3- Die Große Ebene

3-Die große Ebene

Nur ein paar Minuten später war an Ruhe nicht mehr zu denken. Vor dem Tor standen Verwundete.Sie humpelten, waren blutverschmiert und erschöpft. Es waren die Dorfbewohner, die den Angriff der Raubritter überlebt hatten.

Da sie nur langsam vorankamen, hatten sie lange gebraucht, ehe sie das Kloster erreichten. Einige waren übel zugerichtet. „Schnell, bringen wir sie auf die Krankenstation", rief Bruder Paulus, der einen Mann stütze, dessen Knie seltsam nach außen gebogen war. Endres und Lorentz halfen ebenfalls, die Leute in das kleine Haus, das die Brüder Krankenstation nannten, zu bringen.

„Na nu, ich kenne dich doch", sagte ein Mann. „Ihr seid doch die Kinder von Helena. Was macht ihr hier?" Endres und Lorentz antworteten nicht. Beide sahen sich um, aber Helena war nicht mitgekommen. „Weißt du, was mit ihr passiert ist?", fragte Endres. „Nein", antwortete der Mann und humpelte weiter.

***

Die Krankenstation lag unter dem Dach. Hier standen einige Betten, die aus Holz gezimmert waren, aber schon ziemlich wackelig aussahen. Bruder Caspar und Siman holten schnell Decken und Kissen, damit sich die Ankömmlinge ausruhen konnten. Paulus hatte sich bereits denen zugewandt, denen es am schlechtesten ging.

„Los, holt mir folgende Kräuter", wies er die Brüder an und zählt die Pflanzen auf, die sie ihm bringen sollten. „Soll ich auch mit helfen?", fragte Endres. „Nein", antwortete Paulus bestimmt. „Warum nicht?", erwiderte Endres. „Dieser Mann hier hat eine schlimme, ansteckende Krankheit. Er hat sie anscheinend schon lange, so schlecht wie es ihm geht. Ich möchte nicht, dass Lorentz und du euch ansteckt. Klar? Ihr geht jetzt besser."

„Aber...", widersprach Endres. „Nichts aber", fuhr ihn Paulus an. „Ich weiß, dass du dich mit Heilpflanzen auskennst, das hast du ja gerade bewiesen und helfen möchtest, aber damit ist es nicht getan. Dazu gehört auch... ."

Wütend rannte Endres hinaus. Lorentz folgte ihm. „Warum rennst du denn weg, Endres?", fragte er. Sein Bruder antwortete nicht. „Ich geh in die Scheune. Im Stroh spielen macht Spaß. Aber erst hol' ich mir was von dem Brot aus der Küche." Schon lief er davon. „Ja, ja, geh nur", murrte Endres. Die Mönche würden es eh nicht merken.

Er beschloss, sich außerhalb des Klosters umzusehen. Hier wurde er doch eh nicht gebraucht! Es machte ihn wütend, dass ihn Bruder Paulus wegschickte, wo er doch gerade noch für seine Kräuterkenntnisse gelobt worden war. Doch anscheinend war das zu nichts nütze.

Außer dem Tor gab es nicht viele Ausgänge aus dem Kloster. Die Mauer, die es umgab, war zwar nicht sehr hoch, aber schon sehr brüchig und Endres befürchtete, sie könnte einbrechen, wenn er versuchte, drüber zu klettern. Also musste er durch das Tor hinaus. Seit ein paar Tagen hatte er das Kloster nicht mehr verlassen.

Die Umgebung hier draußen hatte er noch gar nicht wahrgenommen und als Lorentz und er hier angekommen waren, war er viel zu erschöpft, um auf die Umwelt zu achten. Rechts von dem Weg lagen ein paar hügelige Wiesen und die Felder des Klosters, links davon Wald. Zu dieser Jahreszeit waren die Bäume allesamt grün und bildeten so ein großes Blätterdach, dass kaum ein Sonnenstrahl auf den Boden fiel.

Endres folgte der Mauer, um sich nicht zu verlaufen. Als die Mauer des Klosters zu Ende war, ging er immer weiter gerade aus. Plötzlich hörte der Wald auf und vor ihm lag eine große Ebene. Sie reichte bis zum Horizont und wurde zu dem hin immer hügeliger. Nicht ein Baum stand dort. Ein Wind zog auf und strich das Gras in eine Richtung. Ein paar Vögel flogen auf, aber Endres konnte nicht erkennen, welche es waren.

Er ging weiter. Aber was gab es hier noch zu sehen? Etwas weiter links von ihm ragte ein Stück Wald in die große Ebene hinein. Am Waldrand huschte eine Gestalt entlang. Endres kniff die Augen zusammen. War das ein Wolf? Wenn es hier einen Wolf gab, gab es doch sicher ein ganzes Rudel! Endres hatte keine Lust, jetzt einem ganzen Rudel Wölfe zu begegnen.

Vor ihm tauchte ein Hügel auf. Als Endres oben ankam, sah er wie groß die Ebene eigentlich war. Wahrscheinlich war der Teil, den er gerade überquert hatte, nur ein kleiner Abschnitt. Die Grasfläche reichte unendlich weit in alle Richtungen. Fast wie eine Wüste, dachte Endres.

Er hatte davon gehört, dass es in fernen Ländern Landschaften gab, wo es bis zum Horizont nur Sand oder Gestein gab. Es schien für ihn unmöglich, doch dieser Anblick glich seinen Vorstellungen. Der Hügel endete abrupt wie eine Klippe. Darunter kam ein kleiner Teich zum Vorschein. Endres kletterte die „Klippe" hinunter und setzte sich an das Ufer.

Das Wasser war so klar, dass man bis auf den Grund sehen konnte. Die Klippe spendete ein wenig Schatten, nachdem die Sonne so auf die Ebene niederbrannte. Ein kleiner Fisch huschte durch den See. Endres sah ihm nach, bis er in den Wasserpflanzen verschwunden war. Eine Weile warf er Steine in den See, die am Ufer herum lagen.

Auf einmal schwamm wieder der Fisch vorbei. Endres beugte sich vor, um ihn genauer betrachten zu können. Der Fisch blieb wo er war, als würde er Endres gar nicht bemerken. Plötzlich verlor er das Gleichgewicht und kippte nach vorn über.

Das Wasser brach über ihm zusammen und Endres nahm nur noch wahr, wie die Wasseroberfläche sich immer weiter entfernte. Der See schien keinen Grund zu haben, obwohl er ihn doch eben noch gesehen hatte. Kurz darauf wurde Endres bewusstlos.


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