13- Verändert
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Endres wachte auf und als er einen Blick aus der Höhle warf, stellte er erschrocken fest, dass die Sonne bereits aufgegangen war. Er sprang auf und drehte sich noch einmal zu Jonata und Alba an. Die beiden schliefen tief und fest.
Endres konnte einfach nicht hier bleiben, er musste zurück ins Kloster. Er schlich leise aus der Höhle. Draußen merkte er erst, wie hoch die Sonne schon am Himmel stand. Von der Wache, die das Lager tagsüber bewachte, war nichts zu sehen. Endres lief aus dem Lager hinaus in den Wald. Es musste schon nach zehn Uhr sein, dachte er und lief schneller.
***
Als er im Kloster ankam, traute er seinen Augen kaum. Drei Kinder spielten auf dem Hof fangen. Es waren der Junge und das Mädchen, die bis vor wenigen Tagen noch mit Fieber im Hospital gelegen hatten. Lorentz war auch dabei. Er lachte ausgelassen während er über die Kiesel flitze und der andere Junger versuchte ihn zu fangen.
Auf der Bank unter dem großen Baum saßen zwei Frauen, Endres erkannte Camilla, die ihm zuwinkte, als sie ihn sah. Er winkte halbherzig zurück. Auch sonst schien das Kloster wie verwandelt. Es wirkte viel lebendiger als noch vor zwei Tagen. Was war in der Zeit passiert, als er weg war? Er beschloss, Bruder Paulus zu suchen, obwohl der sicher wissen wollte, warum er nach seiner Ankunft so schnell wieder verschwunden war.
Wie Endres vermutet hatte, hielt sich der Mönch im Hospital auf, wo nur noch ein Mann in seinem Bett lag und schlief. Bruder Paulus räumte gerade auf, als Endres den Raum betrat. Er wusste nicht, was er sagen sollte, irgendwie fühlte er sich plötzlich wie ein Fremder. Während Endres noch überlegte, hatte ihn Paulus bereits bemerkt. "Schön, dass du auch wieder da bist", begrüßte er ihn und lächelte. Der Mönch wirkte so entspannt wie schon lag nicht mehr. Endres wusste immer noch nicht, was er sagen sollte.
Er hatte damit gerechnet, dass es Ärger geben würde, weil er mitten in der Nacht verschwunden war. "Was ist hier passiert?", brachte er schließlich hervor. "Seltsam oder?", bestätigte Bruder Paulus. "Es ging fast allen schlagartig besser. Ich weiß es auch nicht warum, jedenfalls sind bis auf ihn", er deutete auf den Mann, der noch immer tief und fest schlief, "wieder alle quicklebendig." "Das habe ich gesehen", stimmte ihm Endres zu.
"Wo warst du, wenn ich fragen darf?", fragte ihn Paulus. "Schwierig zu erklären", antwortete Endres. "In Ordnung", sagte der Mönch und fragte nicht weiter nach. "Hat Bruder Vallentin etwas erzählt?", wollte Endres wissen. "Ja, das hat er", antwortete Bruder Paulus. Das Lächeln erstarb. "Das ist schockierend. Was sollen wir nur machen, wenn eure Vermutung stimmt?" "Das wüsste ich auch gerne", seufzte Endres. "Hoffentlich kommt es nicht so weit."
"Das hoffe ich auch", stimmte ihm Paulus zu. "Hilfst du mir beim Aufräumen?" Endres nickte. Er war nicht müde, auch nicht, nachdem er die ganze Nacht mit den Wölfen unterwegs gewesen war. Er war überhaupt nie müde, wenn er die Nacht im Lager der Wölfe verbrachte und tagsüber im Kloster war. Das war aber gut so, dachte Endres, sonst hätte man bestimmt schon Verdacht geschöpft. So half er Bruder Paulus das Hospital aufzuräumen.
Sie nahmen die Laken von den Betten und fegten den Boden. Danach ging Bruder Paulus zum Brunnen und holte Wasser, um die Laken zu waschen. "Du kannst solange in die Küche gehen und helfen", wies er Endres an. "Ich glaube, man kann dort heute jede helfende Hand gebrauchen." Endres nickte und rannte zur Küche. Sonst ging es ruhig und ohne Eile in der Küche zu, heute liefen aber die Mönche wild durcheinander.
Linhart, Caspar, Siman und Clewiz waren heute nicht alleine in der Küche, fast alle Mönche liefen aufgeregt umher. "Braucht ihr Hilfe?", rief Endres von der Tür aus. Bruder Vallentin, der im Topf über der Feuerstelle rührte, drehte sich um und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. "Heute können wir jede helfende Hand gebrauchen", antwortete er. "Übrigens, schön, dass du wieder da bist!"
Endres konnte den Ton nicht deuten, ob es nun ehrlich gemeint war oder Ironie, dass der Mönch verärgert war. Bruder Vallentin rührte jedoch wieder im Topf und Endres hatte keine Gelegenheit weiter, darüber nachzudenken. Bruder Siman gab ihm die Anweisung, aus dem Keller Mehl zu holen. Unter der Küche lag der große Keller, den Endres zum ersten Mal betrat. Eine große Steintreppe führte nach unten. Die Decke wurde von schweren Holzbalken gestützt, nur drei oder vier Fackeln spendeten etwas Licht.
Die Mehlsäcke lagen in einer düsteren Ecke, dass Endres nichts sehen konnte. Er nahm einen der Säcke und wollte ihn nach oben tragen, als ihn zwei kleine, blitzende Äuglein aus dem Dunkeln heraus anstarrten. Es piepste und Endres ließ vor Schreck den Sack wieder fallen. Das Band, mit dem das Ende zusammen geknotet war, sprang auf und das Mehl wirbelte eine Staubwolke auf. Die Maus piepste noch einmal und verschwand wieder.
Endres musste niesen und atmete erleichtert aus. Das war ein Schreck! Wegen einer Maus! Endres stöhnte, als er merkte, dass fast die Hälfte des Mehls auf dem Boden lag. Das würde man wohl nicht mehr verwenden können! Endres lief schnell wieder nach oben, wo bereits ungeduldig auf das Mehl gewartet wurde. Endres sollte Lorentz beim Schneiden des Gemüses helfen. Während er eine Möhre nach der anderen schälte und klein schnitt, hörte er die Mönche um sich herum leise miteinander reden. Fast jeder redete über die Raubritter.
Was zerbrechen sie sich darüber den Kopf, dachte Endres verständnislos. Wenn, dann kommen die Raubritter unerwartet und dann müssen wir sehen, wie wir zurecht kommen. Doch auch er machte sich Sorgen, noch einmal wollte er den Raubrittern nicht begegnen. Sollten sie nicht doch eine Art Strategie zur Verteidigung entwickeln?
Endres wurde jedoch sehr schnell klar, dass die einzigen Waffen, die es im Kloster gab, nur Mistgabeln und Spaten waren. Nichts, womit man einen bis auf die Zähne bewaffneten Raubritter besiegen konnte. Es musste doch eine Möglichkeit geben! Selbst, wenn diese Möglichkeit nur daraus bestand, sich für ein paar Tage zu verstecken.
Im Keller mehr Fackeln verteilen, ein paar Tische und Stühle, Decken und Kissen hinunter bringen, dann würden sie es schon einige Zeit dort unten aushalten. Obwohl, widersprach Endres sich selbst, wenn die Raubritter sich auf die Suche nach den Bewohnern des Klosters machen, würden sie irgendwann die Treppe zum Keller finden und dann wären sie alle verloren. Im Keller konnte man sich zwar verstecken, aber soweit Endres wusste, wäre die Treppe die einzige Fluchtmöglichkeit. Er musste die Idee mit Bruder Paulus besprechen, vielleicht hatte der noch eine andere Idee.
Nach einer Stunde war die Suppe endlich fertig. Jetzt half er Jechlin und Moritz, die ihre Arbeit in der Schreibstube unterbrochen hatten und im Speisesaal die Tafel aufbauten. Sämtliche Tische, die es im Kloster gab, wurden zusammen gestellt und die Teller und das Besteck verteilt. "Holst du die anderen zum Essen?", brat Bruder Jechlin. "Wir holen solange das Essen aus der Küche."
Endres nickte und rannte nach draußen auf den Hof. Camilla und die andere Frau, mit der sie vorhin auf der Bank gesessen hatte, warfen den Kindern einen Ball aus Stoff zu. Alle fünf lachten vergnügt. "Es gibt Essen", sagte Endres zu ihnen. "Endlich!", erwiderte der Junge. "Ich habe einen Mordshunger." "Dann geht schon mal in den Speisesaal, ich hole noch schnell die anderen", erklärte Endres.
Nach und nach schickte er alle, die er auf dem Hof antraf, in den Speisesaal. Manche Menschen nahm er zum ersten Mal richtig war, so auch zwei Jungen in seinem Alter, die früher am anderen Ende des Dorfs gewohnt hatten. Endres kannte sie nur vom Sehen. Er war zwar so groß wie die beiden, hatte aber lange nicht solche breiten Schultern wie sie und war auch nicht so kräftig. Sie wirkten beinah furchteinflößend. "Essen ist fertig", sagte er zu den beiden. Einer der Jungen nickte mit gleichgültiger Miene, dann bewegten sie sich in Richtung Speisesaal.
"Ihr könntet ja wenigstens mal was sagen", rief er ihnen hinterher. Ruckartig fuhren die beiden herum und liefen wieder in seine Richtung. "Willst du uns vorschreiben, was wir zu tun haben, hä?", ging ihn einer der beiden an. Der andere schien ihn mit seinem grimmigen Blick zu durchbohren. "Was ist denn so schlimm daran?", erwiderte Endres. "Glaubt ihr, ihr macht mir Angst?"
"Große Klappe hat er auch noch", sagte er andere jetzt. "Du hältst dich wohl für was Besseres, weil du nicht verletzt worden bist, nicht wochenlang todkrank in dem dreckigen Hospital liegen und eklige Medizin schlucken musstest. Du bist ja feige davon gelaufen." "Was habt ihr denn? Seid doch froh, dass wir euch geholfen haben", widersprach Endres. "Wir brauchen eure Hilfe nicht", schleuderte ihm einer der beiden ins Gesicht. "Und wenn du jetzt noch ein Wort sagst, dann vermöbeln wir doch so, dass du dich Stück Dreck wochenlang nicht bewegen kannst."
Damit drehten sich die beiden um und gingen in Richtung Speisesaal. Verwundert blieb Endres stehen. Was war nur in die beiden gefahren? Sicherlich, die Qualen hätte Endres keinem gegönnt, aber wenn ihnen das Kloster nicht geholfen hätte, wären die beiden jetzt schon gestorben. Was Endres aber am meisten ärgerte, dass sie ihn als feige bezeichnet hatten. Hätte er sich denn den Raubrittern vor das Pferd schmeißen sollen? Er hätte doch eh nichts ausrichten können, außerdem hätte er Lorentz unter keinen Umständen alleine lassen können. Die beiden würden sich schon wieder einkriegen.
Bruder Paulus war der einzige, den er noch nicht wieder gesehen hatte, seit sie das Hospital aufgeräumt hatten. Wahrscheinlich war er im Kräutergarten. Dort saß der Mönch auch auf der kleinen Holzbank und starrte gedankenverloren auf das Kräuterbeet. "Essen ist fertig", sagte Endres zu ihm. Bruder Paulus drehte ihm den Kopf zu und schaute ihn einen Moment lang an, als wüsste er nicht, wer vor ihm steht. "Ja, ich komme sofort", antwortete er schließlich und stand auf.
Zusammen mit Endres ging er zum Speisesaal, wo sich bereits alle Personen versammelt hatten. Sie saßen an der langen Tafel, die aus allen möglichen Tischen bestand, die man im Kloster gefunden hatte. Bruder Siman und Bruder Caspar verteilten das Essen. Paulus setzte sich neben Vallentin, sonst war nur noch ein Platz frei.
Als Endres sah, neben wem er dann gesessen hätte, wollte er am liebsten wieder gehen. Doch dann entschloss er sich, doch hier zu bleiben. Die beiden Jungen warfen ihm nur einen grimmigen Blick zu, als sich Endres setzte. Vor allen anderen würden sie sich wahrscheinlich nicht trauen, ihn anzugreifen. Endres aß etwas von dem frisch gebackenem Brot und Käse. Zur Feier des Tages, wie Bruder Siman verkündete, gäbe es etwas Besonderes zum Nachtisch.
Es war eine Art süßes Brot mit verschiedenen Beeren drauf, was sehr gut schmeckte. Nach dem Essen standen alle auf, um in der Kirche zu beten. Danach machte Endres freiwillig beim Küchendienst mit, um den beiden Jungen aus dem Weg zu gehen. Er trug die vielen Holzteller in die Küche, wo jemand bereits eine Schüssel mit Wasser gefüllt hatte. Die nächsten Stunden verbrachte Endres damit, die Teller abzuwaschen und in das Regal zu stapeln.
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