8- Ein Kraut und Gartenarbeit
8- Ein Kraut und Gartenarbeit
"Was gibt's?", fragte Endres. "Ich möchte dir nochmals danken, dass du meinen Welpen das Leben gerettet hast", antwortete Jylge. Mehr sagte er nicht. Hatte er ihn extra hierher geholt, um Endres das zu sagen? „Noch was?", wollte Endres wissen. „Dann würde ich nämlich..." „Warte!", sagte Jylge bestimmt. „Das war noch lang nicht alles, was ich dir sagen wollte."
Er holte aus der Schlafhöhle ein Kraut, das Endres nicht kannte. Er hatte es auch noch nie gesehen und es roch überhaupt nicht. „Was ist das?", fragte Endres skeptisch. „Ein sehr wichtiges Kraut", antwortete Jylge, „Wenn du es jetzt...", er stockte, „na ja, isst, dann hat es eine Wirkung und... ." „Jetzt lass' dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Schnauze ziehen", rief Endres, neigte aber kurz darauf respektvoll den Kopf, schließlich war Jylge der Anführer des Rudels.
„Du kannst, wenn du fest daran denkst, dich in einen Wolf oder", es fiel Jylge anscheinend schwer das nächste Wort auszusprechen, „...Menschen verwandeln. So kannst du auch längere Zeit bei uns bleiben. Dann musst du nicht jeden Sonnenaufgang wieder gehen." Er schob Endres das Kraut mit der Pfote hin. Endres sah' ihn verwundert an.
„Wann ich will", hakte er noch einmal nach. „Ja, wenn du lieber längere Zeit bei den Me... Menschen bleiben möchtest oder wenn du bei uns im Lager bleiben willst, ganz wie du es möchtest." „Danke", sagte Endres und nahm das Kraut in den Mund. Es schmeckte nach überhaupt nichts. Weder bitter noch süß oder scharf, einfach gar nicht. „Im Morgengrauen kannst du es ausprobieren", meinte Jylge. „Aber wende es ja nicht im Beisein von anderen Wölfen an." Endres nickte. „Dann kannst du jetzt gerne gehen", sagte Jylge. „Ich sehe mal nach Duretta und den Welpen."
Endres ging wieder nach draußen, wo Alba und Jonata immer noch auf ihn warteten. „Los, wir werfen uns diesen Moosball zu", rief Alba. Als Endres fangen sollte, brachen Jonata und Alba in schallendes Gelächter aus. Sie grunzten vor Lachen. „Was denn?", fragte Endres verärgert. „So fängt man doch nicht!", japste Jonata. „Seit wann fängt ein Wolf einen Moosball mit den Pfoten? Das habe ich echt noch nie gesehen", sagte Alba. „Aber so machen es die Me...", wollte Endres sagen, doch er brach mitten im Satz.
„Was wolltest du sagen?", Alba hatte sich von seinem Lachanfall erholt. „Ich habe die Menschen so fangen sehen", antwortete Endres. „Dass meine Mutter mir es als, äh, als Welpe anders beigebracht hätte, weiß ich nicht mehr." „Das müssen wir ihm unbedingt abgewöhnen, oder?", fragte Jonata ihren Bruder. „Na klar", antwortete Alba. „So, Endres, wir zeigen dir jetzt mal, wie man als Wolf richtig fängt, klar?"
***
Endres lief nach Hause, ins Kloster. Es erschien ihm beinah selbstverständlich, dass er das Kloster Zuhause nannte. Als er sicher war, dass kein Wolf in der Nähe war, probierte er es aus. Er dachte fest daran, wieder ein Mensch zu sein. Es klappte. Endres lachte und dachte nun daran, es kein Problem mehr sei, abwechselnd bei den Wölfen oder bei den Mönchen im Kloster zu leben. Er lief zurück ins Kloster. Das Gewitter, das Duretta vorhergesagt hatte, war aufgezogen und Endres beeilte sich.
Bruder Paulus setzte sich erschöpft auf die Gartenbank im Klostergarten. „Das Gemüsebeet müsste dringend vom Unkraut befreit werden", murmelte er vor sich hin. Endres sah auf. Seit einer halben Stunde hockte er im Kräuterbeet, um die reifen Blätter oder Pflanzen zu ernten. „Das mache ich dann auch noch", versprach er. „Ein Glück, dass du jetzt da bist", meinte Paulus. „Sonst würde ich hier verzweifeln."
„Wie geht es den Patienten?", wollte Endres wissen. „Besser", antwortete Paulus, „aber es wird noch lange brauchen, bis sie sich allesamt wieder erholt haben." In der Nacht hatte einer der Kranken wieder hohes Fieber, sehr hohes. „Warum hast du mich nicht geweckt?", fragte Endres, bevor ihm einfiel, dass er ja gar nicht da gewesen war.
„Ich dachte, ich schaffe das schon alleine", antwortete Paulus. „Wenn ich mich ein bisschen ausgeruht habe, helfe ich dir." Schon war er eingeschlafen. Endres brachte die Kräuter ins Hospital und sah nach den Patienten. Vielen ging es schon wieder besser. Sie unterhielten sich oder liefen ein paar Schritte im Zimmer umher.
„Ich wusste doch, dass ich den Jungen kenne", sagte eine Frau zu ihrer Bettnachberin. „Komm' mal her", bat diese Endres. „Tatsächlich, er hat die gleichen blauen Augen wie seine Mutter", meinte die Frau erstaunt. „So eine kräftige Farbe hatte nur Helena." Endres erstarrte. Na klar, die Frau war Camilla, eine Freundin von Helena. „Camilla?", fragte er und es fiel ihm schon schwer, dieses eine Wort auszusprechen. „Bist du es?"
„Ja, ich bin's", antwortete Camilla. „Wie seid ihr hierher gekommen?" Endres erzählte kurz, warum sie schon so lange hierwaren. „Habt ihr Helena irgendwo gesehen?", fragte er. Ein Funken Hoffnung keimte ihn ihm auf. „Nein, tut mir leid", antwortete Camilla. Der Funken Hoffnung erlosch. „Ich hoffe doch, wir fallen dem Kloster nicht zur Last", hoffte Camilla.
„Nein", antwortete Endres. „Dafür ist es ja da." Er ging wieder in den Garten. Im Gemüsebeet rupfte er jede noch so kleine Unkrautpflanze aus dem Beet und dachte nicht eine Sekunde an Helena oder den Rest der Welt. Er dachte nur daran, heute Nacht wieder bei den Wölfen zu sein und mit Geras zu trainieren.
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