7- Zurück zu den Wölfen
2. TEIL
MONDSCHEIN
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7-Zurück zu den Wölfen
Als alle Mönche am Tisch saßen, fiel Endres auf, dass Paulus beinah über seinem Teller einschlief. Er selber brachte auch kaum einen Bissen herunter, weil er bald zu den Wölfen zurück gehen würde. Es kam ihm immer noch unwirklich vor, doch eigentlich gefiel es ihm, ein Wolf zu sein und er freute sich, Jagd- und Verteidigungstechniken zu erlernen, mit den anderen durch die Wälder zu streifen und den Geschichten von Georig und Fronicka zuzuhören.
"Ich geh' noch mal raus", sagte er und stand auf. Der Himmel war feuerorange, als Endres auf den Hof trat und ein kühler Wind war aufgezogen. Schnell ging er aus dem Tor in den Wald. Schon nach wenigen Schritten trug er nicht mehr seine Menschensachen, sondern den grauen Pelz eines Wolfes.
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"Da bist du ja endlich wieder!", rief Jonata. Sie sprang auf. "Hast du auf mich gewartet?", fragte Endres. "Klar", antwortete Jonata. "Alba ist auch hier irgendwo, aber es war ihm zu langweilig, hier auf dich zu warten." "Wo ist Jylge?", fragte Endres. "Er ist bei Duretta und den Welpen", antwortete Jonata. "Soll ich dich hinbringen?" Endres nickte. "Schön, dass du wieder bei uns bist", begrüßte ihn Jylge.
"Hallo", sagte Endres. "Wie geht es den Welpen?" "Nicht sehr gut", bellte Peternella, die mit einem Bündel Kräuter in die Höhle kam. "Es wird kälter, weil bald ein heftiges Gewitter aufziehen wird und sie sind in keiner Höhle ausreichend geschützt. Ich weiß aber nicht, was ich noch tun soll." Endres schnupperte an den Welpen. Duretta hob nur den Kopf.
"Der Felsen ist zu kalt", stellte er fest. "Wenn sie auf dem Boden liegen, saugt ihnen das Gestein die ganze Wärme aus. Wir müssen ihnen ein warmes Nest bauen. Die paar Blätter reichen nicht aus." Peternella ließ das Kräuterbündel fallen. "Gute Idee", sagte sie. "Dass ich da selbst nicht drauf gekommen bin! Los, Jonata, geh' mit Endres und Alba und holt mir Moss und was ihr sonst noch findet. Schnell!"
Jonata und Endres sprinteten aus der Höhle. "Ist Endres wiedergekommen?", fragte Alba, als Jonata in die Höhle kam. "Hier bin ich", sagte Endres, bevor Jonata antworten konnte. "Wir sollen Moos und Polstermaterial sammeln", erklärte Jonata. "Warum?", fragte Alba. "Etwa für Georig und Fronicka?" "Nein, für Durettas Welpen, du Bärenhirn", erwiderte Jonata. "Sie sind kurz vorm Erfrieren. Wir müssen uns beeilen."
Die drei jungen Wölfe verließen das Lager und sofort wurde es Endres unwohl zu Mute. Hier draußen kannte er sich noch gar nicht aus. "Wir sollten zurück zu großen Ebene laufen", meinte Alba. "An den Felsen ist oft weiches Moss." "Wenn du meinst", stimmte Jonata zu und rannte los. Endres und Alba folgten ihr in den Wald. Kurze Zeit später waren sie mit viel Moss zurück.
"Wir sollten das Nest vielleicht in der Schlafhöhle bauen", schlug Peternella vor. "Da zieht es nicht ganz so." Zu fünft bauten sie einNest für die Welpen. Duretta bettete die sieben Kleinen darin ein und legte sich dazu. "Aber es ist immer noch ziemlich zugig", klagte sie. "Sie werden es nie schaffen, wenn der Wind noch stärker wird und das Gewitter aufzieht."
"Dann müssen wir einen Schutzwall errichten", schlug Endres vor. "Und wie willst du das anstellen?", fragte Jylge. "Wir brauchen Zweige und Laub dafür", antwortete Endres. "Kommt, Jonata und Alba, wir holen es", befahl Jylge. "Endres bleibt hier. Anscheinend weiß er am besten, wie man so einen Schutzwall baut, woher er das Wort auch immer kennen mag."
Endres erschrak. Er musste aufpassen, dass er nicht zu viele Wörter der Menschen verwendete, die die Wölfe noch gar nicht gehört haben konnten. Wenige Zeit später zerrten Jonata, Alba, Jylge und weitere Wölfe aus dem Lager Äste und Zweige in die Höhle, andere brachten Laub. Zusammen lehnten sie die Äste an die Höhlenöffnung, sodass diese immer kleiner wurde. Dann schoben sie die kleineren Äste dazwischen und das Laub kam obendrauf.
"Es zieht überhaupt nicht mehr", berichtete Duretta von drinnen. "Jetzt haben es die Welpen schon etwas wärmer." "Woher weißt du, wie man so etwas baut?", wollte Alba wissen. "Ich wäre in tausend Monden nicht darauf gekommen, dass man aus Zweigen und Laub einen, wie du es nennst, Schutzwall errichten kann."
"Ich war lange Zeit bei den Menschen gefangen", begründete Endres. "Sie haben ihre Höhlen auch so ähnlich gebaut." Jylge nickte anerkennend. "Danke Endres, du hast den Welpen wahrscheinlich gerade das Leben gerettet. Es wäre aber schön, wenn jetzt alle gehen würden, damit Duretta und die Welpen Ruhe haben. Einige könnten jagen gehen. Bei Mondhoch werden wir eine Versammlung abhalten." "Oh, worum geht es diesmal?", fragte Jonata aufgeregt. Doch Jylge antwortete nicht.
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Mondhoch war bald darauf gekommen. Die Wölfe versammelten sich draußen und warteten darauf, dass Jylge aus der Höhle kommen und ihnen sagen würde, warum sie sich zusammengefunden hatten. Der Wind war noch stärker geworden und zerzauste den Wölfen den Pelz. „Wenn er uns noch länger warten lässt, ist mein Fell ganz zerzaust!", jammerte jemand.
Jonata und Alba saßen bei ihren Lehrern, Anthoni und Affra. Sogar Georig und Fronicka waren aus ihrer Höhle gekommen, um an der Versammlung teilzunehmen. "Warum dauert es denn so lange?", murrte Georig. "Mein Schlafplatz ist wieder kalt, ehe die Versammlung begonnen hat!" Jylge und Duretta kamen aus ihrer Höhle.
Ein Raunen ging durch die Wölfe. "Ich habe euch zusammengerufen", sagte Jylge mit lauter, klarer Stimme, die einen fast feierlichen Ton hatte, "weil ich euch einen Wolf vorstellen möchte. Endres, würdest du bitte zu mir kommen?" Endres ging nach vorn zu Jylge. Es war ihm unangenehm vor dem Rudel zu stehen.
Wenn er mitten unter den Wölfen war fiel er nicht auf und war unscheinbar. "Das ist der Wolf, von dem uns das Rudel der Sterne berichtet hat", sprach Jylge weiter. "Er war lange bei Menschen gefangen, hat sich aber befreien können." Endres fragte sich, was das Rudel der Sterne war und warum Jylge den anderen Wölfen seine Lüge so auftischte, als hätte es sich tatsächlich so zugetragen. Endres wusste jedoch, dass Jylge wusste, dass er, wenn es hell war, ein Mensch war.
"Endres kam vor zwei Nächten zu uns. Da er vorher bei den Menschen leben musste, hat er nie Jagen und andere wichtige Dinge gelernt. Das soll er jedoch nachholen. Geras, ich übergebe dir Endres hiermit als deinen Schüler. Du hast dich im Kampf gegen die Bären sehr gut gehalten und bist außerdem der, der im vorigen Winter viel Beute gefangen hat, obwohl sie zu dieser Zeit sehr rar ist. Ich hoffe, du wirst das an Endres weitergeben."
Geras trat vor und stupste Endres mit der Schnauze in die Flanke. Endres tat das Gleiche bei ihm. "Außerdem möchte ich euch sagen, dass Endres heute unsere Welpen gerettet hat. Auf dem kalten Felsen hätten sie nie überlebt, wenn Endres nicht von einer Erfindung der Menschen berichtet hätte." "Deshalb kann ich heute erstmals wieder an einer Versammlung teilnehmen. Den Welpen geht es gut und sie schlafen", berichtete Duretta.
"Somit wäre die Versammlung beendet", sagte Jylge. Die Wölfe gingen wieder zurück in ihre Höhlen oder ihren Aufgaben nach. "Morgen Nacht fangen wir mit dem Training an", sagte Geras. "Ich freue mich schon drauf", erwiderte Endres. "Endres, kommst du mit zu Georig und Fronicka?", rief Jonata ihm zu. "Die beiden wollen uns eine Geschichte erzählen." "Geh' nur hin", meinte Geras. "Georig und Fronicka können wirklich tolle Geschichten erzählen. Ich habe ihnen als Welpe auch oft zugehört." Endres nickte und folgte Jonata und Alba in die Höhle der Ältesten.
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„Welche Geschichte wollt ihr hören?", fragte Fronicka. „Wie sich das Rudel zusammengeschlossen hat", antwortete Alba. „Endres hat sie noch gar nicht gehört und ich würde sie gerne noch einmal hören!" „Oh, dass ist aber eine lange Geschichte", meinte Georig. „Aber Fronicka wird euch das schon alles erzählen, die alte Plapperschnauze."
„Danke für das Kompliment", sagte Fronicka. „Vor vielen, vielen Monden, so viele, dass niemand mehr weiß, wie viele es waren, lebten in dieser Gegend einst fünf Rudel von Wölfen. Meistens leben Rudel für sich, aber wenn es in einer Gegend viel Beute gibt, dann lassen sich auch mehrere Rudel nieder. So wie hier. Eines in den dunkeln Wäldern, die wir Düsterwald nennen, das Rudel der Dunkelheit genannt, eines in den lichteren Laubwäldern, das Rudel des Lichts, eines auf der großen Ebene, das Rudel des Winds, eines am Fluss, das Rudel des Wassers und eines in den Bergen, das Rudel der Steine. Es gab Beute im Überfluss und jedes Rudel hatte seine eigene Art zu jagen. Auf der Große Ebene musste man schnell wie der Wind sein oder die Wölfe in den Bergen mussten lange warten und durften sich nicht bewegen, bis die Beute aus ihrer Höhle kam. So war jedes Rudel verschieden, aber eines hatten alle gemeinsam: den Glauben an das Rudel der Sterne. Jeden Vollmond trafen sich alle Wölfe aus allen Rudeln am Sternensee, um sich auszutauschen über Neuigkeiten, Beute und so weiter. Die Anführer tranken von dem Wasser und träumten oft in der Nacht danach. Es war oft unverständlich, was sie geträumt hatten, aber es waren immer Prophezeiungen oder Nachrichten vom Rudel der Sterne. Mit der Zeit wurden es in jedem Rudel immer mehr Wölfe. Auch wenn es viel Beute gab, reichte sie bald nicht mehr aus. Kämpfe um Reviere und Beute brachen aus und es verging kein Tag, an dem nicht gekämpft wurde. Das Rudel der Sterne schickte einen Waldbrand. Wie durch ein Wunder überlebten fast alle Wölfe. Doch die Beute war verschwunden. Das machte alles nur noch schlimmer. Die Wölfe kämpften um jede noch so kleine Maus und geheime Bündnisse wurden geschlossen."
„Aber was geschah mit dem Rudel der Steine?", fragt Alba. „In den Bergen kann es ja schlecht brennen." „Dazu komme ich ja gleich", knurrte Fronicka und fuhr fort: „Dann kam jemand auf die Idee, in die Berge zu gehen. Fast alle Wölfe folgten ihnen. Das Rudel der Berge bot den Wölfen an, fortan die Beute mit ihnen zu teilen. Doch schon nach wenigen Sonnenaufgängen wurde das Rudel der Berge vertrieben. Doch ohne die Wölfe, die das Jagen in den Bergen kannten, verbesserte sich die Situation nicht. Die Wölfe fanden fast keine Beute mehr und ein Steinschlag sperrte sie in einer Höhle ein, aus der sie nie wieder herauskamen."
"Wie schrecklich", murmelte Endres. "Geschieht ihnen aber nur recht", meinte Georig trocken. "Wenn sie auch so blutrünstig sind!" "Was passierte mit den Wölfen, die im Wald zurück geblieben waren?", fragte Endres. "Zum Vollmond versammelten sie sich wieder am See, weil sie hofften, dass das Rudel der Sterne zu ihnen sprechen würde. Sie schickten dem Anführer Cimon ein Zeichen, dass die Beute zurückkommen würde. Es dauerte eine Weile, bis sich das Rudel organisiert hatte. Cimon wurde der Anführer und da die Wölfe aus alle Rudeln kamen, konnten sie fast das gesamte Gebiet als ihr Territorium beanspruchen. Im nächsten Frühling erholte sich der Wald und nach einem strengen und beutearmen Winter, den nicht alle Wölfe überlebten, grünte es wieder und die Beute kam zurück. Das Rudel war immer noch groß, aber die große Ebene und der Wald nährten es. Die Felsen wurden zum Lager der Wölfe und hier leben wir bis heute", erzählte Fronicka.
Sie gähnte. "Und das war die Geschichte. Jetzt lasst mich bitte in Ruhe, ich möchte schlafen, klar?" Endres, Alba und Jonata verließen die Höhle. "Irgendwie gruselig, dass Wölfe so grausam sein können und andere aus ihrem Territorium vertreiben", sagte Endres. "Es ist eben alles möglich", meinte Alba. Jylge kam aus seiner Höhle. "Endres, kommst du mal bitte?", fragte er. "Ich möchte gerne etwas mit dir besprechen." "Geh nur, wir warten hier auf dich", versprach Jonata und setzte sich hin.
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