6- Eine wichtige Aufgabe
6-Eine wichtige Aufgabe
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Endres aufwachte. Es musste kurz vor Mittag an. Hatte er so lange geschlafen? Ihm fiel wieder die Begegnung mit den Wölfen ein. Hatte er sich das nur eingebildet? Doch er hatte immer noch Muskelkater von der Verwandlung. Endres beschloss, dass er wieder zu den Wölfen gehen würde. Schon heute Abend.
Endres suchte im Speisesaal nach den Mönchen, aber nicht einmal Vallentin war hier. Draußen auf dem Hof begegnete er Bruder Jechlin. „Guten Morgen, Langschläfer", begrüßte ihn der Illustrator. „Auch schon wach?" „Wo sind denn die anderen?", fragte Endres, ohne auf den Scherz von Bruder Jechlin einzugehen.
„Bruder Paulus und die anderen sind schon seit dem Morgengrauen im Hospital und versorgen die Kranken. Bruder Paulus hat gesagt, dass ich dir ausrichten soll, dass er mit dir reden möchte. Es ist dringend." „Gut, dann gehe ich jetzt gleich zu ihm", meinte Endres und trat ins das kleine Hospitalhaus.
Im Erdgeschoss hingen viele Kräuter an einer Holzleiste und über einer Feuerstelle hing ein Topf. Es war die Apotheke von Bruder Paulus. In der Etage darüber standen die Krankenbetten. Fast alle waren besetzt und zwischen ihnen wuselten die Mönche herum. Verteilten Essen, beruhigten die Patienten oder gaben ihnen die Medizin. „Endres, da bist du ja endlich", rief Paulus. „Komm mal schnell mit."
Die beiden gingen wieder nach unten in die Apotheke. „Setz dich", sagte er und stellte Endres einen Hocker hin. „Ich habe darüber nachgedacht." „Worüber?", fragte Endres. „Darüber, dass du mir helfen könntest", erklärte Bruder Paulus. „In der Nacht ist es bei vielen schlimmer geworden. Die Wunden heilen zwar gut, aber das Fieber ist gestiegen und die mit der ansteckenden Krankheit sind mehr auf der Seite der Toten als auf der der Lebenden."
„Was ist überhaupt für eine Krankheit?", fragte Endres. „Eine, die ich bisher noch nie gesehen habe", antwortete Bruder Paulus. „Deshalb weiß ich auch nicht, welche Medizin ich geben soll. Den einen wird davon schlecht, andere weigern sich es zu nehmen. Ich bin mit meinem Wissen bald am Ende. Hoffentlich haben sie im Paradies ein besseres Leben als hier, wobei ich gerne sehen würde, dass sie noch einige Zeit auf der Erde bleiben."
Er machte eine Pause. „Also, würdest du mir verzeihen und mir helfen?" Endres sprang auf. „Klar doch", rief er. „Was soll ich machen?" „Am besten wäre es, wenn du hier unten bleibst und die Medizin mischt. Ich sage dir, welche Kräuter du nehmen musst. Das ist eine große Aufgabe", sagte Bruder Paulus. „Dann machen wir uns an die Arbeit", stimmte Endres zu.
***
Eine Stunde später schnitt er Kräuter klein, rührte den Trank um, der im Topf über dem Feuer brodelte und musste des Öfteren in den Kräutergarten gehen, um Nachschub zu holen. Bruder Paulus kam ab und zu runter, um die Medizin abzuholen. „Ich werde davon noch ganz irre", murmelte er.
„Von was?", fragte Endres. „Jeder Patient erzählt mir etwas von ‚Sie kommen', ‚Gott steh' uns bei' , ‚Rettet die Kinder' und so weiter", antwortete Bruder Paulus. „Ich werde aus ihnen nicht schlau. Es kann zwar sein, dass es Fieberträume sind, doch es können nicht alle den gleichen Traum haben. Du kanntest doch einige, oder?" Endres nickte.
„Ich glaube, ich was wovon sie reden", murmelte er. „Es sind Bewohner aus meinem Dorf. Ich dachte eigentlich, dass kaum einer den Angriff der Raubritter überlebt hat." „Wahrscheinlich ist für die ein sehr starkes Trauma", vermutete Bruder Paulus. „Doch dagegen hilft leider keine Medizin." Er ging wieder nach oben. Endres rührte gedankenverloren den Trank um. Wäre seine Mutter doch nur hier. Warum hätte sie nicht auch unter denen sein können, die hier versorgt wurden? Hoffentlich hatte sie sich retten können und war in Sicherheit.
Das war der einzige Hoffnungsschimmer, dass er Helena irgendwann wiedersehen würde. Bruder Siman kam mit frischgebackenem Brot herein. „Kochst du heute für uns die Suppe?", fragte er als wollte er Endres aufheitern. Endres schüttelte den Kopf und sagte nichts. Bruder Siman ging nach oben, um das Brot zu verteilen.
Endres nahm die Holzbecher aus dem Regal und goss den Trank ein. Es war ein komisch riechender Kräutertee, der gegen alles Mögliche half. Helena hatte Lorentz einmal einen Becher davon gegeben, als er eine schlimme Erkältung gehabt hatte. Lorentz hatte danach fast zwei Tage durchgeschlafen und danach war es wieder besser. Hoffentlich war es hier der gleiche Fall. Endres brachte die Becher nach oben.
„Endlich", seufzte Bruder Paulus erschöpft. „Ich dachte schon, der Tee wird nie fertig." „Eine gute Medizin braucht halt seine Zeit", meinte Endres. „Ich hoffe, sie hilft." Bruder Paulus nickte und flößte einem Mann den ersten Schluck ein. „Pah, das schmeckt ja ekelhaft", krächzte er. „Was ist das für ein Zeug?"
„Eine Medizin, die Euch helfen wird", erklärte Bruder Paulus. Widerwillig nahm der Kranke den Tee zu sich. Lange Zeit später sank Bruder Paulus auf seinen Platz im Speisesaal. „Bin ich erschöpft", sagte er. „Die Kranken haben mich so auf Trapp gehalten, dass ich nicht mal in der Kirche zum Beten war. Hoffentlich verzeiht mir der Herr das." „Das wird er", meinte Endres zuversichtlich. „Und jetzt ruh dich aus. Ich sehe immer mal nach den Patienten."
Paulus nickte. Im Gegensatz zu ihm hatte Endres die Arbeit wenig ausgemacht. Aber Bruder Paulus musste ständig bangen, dass ein Medikament nicht anschlug und der Patient starb. Das setzte ihm vielleicht zusätzlich zu. Endres trat hinaus auf den Hof. Es dämmerte bereits wieder und plötzlich wurde Endres klar, dass er bald wieder zum Rudel de Wölfe gehen konnte. Vorher wollte er noch einmal nach den Patienten sehen.
Sonst hätte er die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen. Aber es war alles in Ordnung. Alle Patienten schliefen. Endres wechselte die kühlen Tücher gegen das Fieber noch einmal aus und versicherte sich, dass auch das Feuer nicht das ganze Hospital abbrennen konnte. Die Kirchenglocke läutete zum Abendgebet. Endres ging zur Küche, wo Lorentz den ganzen Tag mit geholfen hatte.
„Puh, bin ich erschöpft", klagte er. Sein Gesicht war weiß vom Mehl und an seinen Fingern haftete noch Teig. „Ich hätte nicht gedacht, dass Brotbacken so anstrengend ist." „Wasch dir die Hände und das Gesicht, dann gibt es bald Abendessen", sagte Bruder Caspar. Lorentz und Endres gingen nach draußen. Hinter der Brauerei tauchte plötzlich Bruder Sewolt auf. Er sah sich um, ob ihn auch niemand gesehen hatte, dann lief er normal in Richtung Kirche.
„Na, ihr beiden?", rief er freundlich. „Hab' gehört, ihr habt beide ganz tüchtig mitgeholfen heute." Endres und Lorentz nickten. „Also, man sieht sich beim Abendmahl", meinte der Mönch und ging weiter. Irgendwas gefällt mir nicht an dem Kerl, dachte Endres. Den ganzen Tag lässt er sich nicht blicken und wenn man ihn mal zu Gesicht bekommt, ist er entweder ganz freundlich oder grimmig. Ich werde schon noch herausfinden, was der treibt.
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