ich nicht weiß. Ein solches Kraut kann Peternella nicht gebrauchen und ich weiß auch nur etwas über die Pflanzen, die den Wölfen helfen, von daher interessiert mich ein Kraut, das den Wölfen schadet, nicht wirklich."
„Hätte ja sein können", meinte Agathe. Warum verhielt sich die Wölfin jetzt auf einmal so zu ihm? Auch Marthes war auf einmal ganz anders, er hatte sogar die Idee gehabt, Geras zum Menschenort zu bringen. Schweißte die Krise die Wölfe jetzt enger zusammen, sodass sie ihre inneren Feindschaften überwinden konnten? Wollten sie sich jetzt sogar bei ihm entschuldigen, dass sie ihm oft das Leben zur Hölle gemacht hatten? Agathe sagte jedoch kein Wort mehr, bis sie bei den Bären angekommen waren. Schon von weitem schlug der ungewohnt starke Bärengeruch den Wölfen entgegen.
„Da sind die Verräter!", rief auf einmal eine Bärin, die sofort darauf aus dem Gebüsch auf der anderen Seite des Weges gesprungen kam und auf die Wölfe zustürmte. „Schnelles Blatt, warte!", rief eine den Wölfen bekannte Stimme. Süßer Honig, Schwarze Rinde und einige andere Bären folgten Schnelles Blatt. „Wir sollten sie sofort ausschalten!", grollte die Bärin. „Nein", widersprach Süßer Honig. „Die Wölfe unsere Freunde!" „Das sind nicht Freunde!", schrie die Bärin und wollte sich schon auf Benedictus und Jonata stürzen, als zwei andere Bären sich ihr in den Weg stellten und sie zurückdrängten. Schnelles Blatt wehrte sich verbissen, doch gegen die beiden Bären kam sie nicht an.
„Entschuldigt", sagte Schwarze Rinde. „Was ist los?", fragte Anthoni, der sich vorgedrängelt hatte, aufgeregt. „Kommt mit", sagte Schwarze Rinde nur. Die Bären und Wölfe gingen wieder in den Wald. An einer lichteren Stelle im Wald ließen sie sich nieder. „Warum war Schnelles Blatt so wütend?", fragte Endres. „Warum hat sie uns als Verräter bezeichnet?" „Bei uns ist in der Nacht etwas Schlimmes geschehen", antwortete Schwarze Rinde. „Zwei Bärenjungen entführt worden sind", erklärte Süßer Honig. Erschrocken sogen die Wölfe die Luft ein.
„Zwei eurer Jungen wurden entführt? Das ist ja schrecklich", sagte Anthoni. „Habt ihr etwa auch Bärenjunge mit hierher genommen?", fragte Agathe. Süßer Honig und Schwarze Rinde schüttelten die Köpfe. „Nein, aber die Tatzen immer noch sind bei den Höhlen. Die meisten Bären inzwischen wieder abgereist, aber eine Bärin mit zwei Jungen noch dort gewesen", erklärte Süßer Honig. „Gerade, als sie bei den Tatzen vorsprach, spielten ihre beiden Jungen draußen. Es war schon dunkel und als sie wieder nach draußen kam, waren sie verschwunden", ergänzte Schwarze Rinde. „Die Bären, die noch dort waren, haben sofort angefangen, zu suchen. Sie dachten zuerst, dass sie zu uns wollten, damit sie auch gegen die Wölfe kämpfen können. Ihr wisst ja, wie Junge sind."
„Aber sie nicht waren hier, sie nicht waren dort, sie waren nirgends", sagte Süßer Honig betrübt. „Und ihr habt keine Spur, wo sie hin sein könnten?", fragte Benedictus. Wieder verneinten die Bären. „Das ist aber noch nicht alles", sprach ein Bär. „Schlammige Tatze war nur kurz im Wald, um sein Geschäft zu erledigen, aber als er wiederkam, war er auf einmal dumm", erklärte Schwarze Rinde. „Er nicht war dumm. Er war nur komisch im Kopf", erwiderte Süßer Honig. „Er nicht mehr konnte richtig sprechen. Das, was er gesagt, nicht einmal hat Sinn ergeben."
„Dann ist es wie bei uns", stelle Endres erschrocken fest. „Waren wohl auch Wölfe auf einmal komisch im Kopf?", fragte Schwarze Rinde. Die Wölfe berichteten von den Ereignissen der letzten Nacht. „Ihr hattet uns im Verdacht, eure Jungen entführt und Schlammige Tatze vergiftet zu haben, oder?", fragte Anthoni. „Es uns leid tut, das zu sagen", antwortete Süßer Honig, „aber wir das wirklich gedacht."
„Es tut uns leid, dass wir euch im Verdacht hatten", ergänzte Schwarze Rinde. „Wir haben wirklich gedacht, dass ihr uns nur in einen Hinterhalt locken wolltet, dass die Geschichte mit den Bergwölfen nur erfunden war." „Jetzt, wo auch Wölfe vergiftet sind, wir wissen, dass ihr das nicht wart", erklärte Süßer Honig. „Ihr wärt dumm, wenn ihr euch selbst würdet schaden." Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen. „Es können nur die Bergwölfe gewesen sein", überlegte Anthoni. „Wer sonst sollte uns so etwas antun?" „Oder gibt es eine Verschwörung?", fragte Jonata. „Es kann doch sein, dass es Verräter unter uns gibt." Zufällig sah sie Agathe dabei an. „Nein, wie kannst du es wagen?", rief die Wölfin erschrocken und sprang auf. „Ich gebe zu, wir sind nicht immer freundlich zu euch und nicht immer angenehme Rudelgefährten, aber wir würden doch nie unser eigenes Rudel verraten!"
Agathe schien zu wissen, dass nicht nur sie, sondern auch Marthes und andere Wölfe gemeint sein könnten. „Es kann doch sein, dass die Bergwölfe Wind davon bekommen haben, dass die Bären unsere Verbündeten sind", überlegte Benedictus. „Jetzt schaden sie beiden Seiten, um uns zu schwächen." „Das es wird sein", sagte Süßer Honig bestimmt. „Die Bergwölfe noch schlimmer, als wir gedacht haben." „Abscheuliche Kreaturen", ergänzte Schwarze Rinde. „Nun aber sagt, warum seid ihr heute hier?"
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