11- Einsam und verlassen

11- Einsam und verlassen

Als die Sonne unterging erreichten sie das Dorf. Endres war aufgeregt, er konnte es kaum erwarten, bis Bruder Vallentin die Kutsche anhielt. Doch selbst das, was er vom Wagen aus sah, bestätigte seine Vermutung: das Dorf war vollkommen zerstört.

Die meisten Häuser waren komplett niedergebrannt und die wenigen, die noch standen, waren ebenfalls stark beschädigt. Hier fehlte ein Dach, da eine Wand, das andere Haus stand schief und es sah aus, als würde es jeden Moment umkippen. Noch immer lag überall Asche, sie bedeckte fast den ganzen Boden. Endres lief es eiskalt den Rücken hinunter, als er nur wenige Zentimeter von der Kutsche eine halbverweste Leiche entdeckte. Die Fliegen surrten um sie herum und es stank bestialisch. Endres schüttelte sich und zwang sich, sich nicht noch weiter umzusehen, dass er noch mehr Leichen entdeckte.

„Schlimm sieht es hier aus", murmelte Bruder Vallentin leise und stoppte das Pferd. Er stieg ab und gab ihm etwas zu Fressen von der Ladefläche der Kutsche. Endres sprang ebenfalls ab. „Kann ich mich ein bisschen umsehen?", frage Endres. „Geh' nur", gestattete Bruder Vallentin, „aber sei vorsichtig!"

Endres nickte und ging in die Richtung, in der sein Haus stand. Oder gestanden hatte, wenn es nicht auch wie der Großteil des Dorfes abgebrannt war. Endres, Helena und Lorentz hatten nahe am Waldrand gewohnt, am Rande des Dorfes. Er war froh, als er sah, dass die Holzhütte noch fast unversehrt da stand. Das Strohdach war ein vielen Stellen löchrig und die Holztür, die schon immer etwas bogenförmig gewesen war, hing schief in den Angeln.

Endres blieb vor dem Haus stehen und zögerte. Er traute sich nicht hinein zu gehen. Warum eigentlich?, fragte er sich. Ist doch eh keiner da. Oder erwartest du etwa, dass Helena wie früher an der Feuerstelle steht und kocht und nebenbei Kräuter sortiert? Er stieß die Tür auf und seufzte schon im nächsten Moment. Helena war nicht da, wie erwartet.

Der große Topf hing auch nicht mehr über der Feuerstelle, er lag verbeult neben dem Steinkreis. An den Wänden hingen noch Helenas Kräuter, die sie dort zum Trocknen auf gehangen hatte. Ein Holzlöffel lag zerbrochen am Boden. Helena, Endres und Lorentz hatten eigentlich nicht viel zum Leben gebraucht. Dennoch hatte es ihnen nie an etwas gefehlt, um Gegensatz zu ein paar anderen Familien.

Den großen Topf hatte Helena zum Beispiel vom Schmied geschenkt bekommen, nachdem sie seinen Sohn von der Grippe geheilt hatte. Wenn Helena jemandem geholfen hatte, dann boten ihr die Menschen immer ein Geschenk zum Dank an, auch dann, wenn sie nicht einmal mehr selbst genug zum Essen hatten. Helena hatte die Geschenke strikt abgelehnt, aber die Leute hatten oft darauf bestanden, dass sie es annimmt.

Helena wollte auf der einen Seite nicht unhöflich sein, aber auf der anderen Seite hatte sie wieder ein schlechtes Gewissen. Meistens brachten die Leute als Dank einen Laib Brot oder ein paar Rüben, die sie auf den Feldern anbauten. Endres hatte den Leuten oft geholfen, vor allem in der Ernte Zeit. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie die Dorfbewohner in Panik geraten waren, als sie das Getreide ernten wollten und ein Gewitter drohte.

Dann hatten sie jede helfende Hand gebraucht, um das Getreide in Sicherheit zu bringen. Meistens hatten sie es geschafft, doch dann kam zwei oder drei Tage später der Lehnsherr mit seinem Gefolge und knöpfte ihnen den größten Teil der Ernte wieder ab. So war es jedes Jahr gewesen und die Dorfbewohner hatten nichts dagegen tun können.

Auf der anderen Seite der Hütte hatten ein kleiner Holztisch und vier Stühle gestanden. Ein kleiner Schrank hatte an der Wand gestanden. Von alldem war nichts mehr da. Nachdem die Raubritter die meisten Dorfbewohner nieder gemetzelt oder sie in die Flucht geschlagen hatten, hatten sie bestimmt in aller Seelenruhe das Dorf ausgeräumt.

Hinter der Hütte lag der Garten, in dem Helena ihre Kräuter angebaut hatte. Endres ging hinaus und sah sich um. Die Kräuter waren zu großen Büschen herangewachsen, zwischen denen das Unkraut wucherte. Hinter dem Beet der Holzzaun, an dem Helena und der Nachbar einen ganzen Sommer lang gebaut hatten, damit die Hühner des Nachbarn nicht immer ausbrachen und das Kräuterbeet verwüsteten, stand nicht mehr.

Die Raubritter hatten den Zaun umgeworfen und in Kleinteile zerhackt. Endres fragte sich, was das für Menschen sein mussten, die Freude daran hatten, anderen Menschen Leid zuzufügen und Dinge zu zerstören, die ihnen gar nicht gehörten. „Das kann man nicht erklären", hatte ihm Helena einmal erklärt, nachdem im Dorf erzählt wurde, dass ein nicht weit entferntes Dorf zerstört worden war. „Diese Schwachköpfe bilden sich ein, dass es toll sei, was sie machen. Das kann ein normaler Mensch nicht verstehen."

Nur wenige Wochen später waren die Raubritter auch in dieses Dorf gekommen. Endres ging wieder zurück in die Hütte. In einer Ecke lehnte immer noch die schmale Holzleiter, die nach oben führte. Endres kletterte nach oben zu dem Platz, wo er und Lorentz immer geschlafen hatten. Die Decken lagen noch so da, wie sie sie am Tag des Angriffs liegen gelassen hatten. Plötzlich fiel Endres etwas ein. Schnell ging er zu seinem Schlafplatz und legte die Decken zur Seite.

In der Holzdecke gab es ein hohles Fach, in dem er Sachen aufbewahrt hatte, die ihm wichtig waren. Er nahm das Brett zur Seite und atmete erleichtert auf, als er sah, dass alles noch da war. Den Raubrittern musste der Platz hier oben gar nicht aufgefallen sein. Endres nahm die zwei Bücher heraus, mit denen er lesen gelernt hatte.

Das eine war ein Buch über Kräuter, das Helena viel angewendet hatte. Das andere war ein Buch über ein Land namens Ägypten. Sein Vater hatte ihm das Buch von einer seiner langen Reisen mitgebracht. Er war Begleiter eines Geographen gewesen. Die Begleiter wurden jedoch immer schlecht bezahlt und von dem wenigen Geld mussten sie auch noch den größten Teil als Steuern begleichen. So blieb nicht viel übrig.

Das lag aber eher an den Auftraggebern, dem König und seiner Frau. Sie hatten den Geographen beauftragt, in den Ländern, die hinter dem Meer lagen, Kolonien zu erobern. Fast jedes Mal kehrten sie mit leeren Händen zurück und bekamen deshalb auch keinen Lohn. Endres hatte sich jedoch sehr über das Buch gefreut.

Es war wunderschön illustriert und musste unschätzbar wertvoll sein. Wie sein Vater es wohl bekommen hatte? Zu gerne hätte Endres ihn gefragt, aber vor wenigen Jahren war Endres' Vater von einer Reise nicht zurück gekehrt. Lange Zeit hatte man keine Nachricht erhalten, bis zwei Ritter des Königs die Steuern abholen wollten. Helena hatte ihnen das Geld nur gegeben, wenn sie ihr Auskunft gaben. Die beiden wussten nur, dass ein Schiff auf hoher See untergegangen war. Es hatte keine Überlebenden gegeben. Endres seufzte.

Er legte die Bücher zur Seite und nahm ein paar Steine in die Hand. Diese hatte er mit Lorentz gefunden, wenn sie auf den Feldern geholfen hatten oder im Wald mit den anderen Kindern aus dem Dorf gespielt hatten, was jedoch nur selten vorkam. Die Steine glänzten oder hatten eine schöne Musterung. Unter den Büchern lag das kleine Stoffsäckchen, das Helena extra für die Steine genäht hatte. Ganz unten in dem Hohlraum lag eine Stoffpuppe, die Endres kurz nach seiner Geburt bekommen hatte.

Auf Lorentz' Bettlager lag der Stoffwolf. Er war aus einem grauen Stoff gemacht, der sehr schwer zu kriegen und wenn dann sehr teuer war. So teuer, dass man ihn fast gar nicht bezahlen konnte. Helena hatte den Stoff von einer der Händlerinnen bekommen, die durch die Lande zogen und in jedem Dorf ihre Waren anboten. Sie hatten lange über den Preis verhandelt, doch letztendlich hatte Helena ihn zum viertel des normalen Preis gekauft.

Lorentz mochte Wölfe, seit eines Abends im Winter einmal ein Wolf im Garten gewesen war. Endres überlegte, ob es nicht ein Wolf vom Rudel der Großen Ebene gewesen war. Von seinem Rudel, verbesserte er sich, denn schließlich gehörte er auch dazu. Obwohl, überlegte er, wenn ich nicht mal eine ganze Nacht beim Rudel verbringen kann, dann gehöre ich doch nicht wirklich dazu, oder? Das konnte er erst heraus finden, wenn er wieder bei den Wölfen war. Nur nicht heute Nacht, obwohl er das Rudel schon vermisste.

Er legte alle Sachen auf eine Decke, die Steine, die Bücher und die beiden Tiere und band die Decke mit einem Knoten zusammen. Die Dinge würde er mitnehmen. Lorentz würde sich bestimmt freuen. Nachdem die Raubritter das Dorf überfallen hatten, trauten sich Endres und Lorentz nicht, noch einmal ins Dorf zurück. Endres war froh, noch einmal hergekommen zu sein. Obwohl... er hatte noch keine Spur von seiner Mutter gefunden.

Deswegen war er doch hier, oder? Er beschloss, Bruder Vallentin suchen zu gehen. Es war schon fast dunkel in der Hütte und Endres konnte die Sprossen der Leiter nur ertasten. Letztendlich lief er nach draußen, wo bereits der Mond und die ersten Sterne am Himmel standen und machte sich auf die Suche nach Bruder Vallentin.

Endres vermutete, dass der Mönch in der Kirche war. Auch wenn die Dorfbewohner arm waren und nicht viel besaßen, aber eine Kirche gab es in diesem Dorf. Sie war aus massivem Stein gemauert, sogar einen kleinen Kirchturm gab es. Als Endres durch das Dorf zur Kirche ging, die in der Mitte des Dorfs stand, fiel ihm die unheimliche Stille auf.

Sonst hatten immer Hühner gegackert, man hatte das Hämmern aus der Schmiede gehört und die Bewohner hatten sich draußen erzählt, wenn sie nicht gerade auf den Feldern oder anderweitig beschäftigt waren. Endres kam sich vor, als wäre er alleine auf der Welt. Er war froh, als er in der Kirche ankam und Bruder Vallentin dort betend vorfand. Der Innenraum der Kirche war sehr schlicht, das einzige Schmuckstück war der Altar.

Hier hatte sich die ganze Dorfgemeinschaft jeden Sonntag zum Beten eingefunden. Endres war froh, dass hier noch alles wie vorher war. "Was hast du denn da?", fragte Bruder Vallentin plötzlich. "Ein paar Sachen", antwortete Endres. "Die die Raubritter nicht mitgenommen haben." Der Mönch fragte nicht weiter nach. "Wir werden wahrscheinlich die Nacht hier verbringen müssen", sagte er stattdessen. "Wir müssten die ganze Nacht hindurch fahren. Das könnte gefährlich werden."

"Wenn du meinst", antwortete Endres. "Gehen wir zur Kutsche zurück und essen noch etwas." Es wunderte Endres nicht, dass Bruder Vallentin schon wieder ans Essen dachte. Gerade als sie aus der Kirche heraus getreten waren, hörten sie das Wiehern von Pferden und das klacken der Hufen, die sich schnell näherten. "Schnell, verstecken wir uns lieber!", sagte Bruder Vallentin. "Nur wo?", erwiderte Endres hektisch.

Rund um die Kirche waren alle Häuser fast komplett herunter gebrannt. Nur von einem Haus stand noch ein Teil der Wand. "Schnell, darüber!", rief Endres. Bruder Vallentin hatte Mühe dem Jungen zu folgen, doch er schaffte es noch rechtzeitig hinter die Mauer und duckte sich. Fast im gleichen Moment zog eine Staubwolke an ihnen vorbei, die von mindestens einem Dutzend galoppierenden Pferden verursacht wurde.

Doch selbst durch die Staubwolke konnte Endres die Rüstungen erkennen. Ihm stockte der Atem. Das waren die gleichen Raubritter, die das Dorf überfallen hatten! Was wollten sie hier? Aber die Staubwolke zog weiter, bis sie sich verzogen hatte. Bruder Vallentin stand wieder auf und hustete. "Das war knapp", keuchte er. Endres konnte nur stumm nicken. Warum war er den Raubrittern schon wieder begegnet? "Das waren die gleichen, die unser Dorf überfallen haben", erklärte er Bruder Vallentin. "Ich frage mich nur, warum sie wieder hier waren."

Der Mönch war wieder auf den Weg getreten. "Den Spuren nach zu urteilen reiten sie hier oft durch. Der Weg ist voll den Hufabdrücken." Er schaute in die Richtung, in der die Raubritter mit ihren Pferden unterwegs waren. Von der Staubwolke war nichts mehr zu sehen. "Anscheinend liegt ihre Burg oder Festung in dieser Richtung". vermutete er. "Wenn sie auf dem Weg sind um das nächste Dorf zu überfallen, reiten sie wohl durch euer Dorf."

Plötzlich begann er zu rennen. "Unser Wagen, das Pferd!" Endres war erstaunt, wie schnell der dicke Mönch auf einmal rennen konnte. Welchen Wagen hatte er gemeint? Plötzlich begann auch er zu rennen. Bruder Vallentin hatte das Pferd und die Kutsche gemeint! Er folgte dem Mönch, der schon eine beachtliche Distanz zwischen die beiden gebracht hatte. Keuchend stützte sich der Mönch auf den Wagen. Die Pferde, die Kutsche und alles, was sie geladen hatten, waren noch da. Die Raubritter schienen das Fuhrwerk nicht bemerkt zu haben. "

Wenn sie hier öfter durch reiten", sagte Endres, "kann es doch auch möglich sein, dass sie auch den Weg zum Kloster entdecken!" Der Weg, der zum Kloster führte, zweigte am Dorfrand von einem schmalen Weg ab. Dennoch war er gut sichtbar und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Raubritter diesem Weg folgen würden, um zu sehen, wo sie noch Beute machen konnten. "Wir müssen so schnell wie möglich zurück fahren", japste der Mönch. Er war immer noch außer Atem. "Wir müssen die anderen warnen!" Endres nickte.

Plötzlich knackte ein Ast unmittelbar hinter ihnen. Endres fuhr herum. Wie aus dem nichts waren ein Mann, eine Frau und zwei Kinder aufgetaucht. "Was macht ihr hier?", fragte der Mann. "Das gleiche könnten wir euch fragen", erwiderte Bruder Vallentin. "Wir kommen vom Kloster, eine Tagesreise von hier entfernt." "Und was führt euch hierher?", fragte die Frau. "Wir waren hier, um noch ein paar Sachen zu holen", erklärte Endres. "Ich habe hier in diesem Dorf gewohnt bis die Raubritter kamen." "Und dürften wir nun endlich erfahren, was ihr hier treibt?", fragte Bruder Vallentin ungeduldig. Er wollte so schnell wie möglich zum Kloster zurück. "Wir kommen aus einem anderen Dorf, das überfallen wurde", erklärte das Mädchen.

Sie war vielleicht zwei Jahre jünger als Endres. Ihr Bruder, der sich an die Hand seiner Mutter klammerte, war möglicherweise genau so alt wie Lorentz. "Wir sind bis hierher gewandert, weil wir dachten, wir finden einen Ort zum Leben", ergänzte die Mutter, "aber so wie es scheint, wurden sämtliche Dörfer in der Gegend hier schon überfallen." "Wenn ihr wollt, könnt ihr mit uns kommen", gestattete Bruder Vallentin. "Der Junge sieht nicht gut aus. Ist er krank?" Die Mutter nickte. "Wir wissen nicht, was es ist. Er hat seit Tagen nichts mehr gegessen. Und wir auch nicht." Endres ging zum Wagen und holte das Brot.

"Hier", sagte er und reichte dem Mann das Brot und das Messer. "Damit könnt ihr euch stärken bis wir im Kloster sind." Der Mann nahm das Brot dankend an. "Ich will nicht drängen, aber wir sollten los", meinte Bruder Vallentin. "Wir müssen die anderen warnen." "Wovor müsst ihr die anderen warnen?", fragte der kleine Junge. Kurz darauf musste er husten. "Wir haben heraus gefunden, dass die Raubritter oft durch dieses Dorf ziehen", erklärte Endres. "Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie den Weg zum Kloster entdecken", ergänzte der Mönch. "Wollt ihr nun mit uns kommen?"

"Wenn es euch nichts ausmacht", antwortete der Mann, "würden wir gerne mit euch kommen!" "Dann steigt auf", sagte Bruder Vallentin. Der Mann setzte sich zu dem Mönch auf den Kutschbock, während seine Frau und seine Kinder mit Endres auf der Ladefläche Platz nahmen. Alle vier wirkten erschöpft vom ständigen umherwandern. Der Junge war sofort eingeschlafen. "Wie ist es bei euch im Kloster?", fragte das Mädchen Endres. "Es wird euch bestimmt gefallen", antwortete er. "Hoffentlich", murmelte sie. Dann war auch sie eingeschlafen.

Die Fahrt dauerte lange und Endres und Bruder Vallentin wechselten sich damit ab, die Kutsche zu steuern. Der Mönch war auch gleich eingeschlafen als er auf die Ladefläche geklettert war. Die Familie schlief immer noch und Endres wurde den Eindruck nicht los, dass sie noch viel Schlimmeres durchgemacht hatten als er und die anderen Dorfbewohner. Das konnte sich Endres aber nicht wirklich vorstellen und er schüttelte sich.

Der Weg war vom Wald umgeben, der düstere Schatten warf. Der Mond hatte sich hinter eine Wolke verzogen und somit war es schwer, den Weg zu erkennen. Endres kam es wie eine Ewigkeit vor, die sie durch die scheinbar endlose Finsternis fuhren. Endlich wurde der Wald lichter und am linken Wegesrand kamen die Felder des Klosters in Sicht. Endres atmete erleichtert auf. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie da waren.

Er wusste nicht, ob es schon nach Mitternacht war als sie das Kloster erreichten. Die Kutsche war noch nicht zum Stehen gekommen, als das Tor schon geöffnet wurde und Bruder Siman auftauchte. Die Mönche wechselten sich jede Nacht mit der Wache ab. Auf dem Hof stoppte Endres das Pferd und stieg ab. „Warum seid ihr schon zurück?", flüsterte Siman. „Ich dachte, ihr wolltet erst am Morgen zurück fahren!"

„Das ist ziemlich kompliziert", flüsterte Endres zurück. „Wir haben im Dorf eine Familie getroffen, die auf der Suche nach einem neuen Zuhause sind, weil ihr Dorf auch schon von Raubrittern zerstört wurde." „Diese Menschen machen echt alles kaputt!", stöhnte Bruder Siman. „Man müsste schon alle umbringen damit sie kein Unheil mehr anrichten." „Aber mit denen ist es doch wie bei Mücken", erwiderte Endres. „Geht eine kommen zehn!" Der Mönch seufzte. „Na gut", sagte er. „Was machen wir jetzt mit den anderen?"

„Wir sollten sie wecken und ihnen ein Zimmer geben", antwortete Endres. „Nur wo?", erwiderte Siman. „Bruder Paulus hat heute einige Leute von der Krankenstation in normale Zimmer umziehen lassen, damit sie sich schneller erholen können und sich nicht bei den anderen anstecken, die diese undefinierbare Krankheit haben. Wir haben fast keine Zimmer mehr zu Verfügung!" „Dann müssen wir wohl im Gästehaus Feuer machen", sagte plötzlich eine Stimme aus dem nichts. Bruder Vallentin war aufgewacht. „Willkommen zurück", sagte Bruder Siman, „aber wie stellst du dir das vor? Im Gästehaus wurde seit über einem Jahr nicht mehr geheizt, weil es noch nie benutzt wurde, solange wie ich hier im Kloster bin. Außerdem steht da lauter Gerümpel."

„Das ist egal", auch der Vater war aufgewacht und hatte die letzten Worte gehört. „Solange wir nur eine vorrübergehende Bleibe haben. Meine Frau und meine Kinder müssen sich unbedingt ausruhen." „Ihr euch doch auch", ergänzte Bruder Siman. „Ihr seid doch genau so müde wie die anderen." Der Mann gähnte. Dann nickte er. „Wahrscheinlich habt ihr Recht. Es würde mich sehr freuen, wenn wir bleiben dürfen." „Natürlich", erlaubte Bruder Vallentin. „Endres macht im Gästehaus den Kamin an und dann könnt Ihr euch dort schlafen legen. Endres?" Der Mönch sah sich nach allen Seiten um, aber der Junge war auf einmal verschwunden.

„Wo ist er denn nun wieder hin?", murmelte Bruder Vallentin verwundert. Er brachte die Familie zum Gästehaus, aber auch dort war Endres nicht. „Er wird schon wissen, was er tut", meinte Bruder Siman zu Bruder Vallentin. „Vielleicht ist er einfach nur schlafen gegangen. Oder machst du dir etwa Sorgen?"


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