5 - Rosenkohl und die Jagd auf Killer
Wir killten MissMolotov tatsächlich ein paar Male, auch wenn es Syl aus mir unerfindlichen Gründen öfter gelang als mir. Bei mir war es meist eher Zufall – ich hatte sie nicht erkannt und gedacht gerade irgendeinen random Player zu erschießen.
Gegen vier Uhr gesellte sich Mo zu uns.
„Morgeeen, was geht ab?", lachte sie, als sie unsere Party jointe. Kurze Zeit später war sie ebenfalls im Game.
„Wir machen Jagd", grinste Syl. „Jagd auf Killer."
„Was?", lachte Mo.
„Miss Molotov. Kill einfach Miss Molotov", erwiderte er.
„Ist das nicht langsam irgendwie Mobbing, wenn wir zu dritt auf sie gehen?", fragte ich. Sie hatte mir keine Nachricht geschickt, seitdem sie durch uns ganz unten in der Rangliste stand. Mit kaum Kills aber doppelt so vielen Toden wie der Rest.
„Ihn", korrigierte Syl.
„Hä?", fragte Mo.
„Na, als ob Miss Molotov kein Kerl ist", meinte Syl.
„Weil?", fragte Mo nach.
„Weil es Syls Meinung nach keine Frauen im Internet gibt."
„Ist ja auch so", bestätigte er.
„Ja, ist ja auch so", sagte Mo. „Wo kämen wir denn hin, wenn Frauen zocken würden?"
Sie lachte, ich lachte. Syl checkte nichts, aber wer konnte es ihm verübeln.
„Hä?", fragte er und kippte sich noch mehr Energydrink in den Hals.
„Irgendwann, Syl, irgendwann", lachte Mo. „Also ich bin dabei bei unserer Todesmission."
Ich versteckte meinen Charakter in der Ecke vor einem Haus hinter einem Gebüsch und legte ihn dort auf den Boden. Dann wechselte ich kurz zu den Privaten Nachrichten und schrieb Miss Molotov: sorry meine freunde haben irgendwie spaß daran dich zu killen. ist nicht böse gemeint
Ich wechselte ins Game zurück, verließ mein Versteck – und starb.
You were killed by MissMolotov.
kein problem xD, kam wenige Augenblicke später die Antwort.
Grinsend schüttelte ich den Kopf.
Meinen Weg ins Bett fand ich erst, als die Sonne schon langsam über die Baumwipfel am Horizont kletterte. Der Himmel färbte sich rosa, während ich mich gähnend von Mo und Syl verabschiedete. Wenn ich mich nicht beeilte, würden meine Eltern wahrscheinlich aufstehen, bevor ich in den Federn lag, und auch wenn sie mich wochenends Abends nicht ins Bett schickten, wären sie bestimmt nicht allzu erfreut mich jetzt noch wach zu sehen. Um nichts zu riskieren putzte ich schnell meine Zähne, ließ möglichst leise meine Rollläden herunter und kuschelte mich unter die Decke, währen draußen die Vögel sangen.
Das erste, was ich nach dem Aufwachen tat, war meine Konsole einschalten. Ich ging in meine privaten Nachrichten und besuchte dann MissMolotovs Profil. Sie war zuletzt vor vier Stunden on gewesen, hatte aber nicht Call of Duty gespielt, sondern Dragon Age.
Schien, als stünde sie auch auf Fantasygames, wie Mo. Ob die beiden sich verstehen würden?
Es klopfte an meine Zimmertür.
„Ja?", sagte ich ohne meinen Blick von dem Profil zu nehmen.
„Wir essen in einer Stunde", sagte meine Mutter, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. „Möchtest du vielleicht Sylvester einladen?"
„Ja, gute Idee", stimmte ich zu und sah meine Mutter an der Sessellehne vorbei an. „Ich schau mal, ob er schon wach ist."
Ich lächelte sie an.
Sie lächelte mich an.
Ich wartete, dass sie ging, aber wie immer dauerte es ein paar Augenblicke bis sie es tat. In Schneckengeschwindigkeit zog sie die Tür zu und drückte die Klinke herunter, um ja kein Geräusch zu verursachen.
Als sie endlich weg war, streckte ich mich über die Sessellehne zum Boden, wo mein Handy an die Steckdose angesteckt auf dem Laminat lag und lud. Ich stöpselte es ächzend ab und richtete mich wieder auf, entsperrte den Bildschirm und öffnete den Chat mit Syl.
Willste inner stunden zum essen kommen? Können ja danach noch iwas machen, schickte ich ihm.
Ein Blick auf die recht obere Bildschirmecke verriet mir, dass es bereits 16 Uhr war. Die Chancen, dass Syl wach war, standen nicht allzu schlecht.
Tatsächlich las er ein paar Minuten später die Nachricht.
Bin unterwehs, schrieb er bloß und ich grinste. Syl drückte sich mehr als gerne vor dem Kochen und mit einer kostenlosen Mahlzeit könnte man ihn wahrscheinlich auch in einen Süßigkeiten Van locken. Oder mit Energydrinks.
Vor meinem inneren Auge sah ich ihn zerzaust aus dem Bett springen, sich schnell ein T-Shirt und eine Hose überstreifen und mit einer Energydrink Dose zwischen den Zähnen die Wohnung verlassen, um mit seinem Fahrrad in Windeseile die Strecke zwischen unseren beiden Häusern zu überwinden.
Ich kannte wirklich niemanden in meinem Alter außer Syl, der gerne Rosenkohl aß. Damit meine Mutter Ruhe gab, lud ich mir auch zwei, drei kleine Köpfchen auf meinen Teller und füllte den Rest mit Kartoffeln und Soße auf, aber Syl schaufelte das bittergrüne Gemüse zu einem richtigen Berg auf.
Jedes Mal, wenn er bei uns gegessen hatte, kritisierte meine Mutter anschließend, dass man merkte, dass er sonst allein aß. Sie fand, seine Manieren ließen zu wünschen übrig, aber im Grunde machte es glücklich, Syl beim Essen zuzusehen. Wie er alles so leidenschaftlich herunterschlang, als habe er nie in seinem Leben etwas Besseres gegessen.
Natürlich hielt er sich am Esstisch mit meinen Eltern genauso wenig wie irgendwo anders die Hand beim Aufstoßen vor den Mund, was meine Mutter nur mit einem tadelnden Blick quittierte.
Aber Syl bemerkte das nicht, der lehnte sich zufrieden zurück. Der Topf mit dem Rosenkohl war leer, obwohl sonst immer mindestens die Hälfte übrig war, das stimmte meine Mutter wieder versöhnlich.
„Wir gehen hoch", verkündete ich schließlich.
Syl rappelte sich auf und folgte mir die Treppe hinauf in mein Zimmer, wo er sich gleich auf mein Bett fallen ließ.
„Geil, Alter", seufzte er und legte sich eine Hand auf den Bauch.
„Du bist ekelhaft, das weißt du schon, oder?", fragte ich ihn, während ich mich in meinen Sessel setzte und aus alter Gewohnheit die Konsole einschaltete.
„Da scheiß ich drauf", grinste Syl, rülpste erneut und schloss die Augen.
Ich schüttelte grinsend den Kopf und warf ihm noch einen schnellen Blick zu, ehe ich abcheckte, ob MissMolotov vielleicht online war.
War sie nicht. Wahrscheinlich hatte sie im Gegensatz zu mir noch was anderes zu tun, als in ihrem Zimmer vor der Konsole zu hängen.
„Was machen wir noch?", fragte ich in den Raum, während ich durch meine Spiele scrollte.
Keine Antwort.
„Syl? Was machen wir noch?"
Schließlich warf ich ihm doch einen Blick zu – er war eingeschlafen. Leise schnarchte er, seine Finger zuckten kurz.
„Ach, Syl", grinste ich, dann wandte ich mich wieder der Konsole zu, drehte den Ton leiser und startete Call of Duty.
MissMolotov kam den ganzen Abend nicht on. Syl ließ ich schlafen, vielleicht holte er dann mal auf, was er in den letzten Wochen, ach was, Monaten, so verpasst hatte. Runde um Runde spielte ich allein, denn auch Mo war nicht da. Die kam auch gerne erst mitten in der Nacht und erst jetzt fiel mir auf, dass ich sie nie gefragt hatte, was sie sonst den ganzen Abend lang tat.
Was MissMolotov wohl tat?
Es war mir generell ein Rätsel, womit die Leute ihre Zeit verbrachten, wenn nicht mit Zocken. Oder wie Syl mit Schlafen.
Mit Fernsehen etwa? Das war nichts für mich. Beim Zocken konnte man, zumindest wenn man die Story spielte, auch eine Art Film mitverfolgen – und aktiv daran teilnehmen. Dafür sorgen, dass sich für den Charakter alles zum Guten wandte. Das war doch viel spannender, als stumpfsinnig dazusitzen und nur zuzusehen.
Syl übernachtete bei mir. Das war zwar so nicht geplant gewesen und er hatte sich auch nicht aktiv dazu entschieden, aber wecken wollte ich ihn nicht. Meine Mutter war nicht unbedingt begeistert, aber sie sagte nichts dagegen. Dass es nur in einem Streit enden, den sie verlieren würde, wusste sie. Denn als mein bester Freund war Syl derjenige, für den ich jedem die Stirn bieten würde.
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