29.
„Katharina, ich möchte jetzt endlich wissen, wo du da hineingeraten bist und warum du gestern Abend mit einem angebrochenen Arm und einer Gehirnerschütterung in ein Krankenhaus irgendwo am Arsch der Welt eingeliefert wurdest", sagte Kathys Mutter streng, während sie eine dampfende Tasse mit Kamillentee vor sie auf den Tisch stellte. Immer, wenn ihre Mutter sie Katharina anstatt Kathy nannte, konnte sie sich sicher sein, dass es Ärger geben würde. Das war schon immer so gewesen.
„Nicht am Arsch der Welt, sondern in Coesfeld", murmelte Kathy und zupfte mit den Fingern ihrer rechten Hand an dem Teebeutel herum. Angeblich sollte Kamillentee beruhigend und entspannend wirken. Bei ihr wären im Moment wahrscheinlich mehrere Liter davon nötig.
Ihr linker Arm war dick eingegipst. Glücklicherweise war er nur angebrochen und die Chancen standen gut, dass alles schnell wieder verheilen würde.
Kathy hatte die Nacht in einer Coesfelder Klinik verbracht und der übernächtigte Arzt, der sie behandelt hatte, hätte sie am liebsten eine weitere Nacht zur Beobachtung dabehalten. Schließlich hatte sie zusätzlich zur ihrer Armverletzung auch noch eine leichte Gehirnerschütterung, die sie sich bei ihrem Sturz in die Grube zugezogen hatte. Ihre Mutter war derselben Meinung wie der Arzt, doch Kathy wollte auf keinen Fall weiter im Krankenhaus bleiben und hatte darauf bestanden, direkt nach dem Frühstück nach Hause zu gehen. Das sterile, trostlose Krankenzimmer war ihr unheimlich deprimierend vorgekommen und sie wollte wieder zurück nach Münster, in ihre vertraute Umgebung.
Also hatte sich ihre Mutter spontan einen Urlaubstag genommen und sie in Coesfeld abgeholt. Von dort aus waren sie zuerst zu Kathys Wohnung gefahren, um ein paar Sachen zusammenzupacken, denn alleine würde sie in den nächsten Tagen mit nur einem brauchbaren Arm wohl nur schwer zurechtkommen.
Unterwegs hatte sie im Lokalradio eine Meldung mitgehört, die besagte, dass die Todesumstände der Frauenleiche aus dem Aasee - Luisa - geklärt worden waren. Laut dem Polizeipressesprecher, wurde diese während eines Streites von ihrem Freund getötet. Ob es sich um einen Unfall mit Todesfolge oder Totschlag handelte, sei noch nicht gänzlich geklärt. Insgeheim war sie froh, dass Melanie nicht auch noch damit etwas zu tun hatte.
Erneut hatte Kathy überlegt, Florentine anzurufen, die Idee aber schnell wieder verworfen. Schließlich hatte Florentine gerade ihre Halbschwester verloren und Kathy wusste aus eigener, bitterer Erfahrung, dass man trauernden Menschen ihre Zeit lassen sollte. Außerdem schämte sie sich einfach zu sehr für ihre Eifersucht und dafür, wie sie mit Florentine umgegangen war. Vielleicht würde sie irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt Gelegenheit bekommen, sich bei ihr zu entschuldigen. Nachdem sich die ganze Aufregung etwas gelegt hatte. Falls das überhaupt jemals geschehen würde.
Nun saß Kathy in der Küche ihrer Mutter, musste jedoch schnell feststellen, dass sie sich hier, in ihrem alten Zuhause, auch nicht viel besser fühlte als in der Klinik, zumal ihre Gedanken ununterbrochen um die jüngst vergangenen Ereignisse kreisten. Und ihre Mutter machte es mit ihrer ungeduldigen Fragerei auch nicht unbedingt besser.
„Also? Ich warte auf deine Erklärung!"
Kathy hatte absolut keine Lust, ihr die ganze Wahrheit zu erzählen, denn dazu müsste sie weit ausholen, angefangen bei Daniels kriminellen Machenschaften und bis zu Melanies fanatischer Suche nach dem Geld, die in der Beinahe-Katastrophe am Vorabend geendet hatte. Das alles war schon kompliziert genug und ließ sich nur schwer in Worte fassen.
Was sie ihrer Mutter aber auf gar keinen Fall erzählen wollte, war, dass sie es tatsächlich in Erwägung gezogen hatte, Melanie in der Grube einzuschließen. Sie konnte es selbst immer noch nicht fassen und war schockiert über ihre eigene Kaltblütigkeit, auch wenn sie Melanie letztlich doch wieder hochgezogen und dafür fast mit ihrem eigenen Leben bezahlt hatte.
Plötzlich klingelte es an der Tür.
Jetzt fängt das hier auch schon an!
Inständig hoffte sie, dass das irgendein Besuch für ihre Mutter war, denn dann könnte sie das unangenehme Gespräch mit ihr etwas länger hinauszögern.
„Niklas, schaust du mal bitte, wer da an der Tür ist!", brüllte ihre Mutter durch die Wohnung und hatte scheinbar nicht vor, Kathy so einfach davonkommen zu lassen.
Es klingelte noch einmal, diesmal etwas dringlicher als vorher.
„Nik-laaaaaas!"
„Ich geh ja schoooon!", kam die genervte Antwort aus Niklas' Zimmer.
Wenige Augenblicke später kam er zu ihnen in die Küche und schaute Kathy mit großen Augen an. „Da ist jemand von den Bu... von der Polizei für dich."
Direkt hinter Niklas war Kommissar Plattenberg in die Küche getreten. Sofort breitete sich ein flaues Gefühl in Kathys Magengegend aus und sie war sich nicht mehr sicher, ob das Gespräch mit ihrer Mutter nicht ungefährlicher wäre als das, was jetzt unweigerlich kommen würde.
„Einen wunderschönen guten Morgen, die Damen!", begrüßte er sie aufgesetzt freundlich. „Hoffentlich störe ich Ihre kleine, freudige Familienzusammenkunft nicht."
Doch, tust du, dachte Kathy grimmig.
„Freudig sieht eher anders aus", bemerkte ihre Mutter und musterte den Mann skeptisch.
Doch er ließ sich davon nicht beirren und wandte sich an Kathy:
„Wie erfreulich, dass Sie nicht mehr im Krankenhaus sind, Frau Weißner."
„Ich wollte da nicht länger bleiben. Ich mag keine Krankenhäuser", erklärte sie. Na, bitte! Schon wieder laberte sie irgendein dummes Zeug. „Woher wissen Sie überhaupt, dass ich hier bin?"
„Ich bin bei der Polizei, es ist mein Job, so etwas zu wissen." Er ließ seinen üblichen, leicht überheblichen Blick über sie hinweggleiten. „Es gibt noch einige Unklarheiten bezüglich der gestrigen Ereignisse, die ich gerne mit Ihnen besprechen würde."
„Allerdings! Das würde ich auch gerne!", mischte Kathys Mutter sich erneut ein.
„Unter vier Augen", fügte der Kommissar mit Nachdruck hinzu und sah ihre Mutter auffordernd an.
„Warum kann ich nicht dabei sein? Ich bin die Mutter!"
„Ihre Tochter ist schon groß. Sie schafft es auch allein, ohne Mama."
Am liebsten wäre Kathy im Boden versunken. Der Wortwechsel kam ihr unheimlich peinlich vor. Die beiden sprachen über sie, als wäre sie ein Grundschulkind und gar nicht im Raum anwesend.
Mit einem verärgerten Schnauben, fasste ihre Mutter den neugierig dreinschauenden Niklas am Arm und zog ihn mit sich aus der Küche hinaus.
Plattenberg setzte sich unaufgefordert zu Kathy an den Tisch, stützte die Ellenbogen darauf und faltete die Hände, wie zum Gebet. Erst jetzt fiel Kathy das große Pflaster auf seinem rechten Handrücken auf und sie konnte sich nicht erinnern, es am Vortag schon gesehen zu haben. Allerdings hatte sie in der ganzen Aufregung auch nicht auf so etwas geachtet.
Aufmerksam schaute er sie an, als würde er sie hypnotisieren wollen. Unbehaglich rührte sie in ihrem inzwischen sicherlich bereits kalt gewordenem Tee herum und wünschte sich, er würde damit aufhören. Die Situation erinnerte sie schmerzlich an seinen ersten Besuch vor fast genau einer Woche. An den Tag, an dem ihr Leben gewaltsam in ein Vorher und ein Nachher geteilt wurde.
„Wie geht es Ihnen denn heute?", erkundigte der Kriminalbeamte sich.
Kathy hatte das Gefühl, dass ihr Gesundheitszustand ihn nicht wirklich interessierte und er nur aus reiner Höflichkeit fragte.
„Mein Arm ist angeknackst. Und eine leichte Gehirnerschütterung habe ich auch", murmelte sie. Vielleicht würde er sie deshalb nicht allzu sehr in die Mangel nehmen? Allerdings traute sie ihm so viel Nachsicht nicht wirklich zu.
„Tut mir leid, das zu hören."
Ein paar Augenblicke ungemütlicher Stille folgten, bis er endlich weitersprach:
„Frau Weißner, bedauerlicherweise sind wir gestern nicht mehr dazu gekommen, uns eingehender über die vorangegangenen Geschehnisse zu unterhalten. Das möchte ich nun nachholen. Besonders der genaue Ablauf der Ereignisse bis zu dem Zeitpunkt, als meine Kollegin und ich am Ort des Geschehens eintrafen, würde mich interessieren. Deswegen würde ich Sie bitten, mir diesen noch einmal im Detail zu schildern."
Kathy schluckte. Ihr Mund fühlte sich auf einmal staubtrocken an. Sie nahm einen Schluck von ihrem lauwarmen und viel zu starken Tee und verzog angewidert das Gesicht.
„Das... habe ich Ihnen doch gestern schon erzählt, bevor mich der Rettungswagen ins Krankenhaus fuhr", krächzte sie unsicher.
„Leider waren Ihre gestrigen Schilderungen ziemlich durcheinander und lückenhaft. Möglicherweise hilft es Ihrem Erinnerungsvermögen, wenn ich Ihnen einige Fragen stelle? Versuchen wir es einfach von Beginn an: Wie und aus welchem Grund sind Sie gestern zusammen mit Melanie Hubner auf das ehemalige Hotelgelände gelangt?"
„Also, ich...", begann Sie zu stammeln, „... Melanie ist wieder zu mir gekommen und hat mich gebeten, ihr noch einmal bei der Suche nach dem Geld zu helfen."
„Und da sind Sie selbstverständlich mitgekommen, obwohl es keine 24 Stunden her war, dass Sie, Melanie und Florentine Frost an ebendiesem Ort auf frischer Tat beim Hausfriedensbruch erwischt wurden." Jegliche Höflichkeit war aus seiner Stimme gewichen und hatte einem kalten Verhör-Ton Platz gemacht.
Verängstigt senkte Kathy den Blick und sagte nichts. Sie konnte ihm ja schlecht erzählen, dass sie nur mit Melanie mitgekommen war, um sie in der Grube einzusperren und dort verrecken zu lassen. Dann würde er sie sofort verhaften. Vielleicht wäre das aber auch gar nicht so verkehrt. Schließlich machte ihr Vorhaben sie nicht unbedingt besser als Melanie.
Der dumpfe Schmerz hinter ihren Augen verstärkte sich. Die Wirkung des Schmerzmittels schien allmählich nachzulassen.
„Wie sind Sie in diesen unterirdischen Lagerraum gekommen, Frau Weißner?"
Sie musste nicht hochschauen, um zu sehen, dass Plattenberg sie weiterhin anstarrte.
„Irgendwie... sind Melanie und ich in Streit geraten und... dann hat sie mich hinein geschubst." Das war nicht einmal ganz gelogen.
„Das ist nicht viel mehr, als das, was Sie gestern gesagt haben. Weswegen haben Sie sich gestritten? Ging es um das Geld?"
Das Geld. Sie konnte es nicht mehr hören.
„Nein, ich... habe herausgefunden, dass Melanie Daniel getötet hat", gab Kathy mit brüchiger Stimme zu.
„Wie?"
„Sie... hat mir diesen Ring gegeben und... da wusste ich's."
„Den Verlobungsring, den Daniel anfertigen ließ?"
Überrascht hob sie den Kopf. „Sie wissen davon?"
„Wo ist der Ring jetzt?", wollte Plattenberg wissen, ohne auf ihre Frage einzugehen.
„Ich glaube, er liegt immer noch bei mir in der Wohnung im Wohnzimmer. Ich habe ihn dort liegengelassen, bevor wir losgefahren sind."
„Also hat Melanie Ihnen den Ring gegeben, bevor Sie beide nach Billerbeck aufgebrochen sind?"
„Ähm... ja." Nervös nestelte Kathy an ihrem Gips herum. Hatte sie vielleicht etwas falsches gesagt?
„Dann müssten Sie doch bereits zu diesem Zeitpunkt vermutet haben, dass Melanie die Täterin ist?", ließ Plattenberg nicht locker. „Und Sie sind trotzdem mit ihr mitgekommen, um ihr bei der Suche nach dem Geld zu helfen? Dem Geld, das wahrscheinlich mit ein Grund dafür war, weshalb Melanie ihren Bruder überhaupt getötet hat?"
„Ich...", hilflos brach sie ab.
„Kann es sein, dass Sie mir etwas verschweigen, Frau Weißner? Warum sind Sie wirklich mit Melanie mitgekommen?" Der Kommissar beugte sich zu ihr vor, sodass seine mit breiten, dunkelrot-blauen Streifen gemusterte Krawatte nach vorne fiel und an die Tischkante stieß.
Kathy schluchzte leise auf. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie es nicht mehr zurückhalten konnte, weil ihr schlechtes Gewissen ihr sonst keine Ruhe mehr geben würde.
„Ich war so wütend auf Melanie!", brach es aus ihr heraus. „Ich wollte sie da herunterstoßen, in dieses Loch! Hinein, zu diesem ekelhaften Geld, das überhaupt erst Schuld an allem war! Ich wollte Daniel rächen. Es war doch nicht fair, dass sie lebte, während er tot war! Ich war schon kurz davor, die Luke zu schließen! Doch... ich habe es nicht geschafft."
Sie spürte, wie ihr die Tränen die Wangen herunterkullerten. War seit dem letzten Donnerstag überhaupt ein Tag vergangen, an dem sie nicht geheult hatte?
„Was hat Sie dazu bewogen, es sich doch anders zu überlegen?", fragte Plattenberg weiter, nun wieder in einem etwas verträglicheren Ton.
Schniefend wischte Kathy sich mit dem Handrücken über ihre feuchten Augen.
„Melanie hat angefangen zu weinen und hat zu mir hochgeschaut, mit ihren großen Kinderaugen. Sie meinte, dass sie Daniel nicht wirklich töten wollte und es nur aus Verzweiflung getan hatte, weil er ihr das Geld nicht geben wollte und sie sonst keinen Ausweg sah, die Schulden ihrer Eltern zu bezahlen. Ich wollte ihr das wirklich glauben, verstehen Sie? Deshalb habe ich sie wieder hochgezogen. Doch dann hat sie mich plötzlich hinuntergestoßen. Ihre angebliche Reue... es war alles nur gespielt..." Kathy verstummte und starrte in ihren mittlerweile kalten und völlig ungenießbaren Tee.
Einerseits war sie froh, dass die ganze Wahrheit endlich raus war, doch wirklich besser fühlte sie sich dadurch nicht.
„Jetzt verhaften Sie mich ganz bestimmt, oder?" Eigentlich war es ihr inzwischen egal.
„Warum sollte ich das tun?"
Verblüfft blickte sie hoch. „Aber...ich wollte Melanie doch töten?"
„Wollten Sie das?"
Kathy schwieg. Sie wusste es selbst immer noch nicht.
„Haben Sie Melanie gezwungen, in die Grube hinabzusteigen?"
Sie schüttelte langsam den Kopf.
„Haben Sie die Falltür zugemacht?"
Abermals schüttelte sie den Kopf.
„Sehen Sie? Ich kann keinen Grund erkennen, weshalb ich Sie festnehmen sollte", meinte Plattenberg. „Melanie hat übrigens nicht gegen Sie ausgesagt. Sie hat kein einziges Wort darüber verloren, dass Sie sie einschließen wollten. Wie ich finde, sollten wir es dabei belassen."
Völlig verwirrt starrte Kathy ihn an.
„Und warum wollten Sie das alles dann überhaupt wissen?"
„Sagen wir es mal so: Ich mag es nicht besonders, wenn ich mir etwas nicht erklären kann", sagte er daraufhin nur. „Apropos, da gäbe es noch etwas, was ich Sie gerne fragen würde."
Kathys kurzzeitige Erleichterung verwandelte sich erneut in Alarmbereitschaft. Was denn noch?
„Das Geld, das Melanie und Sie gefunden haben", fuhr Plattenberg fort, „ist bei Weitem nicht die ganze Summe, die Daniel und seine Komplizin erpresst haben. Ein beträchtlicher Teil fehlt immer noch. Sie wissen nicht zufällig etwas über dessen Verbleib?" Mit fragend hochgezogener Augenbraue schaute er sie an.
„Ich habe keine Ahnung, wo das Geld sein könnte", antwortete Kathy wahrheitsgemäß. „Ich wusste doch gar nichts davon, bis Melanie es mir erzählt hatte!"
„Und Sie haben überhaupt keine Idee, wo Daniel den Rest versteckt haben könnte? Hat er sich nicht recht häufig in Ihrer Wohnung aufgehalten?"
„Aber ich habe schon überall nachgesehen, als Melanie mich darum bat! Sogar im Spülkasten und im Lüftungsschacht auf der Toilette!"
„Da waren Sie aber in der Tat sehr sorgfältig. Ein anderer Ort fällt Ihnen auch nicht ein?"
„Nein, eigentlich nicht."
„Sicher?"
„Ja." Sie versuchte, ihre Stimme nicht allzu genervt klingen zu lassen. Jetzt wusste sie wieder, warum sie diesen Typen nicht ausstehen konnte.
„Und wenn Sie noch einmal ganz gut nachdenken? Irgendein abgelegener, wenig frequentierter Ort, wo man gut eine große Menge Bargeld verstecken könnte?"
Kathy tat ihm den Gefallen und dachte fieberhaft nach, obwohl das ihre Kopfschmerzen weiter verstärkte. Kannte Sie so einen Ort?
Plötzlich holte Sie scharf Luft. Konnte es sein, dass...
„Ist Ihnen doch noch etwas eingefallen, Frau Weißner?"
Sie fand ihre Vermutung zwar mehr als abwegig, beschloss aber dennoch, sie zu äußern:
„Mein Großvater hatte einen Schrebergarten, draußen in Gremmendorf. Als er vor ein paar Jahren gestorben ist, hat meine Mutter den Garten übernommen, doch sie benutzt ihn kaum. Sie hat auch überhaupt keinen grünen Daumen."
„Wusste Daniel von diesem Kleingarten?"
Sie nickte. „Vor einiger Zeit hat meine Mutter ihn gebeten, ihr damit zu helfen. Immerhin hat Daniel vor seinem Jurastudium die Lehre bei seinem Vater gemacht. Er war nicht sehr begeistert, hat uns aber trotzdem geholfen, den Garten in einen mehr oder weniger vorzeigbaren Zustand zu bringen. Da steht auch so ein kleines Gartenhaus und ein Geräteschuppen. Ein paar Mal sind Daniel und ich da auch nur zu zweit rausgefahren, um dort... na ja, Sie wissen schon... ungestört zu sein."
Verlegen spielte Kathy wieder an dem Teebeutel herum. Sie erinnerte sich an die wenigen Male, als sie zusammen mit Daniel bis spät in die Nacht auf der Bank vor dem Gartenhäuschen gesessen und ihre Zweisamkeit genossen hatten. Über ihnen der Sternenhimmel und um sie herum Grillenzirpen und andere nächtliche Naturgeräusche. Damals, vor langer, langer Zeit, als alles noch in Ordnung war...
Sie fragte sich, warum ihr das nicht schon früher eingefallen war. Das Gartenhäuschen wäre ein perfektes Versteck für Florentine gewesen, als diese auf der Flucht vor der Polizei war. Doch in dem Moment hatte Kathy gar nicht an den Schrebergarten ihrer Mutter gedacht. Die Trauer um Daniel hatte sie einfach nicht klar denken lassen und ihr Kopf war voll mit anderen Sachen gewesen.
„Sie denken also, dass Daniel den Schrebergarten Ihrer Mutter als Versteck hätte benutzen können? Wäre das nicht zu riskant?", riss die Stimme des Kommissars sie wieder aus Ihren Gedanken.
Kathy zuckte mit den Schultern. „Meine Mutter benutzt den Garten eigentlich nur im Sommer gelegentlich. Jetzt im Herbst und im Winter kommt da keiner hin."
„Hätte Daniel überhaupt Zugang dazu? Hatte er einen Schlüssel zum Gartenhaus?"
„Ich habe einen Schlüssel. Den hätte er einfach nehmen können. Außerdem kann man das Schloss bestimmt auch leicht knacken."
Nachdenklich fummelte Plattenberg an seiner teuer wirkenden Uhr herum.
„Sie haben den Schlüssel nicht zufällig bei sich?", fragte er dann.
Bedauernd schüttelte sie den Kopf. „Aber meine Mutter hat ihren ja hier."
„Wie praktisch. Sicherlich wird sie ihn mir für einige Zeit ausleihen, wenn ich nett frage." Er stand auf, strich sein schmal gestreiftes, hellblau-weißes Hemd glatt, richtete die Krawatte und knöpfte die dunkelblaue Anzugjacke zu. Kathy bezweifelte stark, dass er wusste, was das Wort nett überhaupt bedeutete.
„Und sollte das nicht klappen, dann hole ich mir einen sehr netten Durchsuchungsbeschluss", fügte er hinzu und wollte sich schon auf den Weg hinaus aus der Küche machen.
„Warten Sie!", hielt Kathy ihn zurück.
„Ja?"
Sie zögerte kurz, bevor sie sich überwinden konnte, ihre Frage zu stellen:
„Was ist denn jetzt mit Melanie? Hat sie es zugegeben?"
„Melanie war geständig und befindet sich nun in Untersuchungshaft, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach bis zum Beginn ihres Gerichtsprozesses bleiben wird."
„Warum?", flüsterte Kathy. „Warum hat sie das gemacht? Warum hat sie ihn getötet? Wegen des Geldes? Weil Sie ihm die Schuld an Elkes Unfall gibt? Warum nur?" Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. Das würde wohl noch eine ganze Weile so weitergehen.
Kommissar Plattenberg schien ganz genau zu überlegen, was er daraufhin sagen sollte.
„Es tut mir leid, Frau Weißner, aber diese Frage kann Ihnen wohl nur Melanie selbst beantworten. Wenn überhaupt."
Und mit dieser unbefriedigenden Antwort, ließ er Kathy einfach, wie vor einer Woche schon, am Küchentisch sitzen und verschwand genauso plötzlich aus ihrem Leben, wie er darin aufgetaucht war.
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