nur drehtabak
Ein hellblauer Schimmer bahnt sich den Weg ins Zimmer, was ich damals mit siebzehn Jahren bewohne. Schmerzvoll kneife ich meine in Zement gegossenen Augen zusammen, eines pocht leicht wegen des blauen Fleck.
Da liege ich im Bett, immer noch wach.
Wahrscheinlich wird mir dieser Raum immer fremd bleiben, zum Gegensatz zu den Umzugskisten, die sich schon an die dünne Staubschicht gewöhnt haben.
Ein Schachbrett zieht sich über die Bettdecke, die Felder jeweils so groß, als würde ich meine beiden Hände aneinanderlegen.
Wie kriegt man das überhaupt hin ewig den Überblick zu behalten?
Mit meinen Beinen drücke ich die Decke weg und zupfe unwillig an den Tabakbeutel auf dem voll gestellten, verklebten Nachttisch.
Zwei leere Dosen Energydrink lärmen auf den zerkratzten Holzbohlen auf. Die Reste von Booster spritzen auf meine Füße.
Ein schöner Morgen, angeekelt trete ich die beiden Dosen weg, die blechern protestieren. Ich hasse den durchdringenden Geruch von Energydrinks. Es hat was von Spülmittel, Bier und altem Urin.
Mein Herz pocht laut gegen meine generell angepisste Laune.
Langsam ausatmend lecke ich am langen Blättchen und zupfe die paar Tabakfasern weg, die an meinen Lippen kleben. Beruhigend zieht das Nikotin durch meine Lungen, weniger gereizt atme ich aus.
Der graue Rauch umspielt die einsame Glühbirne, die am Draht herabhängt.
Gibt es so nicht mehr zu kaufen, weil nur fünf Prozent der Energie für das Licht verbraucht wird. Der Rest ist nur Hitze.
Dampfend schwappt das Wasser in die Kanne aus mit Stickern beklebtem Edelstahl.
Flüssig, heißer Schmerz verteilt sich auf meiner Hand, als ich unvorsichtig einschenke.
Kurz fluche ich. Der zerkratzte Teelöffel in meiner Hand scheppert auf dem Teller und hält kurz den kleinen Frieden an.
Die junge Frau mit ihrem voluminösen Haar guckt kurz auf, um weiter gedanklich in ihren Haferbrei zu versinken. Die goldene Sonne strahlt durch ihr dichtes Haar in die Küche der Altbauwohnung.
Ich rühre das grobe Kaffeepulver um, drücke leicht den Metallfilter herunter und will schon hastig wieder davon gehen, doch sie schaut auf und steckt ihre Zigarette hinters Ohr.
„Eric!", ihre tiefe, schnarrende Stimme schneidet das einvernehmliche Schweigen der Müdigkeit.
Langsam drehe ich mich um und kneife die Augen zusammen.
Was ist denn?
„Räum' deine Unterlagen im Wohnzimmer weg und mach das Bad heute sauber!", ihre tiefbraunen Augen blicken durch mich durch, als wüsste sie jeden meiner Gedanken,
„Ja, was willst du denn noch?", ich verdrehe meine Augen.
„Trag' dir veganen Sucuk ein, du schuldest mir noch einen Gefallen!"
„Was für ein Scheiß?", meine Faustknöchel ballen sich.
„Ich habe dir das Gras geholt für eure Feier da. Nur schuldest du mir noch sieben Euro, bitte", sagt sie.
„Ist klar, aber was willst du von mir, Juliana?"
Sie rührt nochmal ihren Haferbrei um, einmal, zweimal. Dann haftet sich ihr Blick in meine Augen.
„Du kennst diese türkische Knoblauchwurst, Erik. Sucuk, die gibt es auch in vegan", sie rührt weiter ihr Frühstück um.
„Und wo finde ich die?"
„Hackescher Markt, der Bioladen in der Brücke, wo die Straßenbahn durchfährt."
„Okay, wenn du mich schon so auf die Nerven gehst...", ich atme aus „...Sag diesem Typen, der manchmal in meinem Zimmer pennt, der soll seine scheiß Energydrinks wegtun!"
„Meinst du Tini?"
„Wenn der die Dreads hat, ja!"
Sie nickt stumm, schaut mich dennoch weiter an.
Mehr sage ich auch nicht, als ich den Kaffee in den Thermobecher fülle. Ich spüre ihren fordernden Blick, der immer noch auf mir lastet.
Erst als ich im Nebenraum meine Zeichnungen wegräume und nochmal durch die Küche laufe, sehe ich, wie sie in „Alice in Wonderland" weiterliest. Mir sollte erst später auffallen, dass ihre Finger so fest das Taschenbuch umfassen, dass sie anfangen zu zittern.
Ich schnüre meine Springerstiefel und gehe das schattige Treppenhaus hinab.
Meine kompakte Casio zeigt halb acht.
Genau eine Stunde früher als sonst.
Die Sonne strahlt wärmend durch die noch schattigen Hochhausschluchten.
Aus der schmalen Metallbox ziehe ich meine selbstgedrehte Zigarette und stoße den Rauch aus.
Ohne jede Sorge zermalmen die Stiefelsohlen knirschend das Glas auf dem Bürgersteig.
Das mache ich heute einfach, mit dieser Frau zu reden.
Heute machst du das, scheiß auf deinen Menschenhass!
Es ist, dass ich nicht weiß, was ich von ihr halten soll. Sie malt einfach so konzentriert und das tut sie jetzt auch nicht, um einfach nur Geld zu verdienen. Das tun Menschen nicht, die barfuß in Haremshosen herumlaufen.
Der kalte Septemberwind zerrt an mir, trotzdem lasse ich meine Stoffjacke offen.
Gerade trägt sie rote Farbe auf für weitere geometrische Formen, die mit den ordentlichen Fugen des Boden brechen.
Es sind Farben, die den Unterschied machen.
Belastend drückt diese Erkenntnis auf meine Augenringe, als ich ihr angefangenes Bild weiter betrachte.
Was meinem grauen Alltag plötzlich die Farbtöne schenkt. Das unveränderliche Gelb der U-Bahnen.
Das Giftgrün des Graffiti, was die Rollläden der kleinen Rocker-Kneipe verschönert.
Ich bin doch nicht nach Berlin gezogen, damit ich mich auf ewig vor einer dunklen Welt in meinem Inneren verstecke.
Ist es nicht besser, diese eiternden Wunden für immer unter schwarzer Kleidung zu verbergen?
In meine kalten Fäuste presse ich meine letzte Entschlossenheit.
Nein!
Darum bleibe ich stehen, statt diesen Moment noch einmal zu verdrängen und weiterzugehen, als wären mir diese Erkenntnisse egal.
Das Rotkehlchen, das in meiner Brust bleiben sollte, flattert panisch im Hals.
Ich überbrücke die letzten Meter des gesellschaftlich akzeptierten Abstandes gegenüber der Fremden.
Ich bin dumm, wenn ich ihr Schaffen wie jeden anderen Tag nur ignoriere.
Noch kräftiger bewegt der kleine Vogel seine Flügel und presst Blut durch meine schwitzigen Hände, als ich mich hinknie.
„Hi, ich ha-habe schon öfter gesehen, wie du hier malst."
Sie streicht ihr weiß gefärbtes Haar hinters Ohr und sie schaut auf.
Neugierig funkeln mich zwei eisblaue Augenpaare an.
„Ich heiße Eric und irgendwie denke ich, dass du mir erzählen kannst, wie du das Leben siehst", gerade weiß ich echt nicht, ob das ziemlich dumm ist, was ich gerade tue.
„Okay, das hat mich noch kein Fremder gefragt", sie zögert und schaut sich kurz um, bis der Blick wieder zu mir wandert, sie versucht anzusetzen, nur scheint sie sich überfordert zu fühlen.
„Ich habe mich zumindest vorgestellt, ganz fremd bin ich nicht mehr. Ich denke, dass du Dinge weißt, die ich von dir lernen kann. Keine Ahnung, was ich sagen soll, ich spreche auch zum ersten Mal Leute an, also bin ich auch nervös."
Sie nickt langsam, ein mildes lächeln schleicht sich in ihr Gesicht: „Was willst du denn von mir lernen, Eric?"
„Was willst du, was die Leute denken, wenn sie sich dein Kunstwerk angeschaut haben?"
„Du bist der erste, der mich so etwas fragt. Ich weiß es nicht, denke auch nicht großartig darüber nach, was andere darein interpretieren. Was interpretierst du denn?"
„Den Alltag und das Leben bewusst zu leben, was das negative angeht, das Rot..."; ich deute auf die Farbe von ihrem entstehendem Bild „... Und die grünen Formen für das Gute."
„Das hört sich gut an", sie hält Inne, wippt langsam mit dem Kopf zur Rechten, dann zur Linken: „Ich denke, ich könnte mit deiner Interpretation auch 'was anfangen."
„Eigentlich ist die Interpretation mainstream, wie solche Sprüche, die man unter Urlaubsbilder auf Insta draufhaut. Ist halt nur das Naheliegende, was jeder denkt, der kurz so etwas verstehen will."
„Das hört sich jetzt an, als fändest du das schlecht."
„Jeder macht Persönlichkeitsverbesserung und Motivation, aber eigentlich sind das Mitläufer. Sie rauchen weiterhin, geben ihre Vorsätze im Januar auf, am Ende des Tages haben sie immer noch nichts gemacht! Sollen die einfach scheiße sein wie die sind, als sich zu verstellen", hektisch bewege ich meine Hände um meine Sicht der Welt greifbarer darzustellen. „Ich meine, ich rauche gerne, für niemanden muss ich tun, als fände ich es scheiße, damit angefangen zu haben."
„Was stört dich da genau?", sie faltet ihre Hände an der Wange.
„Wer sich wirklich ändern will, der tut es. Nur finde ich, geben Menschen sooft vor, dass sie besonders spirituell sein wollen. Nur trauen sie sich nicht, konsequent zu deren Fehlern zu stehen. Lieber wollen sie eine Fassade aufrechterhalten. Mit Diäten wollen sie die Fehler ihres ungesunden Lebensstil ausbügeln, ohne dass sie selbst zugeben, dass sie ihr Leben ändern wollen. Diät ist griechisch und bedeutet an sich schon so etwas wie Lebensänderung."
„Es wurde benutzt im Sinne von Lebensweise oder Führung. Nur hast da einen guten Punkt. Ich kann deiner Meinung zustimmen, ich meine, guck mal Eric", aus ihrem braunen Rucksack zieht sie ein vergilbtes Buch hervor.
Fight Club.
„Viele Menschen wollen irgendwie an ihrem tatsächlichen Leid herumdoktern, wie die das im Buch auch gemacht haben, statt sich der vollen Härte des Schmerzes bewusst zu sein."
„Man kann es verstehen, nur wegzurennen ist auch richtig feige", sage ich, während ich mir einer Sache bewusst werde. Ich rede von mir selbst.
„Wir sind alle Menschen und haben ein Problem, wir wollen uns selbstverwirklichen, nur können wir keine Götter werden. Unsere Natur ist es, dass wir auch schwach sein können. Ist doch okay, so lange wir niemand anderem schaden. Der Zutritt ins Eden wurde uns verwehrt", sie trägt weiter das Rot auf.
„Du glaubst an den Garten Eden?", während ich frage, wird mir klar, dass sie auch eine Sicht auf die Welt hat, die ich noch weiter verstehen will.
„Nein", sie lacht bitter. „Es spielt keine Rolle mehr, an was ich geglaubt habe oder nicht."
„Ist kein Vorwurf gewesen, mir sagen die Religionen nicht wirklich 'was."
„Um wieder zurückzukommen, ich teile deine Meinung, dass viele Menschen was vorheucheln", sie schaut wieder zu mir auf. „ Nur darüber hinaus will ich die Welt nicht so sehen wollen. Wir sind auch soziale Wesen, von Natur aus stecken wir lieber zurück, nur damit wir nicht ausgeschlossen werden."
„Nur zu welchem Preis? Ich will nichts mit Leuten zu tun haben, die ein Problem damit haben, dass ich mich kleide, wie ich Bock drauf habe!", ich fahre mit der Hand über meinen kahlen Schädel.
„Menschen, abgesehen von dir, wollen keine neuen Einsichten. Nur ich meine, guck mal, das ist Berlin", sie kichert: „ Wer bis in die letzten Haarspitzen ein anderes Leben außer seines nicht akzeptieren will, der wird mit dieser Stadt todunglücklich."
„Was willst du damit sagen?"
„Ich glaube, wir beide wissen, dass die Leute, wenn sie wenigstens nicht aufgeschlossen sind, zumindest tolerieren müssen, dass neben ihnen in der Ubahn ein Punk sitzt und gegenüber eine nach Gras riechende Fetishraverin mit Migrationshintergrund."
„Ok, das stimmt", ich lache auf. „Warte, was war das für ein Wort?"
„Fetishraverin, hoffe, ich brauche dir das Wort nicht weiter zu erklären, wenn ich nur Kitkat sage."
„Was haben diese Riegel von Nestlé mit einer Fetishraverin zu tun?"
„Vergiss es besser, das ist besser für uns", sie verzieht ihren Mund, trotzdem kann sie ihr Grinsen nicht verstecken.
„Ok, dann tue ich so, als hätte ich es vergessen."
„Was denkst du von Tyler Durden?"
So reden wir noch eine Stunde über einen Menschen, der aus kruden Vorstellungen entstanden ist, der Natur des Menschen, bis die eine Stunde schneller herum ist, als ich auf die Uhr gucken kann.
„Du willst wieder los, stimmt's?"
„Ja, anschaffen gehen für den Konsum und Wirtschaftskreislauf", ich grinse und ziehe meinen Rucksack an.
„Ei, Tyler, bist du das?"
„Natürlich!"
„Bevor du gehst, lass uns Nummern austauschen", sie blickt mir in die Augen.
Mit wieder pochendem Herzens tippe ich ihre Rufnummer ein, mit einem Anruf hat sie auch meine.
„Wie heißt du denn?"
„Ich heiße nicht, meine Freunde nennen mich Wicked.
„Wicked, wie das englische Wort?"
„Genau."
„Geiler Name finde ich."
„Danke dir."
Ohne ganz zu verstehen, wie ich eine Stunde mit jemand Fremdes reden konnte, gehe ich weiter zu meinem Betrieb.
Es fühlt sich alles an, wie ich mir immer die Hauptstadt vorgestellt habe, als die gelbe Bahn über die Schienen grollt.
In der Ferne glänzt der Fernsehturm. Immer Teil der Stadt.
Bedächtig drehe ich mir zwei neue Zigaretten, die Platz in der Schachtel aus Metall finden.
Könnte es nicht immer so sein, sich neu in einer fremden Stadt zu fühlen?
Ich schüttle den Kopf und unsanft lasse ich die Schachtel in die Innentasche meine Jacke fallen.
Während meine Sicht kurz zu Dunkelheit wird, als die Ubahn durch den Tunnel donnert, pocht mein Herz wieder schneller.
Meine Finger krallen sich in den gelben Schaumstoff, der aus dem aufgerissenen Polster quillt.
Langsam öffne ich meine Augen.
Ich bin wach, das ist heute wirklich passiert!
Irgendwie will ich mich freuen, nur finde dieses Gefühl nicht mehr in mir.
Wenig angetrieben von Entschlossenheit schleppen sich meine Beine zum Bürogebäude.
Die wenigen „Guten Morgen" nehme ich kaum zur Kenntnis, wie immer.
Fühlt sich wie Endstation an. Egal, wie weit ich gehe, ich werde mich daran erinnern, wie ich hätte glücklich sein können. Nur die Abwesenheit von Schmerz ist ja auch keine Gesundheit, nicht wahr?
Vorsichtig trage ich die Wand ab, bis die Stahlträger, Röhren und Kabeln frei liegen. Die Ruhe im Auge des Sturms. So vergeht der Tag, bis es vierzehn Uhr ist.
„Alles in Ordnung bei Ihnen, Herr Werner?
Stumm nicke ich, auf der Arbeit ist gerade alles gut.
„Dann haben Sie und Ihre Mitauszubildende einen frühen Feierabend verdient. Nur noch eine Sache."
Ich schaue ihm in die Augen.
„Bitte denken Sie an die Ausbildungsnachweise. Drei Monate gehen nicht!"
„Ja, Herr Shirvani."
Seine Arbeitsstiefel knirschen unter dem Schutt auf dem kahlen Boden, als er wieder im anderen Raum weiterarbeitet.
Fuck, für diese Ausbildungsnachweise habe ich keine Zeit!
Hastig greife ich nach meinem Handy, welches ich in eine Zip-Tüte getan habe, welche noch etwas nach Gras riecht.
Man glaubt erst, dass so ein Baggy etwas bringt, wenn du es siehst.
Gierig dringt der Staub und Schmutz in die kleinsten Ritzen, was auch immer ich dabei habe.
Es war für mich ziemlich unappetitlich, wie viel Staub sich in dem breiten Ladeanschluss gesammelt hat, dass das Kabel nicht mehr angeschlossen werden konnte.
Ich verziehe meinen Mund und die breiten Kopfhörer aus meinem Rucksack hänge ich um meinen Hals.
Mit der Zigarette in der Hand verlasse ich das Gebäude und tippe auf dem Handy.
11BS61 :-))
|14:13| Ich: Kann jemand die Schwulthemen der letzten 3 Monate zuschicken?
|14:13| Ich: *schulthemen lol
|14:15| ~alles hurensöhne~: diggah, schau doc im klassenbuch nach du bist alt genug
Mann, so schlimm ist das doch nicht, Fotos von dem Kram zuzuschicken. Meine Finger pressen sich auf meine Schläfen.
Was wollen die auch von mir, dass ich die Zeit damit verschwenden soll, meine Aufgaben im Betrieb schnell zu schreiben?
Nachdem ich den Rauch einer Zigarette inhaliert habe, stecke ich die zweite an. Meine schweißnassen Hände reibe ich an meiner staubigen Arbeitshose ab.
„Hast du Feuer, Eric?", die vertraute Stimme von der Mitauszubildenden höre ich im Hintergrund.
„Leg dir mal ein Feuerzeug zu, nicht dass du deinen Tabak schniefen musst!"
„Wer schnieft noch Tabak?", sie bleibt vor mir stehen, obwohl ich sie ignoriere.
„Ich frage dich noch nicht mal mehr nach Kippen, du bist mich auch wieder los, wenn du mir kurz das Feuerzeug gibst", wie bittersüßer Alkohol rinnt ihre beharrliche Bitte von ihren mattierten Lippen. „Bitte Eric, wir beide sind doch abhängig von Nikotin, wo ist deine Solidarität?"
„Du bekommst keine Solidarität, nur Schläge, wenn ich ein so schlechter Mensch wie du wäre!", ich ziehe langsam an meiner Kippe und atme den verbrauchten Rauch in ihr Gesicht: „Also 'piss dich! Du bist nicht so dumm, wie du tust, Angela!"
„Ich habe doch nichts gemacht, du musst echt mal von deinem Egotrip herunterkommen, Eric!"
„Wie kannst du so falsch sein, ziehst du die ganze Zeit Koks?"
„Du scheinst dich ja auszukennen," sie zupft langsam einen kleinen Staubkorn am Pelz ihrer Daunenjacke ab.
„Willkommen in Berlin," ich lache auf „Jetzt verpiss dich!"
Sie steht demonstrativ herum, bis sie stumm ihre Zigarette mit ihrem eigenen Feuerzeug anzündet.
Meine Finger schließen sich fester um meinen Glimmstängel, als sie den beißenden Geruch von Tod in mein Gesicht pustet.
Wirklich nur im Notfall würde ich mir so eine vorgerollte Scheiße geben, es schmeckt einfach verfälscht.
Trotz geballter Fäuste, in denen das Blut pocht und viel mehr Beherrschung, als ich mir zutraue, lasse ich die Pelzschlampe hinter mir, als wäre nichts. Was sie mir zuruft, geht unter im Falcos Todesgesang, welches mein Trommelfell malträtiert.
Ein Quietschen und Hupen von weit weg holt mich zurück in die Realität.
Zwei Schritte rückwärts, bevor das Auto haarscharf an mir vorbeifährt.
„Out of the dark, dark, dark!", das Geschimpfe des Mannes im Auto wird von meinen Kopfhörern übertönt.
Das schmettern in meiner Brust nimmt mich so ein, dass ich gar nicht auf seinen Mittelfinger reagiere, den er aus dem Auto hält.
„Into the light, light, light!"
Fuck, ich muss besser auf mich aufpassen!
Das schwarze Auto biegt links ab, außer Sichtweite.
Kurz blicke ich zum Gebäude, in dem ich heute gearbeitet habe. Davor steht noch Angela, die mich stumm anschaut.
Ich reiße meinen Blick los und laufe weiter.
Warum musste dieses Miststück mich auch ablenken! Der hätte mich fast angefahren!
Diesen stummen Vorwurf versuche ich die ganze Zeit gegen sie zu richten, bis es mir klar wird, als ich aus dem hohen Fenster in meinem Zimmer rausschaue.
Wie eine leise Stimme, die mir sagt, dass es auch meine Schuld ist, dass ich mich so provozieren lasse.
„Nein, Angela weiß genau, wie sie jeden provozieren kann, die ist schuld."
Trotzdem kommt diese Lüge nicht gegen den Klang meines Schuldeingeständnis an..
Aus dem Kühlschrank nehme ich mir eine Glasflasche.
Als der Drehverschluss knackt und mir die Cola aus intensiven bio-zertifizierten Gewürzextrakten meinen Hals hinunterrinnt, vibriert mein Handy.
straßenkünstlerin wicked
|15:05| straßenkünstlerin wicked: hey, den tag fand ich sehr nett. hoffe der werte herr fightclubphilosoph kann das gleiche sagen haha.
|15:06| Ich: Ist doch was haha
|15:06| straßenkünstlerin wicked: habe endlich ein buch über philosophie durchgelesen, ist echt interessesant.
|15:10| Ich: Nah, paar Kollegen in der Ausbildung schieben Stress, frag nicht
|15:14| straßenkünstlerin wicked: das ist gar nicht geil, wie kommst du damit zurechtkommt?
Eigentlich will ich das gar nicht anreißen, wenn sich Angela geil damit fühlt, morgen jedem zu stecken, wie ich fast angefahren wurde. Ohne auf ihre Frage einzugehen, tragen mich meine Füße zum Eckfenster in der Küche. In die tiefe Innentasche meiner Jacke verstaue ich mein Getränk, als ich mich auf der breiten Fensterbank nach außen beuge.
Unter mir geht es sechs Stockwerke hinab.
Gezwungen langsam umgreift meine Hand das Holz des Fensterrahmens, während mein anderer Arm sich immer weiter dem Geländer der Feuertreppe nähert. Mein Bein schnellt vor, damit gleich meine Fußspitze im Gatter des Notausganges Halt findet.
Für einen kurzen Moment werde ich fallen. Mit dem Bein und der Hand im Fensterrahmen stoße ich mich ab, damit ich den Abstand überbrücken kann.
Langsam füllen sich meine schnell arbeitenden Lungen mit Luft.
Versuche langsam auszuatmen!
Panisch flattert der Vogel in meiner Brust.
Ich stoße mich von der Fensterbank ab.
Wieder falle ich.
Das Rotkehlchen hält regungslos die Flügel still.
Ein fast endloser Bruchteil von Sekunden, als auch meine andere Hand sich um das Geländer schließt.
Langsam schwinge ich mich über das Gerüst, was am Hochhaus anschließt und gehe die letzten vier Geschosse in die Höhe. Die Feuerleiter neben der Fluchttür führt auf das Dach.
Das Adrenalin pocht noch durch meine Rippen, als ich auf dem Dach stehe.
Heiß strahlt die Sonne, der Schweiß klatscht auf meine frische Kleidung.
Stumm winke ich Juliana zu, zur Begrüßung hebt meine Mitbewohnerin den Kopf etwas.
Ohne etwas zu sagen setze mich zu ihr.
Die Schlucke von meinem Getränk schmecken hier bei der Hitze auf dem Dach besser, wie sie den Hals herunterfließen.
Ich will Wicked antworten, nur stelle ich fest, dass ich kein Empfang habe.
„Du bist auf dem Dach und willst dich trotzdem ablenken."
Irritiert schaue ich zu ihr auf.
„Wie meinst du das?"
Sie schüttelt nur den Kopf und schaut in die Ferne.
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