21.
Glücklicherweise konnte Jessica sich durchsetzen, diesmal selbst zu fahren. Erstens wusste sie, wo man in der Innenstadt am besten parken konnte und zweitens konnte sie, wenn sie unbedingt Achterbahn fahren wollte, in einen Freizeitpark gehen.
Während der Fahrt musste sie sich natürlich die ganze Zeit blöde Kommentare anhören, wie etwa, warum sie denn so langsam fahre, warum sie bei gelb an der Ampel anhalte - obwohl es schon tiefrot war - oder warum sie die ganzen nervigen Radfahrer nicht einfach platt walzte. Sie ignorierte das entnervende Rumgenöle so gut es ging.
Tatsächlich konnten sie in einer gerade freigewordenen Parklücke in der Nähe der Überwasserkirche parken, in die Jessicas Wagen gerade so reinpasste. Von dort aus waren es über den Aa-Seiten-Weg nur etwa fünf Minuten Fußweg bis zu ihrem Ziel.
Dem ersten Eindruck nach, schien das Restorante DeRose in einer deutlich höheren Preisklasse zu liegen als eine gewöhnliche Pizzeria, auch wenn es bei weitem kein Luxusrestaurant war. Im Sommer musste es draußen auch eine Terrasse geben, von der aus man einen schönen Blick auf den Anfang des Prinzipalmarktes und auf den im Hintergrund gotisch dunkel gen Himmel ragenden Turm der Lambertikirche hatte.
„Schade, dass man von hier aus die Wiedertäufer-Käfige nicht sieht", meinte Plattenberg. „Das wäre doch ein sehr schöner Anblick beim Essen. Noch stimmungsvoller wäre es natürlich, wenn in den Käfigen immer noch die Skelette drin wären."
„Sie sind ja ein echter Romantiker", murmelte Jessica. Warum musste eigentlich jeder von außerhalb immer auf der alten Geschichte mit den Wiedertäufern herumreiten?
„Ich weiß." Er blickte auf seine Uhr. Dem am Eingang angebrachten Schild mit den Öffnungszeiten zufolge, hatte das DeRose vor fünfzehn Minuten geöffnet.
„Vielleicht sollten Sie da nicht unbedingt mit reinkommen, Frau Schillert", sagte Plattenberg plötzlich.
„Warum?"
„Na ja, wenn das tatsächlich eine richtige Mafiahöhle ist... Um mich wäre es ja nicht ganz so schade..."
„So ein Quatsch!", widersprach Jessica, obwohl ihr bei dem Gedanken, ohne SEK in eine mutmaßliche Einrichtung der Mafia reinzugehen, wirklich etwas mulmig wurde. Außerdem ‒ auch, wenn sie das niemals freiwillig zugeben würde ‒ würde sie sich sicherlich Sorgen machen, wenn er da alleine reinging und sie draußen warten und nicht wissen würde, was drinnen vor sich ging. Und schließlich war es schwerer, mit zwei bewaffneten Polizisten fertig zu werden, als nur mit einem. Außer, die nieten uns einfach mit dem Maschinengewehr um...
„Ich komme mit!", entschied sie trotzdem und vergewisserte sich vorsichtshalber, ob sie ihre Waffe auch wirklich dabei hatte.
„Wie Sie möchten", erwiderte er und zuckte betont gleichgültig mit den Schultern, legte die Hand auf den Türgriff und drückte die Tür auf.
Die Einrichtung des DeRose war in mediterran anmutenden, warmen Braun-und Sandtönen gehalten, jeden Tisch zierten eine weiße Tischdecke und eine Kerze. Im Eingangsbereich plätscherte ein kleiner Springbrunnen leise vor sich hin. Auch gab es eine Bar, die vermutlich in den Abendstunden öffnete. An der Wand hinter dem Bartresen waren zahlreiche Flaschen mit nicht ganz billigen Spirituosen zu sehen.
Da das Restaurant gerade erst geöffnet hatte, war nur ein einziger Tisch besetzt, von einem älteren Ehepaar, das sich verzückt Bilder auf dem Display einer Digitalkamera anschaute. Wahrscheinlich Touristen auf einem Städtetrip durch die westfälische Domstadt.
Kaum waren Jessica und Plattenberg durch die Tür getreten, kam hinter der Bar sofort ein junger Mann mit dunklen Locken auf sie zugelaufen, mit einem weißen Hemd und einer langen, schwarzen Kellnerschürze über einer ebenfalls schwarzen Hose gekleidet.
„Guten Tag, darf es ein Tisch für zwei sein?", fragte er mit einschmeichelndem Lächeln und völlig akzentfrei.
„Für drei", korrigierte Plattenberg und hielt ihm seinen Dienstausweis hin. „Ihr Chef wird uns nämlich Gesellschaft leisten."
Das Lächeln des Mannes fror erst ein und verblasste dann nach und nach.
„Warten Sie kurz." Er drehte sich um und hastete davon.
Wenige Augenblicke später kam er wieder und führte sie durch einen Durchgang, an der Küche vorbei und in den hinteren Bereich des Restaurants, der nicht für den Publikumsverkehr gedacht war.
An einer Bürotür mit dem Schild Geschäftsführung blieb er stehen, klopfte leise und öffnete dann die Tür.
Hinter einem großen Holzschreibtisch saß ein Mann mit grauen Haaren, einem kurzen, ebenfalls grauen Vollbart und einer Brille mit rechteckigen Gläsern und schwarzem Gestell. Auf den ersten Blick, wirkte er nicht wirklich wie ein Mafioso, allerdings hatte Jessica bisher auch noch keinen echten gesehen.
Er erhob sich und breitete einladend die Arme aus. Unter dem weißen Hemd, das er zu einem dunkelgrauen Jackett trug, war gut sichtbar ein kleiner Bauchansatz zu bemerken, was bei einem Restaurantbesitzer wohl nicht verwunderlich war.
„Benvenuti! Sie Platz und fühlen Sie sich wie zuhause", sagte er mit hörbarem, italienischen Akzent. Obwohl er lächelte, strahlten seine graublauen Augen hinter den Brillengläsern eine ungemütliche Kälte aus. „Besuch von der Polizia hatten wir schon länger nicht mehr. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen caffè vielleicht?"
„Aber gerne! Wie wäre es mit einem echten, italienischen Espresso, damit meine bezaubernde Kollegin hier endlich mal einen richtigen Kaffee zu schmecken bekommt", nahm Plattenberg das Angebot an. Jessica warf ihm einen bösen Blick zu, doch er hatte dafür wie immer nur ein belustigtes Schmunzeln übrig.
Francesco DeRose nickte dem Kellner kurz zu, woraufhin dieser durch die Tür verschwand und sie leise hinter sich schloss.
„Könnte ich bitte nochmal Ihre Dienstausweise sehen?", wandte er sich dann wieder an sie, nachdem sie auf den angebotenen Stühlen Platz genommen hatten.
Ihnen blieb nichts anderes übrig, als seiner Bitte nachzukommen, da sie sich als Kripobeamte immer ausweisen mussten, wenn sie jemanden befragten und nicht gerade Undercover unterwegs waren. Was, anders als in einschlägigen TV-Krimis suggeriert wurde, so gut wie nie vorkam.
Der mutmaßliche Mafioso hob seine Brille etwas an und betrachtete die Ausweise sehr genau. Anhand ihrer Namen würde es mit den richtigen Kontakten, die er zweifellos hatte, ein Leichtes für ihn sein, auch an andere persönliche Daten, wie etwa ihre Adressen und ihre Familienverhältnisse, dranzukommen. Unwillkürlich musste Jessica an ihre Eltern, ihre Brüder und deren Familien denken. Das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend verstärkte sich noch mehr. Unauffällig schaute sie zu ihrem Kollegen, der sich wie immer nichts anmerken ließ.
Kurz darauf sah DeRose wieder hoch und lächelte weiter sein falsches Lächeln.
„Waren Sie schonmal bei uns? Falls nicht, sollten Sie unbedingt mal unsere Fischgerichte probieren, die besten in ganz Münster! Heute steht zum Beispiel Pesce spada alla griglia auf der Speisekarte, original nach dem Rezept meiner seligen Nonna zubereitet", schwadronierte er und bekreuzigte sich bei der Erwähnung seiner Großmutter. Ein gottesfürchtiger Mafioso also.
„Ich fürchte, das hier wird unser erster und einziger Besuch bei Ihnen sein", erwiderte Plattenberg bedeutungsschwer.
DeRose ignorierte die unheilvolle Andeutung. Er schlug seine Hände zusammen und rieb sie leicht aneinander. Neben einem eher schlichten Ring an seinem rechten Ringfinger ‒ vermutlich seinem Ehering ‒ trug er am kleinen Finger einen weiteren Ring mit einem großen, dunklen Edelstein. Schon irgendwie mafiamäßig.
„Wie kann ich Ihnen also helfen, meine Damen und Herren von der Polizia?"
Plattenberg griff in seine Anzugtasche.
„Kennen Sie diesen jungen Mann?" Er legte ein Foto von dem noch lebenden Daniel auf den Tisch.
DeRose hob erneut seine Brille an, beugte sich vor und betrachtete das Foto eingehend.
„No, nie gesehen."
„Und den?" Plattenberg klatschte das Foto mit dem toten Daniel neben das andere.
Der Restaurantführer betrachtete auch das genau. Der Anblick von Toten schien ihm nichts anhaben zu können. Womöglich, weil er in seinem Leben schon genug davon gesehen hatte?
„Das ist doch der gleiche", stellte er erstaunt fest.
„Stimmt. Der gleiche, nur in tot."
DeRose nahm seine Brille ganz ab und lehnte sich zurück. „Soll das ein schlechter Scherz sein, Herr Kommissar?"
„Sehe ich aus, als würde ich scherzen?"
Die beiden starrten sich ein paar Augenblicke lang an, während Jessica überlegte, was wohl schlimmer war: Sich mit Jörg Schmidtmann oder mit der Mafia anzulegen. Wahrscheinlich war beides auf seine eigene Art schlimm.
In diesem Moment ging die Tür wieder auf und der Kellner kam mit einem Tablett herein. Ein aromatischer Kaffeeduft breitete sich im ganzen Raum aus, der natürlich nicht mit dem von der Plörre aus dem Automaten im Präsidium zu vergleichen war. Er stellte jedem von ihnen, seinen Chef eingeschlossen, eine kleine Tasse hin.
Ob der Kaffee wohl vergiftet sein könnte?, fragte Jessica sich. Aber wäre es nicht ziemlich dämlich, in seinem eigenen Restaurant zwei Polizeibeamte umzubringen?
Vorsichtig nahm sie ihre Tasse und schnupperte daran. Mandelgeruch konnte sie keinen wahrnehmen, aber es gab auch genug andere, geruchsneutrale Gifte. Zumal der Kaffeeduft sowieso alles übertönte.
„Keine Angst, Frau Kommissarin, da ist kein Gift drin", versicherte DeRose, als hätte er ihre Gedanken gelesen und nippte, wie zum Beweis, an seiner eigenen Tasse. Als ob man das Gift nicht einfach nur in die beiden anderen Tassen hätte kippen können.
„Wäre auch nicht allzu schlau, sonst müssten Sie unsere Leichen wohl kleinhacken, durch den Fleischwolf jagen und in Ihre Bolognese tun", bemerkte Plattenberg, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken und wagte mutig einen Schluck.
Wenn er jetzt nicht tot umfällt, kann man das Zeug wohl trinken, dachte Jessica. Es sei denn, es war ein Gift mit längerer Wirkungszeit.
„Sehr witzig, Herr Kommissar."
„Das war durchaus nicht als Witz gemeint. Sonst würde ich ja lachen."
Langsam stellte DeRose seine Kaffeetasse zurück auf den Tisch.
„Sie sind gar nicht vom Drogendezernat oder vom Organisierten Verbrechen, stimmt's?", konstatierte er.
„Vom organisierten Verbrechen sind wohl eher Sie", erwiderte der Kommissar, immer noch quicklebendig. „Aber Sie haben recht, wir sind von keiner der von Ihnen erwähnten Abteilungen. Wir haben es eher so mit Mord und Totschlag, auch wenn sich das alles natürlich häufig überschneidet."
Der Restaurantbesitzer hob leicht eine Augenbraue an.
„Wer ist das auf den Fotos?", wollte er wissen.
„Das ist Daniel Hubner, der Mann, der Sie erpresst hat. Als er noch so aussah." Plattenberg tippte auf das Foto mit dem lebenden Daniel. „Und irgendwann sah er dann so aus." Sein Finger landete auf dem Foto mit dem toten Daniel. „Der Arme hat keine gute Entwicklung durchgemacht, finden Sie nicht?"
„Und womit soll er mich erpresst haben?"
„Mit Unterlagen, die belegen, dass Sie über längere Zeit und in großem Stil Steuern hinterzogen haben", half Jessica ihm auf die Sprünge und konnte sich endlich überwinden, einen Schluck Kaffee zu trinken. Absolut nicht mit dem Automatengesöff zu vergleichen.
„Diese Unterlagen liegen uns übrigens vor", ergänzte Plattenberg. „Sie können es sich also sparen, das abzustreiten. Doch seien Sie nicht traurig, lieber Herr DeRose, Al Capone wurde schließlich auch nur aufgrund seiner Steuervergehen gefasst."
Das überhebliche Grinsen war inzwischen vollständig aus DeRoses Gesicht gewichen.
„Sie verwechseln da etwas. Wir sind hier nicht in Chicago."
„Richtig. Und Sie sind auch nicht Al Capone."
DeRose überlegte kurz. „Ich glaube, dass ich jetzt meinen Anwalt anrufen sollte."
„Das könnte schwierig werden", meinte Plattenberg bedauernd.
„Ach, ja? Wieso das?"
„Weil wir Herrn Rohrbach bereits verhaftet haben."
Der Blick, mit dem DeRose den Kommissar bedachte, könnte vermutlich den gesamten Aasee im Nu zufrieren lassen. Doch Plattenberg starrte einfach unbeeindruckt zurück, als würde er nicht einem Mann gegenüber sitzen, der anstatt einer Dienstaufsichtsbeschwerde möglicherweise ein paar Typen mit Baseballschlägern bei ihm vorbeischicken könnte.
„Ich soll also diesen Jungen da umgebracht haben? Wann soll das denn gewesen sein?"
„Letzte Woche, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch. Zwischen 22.00 und 2.00 Uhr."
„Da muss ich Sie enttäuschen." Das hinterhältige Lächeln erschien wieder auf dem Gesicht des Restaurantführers. „An dem Abend hatten wir geschlossen, weil wir hier eine Familienfeier hatten. Meine jüngste Tochter hat sich nämlich verlobt, ein sehr wichtiges Ereignis im Leben eines Vaters. Also war ich die ganze Zeit hier, was etwa hundert Leute bezeugen können. Bis spät in die Nacht."
„Ah ja, die ganze famiglia DeRose versammelt, um eine echte, italienische Fete mit tausend Gästen, tonnenweise Spaghetti und literweise Cirò Rosso zu feiern", spottete Plattenberg und am liebsten hätte Jessica ihn selbst mit einem Baseballschläger verdroschen, damit er die Klappe hielt und nicht auch noch das gesamte Syndikat gegen sie aufbrachte. „Nun wäre das natürlich ein sehr schönes Alibi, allerdings wissen wir alle, dass jemand wie Sie nicht selbst Hand anlegen würde, um sich eines Erpressers zu entledigen. Dafür haben Sie schließlich spezialisierte Leute, die das statt Ihrer übernehmen. Was ist zum Beispiel mit dem netten, jungen Mann von vorhin? Ist er tatsächlich nur ein Kellner, oder erledigt er auch andere, blutigere Aufgaben für Sie?"
„Romeo ist ein guter Junge. Lassen Sie ihn da raus!", erwiderte DeRose und machte keinen Hehl mehr aus seiner Verärgerung.
„'Denn niemals gab es ein so herbes Los, als Julias und ihres Romeos'... Na ja, es wird auch noch andere Mercutios, Benvolios und wie sie nicht alle heißen bei Ihnen geben, die ein Händchen dafür haben, fremde Schädel einzuschlagen."
Mittlerweile wirkte DeRose sichtlich gereizt.
„Warum glaubt ihr Deutschen eigentlich, wir Italiener könnten entweder nur Pizzabäcker oder bei der Mafia sein? Seid ihr neidisch, weil wir beim Fußball immer gegen euch gewinnen und euch bei der letzten WM rausgekickt haben und Weltmeister geworden sind?"
„Ach Gottchen, Herr DeRose! Als würde mich dieser Proletensport, bei dem 22 Idioten hirnlos einem Ball hinterherlaufen auch nur im geringsten interessieren. Und außerdem, geht auch beides gleichzeitig, wie in Ihrem Fall. Das hier ist doch auch nur eine bessere Pizzeria."
„Wir bieten überhaupt keine Pizza an." DeRose sah so aus, als würde er ernsthaft über die Idee mit der Bolognese nachdenken.
Jessica wünschte sich, sie wäre doch draußen geblieben.
„Sie behaupten also, Sie würden Daniel Hubner nicht kennen und auch nichts mit seinem Tod zu tun haben", versuchte sie, das Gespräch wieder in geordnete Bahnen zu lenken.
„Sie haben es erfasst." Der Mafioso wandte sich nun ihr zu. „Ich glaube, mit Ihnen kann man besser reden als mit Ihrem geschwätzigen Kollegen."
Aus dem Augenwinkel sah Jessica, wie sich ihr geschwätziger Kollege zurücklehnte, die Beine überschlug und erwartungsvoll die Arme vor der Brust verschränkte.
„Was ist denn mit Luisa Steinfeld? Sagt Ihnen dieser Name etwas?", fragte sie weiter.
„Das ist doch die schöne Blonde aus Martins Büro. Seine Sekretärin." DeRose senkte verschwörerisch die Stimme und lehnte sich zu Jessica vor. „Ich glaube, Martin hatte was mit ihr."
„Das kann ja gut sein", mischte Plattenberg sich wieder ein. „Jedoch ist Luisa Steinfeld inzwischen gar nicht mehr so schön, sondern ganz schön tot."
Nun hatte er wieder DeRoses volle Aufmerksamkeit, doch dieser wirkte nicht besonders überrascht.
„Die Frauenleiche aus dem See", sagte er seelenruhig. „Sie ist das, oder?"
Plattenberg wandte sich an Jessica: „Verwunderlich, wer so alles die Lokalzeit Münster schaut."
„Man muss eben auf dem Laufenden bleiben, was in der Stadt so passiert."
„Luisa Steinfeld war Daniel Hubners Komplizin. Was sagen Sie dazu?"
Der Restaurantbetreiber setzte seine Brille wieder auf und räusperte sich.
„Sagen Sie mal, Herr Kommissar, woher hat ein gewöhnlicher Beamter der Kripo eine echte Omega Seamaster, die drei seiner Monatsgehälter kostet?" Er deutete auf das linke Handgelenk des Herrn Kommissars.
Dieser betrachtete die Uhr daran, als würde er sie zum ersten mal im Leben sehen.
„Puh, woher könnte er sie bloß haben? Aus einem Uhrenladen, vielleicht?"
„Wollen Sie mich verarschen?"
„Nichts liegt mir ferner. Sollten Sie aber darauf anspielen wollen, man könnte mich schmieren, dann können Sie sich das ganz schnell wieder abschmieren."
„Jeder ist käuflich, Commissario. Jeder und jede."
Vielsagend blickte DeRose zwischen Jessica und Plattenberg hin und her. Sie konnte es einfach nicht fassen, dass er sie beide ganz offensichtlich zu bestechen versuchte.
„Da müssen Sie sich aber etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Einen original Schweizer Chronographen habe ich ja bereits", meinte Plattenberg. „Übrigens ist Paragraph 334 des Strafgesetzbuches, mit anderen Worten: Bestechung, auch nicht ohne. Fünf Jährchen können dafür noch oben drauf kommen. Aber wenn Sie sowieso lebenslänglich hinter Gittern wandern, spielt das auch keine Rolle mehr, nicht wahr?"
Mit grimmigem Gesichtsausdruck strich sich DeRose mit den Fingern über seinen Bart und schien erneut nachzudenken.
„Wenn ich Ihnen jetzt etwas erzähle, was wichtig für Ihren Fall sein könnte, könnten wir die Sache mit den Steuern dann nicht irgendwie unter den Teppich kehren?"
„Wir kehren gar nichts unter den Teppich. Das P in ‚Polizei' steht schließlich nicht für ‚Putzkolonne'", erwiderte Plattenberg. „Den Bestechungsversuch könnte ich aber durchaus vergessen. Und ich könnte Ihnen bezüglich der Steuergeschichten noch zu einer Selbstanzeige und einer Kooperation mit der Staatsanwaltschaft raten, dann könnten Sie sogar nur mit einer Geldstrafe davonkommen. Das sollte kein Problem für Sie darstellen, immerhin verleihen Sie große Geldsummen nach links und rechts. Vorausgesetzt natürlich, man kommt nicht auch noch Ihren anderen Machenschaften auf die schliche. Aber da haben wir nun wirklich keinen Einfluss drauf."
Was sollte das? Machte er jetzt nebenbei juristische Beratung für Mafiosi?
Zu Jessicas Überraschung aber, hatte sich DeRose anscheinend wirklich dazu entschieden, mit der Sprache herauszurücken, um eine Strafmilderung für sich herauszuschlagen.
„Ich kann Ihnen versichern, dass ich diesen Daniel nicht getötet habe, und schon gar nicht Luisa", begann er zu sprechen. „Zuerst dachte ich wirklich, dass Martin selbst der Erpresser ist. Aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist das ziemlich stupido. Denn, wenn er mir Geld schuldet, warum sollte er dann ausgerechnet mich erpressen? Trotzdem wollte ich mit ihm reden, doch er verschwand einfach und war nicht mehr erreichbar. Ich bin in sein Büro und dort war Luisa. Eigentlich wollte ich nur von ihr wissen, wo Martin ist. Aber ich habe schnell gemerkt, dass sie mehr über die Erpressungen wusste. Also habe ich mich länger mit ihr unterhalten und konnte sie überzeugen, mit der Sprache rauszurücken."
Dass diese Überzeugungsarbeit nicht ohne Druck und Bedrohungen ausgekommen ist, bezweifelte Jessica nicht.
„Und sie hat zugegeben, dass sie hinter den Erpressungen steckt?"
„Ja, das hat sie. Aber diesen Daniel hat sie dabei nicht erwähnt!", beteuerte der Italiener. „Sie hat dann rumgeheult, dass sie das nur gemacht hat, weil sie das Geld brauchte, um die Spielschulden ihres Freundes zu bezahlen. Der wurde ja schon von irgendwelchen Schlägertypen verprügelt, die das Geld eintreiben wollten, aber das hat mich nicht interessiert. Ich habe ihr dann ein Angebot gemacht, das sie nicht ablehnen konnte: Sie gibt mir einfach das Geld und ich vergesse alles und lasse sie in Ruhe. Sie stimmte zu. Zwar behauptete sie, dass sie das Geld jetzt nicht hat, es aber so schnell wie möglich holen würde."
Falls das, was er ihnen da erzählte wirklich stimmte, bedeutete es dann, dass doch Luisa Daniel selbst getötet hatte? Hatte Florentine gelogen, als sie behauptete, dass er schon tot war, als sie und ihre Schwester in der Tatnacht in seine Wohnung kamen?
„Doch Luisa hat das Geld nicht gefunden", führte Plattenberg DeRoses Erzählung fort. „Und als sie am Freitagabend ohne es mitzubringen bei der Geldübergabe am See auftauchte, ließen Sie sie töten und ihre Leiche in den See werfen."
„No, no, no! So war das nicht! Sie hatte bis Montag, also gestern, Zeit, das Geld zu holen. Vorher habe ich sie nicht mehr kontaktiert, denn ich halte meine Versprechen. Und dann ist sie auch verschwunden. Jetzt weiß ich, dass sie tot ist und ich nichts damit zu tun habe." Trotzig lehnte sich DeRose erneut in seinem Stuhl zurück. „Ich bin übrigens Freitag nach Italien geflogen, um dort übers Wochenende Verwandte zu besuchen. Ich kann Ihnen gerne die Flugtickets zeigen."
„So, so, Verwandtenbesuch also. Oder haben Sie sich eher neue Anweisungen bei Ihrem Oberboss in Reggio Calabria abgeholt? Wie bereits angemerkt, haben Sie sicher genug Laufburschen, die die Drecksarbeit für Sie erledigen."
„Das sind nur haltlose Unterstellungen, Herr Kommissar", erwiderte DeRose hochnäsig. „Ach, ja, fast hätte ich noch was vergessen: Luisas Freund, der wusste auch von dem Geld."
„Und woher wissen Sie das?", fragte Jessica. Was spielte der hier für ein Spiel?
„Ich war gestern Nachmittag bei ihm und habe mich nett mit ihm unterhalten. Ich dachte, er wüsste, wo seine Freundin ist. Von ihm habe ich erfahren, dass sie die Leiche aus dem See ist. Er konnte mir aber glaubhaft versichern, dass er nicht weiß, wo das Geld jetzt ist."
Das klang verdächtig danach, als wäre die Unterhaltung mit Luisas Freund nicht ganz gewaltfrei verlaufen.
„Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Jetzt sind Sie an der Reihe", wandte DeRose sich wieder an Plattenberg.
„Womit an der Reihe?"
„Ihr Versprechen einzulösen!"
„Versprechen?", tat Plattenberg völlig ahnungslos. „Ich kann mich an keins erinnern."
Vor Wut lief das Gesicht des Mafioso puterrot an. „Sie sind doch ein mieses..."
„Passen Sie auf, Herr DeRose, sonst kommt zu Ihrer Straftaten-Sammlung auch noch Beleidigung hinzu."
Mit süffisantem Lächeln erhob Plattenberg sich und strich penibel seine Kleidung glatt. Auch Jessica stand auf. Sie wollte hier so schnell wie möglich weg, am besten lebend.
„Ich hätte gerne noch eine Liste all Ihrer Mitarbeiter, samt deren Alibis für beide Tatzeiten", fügte der Kommissar noch hinzu. „Zu Ihrer Erinnerung: Die Nacht vom 13. auf den 14. Oktober, 22.00 bis 2.00 Uhr und der letzte Freitagabend, 20.00 bis 24.00 Uhr."
Er legte seine Visitenkarte vor den sprachlosen DeRose auf den Tisch. „Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte. Ich danke Ihnen für Ihren herzlichen Empfang. Arrivederci."
Vor der Tür stießen sie beinahe mit einem Zwei-Meter-Schrank mit der Statur eines Gewichtshebers, schmierig pomadisierten Haaren und einer Sonnenbrille zusammen. Plattenberg packte Jessica am Arm und schob sie hinter sich, doch er hätte sowieso nur eine Chance gegen den Typen, der doppelt so breit wie er selbst zu sein schien, wenn er das ganze Magazin seiner Waffe in diesen jagen würde. Als der Schrank in die Tasche seiner Lederjacke griff, hatte Jessica schon die Befürchtung, er würde gleich eine Knarre zücken und sie beide abknallen. Sofort schloss sie ihre Finger um den Griff ihrer eigenen Waffe und war schon drauf und dran, diese zu ziehen. Doch der Schrank holte nur eine Kaugummipackung hervor und schob sich eins davon zwischen die Zähne.
„Da entlang", sagte er mit tiefer Grabesstimme und deutete mit seiner riesigen Pranke den Gang entlang, durch den Romeo sie hergeführt hatte.
„Wir finden schon allein hinaus, mein Lieber", konnte Plattenberg es sich natürlich nicht verkneifen und schob Jessica in die gewiesene Richtung.
Der Schrank folgte Ihnen den ganzen Weg lang mit einem kleinen Abstand, ließ sie aber zurück in den Restaurantbereich gehen, ohne ihnen vorher alle Finger zu brechen, oder ähnliches. Mittlerweile waren weitere Gäste aufgetaucht und Romeo eilte geschäftig zwischen den Tischen umher.
Draußen angekommen, gingen sie ohne stehen zu bleiben weiter bis zum Prinzipalmarkt und mischten sich in die dort herumwuselnde Menschenmenge. Als Jessica sich nochmal umdrehte, fehlte von dem Schrank jede Spur. Also war er ihnen nicht gefolgt, denn er wäre nicht zu übersehen gewesen. Erst jetzt wagte sie es, erleichtert auszuatmen.
„Was sollte das da drin?", schnauzte sie ihren Kollegen an.
„Ich habe Sie gewarnt", erinnerte er sie ungerührt.
„Ich dachte, Sie meinen, es könnte gefährlich werden, weil der Typ von der Mafia ist und nicht, weil Sie dieses gefährlich selbst provozieren wollen!"
„Aber es hat doch offensichtlich etwas gebracht!"
„Und was?"
„Erstens, konnten Sie endlich einen einigermaßen guten Kaffee probieren und zweitens, wissen wir jetzt, was wir als nächstes zu tun haben."
„Und das wäre?"
„Wir fahren zu Luisas Freund. Er ist der einzige, den wir noch nicht genauer unter die Lupe genommen haben. Und falls es stimmt, dass er von dem Geld wusste, dann sollten wir das schleunigst ändern."
„Wer sagt denn, dass DeRose nicht lügt?", wandte sie skeptisch ein. „Der will doch bestimmt nur von sich ablenken, damit wir nicht weiter bei ihm herumschnüffeln und er in Ruhe seine Mafia-Geschäfte fortführen kann."
„Das werden wir ja bald herausfinden", meinte er nur und machte sich auf den Weg Richtung Überwasserkirche.
Trotz ihrer Verärgerung konnte Jessica es nicht verhindern, dass sie den Auftritt im DeRose auch irgendwie bewunderte.
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