6 - Blutdurstiges Drachenstreicheln

Immer mal wieder schaute ich ganz zufällig auf MissMolotovs Profil vorbei, aber sie kam den ganzen Sonntag nicht online. Erst am Montagabend, als ich mich zwischen zwei Runden Capture the Flag auf ihre Seite verirrte, war sie wieder da und spielte Dragon Age.

Ich schickte ihr eine Nachricht.

haste deinen blutdurst schon gestillt? :D

„Denny? Kommst in die Lobby?", fragte Syl.

„Gleich. Wenn du im Game bist", erwiderte ich und ließ den Chat mit MissMolotov nicht aus den Augen, gerade so, als könne ich irgendwas verpassen.

„Mach jetzt, Alter, es fängt an", drängelte Syl.

Zu verpassen gab es nichts, denn eine Antwort war nicht eingegangen. Wahrscheinlich war sie beschäftigt. Mit Drachen töten oder streicheln oder was auch immer man in Dragon Age so tat.

Ich wechselte von ihrem Profil zu Syls und jointe das Game.

Mitten in einem Gefecht, ich hatte die gegnerische Flagge gerade in meinen Besitz gebracht, kam die Antwort von MissMolotov rein, ich starb einen unnötigen Tod, unser Vorteil war dahin, und las sie dann doch erst nach Ende der Runde.

drachen sind einfach n würdigerer gegner, hatte sie getippt.

Ich lachte kurz auf und schüttelte den Kopf.

„Was?", fragte Syl. „Wo bisse denn schon wieder hin?"

„Alter, bist du meine Mutter oder was?", gab ich zurück.

das bezweifel ich. du stellst dich mir einfach nie unter fairen bedingungen.

„Geht los, ne?", sagte Syl.

„Ja, gleich."

„Nich' gleich, jetzt. Jetzt geht es los."

„Nerv halt nicht", seufzte ich.

die wären?

Ich zögerte. Eigentlich war ich mir sicher, dass ich sie bei einem eins gegen eins besiegen könnte. Andererseits würde ich mich möglicherweise komplett blamieren.

„Syl", sprach ich meinen Kumpel an. Er war der einzige, der mir jetzt weiterhelfen konnte.

„Jetzt ist zu spät, wir sind schon mitten drin und wir gewinnen. Auch ohne dich."

„Nein, darum geht's nicht ...", murmelte ich zögerlich. Ich wusste nicht, wie ich meine Gedanken in Worte fassen sollte, war ich mir doch nicht mal sicher, wo genau das Problem überhaupt lag. Was war schon dabei gegen MissMolotov zu verlieren? Ich konnte nicht immer der Beste sein.

„Sondern?", fragte Syl. Es knisterte, dann schmatzte er ins Mikrofon.

„Du erinnerst dich an MissMolotov?"

„Wie könnte ich den Kerl vergessen, dem haben wir förmlich die Eier zermatscht letztens", lachte Syl. Natürlich musste er darauf rumhacken, dass sie in seinen Augen männlich war.

„Wie auch immer. Jedenfalls, denkst du ich sollte ein eins gegen eins gegen sie spielen?"

„Ihn."

„Syl, konzentrier dich doch mal, Mann. Darum geht's hier gerade nicht, Alter!", sagte ich ein wenig heftig.

„Ist ja gut", gab er zurück und schlürfte Energydrink. „Worum geht's denn?"

„Ich ... mag sie glaube ich." Eine kurze Pause, um zu sehen, ob Syl etwas einzuwerfen hatte. Hatte er nicht. Gut. „Und, keine Ahnung. Ich weiß einfach nicht ob es eine gute Idee ist."

„Weil du dich blamieren könntest und sie dich dann vielleicht nicht mehr ernst nimmt?", fragte Syl und überraschte mich damit.

„Ja ... Ja, kann sein", stimmte ich langsam zu.

„Klingt jetzt vielleicht nicht tröstlich", meinte Syl, „aber sie hat dich schon so hart fertig gemacht, da würde es echt keinen Unterschied mehr machen, wenn du nochmal gegen sie verlierst."

Im Grunde hatte er Recht. Ich konnte höchstens mit meinen Sprüchen auf die Nase fallen, aber wirklich etwas ändern an der Sicht, die MissMolotov auf mich hatte, würde es wahrscheinlich nicht.

„Danke, Mann", sagte ich und lächelte, obwohl er das nicht sehen konnte. Er hörte es, dafür kannten wir uns gut genug.

„Keine Ursache. Dann mal ran, was? Ich halte im Krieg die Stellung", lachte er und ich stimmte mit ein.

1vs1. nur du und ich auf einer map deiner wahl, schrieb ich MissMolotov.

wird sicher keine campermap, verkündete sie fast postwendend.

ich muss nich campen um dich kalt zu machen :D

Ich trug zu dick auf, das wusste ich, aber ich hatte nichts zu verlieren. Bevor ich jetzt den Schwanz einzog und wie ein feiger Hund vor ihr herumwinselte, stand ich lieber meinen Mann und trat diesen Kampf mit der stolz geschwellten Brust eines Soldaten an. Man konnte keinen Kampf gewinnen, den man schon mit dem Glauben an seinen Tod begann.

ich hoste, schrieb sie.

„Bleiben wir in der Party?", fragte ich Syl, da ich mit MissMolotov ohnehin nicht würde reden können. Mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich sicherer, ich könnte ihn jeder Zeit um Rat fragen. Wofür auch immer, im Zocken war er nicht besser als ich. Aber ... ich war aufgeregt. Irgendwie. Meine Hände schwitzten ein wenig und ich wischte zuerst meine Handflächen, dann den Controller an dem dunkelblauen Stoff meines lockeren T-Shirts ab.

„Klar, wenn du willst", erwiderte er und stopfte sich eine weitere Hand Chips in den Mund.

MissMolotovs Einladung ging bei mir ein und ich betrat das Game, das sie für uns erstellt hatte.

Es war eine verwinkelte Map, deren Schauplatz eine zerfallene Ruine mitten im Dschungel war. Sehr unübersichtlich, sehr schlecht zum Campen, da hatte MissMolotov nicht zu viel versprochen. Aber das war kein Problem für mich.

Ich wählte eine Klasse ohne Sniper mit Waffen, die für dieses Territorium angemessen waren, der Countdown lief runter und das Match startete.

Ich war viel zu konzentriert, um mit Syl zu reden. Manchmal fluchte ich, manchmal fluchte er. Dann hörte ich ihn essen, trinken, aufstoßen. Weggehen, wiederkommen.

Ich blendete den ganzen Raum um mich herum aus, sah nur den Dschungel vor mir. Nach kurzer Zeit begannen meine Augen zu brennen, aber ich beugte mich unbewusst noch weiter vor. Merkte nicht, wie fest ich den Controller umklammerte oder die Zähne aufeinander biss.

„Denny!"

Ich zuckte so zusammen, dass der Controller in hohem Bogen auf den Boden fiel und das Headset mit sich von meinem Kopf riss. Scheppernd kam er dort auf und nur einen Augenblick später starb mein Charakter.

Neben mir stand meine Mutter.

„Hast du mich erschreckt!", keuchte ich atemlos.

„Ich hab mindestens fünf Minuten draußen gestanden und geklopft", erwiderte sie. „Schlafenszeit, mach bitte aus, ja?"

„Ja. Ja, sofort", sagte ich und bückte mich nach dem Controller.

„Aber sofort wie sofort!", mahnte meine Mutter und ging wieder.

Es waren noch drei Kills bis zum eingestellten Ziel.

„Ein paar Minuten noch, bitte", rief ich ihr hinterher, während ich meinen Charakter eilig in eine sichere Ecke am Spawnpoint manövrierte. „Das ist wichtig."

„Die Schule ist wichtig."

Typischer Mutterspruch. Ich seufzte.

„Ich komm nie zu spät, nur ein paar Minuten, bitte!"

„Fünf Minuten", erweichte sie sich und ich konzentrierte mich sofort wieder auf das Spiel. Drei Kills in fünf Minuten waren utopisch, aber ich konnte es schaffen.

„Danke", erinnerte ich mich noch zu rufen. Aus dem Headset hörte ich Syl irgendwas sagen, ließ es aber auf dem hängen und kümmerte mich nicht weiter drum.


Die Verbindung unterbrach vor dem letzten und entscheidenden Kill.

„Mensch, Mama, verdammt!", fluchte ich, allerdings nur so laut, dass sie es nicht hören konnte. Ich schaltete die Konsole aus und legte den Controller auf dem Boden ab, ehe ich mein Handy hervorkramte und die xBox App startete. Dort öffnete ich den Chat mit MissMolotov.

sorry, irgendwie ist das internet ausgefallen. sieht nicht so aus als würde das gleich wieder gehen. wollen wir das vielleicht wann anders wiederholen?

Vielleicht hielt sie mich für einen schlechten Verlierer ohne Sportsgeist, der das Game aufgrund seiner möglichen Niederlage vorzeitig verlassen hatte. Das wäre schlimmer, als wenn ich einfach verloren hätte.

ich bin morgen so um 8 on, kam kurze Zeit später die Antwort rein. Schien, als sei sie nicht sauer, freute ich mich und stieß tief den Atem aus.

ich bin auch da, dann bis morgen!

bis morgen

Als nächstes schrieb ich noch Syl, dass ich schlafen ging und wir uns in der Schule sehen würden.


„Und, hast du Miss Molotov in Grund und Boden geschossen?", fragte Syl. Er saß auf der Tischtennisplatte, in der Hand die unverzichtbare Energydrink Dose, im Gesicht die unverzichtbaren Augenringe.

„Fast", erwiderte ich. Entsprach ja im Grunde auch der Wahrheit, ich hätte sie genauso töten können wie sie mich. Sie war ein ebenbürtiger Gegner, nicht wie Syl. Der Gedanke ließ mich grinsen.

Syl zog eine Augenbraue hoch, fragte aber nicht weiter nach. Er trank einen Schluck.

„Wir spielen heute nochmal, diesmal schaffen wir's hoffentlich einen Sieger zu haben bevor meine Mutter wieder das Internet ausmacht", seufzte ich.

„Tja, sowas kann mir nicht passieren", grinste Syl.

„Ja und mir kann es nicht passieren, dass ich mir nichts zu Essen kochen kann, weil ich vergessen habe einzukaufen oder das Geld für Energydrinks ausgegeben habe", erwiderte ich und zog die Augenbrauen hoch.

„Arschloch", sagte Syl, trat nach mir und lachte. „Unselbstständiges Arschloch."

Ich zuckte die Schultern und grinste weiter, denn ich wusste genau, dass er neidisch war. Er würde alles geben für eine Mutter, die ihm morgens ein Schulbrot schmierte, da konnte er mir von seinen Freiheiten erzählen, was er wollte. Ich war mir sicher, dass er sie jederzeit gegen Essen eintauschen würde.

„Krieg das mal gebacken heute", sagte Syl, während er von der Platte rutschte. „Dann können wir morgen wieder Schießen gehen, wie sieht's aus?"

„Bin dabei", stimmte ich sofort zu. Schießen war der einzige Sport, der mir wirklich Spaß machte und wahrscheinlich der einzige Grund, warum ich freiwillig einen Nachmittag im Wald hockte. Ich konnte mir schwerlich vorstellen, dass etwas anderes es schaffen würde mich dazu zu bewegen.

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