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Kati sah ihn nur erschöpft an.
Er verstand sie auch noch nicht, ging es ihr auf. Und wie sollte er das auch?
Er war doch sicher jahrelang hin und hergerissen worden, zwischen dem was er in seiner letzten Welt lernte und dem hiesigen Leben, das so finster und düster auf sie wirkte, auch wenn die Eingeborenen alle lächelten, lachten und winkten und das Leben mega-spaßig fanden.
Iiron sollte es also auch sogleich spaßig gefunden haben müssen. Doch war er ja eher ernsthaft und ruhig vom Charakter her.
„Du missverstehst mich auch schon wieder, Iiron. Ich hätte dich ganz sicher nicht darum gebeten mein Gefährte zu sein, wenn es so schlimm bei dir wäre.
Aber auch wir kennen uns im Grunde noch gar nicht richtig. So was dauert gemeinhin viele Wochen, Monate, ja Jahre!
Tage oder Wochen für Zuneigung, Wochen oder Monate für echte Liebe und Monate oder Jahre für restloses Vertrauen. ... Aber das auch nur dann, wenn man sich dieses Vertrauens auch als würdig erwiesen hat."
„Und du empfindest mich als würdig und den Clan als unwürdig?", fragte er sie irritiert.
Okay, das war jetzt kniffelig.
„Sieh dir doch nur mal diese Dunklen Dragon richtig an, Iiron! Sie halten es doch alle im Prinzip ganz genau so wie ich gerade! Sie wuchsen Jahre miteinander auf, das schuf ein enges Band zwischen ihnen. Zuneigung, Abneigung, Verbündete oder auch Feinde. So kam das Vertrauen zu diesem oder jenem Dragon oder Menschen, aber ganz gewiss nicht zu allen.
Dann aber kamst du hierher und solltest sein wie sie, reden wie sie, handeln wie sie... und konntest es nicht. Denn du bist hier nun mal nicht aufgewachsen, ebensowenig wie ich.
Dein Verhalten ist mir aber tatsächlich viel vertrauter als ihres, Iiron. Und deshalb vertraue ich dir nun auch schon mehr als ihnen, mag dich mehr als sie, und kann dich um Hilfe bitten, wenn ich denke das ich sie brauche.
Und du ... gewährst mir die Hilfe dann auch ... bist aber immer noch hin und hergerissen zwischen denen die dir sagen was du tun sollst und deinem eigenen Gefühl im Bauch, das dich dauernd warnt und dir sagt, was du doch vielleicht besser lassen solltest.
Ich kann dir nur sagen das du mein Vertrauen gewonnen hast, weil du bei mir mehr auf dein Gefühl als auf ihre Anweisungen gehört hast.
Mach das bitte weiter so.
Denn das bist dann du... Ganz ehrlich und offen und vertrauenswürdig ... nur du!
Und... das ist alles, was ich gerade dazu sagen kann. Ich bin gerade einfach zu fertig ... von allem hier.
Dieses Leben ist echt hart...
Also nicht was ein Dach über den Kopf oder essen im Magen betrifft, sondern ... emotional gesehen.
Mein Kopf tut schon tagelang weh von all den Eindrücken, Anschuldigungen und erfundenen Verschwörungstheorien... also Aussagen und Annahmen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Doch all das ist hier nun mal völlig normal so zu tun", lachte sie leicht hilflos und rieb sich dann wie zum Beweis die gerade drückende Falte zwischen den Augen.
Doch Iron merkte derweil wieder auf.
„Was meinst du damit? Wer verschwört sich hier und stellt Aussagen und Annahmen hin, die nicht der Wirklichkeit entsprechen?", hakte er nach und schälte dabei nun ganz neben her ein Stück des fremden Obstes.
„Nun... Die Immanida sind eine solche Theorie. grundsätzlich werden sie als gut empfunden. Doch sie werden verherrlicht, Iiron und als unfehlbar gut bezeichnet, selbst dann wenn sie gerade etwas potenziell Böses getan haben.
Und das ist in meinen Augen nicht die Definition von gut, das ist Wunschtraum. Wie also kann die Aussage die Immanida sind gut und das immer der Wirklichkeit entsprechen? Und wenn du dich als Mensch aber dann dagegen wehrst, was sie dir gerade antun, bist auf einmal du hier die Böse ... weil die Immanida ja grundsätzlich gut sind, und daran gibt es für den Clan auch rein gar nichts zu rütteln!
Da ist kein Spielraum für Fehler oder Missverständnisse, für tatsächlich böse Charakter unter den so von ihnen verehrten Wesen. Und dasselbe gilt übrigens auch für uns Himmelskinder.
Wir verstehen laut ihrer Theorie grundsätzlich alles falsch und die Eingeborenen, der Clan und der Stamm haben grundsätzlich immer recht.
Das ist ebenso falsch!
Das ist ... nach meiner Definition auch nur wieder Wunschdenken und sogar auch noch etwas irre! Das bedeutet ... eine arrogante, selbstgefällige Einbildung einer realitätsfernen Doktrin..."
„Diese Wörter verstehe ich nicht. Realitätsfernen Doktrin...", sagte Iiron nun leise in ihre Gedanken hinein und reichte ihr dann das Stück Obst zu, dass er gerade für sie geschält und auch schon zerkleinert hatte.
Sie nickte ihm nur leise dankend zu und überlegte kurz wie die es umschreiben sollte.
„Realität ist das hier und jetzt, aber die tatsächliche Wirklichkeit und nicht nur eingebildete, verklärte Sicht auf die Dinge, wie man sie sich eben nur gerne so wünscht oder vorstellt, dass es sein sollte.
Der reine ist-Zustand, sozusagen.
Die ferne davon also realitätsferne... ist eben diese verklärte Sicht, ist der reine Wunsch und nicht die tatsächliche Wirklichkeit.
Und Doktrin... das ist eine werte- oder auch idealistisch basierte Vorstellung einer Welt wie man sie unbedingt haben will, mit allen Mitteln wird dafür gekämpft das es so wird, dann so ist und auch genau so so bleibt. Sie lässt keinen Raum für Veränderungen, andere Gedanken oder Meinungen zu. Eine Doktrin ist also wie ein allumfassendes Gesetz für Vorstellungen, Glauben und der selbst erklärten Wahrheit.
Man folgt ihr oder man wird bekämpft, bis man ihr folgt", erklärte sie ihm leise und er nickte nur schwer ausatmend.
„Das ist in der Tat so. Du hast einen scharfen Verstand und Recht damit, Kati. Doch... wenn du in ein Land kommst, dessen Doktrin du nicht teilst, wie willst du dann darin leben können?", wandte er nun sanft ein.
Kati zuckte nur einmal mehr hilflos die Schultern.
„Wir können es nicht. Oder zumindest nicht sofort. Es wird von uns verlangt aber wir können es einfach nicht. Weil wir nun mal von woanders herkommen und unsere Vorstellungen und Meinungen bereits vorgeprägt wurden. Von anderen Doktrinen.
Diese zu vergessen passiert nicht über Nacht. Du kannst nicht einfach so von null anfangen, wenn du nicht gerade ein Säugling bist und dich noch nicht an Ereignisse erinnern kannst, das ist unmöglich.
Und darum... darum nur versagen wir beide hier immer so kläglich. Immer und immer wieder.
Darum nennen sie dich auch schlecht und mich nun böse.", erklärte sie ihm verloren fühlend.
Er reichte ihr nur erneut schweigend eine weitere Obstspalte zu die er gerade auseinander gepflückt und von den umliegenden Fasern befreit hatte und sie aß diese und auch die anderen, die sie immer noch in der Hand hielt, dabei schon wieder tief ausatmend und sich nun auch mal eben die Tränen abwischend.
Derweil sah sie zu wie Iiron die Wurzeln nun ins langsam herabbrennende Feuer legte und dann mit weiterem Holz bedeckte.
Es begann sie nun auch schon richtig zu wärmen. Schön...
Und ruhig.
Das leise Knacken der Äste beruhigte sie und sie starrte lange blicklos in die Flammen, bis Iiron schließlich aufstand und zu ihr kam, sich neben ihr auf die Felle setzte.
„Darf ich dich nun wieder halten? Du siehst aus als würdest du gleich umfallen oder eingeschlafen, meine Kati!", sagte er so ernsthaft aber besorgt zu ihr.
Sie lächelte nur gequält und nickte zustimmend.
Schon saß er hinter ihr und schloss seine beiden Arme ganz vorsichtig um sie herum.
Ahhh... Ja.
Das war so schön warm.
Unwillkürlich kuschelte sie sich mit dem Gesicht an deinen bloßen Bizeps an und hielt sich nun ebenfalls mit der Hand an seinen Armen fest, hielt ihn fest.
„Das fühlt sich schön an, Iiron ... so gut und warm.
Das brauchst du mich ernsthaft nie zu fragen, ob du das bei mir machen darfst", wisperte sie leise und unterdrückte ein erneutes Schluchzen und Schniefen.
Er nickte kurz. Das spürte sie, weil sein Kinn und Wange nun ihre Schläfe auf der anderen Seite ihres Kopfes wärmte.
Er hatte sich nun ebenfalls an sie geschmiegt.
Sie gaben sich nun also gegenseitig Halt, oder?
Ja, vermutlich.
Und genau so... war es gut.
Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen. Iiron war auf ihrer Seite und beschütze sie... Auch wenn es schon echt fies war, das es überhaupt Seiten geben musste.
Seine Worte geisterten ihr indes noch immer im Kopf herum:
Doch ... wenn du in ein Land kommst, dessen Doktrin du nicht teilst, wie willst du dann darin leben können?
Ja, das war die große Frage, oder?
Konnten sie beide hier überhaupt leben? War das denn möglich? Sie bezweifelte es allmählich. Aber vielleicht ... lag es ja auch wirklich nur an ihr selbst, dass es so war. Wenn man hier einfach die Doktrin annahm und lebte, lebte man glücklich und gut, friedlich und fröhlich. Doch wenn man sich dagegen wehrte standen einem tausend Felsbrocken im Weg.
Also selbst wenn sie bei dem Unfall mit dem Immanida ohne sich zu wehren gestorben wäre... dann wäre es innerhalb der Doktrin dieser Gesellschaft ganz friedlich abgelaufen.
Keine Gewalt gegen die Immanida, selbst wenn diese sie gewaltsam unter Wasser zerrten und töteten...
Doch es wäre in aller Augen nur ein tragischer bedauerlicher Unfall gewesen. Die Leben des Stammes zählten also letztlich doch viel geringer als das Leben von anderen Wesen.
Und alles beugte sich diesem Glauben.
Das war die hiesige Doktrin!
Galten denn dann die Drachen nicht eigentlich auch als höherwertig?
Sie sagten und behaupteten zwar sie würden den Menschen und ihren Weisungen folgen. Doch in diesem Fall ... folgten sie tatsächlich ihrer eigenen Doktrin, der Höherwertigkeit anderer, aber unbedingt gezeigten Friedfertigkeit der Menschen - egal in welcher Situation.
Eine Farce also.
Genauso wie neulich als sie ihr Haus zerstört hatten, als sie noch darinnen gewesen war.
Diese angebliche Friedfertigkeit war demnach nur eine Lüge, die dabei half die eigenen Vorstellungen der Dragorn durchzusetzen.
Der Stamm war durchaus gewalttätig, die Drachen hielten aber alles mit ihrer Doktrin im Zaum und verurteilten auch nur denjenigen, der sowieso aus ihrer Gesellschaft ausgeschlossen war.
Das alles hier war also wirklich nur ein einziges irres Lügengebilde, dass sich wie eine Schlange hin und her wand um wahlweise die Doktrin oder die Gewaltbereitschaft der Menschen zu rechtfertigen.
Außer die der Himmelskinder.
Außer ihre eigene.
Denn sie gehörte nun mal ebensowenig wie Iiron hierher.
Erzitternd kuschelte sie sich noch enger an ihr und fühlte seine starken Arme sie noch ein wenig fester halten.
Ja...
Das war gut so
Sie waren beide zumindest nicht allein.
Iiron nun nicht mehr und sie sogar gar nicht, von Anfang an. Dank ihm.
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Wie findet ihr das?
Ich musste mal meine Gedanken zum Thema Migration und Einbürgerung ordnen und habe dazu diese, meine Story benutzt.
Kann es sein?
Ist das eine Wahrheit, die zumindest nachvollziehbar ist?
Ich bin gespannt auf eure Kommentare
😁🍀✌🏻
LG
Bea
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