Ich hatte früher ja immer gedacht, die Landschaft in Oberbayern oder Südtirol wäre unglaublich schön, aber im Vergleich zu dem, was ich jetzt sah – wow.

Die Wiesen leuchteten in einem fast schon künstlichem hellgrün, Vögel zwitscherten und es duftete herrlich nach einer Mischung aus Harz, frischen Blumen und klarer Bergluft, die man in unserer Welt höchstens in entlegenen Gebirgstälern finden konnte. Neben uns rauschte ein schmaler Bach und ich hatte wirklich Lust, meine Turnschuhe auszuziehen und meine Füße darin zu versenken.
Aber die Zwerge hatten natürlich kein Auge für diese Schönheit (vielleicht waren sie aber auch einfach so daran gewöhnt wie wir an Beton, Supermärkte und lärmende Autos, dass sie es gar nicht mehr richtig wahrnahmen).

„Ich hab es gesagt. Hab ich's nicht gesagt? Herzukommen war reine Zeitverschwendung", ereiferte sich Dori, „Närrischer Gedanke, ein Halbling?"

Yara und Anna, die gemeinsam auf einem Pony vor mir ritten, drehten sich synchron zu mir um und wir grinsten uns an. Drei, zwei, eins...

„Wartet! Wartet!", ertönte Bilbos Ruf und keine Sekunde später sahen wir den Hobbit schon auf uns zurennen. Überrascht stoppten die Zwerge ihren Ritt und tauschen staunende Blicke. Ja, damit hätten sie nicht gerechnet...

„Ich hab unterzeichnet!", rief Bilbo und reichte Balin den Vertrag, „Hier!"

Balin überprüfte die Unterschrift mit einer Lupe und wechselte dann einen Blick mit dem lächelnden Gandalf.

„Es scheint alles in Ordnung zu sein", erklärte er, „Willkommen, Meister Beutlin, in der Gemeinschaft von Thorin Eichenschild."

Einzelne Zwerge lachten erfreut, genauso wie wir. Selbstverständlich hatten wir mit ihnen gewettet. Ich freute mich schon auf unsere Belohnung, das war schließlich unser erstes selbst verdientes Geld in Mittelerde! Nun flogen die Geldbeutel umher und Bilbo, der von Kili und Fili auf ein Pony gehoben worden war und ein wenig verloren darauf hockte, fragte verwirrt: „Worum geht's?"

„Oh, sie haben Wetten abgeschlossen, ob du auftauchst oder nicht. Die meisten haben gewettet, du würdest es nicht tun", erklärte Gandalf.

„Was hast du geglaubt?", erkundigte sich der Hobbit, doch seine Frage wurde in dem Moment beantwortet, als der Zauberer ein Geldsäckchen fing. „Mein lieber Freund, ich habe keine Sekunde an dir gezweifelt", meinte er mit einem Lächeln. Und wir auch nicht, Bilbo!

Einmal wurde es noch kritisch, und zwar als Bilbo aufgrund seiner Pferdehaarallergie niesen musste und merkte, dass er sein Taschentuch vergessen hatte, weshalb er natürlich umkehren wollte. Als ob es Allergien schon in Mittelerde gab! Vielleicht war der ein oder andere laktoseintolerant und wusste es nicht einmal...

Zwerge hielten Taschentücher anscheinend nicht für wichtig, denn Bofur riss ein Stück seines Hemdes ab (das musste ja echt ne beschissene Qualität haben...) und warf es Bilbo zu, der es mit den Fingerspitzen auffing und skeptisch begutachtete. Natürlich lachten die Zwerge wieder und trieben ihre Ponys erneut an.

Mir tat Bilbo leid, mit Bofurs Hemd wollte ich mir nun wirklich nicht die Nase putzen... Deshalb griff ich in die Seitentasche meines Rucksacks, in der immer alles mögliche rumflog. Tatsächlich fand ich dort eine angebrochene Packung Taschentücher. Zwar nur von Aldi, dafür aber mit einem schönen Strandmotiv auf der Verpackung.

„Du kannst meine haben", rief ich und warf sie dem Hobbit zu, „die kann man leider nicht oft benutzen und untersteh dich, die Benutzten einfach so in die Landschaft zu schmeißen! Das ist Umweltverschmutzung, weißt du?"

„Danke", rief Bilbo mir zu, „ich werde sie sicher verwahren und die alten im Feuer verbrennen. Wer kommt auch darauf, nicht wiederverwendbare Taschentücher herzustellen? Da ist mir mein gutes Stofftaschentuch lieber..."

Gandalf seufzte: „Du wirst ohne Taschentücher und jede Menge anderer Dinge auskommen müssen, Bilbo Beutlin, bis wir am Ende unserer Reise angelangt sind. Deine Heimat sind die sanften Hügel und kleinen Flüssen des Auenlandes. Aber daheim verblasst und die Welt rückt nach."