Zimtsterne zum Verlieben (8/10)

"Vienne? Was machst du hier so früh am Morgen?"

Verschlafen sah Vienne auf. Sie brauchte einige Momente, bis sie richtig zu sich kam und sich vom Tisch aufrappelte. Ihr Rücken tat weh, als wäre sie nicht nur in der Küche eingeschlafen, sondern hätte in der Nacht einen ganzen Back-Marathon gemacht.

Moment, genau das hatte sie getan.

"Biana!", begrüßte sie ihre Freundin und ihre Stimme klang heiser, weil sie so wenig geschlafen hatte. Freudig breitete Vienne die Arme aus und schlug dabei fast eine Mehlschüssel vom Tisch. "Schau!"

Vienne deutete auf die gestapelten Bleche, auf denen hunderte Kekse ihrer Mitternachtskreation lagen. Sie grinste, auch wenn sie sich etwas schwindelig fühlte. "Wie spät ist es? Ich muss den Laden öffnen!"

"Es ist Montag. Das ist der einzige Tag, den du frei hast, weil du sonst sieben Tage die Woche arbeiten würdest", tadelte Biana. "Heute ist die Bäckerei geschlossen. Ich wollte dich holen, um vielleicht Schlittschuhlaufen zu gehen."

Vienne rappelte sich auf und versuchte ihre Haare zu bändigen. "Geschlossen? Pff! Wir machen heute auf! Ich kann heute leider nicht. Gestern war der vierte Advent. Es sind noch vier Tage bis Weihnachten. Die Leute werden tausend Kekse kaufen! Je zwei Euro, also zweitausend Euro", rechnete sie.

"Äh ..." Biana musterte sie, als versuchte sie, sie zu durchschauen. Sie folgte ihr durch die Küche, als Vienne zwischen den Reihen umherrannte. "Erstens: Das sind keine tausend Kekse. Zweitens: Sie kosten einen Euro. Und drittens: Was ist los?"

"Nichts, ich habe nur gute Laune." Vienne knallte den Mehlsack so stark auf den Tisch, dass beide husteten.

Biana wedelte die weiße Wolke weg. "Dein Gute-Laune-Lächeln sieht anders aus."

Vienne nahm ihre Mundwinkel mit den Fingern und zog sie in die Höhe. "Besser?"

"Nein." Biana stellte sich ihr in den Weg und nahm Viennes Hände in ihre, damit sie nicht hektisch Kekse umherschieben konnte. Nachdenklich kniff sie die Augen zusammen. "Haben du und David Schluss gemacht?", fragte sie.

"Was? Nein!" Vienne ignorierte ihr schlechtes Gewissen. "Wir haben seit gestern nicht einmal geredet."

"Und ... wieso?"

"Ich ... habe gebacken." Vienne zog ihre Hände zurück und drehte eifrig die Temperaturen der Öfen hoch. Biana hatte Recht: Es waren noch keine tausend Kekse. Sie brauchte mehr.

"Was ist dann los? Du bäckst nur solche Massen, wenn du entweder super glücklich oder total frustriert bist! Ersteres ist definitiv nicht der Fall."

"Ich bin nicht frustriert." Langsam wurde Vienne sauer. Der Schlafmangel ließ ihre Gedanken unklar werden. Sie sah Bianas besorgten Blick und biss sich auf die Lippe. "Hör zu, es tut mir leid, dass ich heute nicht kann. Aber die Bäckerei ist mir echt wichtig. Und wenn ich nicht genug verkaufe, dann ..." Ihre Stimme brach.

"Darum geht es also?" Biana trat näher zu ihrer besten Freundin und nahm sie in den Arm.

Viennes Sorgen bröckelten und sie schniefte an Bianas Schulter. "Es war immer mein Traum. Nun wurde er endlich wahr ... und ich habe die letzten Wochen damit verbracht, auf Dates zu gehen, statt mich um meine Bäckerei zu kümmern! Jetzt droht alles unterzugehen!"

"Es droht nicht unterzugehen", betonte Biana. "Die Leute lieben deine Bäckerei. Ich sitze häufig drin und beobachte die Gesichter. Kinderaugen strahlen, wenn sie heiße Schokolade trinken, weil sie sich im Weihnachtszauber verlieren und glauben, sie seien am echten Nordpol. Vienne, ein kleiner Junge hat sogar behauptet, dass du ein echter Elf sein musst! Du versteckst deine spitzen Ohren nur unter der Bäckerkappe, damit keiner sie sieht." Sie zwinkerte und Vienne brachte ein tränenerfülltes Lachen hervor.

Biana fuhr fort. "Was ich damit sagen will: Deine Bäckerei ist ein Ort, wo Wunder wahr werden. Wenn nicht hier, wo dann? Die Leute kommen zu dir, um diese Magie mit ihren Liebsten zu teilen. Und auch du hast Liebste, die die Magie mit dir teilen wollen. Ich bin da. David ist da. Und du hilfst weder dir noch uns, wenn du dich hinter einem Berg aus Schüsseln versteckst."

Vienne lächelte und hatte das Gefühl, dass sich der Schneestum in ihrem Inneren langsam legte. Ihr Herz wurde ganz warm bei den Worten ihrer Freundin.

"Kann sein, dass du Recht hast", seufzte sie.

"Natürlich habe ich Recht."

Vienne lachte. Jetzt, wo ihr verschlafener Geist langsam wach wurde, merkte sie, was für ein Chaos sie eigentlich angerichtet hatte. Sorgen hin oder her - so viele Kekse würde sie schwer verkauft bekommen. Und wenn sie übrig bleiben würden, müsste sie sie wegwerfen, und dann wäre niemandem geholfen.

Vielleicht waren eintausend doch übertrieben gewesen.

Sie tupfte sich die Augen trocken. "Danke", sagte sie.

Ein Stein fiel von ihrem Herzen und sie konnte endlich wieder richtig atmen. Vienne lachte. "Ich bin also ein echter Elf?"

"Wer weiß? Und nun sollten wir ..."

Ein ohrenbetäubender Knall ließ die Bäckerei erzittern, als hätte jemand einen Eisberg auf sie drauf geworfen. Bloß gab es kein Eis. Stattdessen schlug Vienne knisternde Hitze entgegen. Und Rauch. Viel Rauch.

Biana kreischte und ging hinter dem Tisch in Deckung. Einer der Ofen war aufgeflogen und die schwarz verkohlten Kekse im Inneren hatten Feuer gefangen.

"Oh mein Gott!" Vienne schnappte sich ein Handtuch. "Wieso ist der Ofen so heiß?"

"Ich glaube, du hast ihn vorhin hochgedreht!"

"Aber doch nicht so hoch! Und da sollten keine Kekse drin sein!"

Vienne hustete. Es gelang ihr, den Ofen auszudrehen. Schwarzer Dampf quoll aus der Öffnung und breitete sich in der Küche aus. Sie versuchte, das Blech zu angeln, doch der Rauch vernebelte ihre Sicht und ihre Sinne. Die Flammen tanzten vor ihren Augen und drohten, ihre Hände zu verglühen. In ihrer Panik erwischte Vienne das Blech nicht richtig. Ihre Finger berührten das glühend heiße Metall und sie zuckte schreiend zurück. Stechender Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Das Blech polterte knallend zu Boden und die verkohlten Klötze explodierten wie Lavabrocken. Biana und sie sprangen zurück, um nicht getroffen zu werden.

"Wasser!", kreischte ihre Freundin, doch ihr Geschrei ging im Schrillen des Feueralarms unter.

Von wegen Weihnachtsmagie. An diesem Montag würde sie definitiv keinen einzigen Keks verkaufen.

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